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Der Mann hinter dem Krieg: Yahya Sinwar

Yahya Sinwar

Er ist der Mann, der hinter dem Terroranschlag auf Israel steckt. Er ist der Mann, der als Chef der Hamas den Krieg steuert. Und hinter Yahya Sinwar steckt eine Geschichte, die aus einer Fernsehserie zu stammen scheint.
Nun hat das Wall Street Journal gerade eine Top-Story veröffentlicht, weil ihm Nachrichten von Sinwar an die Verhandlungsführer zugespielt wurden.

Zeit zu beleuchten, wer Yahya Sinwar ist.

Eine Reise durch die Entwicklung der Hamas.
Eine Reise in die Tunnel unter Gaza.

Vorgeschichte: Die Gründung Israels

Oben: Palästinensische Juden zu Beginn des vergangenen Jahrhunderts.

In der Nacht seiner Staatsgründung wurde Israel von allen umgebenden Staaten angegriffen. Aus Eigeninteressen, aber auch, weil die arabischen Staaten keinen nicht-muslimischen „Fremdkörper“ in ihrer Mitte dulden wollten. Der Palästinakrieg vertrieb 1948 viele Araber aus den Gebieten, in denen sie gelebt hatten. Einige wurden vertrieben. Wie viele genau, ist nie genau erfasst worden.
Israel gewann diesen Krieg. Die Westbank wurde von Jordanien besetzt und der Gazastreifen von Ägypten.

Die UN, beziehungsweise das 1949 gegründete Hilfswerk UNRWA, verankerten ein Rückkehrrecht für die geflohenen und vertriebenen Araber. Das besteht bis heute und ist weltweit einmalig. Der Status wird auch an die Nachkommen weitergegeben, weshalb sie bis heute als Flüchtlinge bezeichnet werden. Und die damals begründeten Flüchtlingslager werden auch heute noch so bezeichnet, obwohl sie längst zu voll ausgebauten Kleinstädten geworden oder mit dem Moloch Gaza-Stadt verwachsen sind.

Oben: Die Shopping Mall von Rafah 2020

Diese Migration wird bis heute als arabischer Exodus unter der Bezeichnung „Nakba“ („Katastrophe“) als Ursprung gesehen. Ein Mythos, die Ursünde. 700.000 Araber sollen aus ihrer Heimat geflohen oder vertrieben worden sein. Im gleichen Zuge wurden aus den arabischen Ländern und Nordafrika 850.000 Juden vertrieben.

Bis heute leben in Israel etwa 20% muslimsicher Araber, der Rest teilt sich auf. Ashkenasim aus Ost- und Mitteleuropa, Sephardim, die ursprünglich aus Spanien stammen und Mizrachim, die aus Vorderasien und Nordafrika stammen und im Zuge der jüdischen Nakba nach Israel kamen. Hinzu kommen Drusen und Beduinen.

Die bloße Demografie widerlegt das Narrativ von der kolonialistischen Eroberung Israels gegen den Willen der dort indigenen Bevölkerung. Sie war gemischt und ist es heute umso mehr; zumindest in Israel.
Zudem hat es nie einen palästinensischen Staat gegeben. Diejenigen, die sich heute Palästinenser nennen, standen immer unter Fremdherrschaft. Was erst dann zu stören begann, als das Bild des muslimischen Kalifats, wie es seit Jahrhunderten bestanden hatte, durch Juden gestört wurde.
Die Hälfte der Araber, die zur Gründung Israels in der Region lebten, waren selber erst nach 1900 dort eingewandert. Das belegen die Zahlen der osmanischen Herrscher und britischen Statthalter.

Ein Flüchtling, der nie geflohen ist.

Yahya Ibrahim Hassan al-Sinwar wurde am 29. Oktober 1962 geboren.
Seine Eltern waren aus dem nördlich von Gaza gelegenen Aschkelon (Al-Majdal Asqalan) geflohen.
Er wuchs in Chan Yunis auf, einem der bis heute so genannten „Flüchtlingslager“ in der Mitte des Gazastreifens. Doch der war damals nicht israelisch besetzt, sondern ägyptisch.
Erst als 1967 der Sechstagekrieg die geopolitische Verteilung wieder neu ordnete, wurde er von Israel besetzt. Sinwar war zu dem Zeitpunkt fünf Jahre alt.

