Folge 68
[Ich kann gerade keine Cover zeichnen, weil mein Zeichenstift verschwunden ist, bald aber wieder.]
Lieber im Browser lesen? Bitteschön (Si apre in una nuova finestra).
Etwas Altes: Frau, Spiegel, Bild
Frauen sollen, das kann man im Jahr 2022 jeden Tag im Internet erleben, in den Augen vieler cis Männer attraktive Spiegel zum Reinquatschen sein und sonst nichts. Attraktiv muss nicht einmal, wie man gewohnheitsmäßig anzunehmen geneigt ist, fickbar implizieren, nein, widerstandsloses Sichvollquatschenlassen ist auch okay, denn geil findet man schließlich schon sich selbst. (Es ist ja auch eine interessante Diskussion, ob es bei der beliebten Paarung von erfolgreichen mittelalten Männern mit sehr jungen Frauen – in der nicht religiös gerechtfertigt erzwungenen Variante am notorischsten vollzogen von Leonardo DiCaprio – wirklich nur um den straffen Körper + Gebärfähigkeit + Trophy-Status der Frauen geht oder nicht vielleicht auch sehr, sehr, sehr doll um deren vergleichsweise ungebrochene Fähigkeit zur Bewunderung älterer Männer. Frauen, die älter als 25 sind (ja ja, Gigi Hadid ist 27) und entsprechend schon viele Jahre mit cis Männern, auch erfolgreichen, zu tun hatten, schätzen diese im Einzelfall vielleicht, lieben sie bestenfalls, aber bewundernd aufblicken? Schwierig. Vermutlich überspringen viele junge Frauen diese Bereitzurbewunderungälterercismännerphase heute auch ganz, weil sie dank sozialer Medien viel mehr mitbekommen als Frauen zu Zeiten, als man jede Erfahrung, auch die unnötigsten, noch selbst machen musste, weil nie jemand über irgendetwas redete. Aber ein paar social unverdorbene Kandidatinnen für Leo scheinen ja noch übrig zu sein. In seinem konkreten Fall stelle ich mir (als Vorstellerin zweiter Ordnung) das so vor, dass er sich, solange ein noch nicht allzu viele Jahre volljähriges Supermodel neben ihm am Strand sitzt, vorstellt, dass er selbst noch so aussieht wie mit Mitte zwanzig in The Beach und nicht wie der gemütliche Dude, der gern mal ein Bierchen oder vier trinkt. Nichts gegen eine Plauze, die ist Privatsache,– wenn man aber, statt deswegen panisch den Personal Trainer zu rufen, lieber nachwachsende junge Personen als Verschlankungsspiegel objektifiziert, nein, dann ist das nicht gut und geht mich als Co-Frau der jungen Personen etwas an.
Das Bild mit dem Spiegel ist nicht neu, was daran liegt, dass das Objektifizierungsproblem alt ist. Virginia Woolf schrieb vor ungefähr hundert Jahren: »Frauen waren jahrhundertelang ein Vergrößerungsspiegel, der es den Männern ermöglichte, sich selbst in doppelter Lebensgröße zu sehen.« Leider irrte sie sich in der Zeitform, denn jetzt, ein Jahrhundert später, müssen Frauen immer noch zusehen, wo sie subjektstatusmäßig bleiben.
In Unrechtsregimes wie dem Iran ist das offenkundig, aber auch in vielen Demokratien wird darüber müßig rumdiskutiert, was das Ganze nur bestätigt, weil darin immer mitschwingt, Frauen sollten gefälligst froh sein, dass sie sich über solche Kinkerlitzchen wie ihren Subjektstatus beschweren könnten und nicht wie im Iran ...
Nun ist aber Tatsache, dass keine Frau, keine marginalisierte Person, kein Mensch dankbar dafür sein muss, als Subjekt behandelt zu werden, denn dies ist der Inbegriff von Menschenrechten und keine random gnädige Gefälligkeit.
