Norddeutsche Landschaft Teil 2: das Moor / kann man Moore renaturieren?
Moore, diese geheimnisvollen Landschaften zwischen Wasser und Festland, haben etwas Mystisches an sich. Nebelverhangen, mit einer einzigartigen Flora und Fauna, ranken sich viele Sagen und Mythen um sie. Doch was genau macht ein Moor aus? Wann sind sie entstanden, und warum sind sie so wichtig für uns?
Lebensraum Moor
Moore sind echt spannende Ökosysteme, in denen alles miteinander verbunden ist: Wasser, Boden, Pflanzen, Tiere und Pilze. In diesen nährstoffarmen, oft sauren und wassergesättigten Lebensräumen wachsen Pflanzen, die sich an extreme Bedingungen angepasst haben. Besonders typisch für Moore sind Torfmoose (Sphagnum), die eine wichtige Rolle bei der Torfbildung spielen. Sie speichern viel Wasser und ermöglichen so das Wachstum anderer typischer Pflanzen wie Wollgras, Moosbeere oder fleischfressende Pflanzen wie den Sonnentau. Niedermoore, die im Gegensatz zu Hochmooren vom Grundwasser gespeist werden, weisen eine größere Pflanzenvielfalt auf. Hier wachsen zum Beispiel Schilf, Seggen, Erlen und Birken.
Auch die Tierwelt der Moore ist faszinierend und vielfältig. Verschiedene Vogelarten wie Kranich, Schnepfe, Rohrweihe oder Sumpfohreule sind zum Brüten und Jagen auf Moore angewiesen. Auch für kleinere Lebewesen wie Schmetterlinge, Libellen, Spinnen und Käfer sind Moore ein idealer Lebensraum. Sogar größere Säugetiere wie Elche oder Hirsche leben in einigen Regionen in Mooren. Pilze spielen übrigens auch eine wichtige Rolle. Sie leben in enger Symbiose mit den Torfmoosen und sorgen so für die Stabilität des gesamten Ökosystems.
Der Stoffkreislauf in Mooren ist ziemlich anders als in anderen Ökosystemen. Wegen des hohen Wassergehalts und des Sauerstoffmangels dauert es recht lange, bis abgestorbene Pflanzen zersetzt werden. So entsteht Torf, der eine Menge Kohlenstoff speichert und damit eine wichtige Rolle im Klimaschutz spielt, doch darüber erzähle ich gleich noch mehr.
Hochmoore und Niedermoore
Die Unterscheidung zwischen Hoch- und Niedermooren hängt vor allem davon ab, wie sie mit Wasser und Nährstoffen versorgt werden. Hochmoore, auch Regenmoore genannt, beziehen ihr Wasser ausschließlich aus Niederschlägen und haben keinen Kontakt zum Grundwasser. Diese Moore sind sehr nährstoffarm und haben eine ganz eigene Vegetation, die perfekt an diese Bedingungen angepasst ist. Diese Moore haben oft eine sogenannte Bult-Schlenken-Struktur. Sie entsteht durch das unterschiedliche Wachstum der Torfmoose.
Bulte sind leicht erhöhte, trockene Bereiche im Moor, in denen das Torfmoos dichter wächst. Sie ragen über den Wasserspiegel hinaus und sind oft etwas nährstoffärmer, weil sie nur wenig Wasser und Nährstoffe direkt aus dem Regen erhalten. Auf diesen erhöhten Flächen wachsen oft spezialisierte Pflanzen wie Wollgras oder Heidekraut.
Schlenken sind die tiefer liegenden, wassergefüllten Senken zwischen den Bulten. Sie sind ständig wasserbedeckt und nährstoffreicher als die Bulte, da sie Regenwasser ansammeln. In diesen nassen Bereichen gedeihen Pflanzen, die eine ständige Wasserversorgung benötigen, wie verschiedene Arten von Torfmoosen oder eben auch richtige Wasserpflanzen.