Ägypten, Jordanien und Syrien hatten ihre Truppen an den Grenzen aufmarschieren lassen. Unterstützt wurden sie u.a. von Saudi-Arabien, dem Irak und der Sowjetunion.
Alleine Ägypten hatte auf dem eigentlich entmilitarisierten Sinai etwa 250.000 Mann für einen Angriff zusammengezogen, dazu 1200 Panzer. Doch dieses Mal wartete Israel nicht ab, sondern schlug zu.

Israel begnügte sich nicht damit, die feindlichen Truppen zum Teil so nachhaltig zerstört zu haben, dass es Jahrzehnte dauern würde, bis sie wieder zur alten Stärke zurückkehren konnten. Es besetzte den ägyptischen Gazastreifen, das jordanischen Westjordanland und die syrischen Golanhöhen.

Mit dieser Demütigung ist auch Yahya Sinwar aufgewachsen, der nun ständig die israelische Besatzung erlebt haben muss.
Er besuchte Islamische Universität von Gaza, die bis zu ihrer Zerstörung im jetzigen Gazakrieg als Rekrutierungsstelle der Hamas genutzt wurde. Dort machte er seinen Abschluss in Arabistik.

Erste Inhaftierungen

Sinwar kam bereits als Jugendlicher in Kontakt mit dem arabischen „Widerstand“. Er war aufgewachsen mit dem Narrativ der Nakba und dem Rückkehrrecht. Es musste ihn prägen.
Zum ersten Mal verhaftet wurde er 1982 im Alter von 19. Wegen „subversiver Aktivitäten“ saß er mehrere Monate im Far'a Gefängnis auf der Westbank.

1985 wurde er erneut verhaftet und zu einer Gefängnisstrafe verurteilt.
Als er wieder freigelassen wurde, gründete er mit anderen ehemaligen Insassen eine Gruppe, die Jagd auf Palästinenser machte, die mutmaßlich mit Israel kooperierten. Aus dieser Gruppe würde wenige Jahre später die Polizei der Hamas werden.

Als er 1988 erneut verhaftet wurde, entstanden Protokolle von hunderten Stunden Verhören. In ihnen schilderte er offen, wie er mindestens vier Palästinenser entführte, sie mit verbundenen Augen zu einem bereits ausgehobenen Grab brachte und dort mit einer Kufiya erdrosselte. Anschließend wurden sie verscharrt. Die Mafia nennt so etwas „Lupara bianca“, einen Mord ohne Leiche.
Das brachte ihm den Spitznamen „Der Metzger von Chan Yunis“ ein.

Die Palästinenser werden neu erfunden

1964 wurde die PLO gegründet, die Palästinensische Befreiungsorganisation. 1969 wurde Jassir Arafat ihr Vorsitzender und würde es bis zu seinem Tod 2004 bleiben. Der Ziehsohn des früheren SS-Gruppenführers Husseini, der den palästinensischen Nationalismus gleichsam erfunden hatte.
Arafat ist bekannt geworden durch seine Art die Kufiya zu tragen: Das herabhängende Stück bildete ein Dreieck, das das gesamte Palästina ohne Israel symbolisierte.

Die Kufiya ist eine übliche Kopfbedeckung im gesamten arabischen Raum, die tradiert vor allem von Landarbeitern getragen wurde.
Die Region Palästina gehörte bis zur Niederlage im Ersten Weltkrieges zum
Osmanischen Reich. Dort war seit dem frühen 19. Jahrhundert der Fes durch Mahmud II. als identitätsstiftende Kopfbedeckung und als Annäherung an den Westen propagiert worden.
Um sich davon zu distanzieren, vertrat der durch Großbritannien eingesetzte Großmufti von Jerusalem Mohammed Amin al-Husseini die Kufiya. Er war u.a. auch
SS-Gruppenführer, hatte einige Jahre in Berlin gelebt und war aktiv an der Judenverfolgung auf dem Balkan beteiligt. Husseini gilt heute als der „Erfinder“ des palästinensisch-arabischen Nationalismus. Und er war Mentor von Arafat, der die PLO begründete.
Die Kufiya wird daher heute meist falsch als „Palästinensertuch“ bezeichnet.