Aus heutiger Sicht lassen sich viele weitere unnötige Machtdichotomien beobachten, für die Virginia Woolf noch wenig oder keine Aufmerksamkeit hatte: Weiße, die auf BIPoC, cis Frauen, die auf trans Frauen, Menschen ohne, die auf Menschen mit Behinderung, Reiche, die auf Arme blicken – ihnen vorgeblich auf Augenhöhe begegnen, aber faktisch immer noch auf sie herabblicken, weil sie sie nicht als Subjekte wahrnehmen. Sie haben es einfach nicht gelernt, und jetzt erkennen sie (noch) nicht, dass sie es endlich lernen müssen.
Zurück zum Klassiker: cis Mann sieht cis Frau (nicht), sondern sich in ihrem Blick, der seine Interpretationssache ist. Hören Männer, die Frauen nur als Spiegelobjekte schätzen, zu ihrer unangenehmen Überraschung, wie Frauensubjekte selbst sprechen, insbesondere öffentlich, ist das automatisch zu viel für sie und wird nach festem Schema gemaßregelt.
Stufe 1: verbales Kleinreden, Verächtlichmachen
Stufe 2: Vergewaltigungsdrohung
Stufe 3: Morddrohung
Überzogene Darstellung? Nein, Alltag. Für mich und Dutzende Menschen, die ich persönlich kenne, was heißt, es müssen noch viel mehr sein, weil ich ja nicht alle Frauen persönlich kenne, die im Internet hör- und sichtbar sind. Ich erlebe das nicht an jedem Tag, aber immer mal wieder. Frauen mit mehr Reichweite erleben proportional auch mehr Trollen. In meinem Umkreis kann ich überdies beobachten, dass es beim Attackieren von BIPoC schneller auf Vergewaltigung und bei trans Frauen schneller auf Mord hochgeht als bei mir. Das sagt auch wiederum viel aus, und zwar nichts Gutes. Es ist noch mal eine ganz andere Geschichte, kaum zu vergleichen, mir wird jedes Mal ganz anders, wenn ich es miterlebe. Wie muss das für die Betroffenen sein?
Zum Glück gibt es eine wachsende Gruppe von cis Männern, die zumindest das Problem, ein kulturell gelerntes Problem mit hörbaren Frauensubjekten zu haben, anerkennen und an sich arbeiten. Im Idealfall arbeiten ja alle Menschen an sich, die ganze Zeit, das sollte normal sein und ist definitiv keine Schande, vor allem aber keine Zumutung, die nur arme weiße cis Männer betrifft.
Zum Pech gibt es die ebenfalls wachsende Gruppe von weißen cis Männern, die in eine phantasmatische Vergangenheit zurückkehren wollen, in der es genau zwei Geschlechter, stolze Männer und häusliche, Impfungen ablehnende, gehorsame, aber von Natur aus geil aussehende Frauen gibt, die Rübensuppe für die zehn kraftstrotzenden, Goethe und Schiller lesenden Söhne kochen. Alle Mitglieder dieser Gruppe hassen Margarete Stokowski. Hören sie ihren Namen, sehen sie rot, denn Margarete Stokowski ist zwar ein zurückhaltender Mensch und spricht eher leise, aber sie bekommt überall Medienraum. Margarete Stokowski ist groß im Internet, sie hat eine SPIEGEL-Kolumne, und ihre Bücher sind Bestseller. She has it all. Entsprechend hat Stokowskis Bericht über die eigene Long-Covid-Erkrankung in der Bundespressekonferenz das digitale Trollland getroffen wie der Meteorit die Erde der Dinosaurier. Es steht Kopf. Jede erdenkliche Gemeinheit über Margarete Stokowski ist in den letzten beiden Tagen gedacht und gepostet worden. Der in meinen Kreisen am schlimmsten wütende Troll hat sich in kompletter Rumpelstilzchenwut zwar – leider – kein Bein ausgerissen, aber ein enigmatisches Bild von einer Schürfwunde gepostet, um zu zeigen, dass auch andere Menschen Aua haben (?). Vielleicht ist er ja auch vor Aufmerksamkeitsneid vom Rad gefallen. Klar ist nur, das war zu viel für ihn, und damit ist er vermutlich repräsentativ für seine uncute Gruppe.