Hochmoore findet man vor allem in niederschlagsreichen Gebieten wie Schleswig-Holstein, Niedersachsen und Bayern.
Niedermoore – früher auch Flachmoore genannt – haben, anders als Hochmoore, Kontakt zum Grundwasser und werden von diesem durchströmt und gespeist. Dadurch erhalten sie nicht nur Wasser, sondern auch ständig neue Mineralien und Nährstoffe. Je nach Mineralgehalt des Wassers können Niedermoore nährstoffreich (eutroph) bis nährstoffarm (dystroph) sein. Niedermoore sind pflanzenreicher als Hochmoore. Zu den typischen Pflanzen gehören zum Beispiel Schilf, Seggen, Erlen und Birken. Wie viele Pflanzen wachsen, hängt davon ab, wie sauer das Wasser ist, wie viele Nährstoffe es enthält und wie das Klima ist. Niedermoore gibt es vor allem im Nordosten Deutschlands, in Mecklenburg-Vorpommern und Brandenburg. Allerdings liegen auch unsere Gärten hier in Hamburg direkt an einem Niedermoor.
Entstehung der Moore: die Torfbildung
Moorbildung ist ein echt faszinierender Prozess, der mit dem Wasserhaushalt und den speziellen Bedingungen der Landschaft zusammenhängt. Alles startet mit der Bildung einer Wassersenke. Vor etwa 12.000 Jahren, am Ende der Weichsel-Kaltzeit, haben die Gletscher in Norddeutschland jede Menge Senken und Becken hinterlassen, die sich dann mit Wasser gefüllt haben. Diese wassergefüllten Senken waren also die perfekten Bedingungen für die Entwicklung von Mooren. Aber auch ohne Gletscher können Wassersenken entstehen, zum Beispiel durch natürliche Stauungen, durch Bodenmulden, die sich dann mit Wasser füllen oder einen generell hohen Grundwasserstand. Auch der Mensch kann diesen Prozess beeinflussen: Die Rodung von Wäldern kann den Wasserhaushalt der Landschaft verändern und so zur Moorbildung beitragen.
Stell dir vor, wie sich inmitten der Dünenlandschaft eine kleine Senke bildet, in der sich das Wasser sammelt. Kaum ist dieser neue, feuchte Lebensraum entstanden, machen sich auch schon die ersten Pioniere auf den Weg, um ihn zu besiedeln – Moose und Gräser, wahre Überlebenskünstler, breiten sich als erste aus und trotzen den nährstoffarmen und feuchten Bedingungen. Fast unmerklich beginnt ein enorm wichtiger Prozess: die Entstehung von Torf. Der Schlüssel liegt hier im Sauerstoffmangel. Tief unten in der wassergesättigten Senke herrschen ganz spezielle Bedingungen, und zwar können abgestorbene Pflanzenreste nicht vollständig zersetzt werden, weil der Sauerstoff fehlt, den die Mikroorganismen für ihre Abbauprozesse benötigen. So bleiben die Pflanzenreste, vor allem die widerstandsfähigen Moose, am Boden der Senke liegen. Schicht für Schicht entsteht so ein ganz besonderer Schatz: der Torf. Das alles passiert sozusagen im Zeitlupentempo. Tatsächlich wächst die Torfschicht im Durchschnitt nur wenige Millimeter pro Jahr. Im Laufe von Jahrtausenden können sich dennoch mächtige, meterdicke Torfschichten bilden.
Mensch und Moor
Schon vor Jahrtausenden nutzten die ersten Jäger- und Sammlergruppen die Moore, um Beeren zu sammeln und zu jagen. In den ersten Jahrtausenden nach dem Ende der letzten großen Eiszeit Eiszeit lebten Mensch und Natur weitgehend nebeneinander, ohne dass wir Menschen wesentlich in die natürlichen Abläufe eingriff. Erst vor etwa 6.000 Jahren begannen wir, Wälder zu roden und Ackerbau zu betreiben. Dadurch wurden die Feuchtgebiete zunächst sogar noch größer. Denn durch die Rodungen war die Landschaft für feuchte Ökosysteme besser geeignet als in den noch dicht bewaldeten Gebieten.