Mohammed Amin al-Husseini

Oben: Der Mentor von Arafat, Großmufti von Jerusalem und SS-Gruppenführer Mohammed al-Husseini.

Die PLO war es, die den Begriff der „Palästinenser“ in den 1960ern überhaupt einführte. Es war ein Marketing-Spin, um sich eine Identität zu geben. Denn zuvor waren einfach alle, die in der ganzen Region Palästina lebten, „Palästinenser“ genannt worden. Also auch Christen, Juden und andere Moslems; wie die Beduinen, die bis heute in Israel leben.
Die PLO war weltlicher orientiert, als die radikalislamischen Kräfte. Arafat selber war mit einer griechisch-orthodoxen Christin verheiratet, die von katholischen Nonnen aufgezogen worden war.

Doch Sinwar wurde nicht Teil der PLO. Ihm würde ein noch radikalerer Weg bevorstehen.

Die Muslimbruderschaft, der Scheich und die PLO

Die radikal-islamistische Muslimbruderschaft wurde bereits 1928 gegründet. Sie ist in vielen arabischen Ländern vertreten.
Scheich Ahmad Yasin bemühte sich, als religiöser Anführer die Bruderschaft im Gazastreifen zu stärken. Er war auch schon von Ägypten festgenommen worden, das den Gazastreifen beherrschte.

Das erklärt, warum das angebliche „Freiluftgefängnis“ Gaza auch eine Mauer an der ägyptischen Grenze hat. Denn Ägypten sieht seine weltliche Führung durch die radikalen Islamisten seit Jahrzehnten bedroht.

Anfang der 1980er gründete Yasin die Gruppe „Madschd al-mudschāhidīn“ („Ruhm der islamischen Kämpfer“). Sofort ergaben sich Konflikte mit der PLO und ihrem gewaltbereiten Arm, der Fatah.
Und das wiederum ist ein Vorzeichen, warum es Jahre später, nach dem Rückzug Israels aus dem Gazastreifen 2005, zu einem Bürgerkrieg unter Palästinensern kommen würde.

Es widerlegt das Narrativ der „Widerstandskämpfer“, noch bevor die Hamas gegründet wurde. Die Hamas ist per eigener Definition radikalislamistisch. Die Vernichtung des Staates Israel und die Tötung aller Juden hat sie in ihrer Charta verankert, die frei im Internet nachzulesen ist.
Und es widerlegt die Vorstellung, alle Palästinenser seien eine homogene Gruppe.

Die Gründung der Hamas

Scheich Ahmad Yasin wurde 1985 mal wieder aus dem Gefängnis entlassen. Spätestens ab da muss Yahya Sinwar mit ihm in persönlichen Kontakt gekommen sein. Viele Experten bezeichnen den Scheich heute als Mentor Sinwars, wie Husseini es für Arafat war.

1986 wurde die Hamas gegründet. Zu den prominentesten Köpfen gehörte Scheich Yasin.
Als 1987 die erste Intifada ausbrach - der „Krieg der Steine“, den deutsche Studenten heute bei Besetzungen von Unis wieder herbeisehen - schmiedeten hochrangige Vertreter im Hintergrund größere Pläne.

Die erwähnte Gruppe Sinwars wurde zur Polizei der Hamas. Später, etwa 1991, wurden die Qassam-Brigaden begründet, die heute als „bewaffneter Arm“ der Hamas bezeichnet werden. Die „Katā'ib asch-Schahīd ʿIzz ad-Dīn al-Qassām“ („Essedin-al-Kassam-Brigaden“) sind im Grunde das Militär des Gazastreifens, das zwischen 2005 und 2022 auch Paraden mit ihren iranischen Raketenwerfern abgehalten hat.

Yahyah Sinwar wurde 1988 wiedermal verhaftet.
Er hatte den Mord an zwei israelischen Soldaten geplant. Im Gefängnis entstanden die erwähnten Protokolle.
Bis zu diesem Zeitpunkt hatte er mindestens ein halbes Dutzend Menschen eigenhändig getötet, alles Palästinenser.
2004 wurde im israelischen Soroka University Medical Center ein tödlicher Tumor aus Sinwars Hirn entfernt.

