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Folge 49

Vorweg

Ich befinde mich in einem anderen Land, zum ersten Mal seit der Pandemie. Es ist nicht allzu weit weg, aber wärmer als Deutschland, und man spricht dort nicht Deutsch (meine notwendigen Ingredienzien von Urlaub). Der Aufenthalt wird den ganzen Mai umspannen, so lange war ich das letzte Mal vor zehn Jahren weg. Dazwischen lagen maximal anstrengende Jahre zwischen unternehmerischem Hamsterrad und Care-Fleischwolf. Kurz: OMG, ich bin so glücklich! Mein Mann hat sein Fahrrad mitgenommen und durch mehrere S-Bahnen und Züge geschleppt; jetzt strahlt er ebenfalls Glückseligkeit aus. Unsere Kinder werden wochenweise mit und ohne Kumpel*innen dazustoßen, so genießt man die Nähe, aber nervt sich nicht unnötig.

Wir arbeiten auch am anderen Ort, aber deutlich weniger. Tatsächlich sind wir komplett konzentriert und bekommen alles in viel weniger Zeit hin, weil es uns gut geht (und ich gerade gar keine sozialen Medien nutze).

Es ist wunderschön hier, genau die richtige Mischung aus extremer Natur- sowie Kulturschönheit und sozialer Bodenständigkeit, in der ich mich wohlfühle, aber ich werde keine Meer-Palmen-Fotos mitschicken, weil ich in den letzten Monaten immer fast vor Neid geplatzt bin, wenn ich welche auf Instagram gesehen habe – und ich bin absolut kein neidischer Mensch, aber nach über zwei Jahren zuhause war ich wirklich needy, mal rauszukommen.

Ich werde euch aber von Beobachtungen erzählen, und natürlich werden meine Gedanken im Mai und danach oft von hier Erlebtem ausgehen.

Etwas Altes: Fanatischer Blick

Neulich hat meine Freundin A. sich wieder darüber verwundert gezeigt, dass wir einen Pater-Pio-Kühlschrankmagneten haben. Für sie ist Pater Pio exklusiv eine Erinnerung an eine sehr katholische Gegend Italiens, in der sie mal lebte; dass sie ihn bei mir sieht, ist folglich ein Erwartungsbruch. 

Mittlerweile ist es in Nicht-Miristallesegal-Kreisen ja nicht mehr so richtig okay, sich religiöse Symbole oder Repräsentant*innen kommerziell, ironisch oder dekorativ anzueignen, aber erstens nehme ich als Ex-Katholikin für mich alles Katholische davon aus und zweitens ist unser Blick auf den Magneten nicht ironisch. Er ist mehr Ausdruck einer Faszination für die Person dieses Heiliggesprochenen, insbesondere für seinen Blick. 

Pater Pio hat, wie ich finde, den gleichen fanatischen Blick wie Charles Manson, und seit mir das ziemlich jung aufgefallen ist, komme ich nicht darüber hinweg. Den »beliebtesten Heiligen Italiens« kannte ich dank des katholisch angehauchten Bücherregals meiner Großeltern lustigerweise früher als Charles Manson, obwohl meine übercoolte Generation ja diese ungute Serienkiller-Faszination hat/te. Und, nein, ich habe kein Interesse daran, religiösen und rassistischen Fanatismus zu vergleichen oder Stigmata (egal, ob divinatorisch oder mit Karbolsäure herbeigeführt) und Hakenkreuz-Stirnritzereien. Auch nicht daran, was katholische und coole Volkskultur gemeinsam haben. (Gelogen, das werde ich schon irgendwann mal untersuchen, aber nicht so fluffig schnell hingeworfen.) Es geht mir hier und heute nur um den Blick, der auf mich in beiden Fällen extrem unheimlich wirkt. Es geht mir um die Ähnlichkeit in der Bildwirkung. 


Was auch nicht aufhört, mich zu faszinieren, ist der Umstand oder zumindest mein Eindruck, dass Osama bin Laden liebe Augen hatte. Ernsthaft, der Mann sah doch aus, als könnte er der Onkel von Julia Roberts sein.

Ich habe zugegebenermaßen Bilder rausgesucht, die ähnlich komponiert sind, was den Eindruck der Ähnlichkeit des oder der Abgebildeten steigert. Aber es schadet ja nicht, solche Mechanismen mal transparent zu machen, maus wird ja den ganzen Tag im Netz damit manipuliert. 

Image context matters.

  

Etwas Neues: Die gute Couch

(Noch vor der Abreise geschrieben.)

Die Katze schleicht sich hinter mir vorbei und unternimmt einen Versuch, aufs verbotene Sofa zu springen. Ich interveniere. Vermutlich schreibt sie morgen in einem Katzenmedium eine Kolumne über »Menschen haben verbotene Sofas, wtf«. Während ich dies tippe, erfolgt ein weiterer Versuch, dieses Mal mit besonders schnellem Hinlegen, um es so aussehen zu lassen, als würde katz schon Stunden so da liegen, und es wäre alles in bester Ordnung. 

Ich erinnere mich an einen Tweet von baudrillardbae (Si apre in una nuova finestra) über Familien mit einem Schrank für Geschirr, das nie jemand benutzen darf. Damals habe ich beim Lesen noch gelacht und gedacht, so eine bin ich nicht, meine Oma war so eine. In ihrer Wohnung gab es »das gute Geschirr«, das anscheinend sogar zu gut für seine Besitzerin war – Herrschaft der Dinge, next level. Omas gutes Geschirr hat meine jetzige Familie längst fast komplett zerschlagen, was ich nicht schlimm finde. Aber jetzt habe ich selbst eine Couch, »eine gute Couch«, auf die meine beste Katze, die ich viel lieber mag als die Couch, nicht darf. Was ist mit meiner Abneigung gegen willkürlich gesetzte Grenzen? Ich fange an, mich schlecht zu fühlen. Werde ich alt? Bin ich Polstermöbel-Frontex?  