Im Mittelalter, also zwischen dem 5. und 15. Jahrhundert, nahmen die Eingriffe in den Wasserhaushalt der Moore immer mehr zu. Die Leute bauten Wege durch die Moore und begannen, Torf abzubauen, um ihn als Brennmaterial zu nutzen. Vor allem die Klöster entwickelten Techniken, um das Wasser zu regulieren und beispielsweise in Fischteiche umzuleiten. Gleichzeitig setzten sie auf eine Form der Landwirtschaft, bei der der Torf erhalten bleibt – diese ist heute als Paludikultur bekannt.
Ab dem 17. Jahrhundert wurden in Norddeutschland die ersten systematischen Entwässerungsgräben angelegt, die die Landschaft hier oben so sehr prägen. Auf Google-Maps (Opens in a new window) sieht das so aus:
Wie man sieht, ziehen sich sehr viele Gräben zwischen den Feldern entlang.
Im 18. Jahrhundert wurde die Nutzung der Moore intensiviert, weil immer mehr Brennstoffe und Ackerland gebraucht wurden – die Bevölkerung explodierte. Der preußische Staat hat deshalb die Entwässerung der Landschaften gezielt gefördert, um neues Ackerland zu gewinnen und noch mehr Siedler:innen anzulocken.
Im 19. Jahrhundert erreichte die Moorentwässerung ihren Höhepunkt. Dank neuer Entwässerungstechniken wie dem sogenannten "Poggeln", bei dem eine Sandschicht auf den Moorboden aufgetragen wird, um ihn besser befahrbar zu machen, konnte die Landwirtschaft intensiviert werden. Diese Zeit, auch als "goldene Jahre der Landwirtschaft" bekannt, hat dazu geführt, dass die landwirtschaftliche Produktivität sich verdoppelt hat. Leider hat das aber auch zum Verlust zahlreicher moortypischer Arten geführt.
Übrigens: Hier in Hamburg wurde das vor einer Weile gemacht. Ein an der A1 gelegenes Moor wurde zugeschüttet, weil DHL dort ein Logistikzentrum errichten wollte. Die haben es sich dann anders überlegt, und jetzt liegt die Fläche zugeschüttet brach – I kid you not: Screenshot aus der SH (Opens in a new window)Z.
So eine Scheiße kann man sich nicht ausdenken, wirklich wahr. Man will eigentlich nur Schreien, sich die Haare raufen und jemand Zuständiges in den Boden schreien, oder? Hier findest du einen Beitrag vom NDR dazu (Opens in a new window).
Im 20. Jahrhundert wurden die Moore dann noch einmal großflächig trockengelegt, diesmal mit schwerem Gerät. Der Emslandplan, ein Großprojekt nach dem Zweiten Weltkrieg, trocknete riesige Moorflächen für die landwirtschaftliche Nutzung aus. Das hatte natürlich schwerwiegende Folgen für das Klima und die Umwelt.
Im 21. Jahrhundert wird jetzt immer klarer, wie wichtig Moore für den Klimaschutz sind. Es ist deshalb ein großes Thema, Moore wiederzuvernässen und damit wieder nutzbar zu machen. Gleichzeitig gibt es neue Ideen, wie man Moore nutzen kann, ohne sie zu zerstören, beispielsweise mit der Paludikultur. Das ist eine Form der landwirtschaftlichen Nutzung von nassen und wiedervernässten Mooren, bei der das Moor intakt bleibt und weiterhin Kohlenstoff gespeichert wird. Statt Moore zu entwässern und damit zu zerstören, werden Pflanzenarten angebaut, die auf nassen oder feuchten Böden wachsen und gleichzeitig zum Erhalt des Moores beitragen. Typische Paludikultur-Pflanzen sind Schilf, Rohrkolben oder Seggen. Diese Pflanzen können als Rohstoffe z.B. für Bau- und Dämmstoffe, zur Energiegewinnung oder als Tierfutter genutzt werden.Paludikultur verbindet somit nachhaltige Landwirtschaft mit Klimaschutz, da die Torfbildung gefördert wird und keine CO₂-Emissionen durch Entwässerung entstehen.
