Passa al contenuto principale

Vor dem Kind rauchen


Ratten. Wir lieben neuerdings Ratten. Also „wir“ ist vor allem mein Sohn. Aber ich mag sie auch sehr gerne. Sie sind schlau, süß, anpassungsfähig, nicht so dreckig, wie man denkt, und das mit der Pest waren die Flöhe. Ratten haben vielleicht schlechteres Marketing als Delfine, aber es sind gute Tiere. Auf Disney+ lief neulich sogar eine Doku darüber, wie eine Ratte Koch in einem Pariser Sterne-Restaurant geworden ist! Wie krass ist das, bitte?

Weil mein Sohn die Tiere so sehr liebt, wollte ich ihm natürlich Ratten in – na ja – freier Berliner Wildbahn zeigen. Ich holte ihn also von der Kita ab und wir steuerten einen Platz an, den ich als komplett rattenverseucht in Erinnerung hatte: Eine Treppe an einer Brücke nahe der Berliner Ankerklause, kurz hinter dem Prisma Pavillon.

Problem: Viele Schwäne, viele Enten, keine Ratten. Wir warteten und warteten. Immer noch keine Ratten. Wir waren vermutlich die einzigen zwei Menschen in dieser Millionenstadt, die sehnlichst begehrten, endlich eine Ratte zu entdecken – aber keine einzige tat uns diesen Gefallen.

Ach ja, Ratten sind nachtaktiv, dämmerte (!) es mir irgendwann. Ich googelte zur Sicherheit noch „Uhrzeit Ratten aktiv“ und die beliebte Suchmaschine bestätigte mir meinen Einfall. Also warteten wir, bis es dunkel wurde und setzen uns an den kleinen Pavillon nahe meiner Wohnung. Ich mit einem Glas Wein und Zigaretten, er mit großer Spannung. Und tatsächlich, der Plan ging auf. Wir entdeckten nicht weniger als vier unserer Lieblingsnager. Es war wunderschön.

Dann aber begann der Verdruss!

Ich stellte ein Foto und eine Kurzbeschreibung unserer Expedition auf Instagram, wie es so meine Art ist. Darauf auch erkennbar: Die Zigaretten.

So weit, so gut. Es flogen zunächst Herzchen. Ein cooler Daddy, der Quatsch mit seinem Kind macht – sowas begeistert doch sogar Menschen, die seit Pandemie-Beginn nichts mehr fühlen. Am nächsten Morgen jedoch las ich diese Nachricht in meinem DMs – wie wir aus der Gen Z zu „Posteingang“ sagen.

"Vorm Kind rauchen? Wirklich?"

Ich wäre nicht ich, wenn ich dieses ruppigen Einwurf nicht mit einem kleinen Scherzchen quittieren und ebenfalls online stellen sollte. 

Es waren übrigens so Dampf-Zigaretten, die kaum noch riechen und sehr schnell in der Luft verfliegen (Heets). Kurz nachdem mein Kind geboren wurde, wechselte ich von normalen auf solche, so dass meine Hände oder Klamotten nie wieder nach Rauch rochen, wenn ich das Baby im Arm hielt. Es war außerdem im Freien. Ich saß hinter ihm. Geschenkt. Aber es ist jetzt auch nicht unbedingt so, als hätte ich noch nie genau vor seiner Nase geraucht.

Ich dachte ein wenig nach und notierte diesen Gedanken, ebenfalls auf Instagram.

Kinder sollten so erzogen werden, wie es die Eltern möchten und gleichzeitig so, dass es den Kindern möglichst wenig schadet. Der Rest ist Interpretationsspielraum. Aber ich halte nichts davon, Kinder vor allem zu bewahren. Irgendwann kommen sie in die Schule oder – noch schlimmer – Pubertät und wenn sie bis dahin vor Erfahrungen mit Enttäuschung, Zurückweisung, Angst, Unsicherheit, Alkohol, Drogen und Zigaretten geschützt und abgeschirmt wurden, ist das auf einmal alles sehr überraschend und unvorbereitet da.Da rauche ich lieber vor meinem Kind und sage ihm, dass es Scheiße ist. Und dass man Scheiße nicht sagt.