Die Zeitenwende

Am 22. März 2004 feuerte ein israelischer Helikopter um fünf Uhr morgens drei Hellfire Raketen auf ein Gebäude in Gaza-Stadt. Scheich Ahmad Yasin wurde gezielt getötet, mit ihm starben neun weitere Menschen, darunter zwei seiner Söhne.

Zwei Tage später wurden von einem israelischen Apache über Gaza erneut Hellfire abgefeuert. Der „Generalkommandeur“ der Hamas, Abd al-Aziz ar-Rantisi, einer seiner Leibwächter und sein Sohn starben.
Als Grund gab Israel die Beteiligung an Selbstmordanschlägen an, darunter zwei im Hafen von Ashdod am 14. März.
Der UN-Sicherheitsrat wollte in einer Resolution die Tötungen verurteilen. Das scheiterte am Veto der USA. Deutschland enthielt sich.

2005 zog sich Israel aus dem Gazastreifen zurück. Die Regierung Scharon erließ zunächst ein Einreise- und Aufenthaltsverbot für israelische Zivilisten. Später wurden die Siedler aus ihren Häusern gezwungen und die Häuser abgerissen. Seitdem gibt es keine Israelis mehr im Gazastreifen.

Die Wahlen 2006 gewann die Hamas. Es entbrannten bürgerkriegsähnliche Zustände zwischen der radikalislamistischen Hamas und der gemäßigteren, aber von Korruption durchsetzen Fatah der PLO.
Die Hamas ging als Sieger aus diesem Konflikt hervor. Seitdem sind die palästinensischen Autonomiegebiete eigentlich getrennt. Obwohl sie von vielen Mitgliedern der UN bereits als ein Staat anerkannt wurden.

Es galt, einen neuen Staat aufzubauen. Kleiner als Köln.
Doch dadurch, dass die beiden Führer der Hamas gerade getötet worden waren, ergab sich ein Machtvakuum.
Yahya Sinwar saß jedoch noch immer im Gefängnis.

Die Entführung

In den frühen Morgenstunden des 25. Juni 2006 schlich ein Trupp palästinensischer Terroristen durch einen Tunnel. Es war ein bunt zusammengewürfelter Haufen aus den Qassam-Brigaden der Hamas, dem „Volkswiderstandskomitee“ und des Dschaisch al-Islam.

Bei letzterem scheint es sich nur um eine Untergruppe der Hamas zu handeln, die sich explizit aus dem Clan Dughmusch rekrutiert. Sie würde 2011 auch für den Sprengstoffanschlag auf eine koptische Kirche im ägyptischen Alexandria verantwortlich zeichnen.

Nicht zu verwechseln mit dem Islamischen Dschihad in Palästina (PIJ), die im Grunde ein Ableger des IS ist. Der wiederum gerade für den Anschlag in Moskau verantwortlich zeichnet.
Der PIJ ist die Gruppe, die für die abgeschmierte Rakete auf einen Parkplatz des al-Ahli Krankenhauses in Gaza am 17. Oktober 2023 verantwortlich war. Die Medien übernahmen die Angaben der Hamas, Israel habe ein Krankenhaus beschossen, was zu 500 Toten geführt habe. Ich konnte aufgrund von verschiedenen Bildern zeigen, dass dies nicht so gewesen sein konnte.

Die Terroristen kamen in der Nähe des Grenzübergangs Kerem Schalom an der ägyptisch-israelischen Grenze wieder ans Tageslicht. Der Grenzübergang ist heute dafür bekannt, dass dort das Lager des COGAT ist und die meisten Hilfsgüter in den Gazastreifen hier abgefertigt werden.

Der mit Sturmgewehren bewaffnete Trupp griff einen Posten an. Zwei von ihnen wurden getötet, ebenso wie zwei israelische Soldaten. Zwei weitere Israelis wurden verwundet.
Sie zerrten den 19-jährigen Soldaten Gilad Shalit, der eine Hand gebrochen hatte, in den Tunnel und verschleppten ihn in den Gazastreifen. Den Gazastreifen, den Israel erst Monate zuvor einseitig geräumt hatte.
Gilad Shalit würde seine nächsten fünf Geburtstage als Geisel der Palästinenser verbringen.