Moore und Klimaschutz
Moore bedecken nur etwa 4 % der Landfläche der Erde, speichern aber trotzdem ein Drittel des weltweit im Boden gebundenen Kohlenstoffs. Das ist mehr Kohlenstoff, als in allen Wäldern der Welt zusammen gespeichert ist, dabei nehmen Wälder fast zehnmal mehr Fläche ein. Vielleicht hast du das hier schon einmal gehört: Moore speichern eine Menge Kohlenstoff und dienen als Kohlenstoffsenke. Doch was bedeutet das?
Der besondere Aufbau von Mooren spielt eine entscheidende Rolle bei der Speicherung von Kohlenstoff. In einem intakten Moor herrscht stets ein hoher Wasserstand, was jedoch zu einem Sauerstoffmangel führt. Dieser Mangel verhindert, dass abgestorbene Pflanzenreste, insbesondere Moose, vollständig zersetzt werden. Stattdessen lagern sich Schicht für Schicht Blätter, Totholz und andere organische Materialien auf dem Boden ab und werden vom Wasser bedeckt. Wenn organisches Material zersetzt wird, entsteht CO₂. Da hier jedoch kaum Zersetzung stattfindet und somit nur wenig CO₂ freigesetzt wird, verbleibt der in den Pflanzen gebundene Kohlenstoff im Torf. Auf diese Weise wird der Kohlenstoff langfristig im Moor eingeschlossen und dem natürlichen Kohlenstoffkreislauf entzogen – yay!
Bei trockengelegten Mooren verhält es sich anders. Hier verliert die Torfschicht, die reich an Kohlenstoff ist, ihren luftdichten Abschluss und kommt in direkten Kontakt mit der Luft. Sobald die Moore entwässert werden, gelangt Sauerstoff in den Boden, wodurch der Torf schneller zersetzt wird. Dieser beschleunigte Zersetzungsprozess führt dazu, dass der zuvor im Torf gespeicherte Kohlenstoff als Kohlenstoffdioxid (CO₂) freigesetzt wird. Entwässerte Moore wandeln sich somit von Kohlenstoffsenken in Kohlenstoffquellen und tragen dadurch erheblich (!) zur Beschleunigung des Klimawandels bei.
Nicht nur der Kohlenstoffkreislauf spielt für das Klima und die Moore eine zentrale Rolle, sondern auch ihre Funktion als natürliche Temperaturpuffer. In intakten Mooren verdunstet ständig Wasser, das Wärme aus der Umgebung aufnimmt und so die Luft abkühlt. Dieser Verdunstungseffekt macht Moore zu einer natürlichen „Klimaanlage“, die die Umgebungstemperatur reguliert. Darüber hinaus hat Torf, der Hauptbestandteil von Mooren, eine hohe Wärmespeicherkapazität. Das bedeutet, dass Moore große Mengen an Wärme aufnehmen und speichern können, ohne dass sich ihre Temperatur schnell ändert. Dadurch erwärmen sich Moore im Frühjahr langsamer und kühlen im Herbst langsamer ab als ihre Umgebung. Diese Eigenschaften tragen dazu bei, Temperaturschwankungen auszugleichen und das lokale Klima stabil zu halten. Diese Auswirkungen spüren wir auch in unserem Garten, der direkt am Moor liegt – jetzt gerade ist es dort wärmer als in anderen Gegenden Hamburgs. Das wirkt sich auch auf die Pflanzen und auch die Ernte im Garten aus. Dafür dauert es im Frühjahr länger, bis es bei uns richtig warm wird. Hinter dem Zaun liegt das Moor:
Für den Klimaschutz sind Moore also unersetzlich. Die effektivste Maßnahme zur Reduzierung von Treibhausgasen ist die Wiedervernässung von Mooren. Wird der natürliche Wasserhaushalt wiederhergestellt, wird der Torf nicht mehr zersetzt und es werden kein CO₂ oder andere Treibhausgase mehr freigesetzt. Darüber hinaus sind intakte Moore wichtig für den Erhalt der biologischen Vielfalt. Denn sie bieten vielen Arten, die sich an extreme Bedingungen anpassen können, einen besonderen Lebensraum. Schauen wir uns doch mal an, ob und wie man Moore richtig renaturieren kann.
