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Folge 65

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Etwas Altes: Heimweh nach Twitter 

Für @journelle (Si apre in una nuova finestra)

Manchmal merkt man erst rückblickend, dass ein Mensch ein Vorbild gewesen ist. Manchmal merkt man erst rückblickend, dass man ein Zuhause verloren hat. Ersteres gilt für journelle, Zweiteres für Twitter. Für mich ganz persönlich, aber ich weiß ganz gewiss, dass ich das nicht allein so empfinde.

Lange Ausführungen dazu sind überflüssig. Manche Leser*innen werden es auch mit Erklärung nicht verstehen, weil, Twitter ein Zuhause, häh, das ist doch immer schon ganz furchtbar da. Andere werden sofort verstehen, was gemeint ist: Twitter vor den Trollen, Bots, Megalomanen aka Twitter vor den Internetkriegen. Twitter, nicht im Sinne von Schmunzeltwitter, als es auf der Plattform auf so fragwürdige Weise nett und lustig war wie früher in den Kolonien, weil man von einer Menge struktureller Gewalt zu wenig wusste oder wissen wollte. Nein, Twitter in der Zwischenzeit, als mehr und mehr Menschen sich und anderen schon Umsehenlernen mit Erkenntnisschmerz zumuteten, viel Schmerz – Wissen ist oft Schmerz –, aber es war noch Schmerz mit Aussicht auf Heilung, nicht einfach depersonalisierende Verletzung durch Trolle, Bots und einzelne in der Sache richtig liegende Menschen, deren gerechte Wut irgendwann in machtgeile Grausamkeit umschlug. 

Heimweh nach Twitter, das Twitter von und mit journelle. Wütend, scharf, selbstbewusst, fordernd, klug, warm, mitfühlend, solidarisch, uneitel. Ein Account, eine Stimme, ein Netzmensch, nachhaltig vielen anderen Menschen nah und wichtig, selbst wenn man kaum oder gar nicht in persönlichen Nachrichten mit der zugehörigen Person interagierte.

Als die Nachricht von Elenas Tod bekannt wurde, zirkulierte sie mehrere Tage lang nur in Chats, bevor sie das sichtbare Twitter erreichte, was vor zehn Jahren undenkbar gewesen wäre. Es war, als wüsste man nicht, ob man es Angehörigen, der Verstorbenen, sich selbst zumuten könnte, dieses Wissen auf der Plattform zu teilen, weil öffentlich wahrnehmbare Verletzlichkeit 2022 mit hoher Wahrscheinlichkeit zu zusätzlichen Verletzungen führt: im Falle eines Todes absichtlich verunglimpfende Tweets über die verstorbene Person, hässliche Replys zu Tweets von Trauernden.  

Ich schrieb einen Tweet über dieses Unbehagen und bekam überwiegend Antworten, in denen angenommen wurde, ich würde unnötig zwischen analoger und digitaler Nähe unterscheiden. Elena sei mir doch offensichtlich wirklich nah gewesen, da ich trauere. Nein, ich unterscheide eher diskutierbar wenig zwischen Analogem und Digitalem. Mein erster Vortrag, in dem es um »instantantane Nähe« im digitalen Raum ging, liegt etwa zehn Jahre zurück. Mein Unbehagen, meine Unsicherheit bezog sich auf etwas ganz anderes: auf die »instantane Gewalt«, die man unweigerlich auf sich zieht, sobald man instantane Nähe und Verletzlichkeit nicht nur zulässt, sondern auch kommuniziert.

Vor zehn Jahren hätte ich gern daran mitgewirkt, zu Ehren einer verstorbenen Twitterperson deren Namen trenden zu lassen. Im Falle von Elena wirkte es nun aber eher so, als hätten sich viele Menschen stillschweigend verabredet, sie symbolisch und performativ heimlich außer Landes zu bringen, um ihr dort angemessener gedenken zu können. – Ich hoffe, es werden in klassischen Medien wirklich gute Texte über sie erscheinen. Einige frühe Blogger*innen,  haben schon Schönes geschrieben.

Im Hinblick auf Twitter ist dies alles aber sehr neu und bemerkenswert und einfach schrecklich. Noch schrecklicher ist es, dass ausgerechnet journelle nun fehlt, deren Stimme eine war, die noch zurückreichte in eine nahe Vergangenheit sozialer Medien, in der es vorstellbar geworden war, dass eine bessere, partizipative Zukunft des Publizierens und Lebens vielleicht schon begonnen hatte. Die Erinnerung daran, dass nicht wenige Menschen sich zwischenzeitlich schon mal auf einem besseren Weg befanden, gemeinsam, sie darf nicht verblassen. Das starke Gefühl, @journelle zu vermissen, kann jetzt zum Handeln motivieren, wieder anzuknüpfen und weiterzumachen, auf Twitter und anderswo. Trolle füttert man auch mit dem Vergessen von bereits Erreichtem. 