Der mutmaßliche Drahtzieher der Geiselname, Abu Jibril Shimali, war Teil der Gruppe Jund Ansar Allah (JAA), die im Grunde ein Ableger der al-Qaida war. Der wurde aber am 14. August 2009 in einem 7-stündigen Gefecht in Rafah getötet. Nicht von den Israelis, sondern von der Hamas.

Es gab jahrelange Verhandlungen, die durch Ägypten und auch Deutschland moderiert wurden.
Am 18. Oktober 2001 wurde Gilad Shalit ausgetauscht. Gegen 1027 inhaftierte Hamas-Kämpfer und Palästinenser.
Unter ihnen war auch Yahya Sinwar.

Gilad Shalit

Später wurde bekannt, dass die Freilassung von Sinwar eine zentrale Forderung der Hamas war. Und dass der Kommandeur der Chan-Yunis-Brigade der Hamas eine zentrale Rolle in der Entführung gespielt hatte. Das ist bis heute Mohammed Sinwar, der jüngere Bruder von Yahya Sinwar.

Aufstieg innerhalb der Hamas

Mohammed al-Masri hatte ebenfalls die Islamische Universität von Gaza besucht. Als er 1990 der Hamas beitrat, änderte er seinen Lebenswandel radikal. Er hielt sich nie länger an einem Ort auf, weshalb er den Namen „Deif“ („Gast“) erhielt. Deshalb gibt es bis heute kein aktuelles Foto von ihm. Deif ist ein Geist.
Im August flogen israelische Raketen auf den Wohnsitz seiner Familie und töteten seine Frau und mehrere Verwandte.

Im darauffolgenden Jahr wurde ein Bataillonskommandeur der Hamas, Mahmoud Eshtewi, von der Hamas beschuldigt, Israel die Informationen für diesen Angriff gegeben zu haben. Darüber hinaus wurden ihm Veruntreuung und Homosexualität vorgeworfen. Er war mit zwei Frauen verheiratet und hatte mehrere Kinder.

Die Hamas verkündete seine Hinrichtung durch ein Erschießungskommando. Human Rights Watch veröffentlichte, dass sein Geständnis durch Folter erzwungen worden war. Die israelischen Sicherheitsdienste gingen davon aus, dass Yahya Sinwar die Folter beaufsichtigt hat.
Er musste zu diesem Zeitpunkt also schon in verantwortlicher Position innerhalb der Hamas gewesen sein.

2017 wurde Yahya Sinwar zum Chef der Hamas im Gazastreifen gewählt.
Er übernahm den Posten von Ismail Haniyya, der 2006 bis 2007 auch schon Präsident der autonomen Palästinensergebiete war. Der übernahm die Außendiplomatie der Hamas und residierte dafür wahlweise in Damaskus oder Katar.

Ismail Haniyya mit dem iranischen Religionsführer Ali Chamenei

Oben: Ismail Haniyya (mitte) mit dem iranischen Religionsführer Ali Chamenei

Im März 2021 wurde Sinwar für eine zweite Amtszeit gewählt.
Nachdem sein Haus in Chan Yunis von einer Rakete getroffen wurde, gab er eine Pressekonferenz. Während der er erklärte, er werde danach zu Fuß nach Hause gehen und dass der israelische Verteidigungsminister eingeladen sei, ihn zu ermorden. Eine Stunde lang veröffentlichte er Selfies, während er durch Gaza lief.

Bei anderen öffentlichen Auftritten zu der Zeit umgab er sich gerne mit Kindern, um es zu erschweren, ihn mit einer Rakete ausschalten zu können.

Viele Nachrichtendienste gehen davon aus, dass Sinwar der Stratege hinter dem Anschlag vom 7. Oktober war und Mohammed Deif der aktive Kommandeur.
Israel geht davon aus, dass Sinwar sich in den Tunneln unter dem Gazastreifen aufhält, vermutlich unter seiner Heimat Chan Yunis. Wo er durch die menschlichen Schutzschilde der israelischen Geiseln geschützt ist.

Israel hat eine Belohnung von 400.000 $ auf Informationen über Sinwar ausgesetzt.
Die Ausweisung Sinwars und Deifs ist eine Grundforderung Israels bei allen Verhandlungen für einen Waffenstillstand.