Kann man Moore renaturieren?
Ziel der Renaturierung von Mooren ist es, den ursprünglichen Wasserhaushalt wiederherzustellen und damit die natürlichen Voraussetzungen für Torfbildung und Kohlenstoffspeicherung zu schaffen.
Kernstück der Wiedervernässung ist das Stoppen des Wasserabflusses. Das erreicht man durch das Zuschütten von Entwässerungsgräben, die einst für die landwirtschaftliche Nutzung angelegt wurden. Auch technische Barrieren wie Pumpen oder Spundwände, die das Wasser abgeleitet haben, werden entfernt. Durch die Anhebung des Wasserspiegels im Moor bis an die Oberfläche entsteht wieder das feuchte, sauerstoffarme Milieu, das notwendig ist, um den Abbau der organischen Substanz zu verlangsamen und das Wachstum neuer Torfschichten zu ermöglichen.
Die Wiedervernässung von Mooren ist ein wichtiger Schritt zur Rettung dieser einzigartigen Ökosysteme, aber es ist wichtig zu verstehen, dass das nur der Anfang eines langen und komplexen Prozesses ist. Eines der größten Probleme bei der Renaturierung von Mooren ist der Zustand der Torfschicht. In Mooren, die über viele Jahrzehnte oder gar Jahrhunderte entwässert wurden, ist die Torfschicht oft stark geschädigt oder teilweise bereits vollständig abgebaut. Torf wächst wie gesagt extrem langsam – nur etwa 1-2 Millimeter pro Jahr. Das bedeutet, dass es buchstäblich Jahrtausende dauern würde, bis sich wieder eine intakte Torfschicht bilden könnte! Ich schreibe das so deutlich, damit du verstehst, dass die bloße Wiedervernässung eines Moores nicht gleichbedeutend ist mit einer vollständigen "Reparatur". Auch wenn der Wasserstand wieder angehoben wird, ist das Moor noch lange nicht in seiner ursprünglichen Funktion und Struktur wiederhergestellt. Es ist ein sehr langsamer, kontinuierlicher Prozess, der oft nicht mehr rückgängig zu machen ist, wenn die Torfschicht einmal zerstört ist. Und selbst wenn wir diese Moore heute schützen, bleibt die Frage, was in 100 oder 200 Jahren sein wird? Wenn dann der Schutzstatus aus politischen oder wirtschaftlichen Gründen aufgehoben wird, sind alle Bemühungen für die Katz’ gewesen. Die Vorstellung, ein Moor mit ein paar Maßnahmen "reparieren" zu können, ist daher eine Illusion. Die Wiedervernässung ist ein unverzichtbarer Schritt, um die weitere Degradation zu stoppen und das Moor zu stabilisieren, klar. Das muss unbedingt gemacht werden. Ein vollständig regeneriertes Moor, wie es über Jahrtausende bestanden hat, ist aber kaum mehr erreichbar, wenn die Torfschicht einmal verloren gegangen ist.