Und für mich persönlich funktioniert das. Ich weiß nicht immer so genau, wie das andere Eltern machen, aber ich slide ihnen eben auch nicht in die DMs.

Neben dem Aspekt, Kinder auch ein wenig darauf vorzubereiten, dass das Leben nicht nur aus Feuerwehrmann Wutz oder Eisprinzessin Peppa besteht – und die allergrößte Gefahr dabei ist, dass dem bescheuerten Maulwurf auf den Kopf gemacht wird –  gibt es jedoch noch einen weiteren.

Wenn man im Flugzeug sitzt und zu Beginn das Sicherheits-Musical getanzt wird, rufen die Stewardessen*innen immer so etwas durch wie: „Wenn hier auf einmal so Sauerstoffmasken aus der Decke fallen, ist erstens die ganze Flugsache ziemlich doof gelaufen. Und zweitens: Nehmen Sie sich erst mal selbst eine und kümmern Sie sich dann um ihr Kind“.

Ich vermute, die Idee dahinter ist, dass ein Elternteil ohne Sauerstoff kein so gutes Elternteil ist und dann kausal bedingt der ohnehin nicht unproblematische Flugzeugabsturz für Neu-Waise Sören-Malte nicht gerade einfacher wird. Und ich denke, das ist ein ganz gutes Motto. Wie soll ich mich denn vernünftig um mein Kind kümmern, wenn es mir nicht einigermaßen solide geht?

Dazu gehört in meinem Fall leider Rauchen. Aber hey: Ich bin ganz froh, überhaupt irgendwie durchzukommen. Ist oft ziemlich scheiße mit einer psychischen Störung. Ohne Zigaretten und Wein wäre das alles für mich sehr viel schwieriger. Wahrscheinlich auch nicht ideal und nicht unbedingt ein Kapitel aus dem Lehrbuch der Psychologie, aber so ist es eben.

Ich denke, ich wäre ein schlechterer Vater, wenn ich auf alles verzichten würde, was mir Freude macht, nur weil es nicht perfekt für das Kind ist oder es ein Risiko gibt. Ich wäre nicht mehr ich. Kinder merken so etwas.

Und ich muss ohnehin ständig mit ihm Risiken eingehen und ihm vertrauen. Ich vertraue darauf, dass er weiß, aus welcher Höhe er springen kann. Ich vertraue darauf, dass er nicht den Spielplatz verlässt, wenn ich zwei Minuten zu lange ins Smartphone schaue. Ich vertraue darauf, dass er an der Straße stehen bleibt, wenn er voraus läuft. Ich hätte besser nicht darauf vertraut, dass er im Urlaub während ich meine Haare föne, nicht einfach vom Balkon flüchtet und alleine 500 Meter an den Strand geht.

Mein Sohn ist die größte Liebe meines Lebens. Der Mensch, den ich bis jetzt am meisten geliebt habe und der Mensch, den ich in Zukunft am meisten lieben werde. So viel ist sicher. Und ich möchte meiner größten Liebe natürlich einiges mitgeben. Dazu gehört für mich auch, dass es okay ist, nicht perfekt zu sein. Aber wenigstens ehrlich.

Ist es doof von mir, vor ihm zu rauchen? Wahrscheinlich. Aber ich sehe ziemlich viele anderen doofe Dinge, die Eltern vor ihren Kindern machen – und halte schön die Klappe. Die schlimmsten sind übrigens die Dinge, die sie nicht machen. Keinen Quatsch, kein Lachen, keine Rattenexpeditionen. Deren Ding. Ich persönlich würde mir für ihre Kinder wünschen, dass ihre Eltern das Leben lockerer nehmen und dabei zur Not auch eine rauchen. Aber geht mich nichts an.