Dabei hätte es nur eine einzige angemessene Reaktion auf den Auftritt von Margarete Stokowski in der BPK gegeben:
Danke für die Aufklärung und gute Besserung, liebe Margarete Stokowski.
Etwas Neues: Lasersophie
Ich unterstelle mal, dass es gerade fast allen so geht, dass sie zwischen Träumen von Utopie, die schmerzlich einfach machbar wäre (1. Solidarität, 2. eat the rich, 3. Neubeginn), aber nicht gemacht wird und Irgendwieklarkommen, weil Dystopie gerade deutlich vorne liegt, solide zerbröseln. Mein neuester Trick, um ein bisschen Lebensfreude zu mobilisieren, ohne die man nicht in Bewegung kommt, ist Lasersophie, den Keim dazu habe ich am 14.10. schon getwittert:
»Mein Großkind meinte vorhin: ›Wir sind alle nur auf der Welt, um Laser ein absolut perfektes Leben zu bereiten‹, und das ist für mich der philosophisch tröstlichste Gedanke seit langer Zeit.«
Das Foto dazu zeigt Laser, der sehr glücklich darüber ist, dass er bei seinem Rappel von mir top mit Bällchenzuspielen begleitet wird, ein Anblick, der wieder mich sehr glücklich macht. Es ist fast ein perpetuum mobile. Es geschieht in einem denkbar kleinen, sehr persönlichen Rahmen. Nur wir zwei Mäuse, na ja, nicht direkt Mäuse, ihr wisst schon.
Heute habe ich, um erneut dieses kleine Größtglück zu ergattern, Laser sein eigenes »Zimmer« hinter der Treppe neu eingerichtet (Foto demnächst), ich hatte es ihm zugunsten des Verlagslagers zwischendurch weggenommen. Der Plan ist aufgegangen, feline Begeisterung, schnurrschnurr, beide wieder total glücklich. Albern? Kein bisschen. Frivoler Scheiß angesichts der Weltlage? Nein, denn es nimmt kaum Raum in meinem Denken und Fühlen ein. Es gibt mir nur ein ganz kurzes, instantanes Glückgsgefühl und das Gefühl, etwas Sinnvolles (siehe Tweet) umfassend erledigt zu haben. Beides erreiche ich bei der Arbeit oder einfach beim Menschsein ansonsten gerade nicht so oft, egal, was ich tue und versuche.
Lasersophie heißt, sich zwischendurch auf ein kleines größtes Glück zu konzentrieren, es möglichst vollkommen auszugestalten und auszukosten. Das passt als Konzept selbst noch in diese kaputte und vor allem widersprüchliche Welt. Wenn ihr euer eigenes Lasersophie-Projekt gefunden habt, schreibt es mir gern.
Etwas Geborgtes: Ein Zitat
»Nichts verkörpert die Unerschrockenheit dieser iranischen Generation Z mehr als die Teenagerinnen, die – ihre Schuluniformen um die Kopftücher erleichtert – den Bildern der Säulenheiligen Khomeini und Khamenei in ihrem Klassenraum kollektiv den Mittelfinger zeigen; mit ›bi-sharaf‹ – ehrlos – schreien die Schülerinnen in einem viral gegangenen Video den Regierungsabgesandten ihrer Schule nieder und jagen ihn vom Gelände. ›Bi-sharaf‹, so erniedrigten kurz nach der Revolution 1979 die Anhänger*innen Khomeinis Frauen, die sich weigerten, das Kopftuch zu tragen.«
Aus: Maryam Aras, »Frauen zeigen Khameini den Mittelfinger (Si apre in una nuova finestra)«, in: Die Presse, 14.10.2022
– Lest unbedingt den ganzen Text, er ist sehr gut.
