Über das Verzeihen
Scheißaktion. Wer Fehler macht, kann sich ewige soziale Ächtung einhandeln. Aber wollen wir eine „gnadenlose Gesellschaft“ sein?
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Wer ohne Fehler ist, der werfe das erste Gackerl-Sackerl.
Unlängst sorgte die Ekel-Aktion eines Künstlers für Schlagzeilen. Der Ballettdirektor des Hannoveraner Opernhauses hat sich über ein paar bissige Kritiken einer Journalistin so geärgert, dass er ihr Kacke seines Dackels ins Gesicht schmierte. Die beiden waren sich bei einer Aufführung begegnet. Zunächst wirkte es noch wie eine geplante Tat, da man üblicherweise ja nicht die Ausscheidungen seines Haustiers in die Oper mitnimmt, aber ganz offenbar hat der exaltierte Künstler seinen Dackel immer bei sich und wollte das Gackerl-Sackerl gerade entsorgen. Also offenbar doch eher eine Art von Affekttat.
Die Oper handelte natürlich sofort, verurteilte die Tat ihres Ballettdirektors, suspendierte ihn umgehend, verhängte ein Hausverbot, kündigte ihm. Er wird es schwer haben nach diesem Fehltritt. Der Gossenbegriff „ausgeschissen“ passt hier einmal.
Mein Mitleid mit dem – Verzeihung: – Volltrottel, hält sich in engen Grenzen, zumal ich weder Opern- noch Ballett-Fan bin, auch in nähergelegenden Opernhäusern nie verkehre, und schon gar nicht in der Oper in Hannover, die ist schließlich nicht gerade um die Ecke. Keineswegs bin ich dem Herrn gegenüber emotional nachsichtig, weil mich seine Kunst beeindrucken würde. Ich kenne seine Kunst nicht einmal.
Was mir an dieser Geschichte zu denken gibt, ist folgendes: Da ich über den Ballettdirektor nichts weiß, ist nicht auszuschließen, dass er im allgemeinen ein gewinnender Zeitgenosse ist, der mit seinem Team brillante Arbeit leistet und einmal in Gefühlaufwallung einen Fehler begangen hat. Vielleicht ist er aber ja auch ein unerträglicher Zeitgenosse und ein schlechtes Beispiel für meine Gedanken, dann bitte ich sie, Anlassfall und grundsätzliche Überlegungen einfach voneinander zu trennen. So richtig hat er es ja bis heute nicht geschafft, um Verzeihung zu bitten. Es geht aber sowieso weniger um den konkreten Fall, sondern um eine allgemeine gesellschaftliche Dynamik.
Ganz sicher ist ein solcher Ekel-Anschlag eine Gewalttat. Aber unsere Gesellschaften neigen heute dazu, keine Fehler mehr zuzulassen. Machst du einen Fehler, bist du raus. Das hat natürlich auch mit unseren Medien zu tun, mit dem Zusammenspiel von traditioneller Presse, die Skandalgeschichten liebt, und von Social Media, die dann dafür sorgen, dass so etwas nie mehr in Vergessenheit gerät und perfekt für die Erregungsbewirtschaftung über Fehltritte jeder Art sind. Machst du einen Fehler, dann klebt der für dein Leben an dir. Wer den Künstler künftig engagiert, wird einen Shitstorm ernten und es folglich unterlassen.
Es ist übel, wenn schlechte Taten kleingeredet werden, wie das in vielen Fällen lange geschah, etwa bei sexuellen Übergriffen. Es ist aber auch ein Problem, wenn wir zu einer gnadenlosen Gesellschaft werden, die jeden Fehler mit dem endgültigen sozialen Tod bestraft. Das „Verzeihen“ ist schon auch ein hohes Gut in einer humanistischen Zivilisation. Dabei muss man auseinanderhalten: Opfer eines Übergriffes müssen nicht verzeihen, und ob sie es tun, ist allein ihre eigene Sache und die Voraussetzung für Verzeihen wird in aller Regel eine Reue des Täters sein. Für eine Gesellschaft als Ganzes und unbeteiligte Zaungäste sieht das anders aus. Selbst unser Strafrecht sieht vor, dass eine Tat einmal „gesühnt“ ist.
In einem sollten wir einig sein: Menschen machen Fehler. Sie sind, leider, keine Heiligen, wobei ich eher denke: Gott sei dank sind sie das nicht. Wir wollen durch die Ächtung von Fehlverhalten das Schlechte bannen, zugleich ist gnadenlose Ächtung selbst unmenschlich und macht uns alle zusammen womöglich schlechter. Was das Gute befördern soll, kann selbst schlecht werden. Ein verwickelter Widerspruch. Ganz generell ist ja kaum jemand nur eine strahlend-glänzende oder ganz düstere Person. Wir sind voller Graustufen, tun uns aber in der Skandalgesellschaft relativ schwer damit, zu ertragen, dass jemand Fehler hat, zugleich aber grosso modo seine guten Seiten hat. Die Ambiguitätstoleranz ist nicht nur bei den großen Kontroversen, sondern auch bei der Beurteilung von Personen eine schwindende Tugend geworden.
Persönlich bin ich ja der Meinung, dass wir uns alle um ein Leben gemäß Moral, Achtsamkeit gegenüber anderen, menschlichen Werten bemühen, zugleich aber den Eindruck von Heiligkeit vermeiden sollen, da wir alle mitunter gegen unsere moralischen Werte verstoßen. Das ist übrigens kein Argument gegen Moral, wie es zynische „Gutmenschen“-Kritiker und Amoral-Prediger vorbringen, sondern für gelegentliche Milde gegenüber den Fehlern anderer. Wer ohne Fehler ist, der werfe das erste Gackerl-Sackerl.