Danke für ein Twitter, das man vermissen kann, Elena. 

Etwas Neues: Afterhour im Elternhaus

Kultur im Wandel, was ein älterer Claim des Frohmann Verlags ist, heißt auch, dass sich die Vorstellung von Familienleben ändert, und zwar nicht nur in sich ändernden Familienkonstellationen, wie Einzelelter-, Patchwork- und Regenbogenfamilie, sondern auch in der klassischen normi bürgi Kernfamilie mit cis Mama, cis Papa und 1,53 cis Kindern. 

Hier gab es gestern z. B. eine neue Erfahrung, als das schon ausgezogene Großkind nach dem Feiern am späten Vormittag spontan mit einem Freund vorbeikam, um sich vor seinem bald bevorstehenden Urlaub noch von den lieben Eltern zu verabschieden. Sie blieben dann einfach den ganzen Tag über und machten eine Art Afterhour parallel zum Familienkreis. Wir Kaffee, sie Bier.

Es war ein bisschen weird, aber weder besonders toll noch besonders schlimm, weil die Zwanzigjährigen sich sichtlich bemühten, nicht zu verrallert rüberzukommen und die Eltern, nicht schlimmer als ihre eigenen Eltern herumzupiefen. Ein interessanter Moment friedlicher Koexistenz von zwei Ravegenerationen, von denen die eine im Immer- und die andere eher im »Ja, grundsätzlich gern, aber jetzt gerade echt nicht«-Ekstasemodus lebt. 

Wegen »jetzt gerade echt nicht« musste ich gleich zu Beginn »Nur 15 Minuten Gabba auf der großen Anlage im Keller, bitte, Mama!« sehr deutlich unterbinden. »Nei-hein«, das nachdrückliche, zweisilbige Nein habe ich nicht ohne innere Freude zum ersten Mal auf genau die willensstarke Person angewendet, von der ich es einst lernte. Danach war es okay. 

Manchmal ist Familienleben zwar nicht instagramabel superkuschelig, aber interessant und okay, obwohl gerade in großer Nähe sehr unterschiedliche Interessen verfolgt werden. Das funktioniert zumindest bei uns noch nicht so oft, aber am ehesten, wenn keine*r zwischendurch aufhört, die anderen und ihre Grenzen wahrzunehmen. 

Es gibt meiner Beobachtung und wachsenden Erfahrung nach ziemlich viel Lebensraum zwischen projizierter Familienidylle und Generationenkonflikt. Ihr wollt doch auch gerade gern mehr Zuversicht, da habt ihr wieder ein bisschen. Ich glaube, das lässt sich auch ganz gut auf nicht verwandtschaftliche soziale Beziehungen übertragen, denn bei der Arbeit oder in sozialen Netzwerken ist es vielleicht ebenfalls empfehlenswert, öfter mal auszuhalten, dass man gerade nicht gleichzeitig das Gleiche will. Dann fällt es vielleicht auch wieder leichter, sich bei den nicht diskutierbaren Themen (Menschenrechte, Klimakatastrophe) nicht unnötig in den Rücken zu fallen. 

Etwas Geborgtes: Ein Zitat

»QUESTION: If an Egyptian cannot speak English, who is telling his story?« – Noor Naga (Si apre in una nuova finestra)

Etwas (gut) Uncooles: Herbstfröhlichkeit 

Ja, winter is coming, und ich mag den Winter nicht sonderlich, ob mit oder ohne Eiszombies, schon weil meine buchstäblich dünne Haut bei Eiseskälte gar nicht klarkommt, aber jetzt ist doch erst mal Herbst, oh, den mag ich klassischerweise ja auch nicht, aber 2022 spüre ich ihm gegenüber unerwartet eine neue Milde in mir aufsteigen, oder es ist nicht vielmehr die erstarkende universale Sehnsucht nach wieder mehr Zwischentönen, nach reelleren Mixturen aus Schönem und Traurigem, nicht nur blaues Meer (wir) versus weißer Schnee (die). Embrace mannigfaltige Matschtöne. Zumindest draußen. Im Innenraum und auf Kleidung für mich gern weiterhin Pastellfarben. Vielleicht ist es wirklich das erste Mal, dass ich mich auf den Herbst freue und trotz Rotphobie sogar die ersten roten Blätter im wilden Wein freundlich begrüße. 