Ich schreibe das nicht, um zu demotivieren, oder damit man denkt: Ja gut, egal, bringt eh nix, wieso also all der Aufwand? Moore und andere Feuchtgebiete wiederzuvernässen ist ein absolutes Muss! Keine Diskussion. Ich schreibe das alles aber, damit wirklich verstanden wird, was mit so einem Moor passiert, wenn man es zerstört hat. Wenn es zerstört ist, bleibt es zerstört. Dann ist das für die nächsten JAHRTAUSENDE (!) der Fall! Deshalb sollte man vielleicht mal vorher nachdenken, was man da tut, wenn man beschließt, wegen so eines beschissenen (sorry, not sorry) Logistikzentrums, das man ja wohl mal wirklich auch woanders als in einem geschützten Moor (WTF?!) hätte bauen können, ein komplettes Naturschutzgebiet plattzumachen. Ich habe das Gefühl, dass gerade in der Politik dieses “oh, na ja, wir können ja noch renaturieren/eine Ausgleichsfläche finden” extrem missverstanden wird. Man kann ein Ex-Moor wiedervernässen, man kann versuchen, standorttypische Pflanzen wieder anzusiedeln. Aber auch, wenn es wiedervernässt ist, wenn es “renaturiert” ist, ist es nicht direkt wieder ein Moor! Ist die Torfschicht weg, ist es erst einmal ein nasses Feuchtgebiet, das das Potenzial hat, wieder ein richtiges Moor zu werden, wenn man es denn lässt – in den nächsten zehntausend Jahren. Ob das klappen wird? Kannst du ja überlegen, ob du das realistisch findest.
Und übrigens: Bitte verwende keine torfhaltige Erde, wenn du genau so gartenbegeistert wie ich bist. Es gibt viele gute Alternativen.
Danke sehr.
Kleine Werbung: Lorenz und ich haben ein neues Buch herausgebracht, es heißt “Liebe, Sex und Erblichkeit”, das ich mit 150 Illustrationen aufgehübscht habe:
Klappentext:
Fische, deren Männchen auf ewig an ihren Weibchen kleben, hingebungsvolle und, nun ja, auch mal weniger hingebungsvolle Eltern, ausgefallene Balzrituale – wer Liebe, Sex und Erblichkeit in der Natur betrachtet, kommt aus dem Staunen nicht heraus. Aber auch bei uns Menschen gibt es eine Menge Vielfalt, sei es in unseren Beziehungsformen oder in unseren geschlechtlichen Identitäten. Und auch in der Geschichte unserer Sexualität finden wir Anekdoten, die wir so nicht erwartet hätten.
Eine Biologin und ein Biologe – beide miteinander verheiratet, also quasi direkt an der Front – nehmen uns an die Hand und führen uns durch die faszinierende Welt der biologischen und kulturellen Vielfalt in Sachen Liebe und Sex. Das Buch lädt dazu ein, altbekannte Vorstellungen zu hinterfragen und neue Perspektiven zu entdecken – immer mit einem Augenzwinkern und einem neugierigen Blick auf die Wunder der Natur.
