"Neunuhrsechzig"
Ist es schon Zehn, oder noch nicht? Beim Wort "Neunuhrsechzig" fällt mir sofort der Song "should I stay or should I go" ein. Diese Wortkreation wurde von dem Team des Hamburger Hospizes gebildet. Die Gruppe der Ehrenamtlichen kümmert sich um die alljährliche Kunstauktion, die jedes Mal mit einem neuen Thema eröffnet wird.
Vor vier Jahren wurde ich auf einer Stadtteilausstellung in St. Pauli von einer Mitarbeiterin des Hamburger Hospizes eingeladen, ein Bild für die Benefizauktion zu spenden. Erst letztes Jahr habe ich es dann endlich geschafft, mich darum zu kümmern und jetzt bin ich total scharf darauf, es jedes Jahr zu wiederholen. Selten habe ich so viel Wertschätzung und Dankbarkeit für meine Arbeit erhalten.
Bei der Eröffnungsrede wurden viele Künstler:innen und ihre Arbeiten persönlich vorgestellt. Der diesjährige Titel "Neunuhrsechzig" hat wohl viele unterschiedlichen Emotionen ausgelöst: von anfänglicher Ablehnung bis totaler Begeisterung. Es gab spirituelle, ironische oder auch wörtliche Interpretationen. Wir haben einige Geschichten zu den Bildern erfahren und wie wichtig Spenden für das Hospiz sind.
Ich selbst habe das Thema ziemlich wörtlich genommen und habe eine Reportage-Zeichnung vom Fischmarkt um zehn Uhr gespendet. Meine Reaktion auf den Titel war recht mathematischer Natur. 9:60 Uhr klingt irgendwie falsch, aber trotzdem ist es richtig. Es erinnerte mich an kleine Tricks in der Mathematik. Wenn eine Zahl nicht das tut, was sie sollte, ersetzt man sie durch eine Kombination aus anderen Zahlen, die das Gleiche ergeben und schon geht die Gleichnug auf. Auch "Wunschdenken" funktioniert so, nicht wahr? ;)
Nach der Asprache schlenderte ich durch die Ausstellung, unterhielt mich mit Organisatorinnen und Künstlerinnen und zeichnete.
Aus irgendeinem Grund entschied ich mich für schlichte "Bleistiftzeichnungen" mit dünnen Linien und wenig Farbe. Ich finde es generell schwierig, auf Ausstellungen zu zeichnen. Denn es sind ja schon Bilder im Bild. Die Stimmung der Bilder zu wiedergeben ist sehr kompliziert.
Es gab nicht nur gemalte und gezeichnete Werke. Kollagen, Installationen, Fotografien und sogar zwei Stoffarbeiten waren mit dabei.
Besonders gefallen hat mir die Arbeit von Michail Bogumil "Tulpen im Glas. Vergänglichkeit". Man sieht auf einer 50x50 cm grossen Aluplatte ein Schwarzweissfoto von vertrockneten Tulpen im Glas. Ein banales Motiv, das durch Pigmentdrucktechnik "Ciclée-Print" eine krasse Stimmung entfaltet. Der Schärfebereich ist sehr klein, der Hintergrund und der äußere Teil des Bildes sehr unscharf. Dadurch entsteht eine Optik, wie bei Kohlezeichnungen mit partieller Wischtechnik. Das Bild hat den Wunsch in mir geweckt, mir mal wieder die Finger mit der Kohle schmutzig zu machen ...
Bei der Auktion kann man sowohl analog — im Hospiz in Briefform — als auch online für die Kunstwerke bieten. Die Gebote werden komplett anonym angenommen. Am Ende weiß niemand, außer der Hospizmitarbeiter, für wieviel welches Bild an wen verkauft wurde. Bis zum Ende der Auktion, am 12. Dezember ist es auch möglich die Arbeiten im Hospiz zu besichtigen (mit Anmeldung!).
Hier findest Du die Werke und die Details dazu:
https://auktion.hamburger-hospiz.de/auktion.php (Si apre in una nuova finestra)___________________________________________
Und das ist mein Bild:
»Am Fischmarkt um zehn«
Wasserfarbe und Tusche auf Papier
Größe ungerahmt: 24 x 18 cm
Am Ende schien der Fischmarkt aufzuwachen. Das gemäßigte Treiben der Touristen wechselte in ein unruhiges Hasten und lautes Anpreisen der letzten Angebote. Kneipen- und Klubgänger hofften noch auf das letzte Fischbrötchen und einen Kaffee. Es war laut und chaotisch. Pünktlich um 9:31 Uhr ertönte es aus den Lautsprechern, dass die Marktzeit um neunuhrdreissig zu Ende war und die Marktbeschicker ihre Stände abbauen sollten. Kurz vor zehn lauerten noch überall Schnäppchenjäger und Möwen, um die Reste zu ergattern.
Mir fehlt dieses Treiben sehr, denn seit über einem Jahr schweigen die Marktverkäufer und niemand weckt mich mehr an einem Sonntagmorgen durch die Lautsprecher.
Tschüss und bis nächste Woche
Julia Zeichenkind
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