Außerdem geht einfach nichts über den Moment, zum ersten Mal wieder blickdichte schwarze Strumpfhosen und Stiefel zu tragen, in feuchtkaltem Grau zum Bus zu gehen, am Straßenrand Kastanien liegen zu sehen und dabei die Playlist mit Songs zu hören, mit denen man sich schon als Jugendliche gezielt in ästhetische Schwermut versetzt hat. 

The very last thing before I go. The very last thing before I go. The very last thing before I go. I will kiss you. I will kiss you. I will kiss you forever on nights like this. I will kiss you. I will kiss you. And we shall be together. 

Diesen, ich übertreibe nicht, neben dem Anblick der ersten Schneeglöckchen für mich glücklichsten jährlich wiederkehrenden Moment gäbe es ja gar nicht ohne den Herbst. Ich küsse den Herbst. Und wir sind zusammen.

Rubrikloses

Auf die Frage »Wie geht es dir?« kann man eigentlich nur »Ich weiß es nicht.« antworten. Was bedeutet Befinden in einer Realität mit Klimakatastrophe, Naziboom und Pandemie/n.

Wenn ich noch einmal lesen muss, dass für die Totenwache bei der Queen der eklige Abuser Andrew ausnahmsweise doch wieder Uniform tragen durfte und der sympathische Abtrünnige Harry ausnahmsweise doch wieder Uniform tragen sollte, zünde ich das Internet an. 

Aber ich habe – es gibt ja kein Entrinnen – ein Foto von den Totenwachen gesehen und möchte anmerken, dass Charles und seine Geschwister in ihren Uniformen wie Karnevals-Verkehrspolizist*innen aussahen. (Darf ich jetzt nicht mehr nach England einreisen?)

Ich habe außerdem  – es gibt ja kein Entrinnen – ein Video gesehen, in dem Charles und seine Kinder zu Marschmusik hinter dem Sarg hermarschieren, und das »Ministry of Silly Walks« war nichts dagegen, denn sie mussten in einem komplett unmöglichen Takt gehen oder eher hoppeln. Es sah komplett würdelos aus. (Darf ich jetzt nicht mehr nach England einreisen?)

Nein, ich lasse mir auch nicht sagen, dass ich die Klappe halten soll, weil da die cute Oma Lilibet der armen kleinen Prinzen gestorben ist, die doch schon so früh ihre Mama verloren haben. Es hat letztlich nur Harry genug interessiert, dass es für die Kinder von Meghan Markle und ihm plausibel genauso hätte kommen können.

Niemand spricht den Angehörigen ihre echte Trauer und den Raum dafür ab, aber das ganze Repräsentationstheater rund um Beerdigung und Krönung kann und muss man kritisieren. Für alle Menschen, die unter Kolonialismusfolgen gelitten haben und bis heute leiden. 

Wenn ich noch einmal lesen muss, dass David Beckham im Anzug und mit einer blauen Mütze gemeinsam mit dem gemeinen Volk zwölf Stunden lang in einer Schlange stand, um der Queen die letzte Ehre zu erweisen, zünde ich das Internet an. Jetzt fehlt eigentlich nur noch, dass auf Instagram alle User*innen ein Jahr lang Schwarz tragen, um der Queen die letzte Ehre zu erweisen. Globaler Fashiontrend Victorian Mourning Black. 

Ich habe keine blaue Mütze auf und trage keinen Anzug, sondern eine Jogginghose. Ehre interessiert mich nicht, aber Würde. Würde, nicht als würdevolles Marschieren in Uniform, sondern als Menschenrecht. 

Gestern wärmten sich bei uns zuhause mehrere Personen am nach dem Pizzbacken noch warmen Ofen. Unsere Familien-Netflixserie nimmt unterschwellig dystopische Züge an.

Wenn ich noch ein einziges Video sehen muss, in dem ein Junge, der sich einen Hund gewünscht hat, seit er drei Jahre alt war, einen Hund bekommt, damit seine skrupellosen Eltern damit auf TikTok und Instagram viral gehen können, zünde ich das Internet an. 

Bitte sagt mir, dass AI diesen Text geschrieben hat, denn welcher Mensch kommt bitte auf die Idee, die Wahl einer bestimmten Handtasche kausal mit dem Tod der eigenen Mutter zu verknüpfen und dies dann auch noch sympathisch zu nennen. 

Oder schreiben Sie wie Schiller und Goethe ... Schritt für Schritt ... auf Papier.

Kleinst-Kolonialismus

Schreibübung: Was geschah?

Präraffaelitische Girls erklären Megalonäre, Vol. 16

Zurück zur gemeinen Menschheit, zur kolonialistischen Gemeinschaft; wir sehen uns nächste Woche. Seid lieb, nur nicht zu Nazis.

XOXO,
FrauFrohmann

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