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74% aller Palästinenser sind für die Vernichtung Israels

Terroristen der Kassam Brigaden posieren in einem Tunnel

Derzeit arbeite ich an Artikeln zum Palästina-Konflikt. Das Thema hat mich aus zwei Gründen in Beschlag genommen.
Zum einen, weil es in der Wahrnehmung der Menschen eine große moralische Grenze zwischen „Soldaten“ und „Zivilisten“ zu geben scheint. Von der es mir sehr schwer fällt, sie in dem aktuell stattfindenden Umfang verstehen zu können. Denn im Vergleich zu anderen Kriegen ist der Gazakrieg ein sehr begrenzter Konflikt und es sterben im Vergleich zu anderen Kriegen wenige Menschen.

Im Gazastreifen verschwimmen zudem die Grenzen. Und die gewohnte, „westliche“ Trennschärfe zwischen Militär und Zivil wird scheinbar krampfhaft versucht auf die Palästinenser anzulegen. Was alleine dadurch unmöglich ist, dass die Hamas bewusst keine Zahlen der getöteten Hamas-Anhänger veröffentlicht. Was sicher auch schwer möglich wäre, denn Terrororganisationen haben keine Club-Ausweise.

Zum zweiten gibt es eine breite Unkenntnis über das, was in Israel und Palästina überhaupt passiert, was die Geschichte dahinter ist und was die Positionen der Parteien sind. Das führt häufig zu einem „Ja, aber…“, dass man erst klären muss.

Ein einfaches Beispiel dafür ist „Free Palestine“, das auch im Westen ständig reproduziert wird. Den wenigsten dürfte bewusst sein, dass die Palästinenser mit „Palästina“ auch Israel meinen. Wer hier mit „Free Palestine“ also „Freiheit für die Autonomiegebiete“ meint, der hat den Slogan einfach „westlich“ umgedeutet und macht sich vermutlich nicht klar, dass damit eigentlich zwangsläufig die Vernichtung Israels gemeint ist.
Es ist ein wenig wie bei Menschen, die sich bei Themen wie Asylpolitik oder Corona „in die rechte Ecke gestellt“ sehen, weil sie einfach nicht wissen, was in dem Kontext „rechts“ bedeutet. (Viele, die sich für „links“ halten, übrigens auch nicht.) In diesem Fall sind es jedoch antisemitische Äußerungen.

Für beides halte ich sowohl eine sehr linke sozio-kulturelle Entwicklung seit den 1960ern mit dem omnipräsenten Antiamerikanismus verantwortlich, als auch die seit Jahrzehnten andauernde Beeinflussung der öffentlichen Meinung durch die arabischen Staaten, den Iran, die UN und die Terrororganisationen.

Das laute Schweigen der Medien

Ich werde darauf zurückkommen. In diesem Beitrag möchte ich nur einmal eine Grundlage vermitteln, wie die Palästinenser so ticken. Damit wir wissen, worüber wir reden.
Und da man mir natürlich leicht eine Parteinahme vorwerfen könnte (obwohl ich auch Kritik an Israel übe), beschränken wir das auf eine eher wissenschaftliche Perspektive.

In den vergangenen Tagen sind zwei Umfragen erschienen. Umfragen unter Palästinensern, von palästinensischen Organisationen.

Diese sind unter anderem durch die Agenturen AP und Reuters aufgegriffen worden. Und so wurden sie sie auch in den deutschen Medien veröffentlicht.
Doch die Berichte dazu waren allesamt sehr kurz. Und der Aufhänger war jeweils die sinkende Zustimmung für den palästinensischen Präsidenten Abbas. Prägnantere Ergebnisse wurden höchstens im Fließtext genannt. Das meiste wurde jedoch gar nicht angesprochen.

Ich halte nichts von Verschwörungsmythen und meine Medienkritik hat nichts mit dem unsinnigen Geschrei von „Lügenpresse“ zu tun. In diesem Fall habe ich jedoch den Eindruck, die Medien haben kein Interesse daran, die Palästinenser so darzustellen, dass die breite Zustimmung womöglich hinterfragt werden könnte. Oder die Medien sich selber Angriffen ausgesetzt sehen könnten. Dabei sind diese Ergebnisse offen einsehbar, wenn man sich nur die Mühe macht, danach zu suchen. Mich hat es kaum eine Stunde gekostet. Und so lange auch nur, weil die Medien keine genaue Quelle angeben.