„Für Netanyahu wäre ein Sieg noch schlimmer als eine Niederlage“

Am Montag, dem 10. Juni, hat das Wall Street Journal eine exklusive Story veröffentlicht. Offenbar ist es in Besitz von Nachrichten gekommen, die Sinwar an verschiedene Hamasi gesendet hat. Die Quelle muss also ein „westlicher“ Nachrichtendienst sein, zu dem auch die israelischen zu zählen sind.

Zu Verhandlungen in Doha in Katar schickte Sinwar der Delegation die Zahlen der Toten anderer Befreiungskämpfe, beispielsweise in Algerien, wo hunderttausende getötet worden waren. Er bezeichnete sie als „nötige Opfer“.

Nachdem drei der Söhne von Haniyya getötet worden waren, schrieb er diesem, deren Tod und der Tod von anderen Palästinensern würde „Leben in die Venen der Nation pumpen, auf dass es zu seiner Glorie und Ehre aufsteigen“ würde.

»Selbst ohne einen dauerhaften Waffenstillstand glaubt Sinwar, dass Netanjahu kaum eine andere Wahl hat, als Gaza zu besetzen und sich monate- oder jahrelang im Kampf gegen einen von der Hamas geführten Aufstand festzusetzen.
Es ist ein Ergebnis, das Sinwar vor sechs Jahren vorhersah, als er zum ersten Mal der Chef im Gazastreifen wurde. Die Hamas könnte einen Krieg mit Israel verlieren, aber dies würde zur israelischen Besetzung von mehr als zwei Millionen Palästinensern führen.
„Für Netanyahu wäre ein Sieg noch schlimmer als eine Niederlage“, sagte Sinwar 2018 einem italienischen Journalisten in der israelischen Tageszeitung Yedioth Ahronoth.«
Wall Street Journal, „Gaza Chief’s Brutal Calculation: Civilian Bloodshed Will Help Hamas“, 10.06.2024

In einer Nachricht hat Sinwar laut WSJ die Verhandlungsführer in Doha ganz konkret angewiesen, auf die Beendigung des Krieges im Gazastreifen zu bestehen. Denn da Israel das so nicht eingehen könne, würde sich durch hohe zivile Verluste der internationale Druck auf Israel weiter erhöhen. „Israels Reise durch Rafah wird kein Spaziergang im Park.“

Tief in der Gesellschaft verwurzelt

„Wir müssen so weitermachen, auf dem gleichen Pfad, auf dem wir begonnen haben. Oder es soll ein neues Karbala werden.“
Die Schlacht von Karbala im Oktober 680 gilt vor allem bei Schiiten als Kampf Gut gegen Böse und wird jährlich als Fest begangen. Al-Husain, der Enkel des Propheten Mohammed, war in der Schlacht gefallen, nachdem viele Verbündete vor der Übermacht des Gegners zurückgewichen waren.
Das zeigt deutlich, in welchem Maßstab Sinwar diesen Krieg sieht und was er dafür bereit ist einzugehen. Es zeigt deutlich, warum die Hamas radikalislamistisch ist. Und in welcher Rolle er sich selber sieht.
„Wir haben Israel da, wo wir es haben wollten.“

Das Bild einer kleinen Gruppe von Terroristen und einer großen Gruppe von Zivilisten ist falsch. Auch wenn hier nur die aktuellen Köpfe vorgestellt werden können.
Das Ziel der Hamas, der Hisbollah, des Widerstandes im Irak, des Dschihad in Palästina und der vielen anderen Gruppen ist nichts weniger, als die Wiedererrichtung eines Kalifats. Eines im muslimischen Glauben verbundenen Staatskonstruktes.

Und damit stehen diese Kräfte nicht nur allen westlichen, säkularen Werten entgegen, sondern auch anderen Muslimen und Staaten.
Und sie genießen nach wie vor eine enorme Zustimmung in der palästinensischen Bevölkerung.

Viele bemühen sich, eine strikte Trennung zwischen den Terroristen und der Zivilbevölkerung zu sehen. Geleitet von einem europäischen, säkularisierten Gesellschaftsbild. Doch die Hamas ist tief in den Clanstrukturen und der Gesellschaft der palästinensischen Araber verwurzelt. Und Sinwar ist ihr Kopf. Irgendwo in den Tunneln unter Gaza.

Argomento Krieg

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