Der Propeller des Grauens
Okay, also vergiss kurz die Wale, entspann dich und stell dir diese Szene vor: ein ruhiges afrikanisches Flussufer in der Abenddämmerung. Die Sonne versinkt in einem leuchtenden Orange und Violett und wirft lange Schatten auf die stille Oberfläche eines großen Sees. Du hörst das Zirpen der Grillen und die entfernten Rufe exotischer Vögel. Die Luft ist noch warm und erfüllt mit dem Geruch von feuchter Erde, Blättern und dem schweren Duft von Blumen. In diesem Moment siehst du ein Augenpaar aus dem Wasser schauen. Etwas Großes schlängelt sich durch das Nass und hat ein Ziel: das Ufer. Denn dort steht ein Flusspferdweibchen im seichten Wasser und knabbert an ein paar Wasserpflanzen herum – perfekt. Das Augenpaar hebt sich aus dem Wasser, wird langsam zu einem bulligen Haupt, wird zu einem massigen Körper – ein Flusspferdbulle kommt zum Vorschein und erzeugt eine riesige Welle. Interessiert dreht das Weibchen den Kopf und mustert den soeben aufgetauchten Verehrer, und dieser weiß sofort: entweder die oder keine! Also dreht er sich ein wenig herum, damit sie ihn in Augenschein nehmen kann. Baby, gefällt dir, was du siehst? Er ist kräftig gebaut und sieht gesund aus, und am Ende positioniert er sich so, dass sie sein üppiges Hinterteil bewundern kann.
Dann startet er den Kotpropeller.
Was für uns das absolute Worst-Case-Szenario wäre (Durchfall beim ersten Date), ist bei Flusspferden (Hippopotamus amphibius) das Ziel. Damit die »Nachricht« auch wirklich beim Weibchen ankommt, wirbelt das Männchen mit dem Schwanz, drückt dabei ab und verteilt seinen Kot mithilfe dieses »Propellers« so weit wie möglich in der Umgebung. Du ahnst es schon: Der Kot männlicher Flusspferde ist ein vielseitiges Kommunikationsmittel.
Flusspferdkot enthält verschiedene chemische Substanzen, die Informationen über den Gesundheitszustand des Männchens, seinen Fortpflanzungsstatus und sogar seine genetische Fitness vermitteln. Unser Kot verrät uns übrigens auch unglaublich viel über uns, allerdings spielt das bei der menschlichen Paarung zum Glück keine Rolle. Durch die weiträumige Verteilung stellt der Flusspferdjunggeselle jedenfalls sicher, dass sein Geruch von Weibchen (und auch von rivalisierenden Männchen) schon aus großer Entfernung wahrgenommen wird; gleichzeitig steckt er damit auch seine Reviergrenzen im Wasser ab. So wissen alle anderen Flusspferde direkt, was Sache ist, wenn sie »lesen«: Jürgen war hier.
In der Welt der Flusspferde ist ein kräftiger Kotpropeller also gleichbedeutend mit einem starken Partner, der sein Territorium und seinen Nachwuchs verteidigen kann. Bei uns … eher nicht. Wenn ein nackter Mann in deiner Anwesenheit einen Ventilator startet und sich hinhockt, um Gottes willen, lauf. Für das Ökosystem hat dieser aus Menschenperspektive bizarre, aus Tierperspektive (und darum geht’s in dieser Story) absolut praktische Vorgang ebenfalls viele Vorteile, da diese Tiere als Siliziumpumpe in Gewässern fungieren. Silizium ist ein chemisches Element und ein Mineral, das in an Land lebenden Pflanzen vorkommt. Nachts fressen die Nilpferde diese Pflanzen am Ufer, und wenn sie dann den Propeller anwerfen und ihre siliziumreichen Fäkalien im Wasser verteilen, fördern sie einen wichtigen Nährstoffkreislauf. Silizium ist essenziell für Kieselalgen, eine Algenart, die ihre Schalen aus Kieselsäure bildet, wofür sie eben diesen Stoff braucht. Kieselalgen sind eine wichtige Nahrungsquelle für viele Wasserorganismen, beispielsweise für Weichtiere, die dann wiederum von Fischen gefressen werden, und so weiter. Die Algen helfen zudem, Kohlenstoffdioxid (CO₂) zu binden und Sauerstoff (O₂) zu produzieren. Natürlich darf das auch nicht überhandnehmen, damit das Gewässer nicht kippt. Also: alles mit Maß, auch der Kotpropeller.
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Besonders freut es uns, wenn du das Buch autorenfreundlich hier bestellst, weil wir Autor:innen dann mehr von abbekommen:
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