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#19 #Krisenkommunikation #Klimanotstand

Die Krisen-Rede, die Olaf Scholz jetzt halten müsste

Olaf Scholz will Klimakanzler sein. Bisher vermeidet er jedoch klare Worte. Wie sähe eine angemessene Krisenkommunikation des Bundeskanzlers aus? ~ 7 Minuten Lesezeit

Als das Ausmaß der Corona-Krise im März 2020 klar wurde, hielt die damalige Bundeskanzlerin Angela Merkel eine historische TV-Ansprache (Si apre in una nuova finestra). Millionen Menschen hörten von oberster Stelle, wie groß die Gefahr des Virus ist und worauf es ankommt, um die Pandemie in den Griff zu kriegen. Durch Merkels Rede wurde der Gesundheitsnotstand offiziell eingeläutet. 

Hätte die Bedrohung unserer natürlichen Lebensgrundlagen durch die Klimakrise nicht mindestens die gleiche offene Kommunikation verdient?

Stell Dir vor, der neue Bundeskanzler setzt sich am kommenden Sonntag um 20 Uhr ins Erste Deutsche Fernsehen und klärt die Bevölkerung Deutschlands über den Klimanotstand auf. Damit das Ganze etwas konkreter wird, haben wir die vielleicht wichtigste Rede von Olaf Scholz' Amtszeit geschrieben. Auch wenn er sie wohl nie halten wird. 

So ungefähr könnte es aussehen, wenn der neue Bundeskanzler seine historische Rede zum Klimanotstand hält. 📸: Screenshot Youtube (Si apre in una nuova finestra), Neujahrsansprache 2022

„Liebe Mitbürger°innen,

wir haben im vergangenen Sommer schmerzlich erfahren, wie akut unsere Lebensgrundlagen bedroht sind. Viele Menschen verloren durch die Starkregenfälle in Westeuropa ihr gesamtes Hab und Gut – oder sogar ihr Leben. 

Dieses Extremwetterereignis war kein Zufall. Es wurde stärker und wahrscheinlicher (Si apre in una nuova finestra) durch den menschengemachten Klimawandel.

Ich wende mich heute auf diesem ungewöhnlichen Wege an Sie, um Ihnen in aller Deutlichkeit zu sagen: Die Bundesrepublik Deutschland befindet sich im Klimanotstand.

Wir erleben zur Zeit eine Krise unseres Umgangs mit den natürlichen Systemen und Ressourcen unseres Planeten. Um die schlimmsten Auswirkungen dieser Krise zu vermeiden, müssen wir jetzt entschlossen handeln. 

Ich möchte Ihnen gerne sagen, was die Bundesregierung – was mich – im Umgang mit dieser Notlage leitet.

Seitdem ich Politiker bin, habe ich Krisen miterlebt. Die Wirtschaftskrise 2008, die humanitäre Notlage vieler Geflüchteter und nicht zuletzt das Corona-Virus, mit dem wir heute noch kämpfen. 

Vieles deutet jedoch darauf hin, dass die Klimakrise unser Leben tiefgreifender verändern wird, als alle Krisen, die wir bisher in Friedenszeiten erlebt haben.

Ich habe mich dazu entschlossen, mich persönlich an Sie zu wenden. Denn die Herausforderungen vor denen wir stehen, sind nur lösbar, wenn sich jeder und jede Einzelne von Ihnen der Ernsthaftigkeit der Lage bewusst ist.

Ich kann Ihnen versichern, dass es an den Ursachen dieser Krise nicht den geringsten Zweifel gibt. 

Die Erhitzung unseres Klimas ist menschengemacht. Darüber ist sich die Wissenschaft längst einig. Der Weltklimarat, der von allen Staaten der Vereinten Nationen anerkannt ist, hat dies in seinem aktuellen Bericht (Si apre in una nuova finestra) bestätigt. 

Die Treibhausgase, die wir zum Heizen, zur Energiegewinnung, zur Produktion von Gütern und Lebensmitteln ausstoßen, erwärmen unseren Planeten auf bedrohliche Art und Weise. 

Eine Erhitzung von mehr als 1,5 Grad gefährdet unser Zusammenleben, so wie wir es kennen und schätzen. Für mich ist es ein Zeichen des Respekts und des Vertrauens, offen mit Ihnen über die Auswirkungen zu sprechen, die uns erwarten.

Bei einer Erhitzung von mehr als 1,5 Grad werden sogenannte Kipppunkte überschritten. Der Meeresspiegelanstieg (Si apre in una nuova finestra) – der auch unsere Küstenregionen bedroht – wäre dann unaufhaltsam. 

Das müssen wir um jeden Preis verhindern. Ist so ein System erstmal gekippt, kann der Ausgangszustand nie wieder hergestellt werden. Einige dieser Kipppunkte sind vermutlich sogar bereits überschritten (Si apre in una nuova finestra)

Deswegen müssen wir jetzt handeln, und deswegen bitte ich jede und jeden Einzelnen von Ihnen um Mithilfe.