Ich werde beide Umfrageergebnisse auf dem U.M.-Server bereitstellen und am Ende dieses Beitrags verlinken.

Die Quellen

Die erste Umfrage kommt vom Palestinian Center for Policy and Survey Research in der palästinensischen Hauptstadt Ramallah. Das Center arbeitet mit der deutschen Konrad Adenauer Stiftung zusammen. Es ist wissenschaftlich auch mit der Bir Zeit Universität und mit dem Libanon verbunden.

Die zweite Umfrage kommt vom Arab World for Research and Development (AWRAD). Das ich, um ehrlich zu sein, eher für eine als Think Tank getarnte Lobby-Organisation halte. Doch ich erspare es mir, da tiefer zu recherchieren. Denn dieser Think Tank hat als Partner die UN, die UNESCO, UNICEF, die Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit, US Aid und viele andere angegeben.
Die Fragen empfand ich eher als „gelenkt“, doch sie entsprechen durchaus der palästinensischen Perspektive.

Beide Umfragen sind nicht unbedingt das Höchste der State of the Art. Aber sie bringen alles mit, was man zumindest für eine wissenschaftlich glaubwürdige Erhebung braucht.
Natürlich kann man nun glauben, dass viele der Befragten sich nicht getraut haben, sich offen zu äußern. Doch in beiden Fällen wurde Anteilig der größte Teil der Palästinenser im Westjordanland befragt. Wo es eher unwahrscheinlich ist, dass bei der Befragung ein Hamasi mit einer Kalaschnikow dahinterstand.

Das Center hat vom 22. November bis zum 02. Dezember 1231 Erwachsene befragt, AWRAD hat 668 Menschen befragt. In beiden Fällen entsprach das Geschlechterverhältnis der Normalverteilung.
Und darin liegt bereits der erste Widerspruch zum westlichen Bild der Terroristen und der Zivilbevölkerung: Die Antworten unterscheiden sich nicht signifikant zwischen Männern und Frauen.

In den Ergebnissen werde ich mir die Quellenangaben ersparen. Das halte ich anhand der Quellenlage für in Ordnung. Wer es genauer wissen möchte, kann sich ja die Umfragen selber anschauen.

Steigen wir durch. Ich empfehle sich hinzusetzen.

Die palästinensische Weltsicht

  • Insgesamt fanden 72% den Überfall auf Israel am 07. Oktober „korrekt“. Auf der Westbank waren es 82% und im Gazastreifen 57%.
    In der AWRAD-Umfrage gaben 75% ihre Unterstützung an. Hier wird der Terroranschlag als „Militäroperation“ des „Palästinensischen Widerstandes“ bezeichnet.

  • 72,6% glauben an einen Sieg Palästinas.

  • 85% empfanden die Berichterstattung westlicher Medien als negativ, 71,7% davon als „sehr negativ“. (Obwohl die wenigsten internationale Medien rezipieren, siehe unten.)

  • 92,6% empfanden die Rolle der EU als negativ, 81,1% davon als „sehr negativ“. 87% glaubten, die USA, Großbritannien, Frankreich und Deutschland würden das Kriegsrecht nicht beachten. Die größte Zustimmung fand Russland (22%).

  • 89% der Befragten im Westjordanland begrüßten den Einsatz der Huthi-Rebellen.

  • Nach dem hauptsächlichen Grund für den Überfall 10/7 gefragt, gaben 35% die Verletzung der al Aqsa Moschee an. (AWRAD)
    28,9% gaben die Befreiung Palästinas an (also auch inklusive Israels) und 21% gaben das Durchbrechen der Belagerung des Gazastreifens an. (Hinweis: Der Gazastreifen verfügt über eine Grenze zu Ägypten, steht seit 2006 unter Selbstverwaltung und es gibt dort keine Siedler.) Interessante 5,1% gaben iranische Interessen als Grund an.
    In der Umfrage des Centers gaben 81% als Grund die israelischen Siedler im Westjordanland, die Angriffe auf die al Aqsa Moschee und um palästinensische Gefangene zu befreien.