– Mir fällt gerade auf, dass Leute ab mittlerer Mittelklasse und solche, die es gern wären, nicht nur meist Stoffservietten benutzen (achtet mal darauf, es kommt als Klassenzeichen immer wieder in Romanen von marginalisierten Autor*innen) vor, sondern auch dazu neigen, »Großmutter« statt »Oma« zu sagen, wenn sie über ihre Oma sprechen. Meine eine Oma sagte mal zu mir, dass sie es schön finden würde, »Großmutter« genannt zu werden. Ich war damals ein Teen und habe herzlich gelacht. Weil ich heute nicht mehr unterste, sondern stabil instabil mittlere Mittelklasse bin, habe ich eben kurz überlegt, ob ich lieber »Großmutter« schreiben sollte. Aber es war nun mal meine Oma, nicht meine Großmutter, die das gute Geschirr hatte, also was soll das Gepose. 

An die Stoffservietten, in die ich eingeheiratet habe, konnte ich mich mittlerweile gewöhnen, aber gleichzeitig hasse ich sie auch, weil sie weiterhin Menschen einschüchtern. Ich kann es in Blicken sehen, wenn es geschieht. Kafkas Vor dem Gesetz handelt in Wirklichkeiten von einem silbernen Serviettenring mit Monogramm.

(Dieser Text hätte auch gut als Etwas Uncooles gepasst, was wieder einmal zeigt, wie willkürlich Rubriken, Kategorien, Genres sind.)

Etwas Geborgtes: Ein Zitat

“The brain is wider than the sky.”  – Emily Dickinson

Etwas Uncooles: Die Zornotter

Hier vor Ort gibt es eine Saline, also einen Bereich, in dem aus Meerwasser Speisesalz gewonnen wird. Im flachen Wasser stehen sehr attraktiv Flamingos herum, aber den Informationstafeln zufolge gibt es noch jede Menge anderer Tiere. Die meisten hoffe ich irgendwann persönlich zu treffen, nur nicht die Zornotter. – Ich verabscheue Schlangen, habe schreckliche Angst vor ihnen und benehme mich bei ihrem Anblick so irrational, wie ich es mir selbst eigentlich nicht zutraue (hüpfe etwa vor der Schlange vor mir auf der Straße komplett kopflos weg ins hohe Gras, wo sehr gut weitere Schlangen lauern könnten). Es ist mir auch ziemlich egal, ob giftig oder nicht, mein Horror bezieht sich nicht auf die mögliche Todesgefahr, sondern allein auf die Vorstellung, wie eine Schlange mit dieser grässlichen Ringelbewegung auf mich zuschießt und mich beißt. Arrrrrrrrrrrrrrrrrrrrg.

Die Zornotter ist aber nicht nur, schlimm genug, eine Schlange, sondern eine von diesen ungiftigen Poserschlangen, die in meinem Angstsegment eine tragende Rolle spielen. Ich kann es kaum hinschreiben: Wenn sie sich angegriffen fühlt – hoffentlich hat sie eine bessere Impulskontrolle als durchschnittliche Twitter-User*innen – beißt sie nicht nur zu, sondern hält im Biss fest und macht dann K-a-u-b-e-w-e-g-u-n-g-e-n.

*lässt beim Tippen den Laptop von den Beinen rutschen und sinkt ohnmächtig in sich zusammen*

Weil das noch nicht dystopische Dramaqueen genug ist, entleert die Zornotter, während sie beißt und kaut, auch noch ihren Darm.

Zur Schönheit gehört, wie Kantianer*innen oder Kant- bzw. Wikipedia-Leser*innen wissen, eine kleine Unregelmäßigkeit dazu, und so bibbere ich nun inmitten meines extrem schönen Maienurlaubs bei dem Gedanken, dass ich demnächst an meinem Knöchel eine kauende, kackende Schlange hängen habe. Bitte nicht.

    

Rubrikloses

What happened?

Ein neues Wort für euch:  

»Inseln«. Das Verb habe ich vor längerer Zeit in meiner ACNH-Spielgruppe geprägt und es hat sich dort bereits durchgesetzt. Im Spiel haben alle eine eigene Insel, die mit vorgegebenen Mitteln, aber beinahe unendlich vielen Umsetzungsmöglichkeiten zu »eigenen Zimmern« oder, besser, Räumen ausgestaltet werden. 

Ausgehend von den guten Erfahrungen dort – Liebe für Nadia, Theo, Ute und Giulia (we miss you) – sollte der Ausdruck »inseln« fortan in einem allgemeineren Sinne Folgendes bedeuten: 

inseln, Verb: sich eigene kleine Schutzzonen bauen, in denen man sich mit anderen lieben Menschen gegenseitig besucht und unterstützt, wovon dann positive Impulse für das große Ganze ausgehen, das, wie die Lebenserfahrung lehrt, an sich nicht zu retten ist

Guerlica

Heute geht es los mit dem Fortsetzungsroman Präraffaelitische Girls erklären Megalomilliardäre.

Früher:


Heute:

Morgen:

Zurück ins stabile Internet, ins Internet der Stabilen, wir sehen uns nächste Woche. Seid lieb, nur nicht zu Nazis.

XOXO,  
FrauFrohmann

Danke allen, die meine Arbeit über steady finanziell unterstützen, egal ob das gesamte Frohmann-Publishing (Si apre in una nuova finestra) oder isoliert den Newsletter (Si apre in una nuova finestra).  Genauso danke allen, die wenig Geld haben und auf andere Weise immer an meiner Seite sind.

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