Und Vorbild-Funktion? Wird er nicht wegen mir anfangen zu rauchen?

Ja, vielleicht raucht er wegen mir. Vielleicht aber auch genau deswegen nicht. Sehr wahrscheinlich wird er, wenn es 2033 überhaupt noch Zigaretten gibt, anfangen zu rauchen, weil die Person aus der Nachbarklasse, in die er mit 15 Jahren unsterblich verliebt sein wird, ihm im Park nach der Schule eine selbstgeklaute Selbstgedrehte zeigen wird. Aber das wäre mir auch ein bisschen egal.

Das einzige, was mich am Rauchen wirklich stört, ist, dass ich uns mit meiner gesundheitlichen Riesen-Dummheit vermutlich gemeinsame Zeit stehlen werde.

Aber in der Zeit, die wir haben, werde ich ihm das beibringen, was mir wichtig ist. Ehrlichkeit, Nächstenliebe, Großzügigkeit, Lässigkeit, Humor, Sympathie auch für Tiere mit schlechtem Marketing und vor allem, nicht Leuten ungefragt Tipps auf Insta geben. Das sind meine Prioritäten.

Wenn ich ihn in zehn Jahren mit einer Packung Kippen erwische, werde ich ihm vielleicht erzählen, wie sein Urgroßvater nach jahrzehntelangem Rauchen an Lungenkrebs starb. War gerade in den letzten Wochen kein besonders freudiger Anblick. Deine Entscheidung, mein Junge.

Aber wenn ich ihn in zehn Jahren dabei erwische, wie er einen obdachlosen Menschen schlecht behandelt, werde ich ihm die verdammte Hölle heiß machen und zu Sanktionen greifen, die nicht mal Russland erahnen kann.

Jeder muss seinen Kindern die Dinge vermitteln, die er am wichtigsten findet. Alle wichtigen Dingen werden es vermutlich nie sein. Meine Schwächen sind Rauchen, Trinken, Kita-Beginn-Verschlafen, Ungeduld, Vorlesefaulheit und noch ziemlich viele andere. Da werde ich niemals der Vater sein, den sich ein Erziehungsratgeber wünscht.

Aber welche Eltern man sein möchte und kann, muss man vielleicht in einem langen, sich stetig verändernden Prozess selbst herausfinden. Wichtig ist für mich vor allem, dass es dem Kind und den Eltern gleichermaßen gut geht. Wenn einer von beiden wackelt, wird es für alle Beteiligten extrem schwierig.

Und hey, so viel Strahlkraft haben Eltern auch nicht! Als ich noch sehr klein war, sollte mein Vater zu Hause auf mich aufzupassen. Stattdessen hat er mich mit in die Kneipe genommen. Meine Mutter ist wahrscheinlich heute noch sauer deswegen. Na gut … nicht nur deswegen. Aber wenn dieser eine Abend so großen Einfluss auf mich gehabt hätte, würde ich ja wohl heute selbst Kneipen und Bier total super finde.


Cheers

Peter

Dieser Newsletter hat aktuell circa 2450 Abonnenten und ungefähr 120 zahlende Mitglieder. Damit er langfristig weiterbetrieben wird, sollten es irgendwann mindestens 200 Mitglieder werden. Wenn er dir also öfter ein bisschen Freude bereitet und du es dir leisten kannst, werde gerne Mitglied. Ansonsten hilft es mir aber auch sehr, wenn du ihn persönlich oder in den sozialen Medien weiterempfiehlst.

Übrigens: Nur Mitglieder sehen hier drunter ein Bild, wie ich in dem Alter aussah, in dem mein Sohn jetzt ist.

Gemeine Paywall!

Unterstützer*in werden (Si apre in una nuova finestra)

8 commenti

Vorresti vedere i commenti?
Abbonati a Wittkamp to go e partecipa alla conversazione.
Sostieni