  • Die Befragten im Westjordanland waren weit optimistischer, dass der Gazastreifen erfolgreich bleiben würde. Dort waren es 83%, im Gegensatz zu 59% im Gazastreifen.

  • Nach einer Lösung gefragt, gaben 74,4% an, eine Einstaatenlösung anzustreben, mit einem – so wörtlich genannt – Palästina vom Fluss bis zur See. („From the River to the Sea“, also die Vernichtung Israels.) 17,2% fanden eine Zweistaatenlösung in Ordnung, weitere 5,4% einen gemeinsamen Staat für beide Völker.

  • 75,3% glaubten an eine Beendigung des Krieges durch eine „Befreiung Gazas von der israelischen Invasion“. 79,9% erwarteten die Freilassung aller Palästinenser aus israelischen Gefängnissen.

  • 78,2% blickten aufgrund der Pro-Palästina-Demonstrationen hoffnungsvoll auf die Zukunft der Menschlichkeit.

  • 63,6% glaubten, dass der Konflikt hauptsächlich zwischen Israel und den Palästinensern besteht, 18,6% sahen den Konflikt eher zwischen Israel und der Hamas.

  • Nach dem Grund für die „klare Unterstützung“ der USA und der „westlichen Länder“ für Israel gefragt, sahen 91,5% den Grund in dem Einfluss der israelischen Lobby in diesen Ländern.
    89,5% gaben als Grund den Hass auf Muslime an, 85,5% den Hass auf Araber. 96,3% die politischen und wirtschaftlichen Interessen in der Region.
    (Hinweis: Der Verschwörungsmythos der jüdischen Weltherrschaft ist bei Palästinensern weit verbreitet. Die Hamas bezieht sich in ihrer Gründungs-Charta auf die „Protokolle der Weisen von Zion“, die diese Weltherrschaftspläne nachweisen sollen, aber bereits 1921 als Fälschung entlarvt wurden. Und begründet damit, dass die Juden weltweit vernichtet werden müssen.)

  • Mit 92,4% war der Fernsehsender Al Jazeera aus Katar die mit Abstand am häufigsten genannte Informationsquelle. Nur 2,7% rezipierten auch „internationale“ Medien, darunter am häufigsten BBC und CNN.
    85,8% nutzten Social Media als Informationsquelle.

  • 90,2% waren für eine gegenseitige Freilassung der Geiseln.
    (Hinweis: Die palästinensischen Gefangenen in israelischen Gefängnissen werden mit den Geiseln vom 10/7 als gleichwertig angesehen. Diese Frage war vom AWRAD so vorgegeben.)

  • 90,6% schenkten Anweisungen („instructions“) Israels keinen Glauben.
    (Hinweis: Damit gemeint sind beispielsweise Warnhinweise vor einer Bombardierung oder Flugblätter für Fluchtkorridore.)

  • 64% waren gegen Verhandlungen mit Israel, den USA und arabischen Staaten, wie es nach dem Krieg mit dem Gazastreifen weitergehen solle.

  • 53% der Befragten glaubten, dass Ziel Israels sei die Zerstörung des Gazastreifens und die Auslöschung aller Palästinenser im Gazastreifen.

  • 78% der Befragten gaben an, es sei kriegsrechtlich nicht erlaubt, zivile Frauen und Kinder in ihren Häusern anzugreifen.

  • 85% gaben an, keine Videos vom Überfall am 07. Oktober gesehen zu haben. Im Westjordanland waren es 93%.

  • 95% der Befragten glaubten, dass Israel Kriegsverbrechen begangen habe. Nur 10% glaubten, dass auch die Hamas solche Verbrechen begangen hat.

  • Für Getötete wird durchgehend die Vokabel „Märtyrer“ verwendet.

  • Wäre jetzt Wahl, würden 78% der Befragten die Hamas wählen. 71% im Gazastreifen und 82% im Westjordanland. 89% fordern einen Rücktritt des gemäßigten Präsidenten Abbas.

Umfrage des Centers: https://www.ungemeve.de/wp-content/uploads/2023/12/Umfrage-PalaestinenserCenter.pdf

Umfrage des AWRAD: https://www.ungemeve.de/wp-content/uploads/2023/12/UmfragePalaestinenserAWRAD.pdf

Argomento Medien und Politik

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