Etwas Uncooles: Können westliche Politiker*innen die iranischen Frauen und Kinder nicht sehen?
Wenn westliche Mächte sich anderswo in der Welt politisch einmischen, werden gern Frauen und Kinder hervorgehoben, die unbedingt zu retten sind. (In Wirklichkeit geht es um Öl, Gas, Uran: Wirtschaft. Oder um Territorien: Macht.) Aber wenn wie jetzt im Iran Frauen und Mädchen revoltieren, um sich selbst aus der Unterdrückung zu befreien, sieht man zu, wie sie verhaftet, gefoltert, ermordet werden. Wie kann das sein? Wie passt das zusammen?
Schlimmer Verdacht: Sind Frauen und Mädchen für Regierungspolitiker*innen nur schützenswert, wenn sie irgendwie unbestimmt als Objekte betrachtet werden? Hat auch die internationale Staatengemeinschaft ein Problem damit, Frauen und Mädchen wahrnehmen zu können, wenn sie als handelnde Subjekte auftreten? Können sie die Frauen und Mädchen im Iran nicht sehen, weil sie nicht wie gewohnt als Erlöser auf sie blicken dürfen – »die armen Dinger« – , sondern VON IHNEN SELBST, auf Augenhöhe, um Unterstützung beim autonomen Handeln gebeten werden?
Für diese Annahme spricht, dass auf Twitter, wo sich Menschen aus sehr unterschiedlichen Kontexten, sofern sie nicht auf kommunikative Zerstörung aus sind, potenziell eher auf Augenhöhe begegnen, bereits seit Wochen schiere Verzweiflung darüber herrscht, wie man angesichts der klar ausgesprochenen Bitte von iranischen und auch kurdischen Frauen und Mädchen um internationale Unterstützung und der offenkundigen Lebensgefahr für sie während der ganzen Zeit, diese Hilfe nicht gewähren kann.
Wenn man Menschen, die für ihre Freiheit und um ihr Leben kämpfen als Subjekte sieht, kann man doch nicht anders, als alle erdenkliche Hilfe und Unterstützung zu gewähren; man kann dann auch nicht darauf warten, bis sie fliehen, sondern muss die Revolution, ihre Revolution unterstützen, denn genau darum bitten sie. Sie wollen nicht fliehen, sie wollen im Iran leben, als selbstbestimmte Subjekte, frei.
Frau, Leben, Freiheit!
Jin, Jiyan, Azadî!
Rubrikloses
Lasersuchbild
Wenn die Bauauflage sagt: Spielplatz, aber du um jeden Preis verhindern willst, dass dort Kinder spielen
Throwback: Berlin-Wedding, 2016
Unschuldige Kinderspiele, German Edition
Insta-Fund: Wie sagst du, dass du weiß bist und dein Kreis sehr überwiegend auch, ohne zu sagen, dass du weiß bist und dein Kreis sehr überwiegend auch. (Uff, ich habe auch Gedanken mit »richtig« und »Ohren«, aber anders.)
Präraffaelitische Girls erklären
Zurück zur Solidarität mit aber, wir sehen uns nächste Woche. Nein, nicht erst nächste Woche, lieber schon am Dienstag um 20:30 online beim digitalen Buchmesseempfang mit Mikrotext. Hier könnt ihr euch anmelden (Si apre in una nuova finestra).
Wenn ihr Zeit habt, schreibt uns beiden Verlegerinnen/Verlagen oder oder nur Mikrotext oder nur Frohmann ein kleines Grußwort, das wir dann vorlesen und anders nutzen dürfen. Postet es auf Twitter oder Instagram mit Hashtag: #mikrofroh
Seid lieb, nur nicht zu Nazis.
XOXO,
FrauFrohmann
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