Eines ist sicher: Wir stehen in den nächsten Jahrzehnten vor einem grundlegenden Wandel. Entweder wir schaffen es aus eigener Anstrengung, unsere gesamte Wirtschaft, ja unsere gesamte Gesellschaft wieder in Einklang mit den natürlichen Kreisläufen zu bringen. 

Oder die Auswirkungen einer um mehr als 1,5 Grad erhitzten Welt zwingen uns dazu, unser Zusammenleben drastisch zu verändern und einzuschränken. Wir haben die Wahl. 

"Es ist ernst. Nehmen Sie es auch ernst." 📸: Screenshot Youtube (Si apre in una nuova finestra), TV-Ansprache von Angela Merkel zur Corona-Pandemie

Ich wünsche mir, dass junge Menschen, die heute zuschauen, ihr Leben selbst in die Hand nehmen können. Und ihnen für ihre Zukunft nicht jeglicher Handlungsspielraum genommen wird. 

Ich wünsche mir, dass Jahrhundertsommer nicht zur Normalität werden. 

Und ich wünsche mir, dass wir der Natur, die uns bereichert und ernährt, einen Platz in unserem Zusammenleben zusprechen, anstatt sie auszubeuten.

Liebe Mitbürger°innen,

häufig höre ich die Frage ‘Wer soll das alles zahlen?’. Oder: ‘Wie viel kostet uns der Klimaschutz?’

Ich kann Ihnen versichern: Die teuerste Option ist kein ausreichender Klimaschutz.

Wenn wir jetzt nicht in Klimaschutz investieren, werden uns Starkregen, Hitzesommer und Sturmschäden Milliarden kosten. Diese bittere Erfahrung mussten im vergangenen Sommer Menschen in Bayern, Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz machen. 

In wenigen Tagen sind Schäden von über 20 Milliarden Euro entstanden. 20 Milliarden Euro, die wir in Kindergärten, Schulen und Krankenhäuser hätten investieren können.

Wir werden unterm Strich durch das Einsparen von Emissionen auch sehr viel Geld sparen.

Eins ist mir besonders wichtig. Wir dürfen die Versäumnisse der Vergangenheit nicht auf dem Rücken der Einkommensschwachen austragen. Die Bewältigung der Klimakrise muss sozial gerecht sein.

Wer jetzt schon wenig Geld hat, darf durch die notwendigen Klimaschutzmaßnahmen nicht noch weniger haben.  

Ich bin davon überzeugt: Die Herausforderungen, die vor uns liegen, sind gleichzeitig eine einmalige Chance. Die Transformation in eine klimaneutrale Wirtschaft wird Hunderttausende neue Arbeitsplätze schaffen. 

Viele von Ihnen werden in Zukunft gutes Geld verdienen mit einem Job, der zum Schutz unseres Klimas beiträgt.

Liebe Mitbürger°innen,

Ich muss Ihnen auch sagen, diese Krise ist nicht in einigen Jahren, wahrscheinlich nicht einmal in einigen Jahrzehnten lösbar. Sie ist kein Übergangszustand. Sie ist eine Jahrhundertaufgabe. 

Auch wenn wir jetzt alles Notwendige tun, um die Erderhitzung zu stoppen, werden wir die Verantwortung an die nächste Generation vererben.

Wir können uns glücklich schätzen, dass es in diesem Jahrzehnt vor allem aufwendig ist, die Klimakrise aufzuhalten – und nicht zu spät. Es werden große Anstrengungen und Investitionen nötig sein. Aber wir können es schaffen. Und wir werden es schaffen.

Es gibt sehr effektive Maßnahmen. Unser Strom muss so schnell es geht zu 100 Prozent aus Erneuerbaren Energien gewonnen werden. Der Autoverkehr muss sowohl reduziert als auch elektrifiziert werden. Wir sind dieser Krise nicht wehrlos ausgesetzt.

Zum Schluss möchte ich Ihnen noch eines sagen: Die Zukunft, die vor uns liegt, wenn wir uns mutig und gemeinsam den Herausforderungen dieser Krise stellen, ist eine glückliche. 

Es ist eine Zukunft, in der wir gesünder und selbstbestimmter miteinander leben werden. Eine Zukunft, in der wir uns zurückbesinnen auf das, was uns als Menschen ausmacht. Ich freue mich auf diese Zukunft.

Unsere Kinder und Enkelkinder sollen uns später nicht fragen (Si apre in una nuova finestra) müssen ‘Warum habt ihr nichts gemacht?’, sondern ‘Wie habt ihr das geschafft?’. 

Packen wir es an. Ich danke Ihnen.“

20:15 Uhr, die TV-Ansprache ist vorbei und der Tatort fängt an.

Warum erscheint eine Rede des Bundeskanzlers, in der er die Bevölkerung über den Klimanotstand aufklärt, so fern der Realität? UN-Generalsekretär António Guterres rief die Länder der Vereinten Nationen schon vor über einem Jahr (Si apre in una nuova finestra) dazu auf. Deutschland zählt nicht zu der Handvoll Staaten, die den Klimanotstand bereits deklariert haben. Rund 70 Städte und Gemeinden hingegen schon, womit sie die Entwicklung unseres Klimas als das eingestuft haben, was sie ist – eine Krise.

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Julien

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Argomento Utopien

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