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Die letzte Treibhauspost in diesem Jahr ist eine Ode an die Klimawissenschaft – und ihren unerbittlichen Kampf gegen Desinformation.
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#62 #Wissenschaft #Desinformation #COP28
Pokémons auf dem Klimagipfel
Die COP28 war ein spektakulärer Kampf von Fakten gegen Fake News. Wie Wissenschaftler*innen sich vehement gegen fossile Lügen wehren. ~ 10 Minuten Lesezeit
Die COP ist vieles zugleich: Eine diplomatische Weltmeisterschaft. Eine Fake-Klimakonferenz (Si apre in una nuova finestra), wie Claudia Kemfert schreibt. Vielleicht auch unsere einzige Chance auf eine globale Antwort auf die Klimakrise.
Für uns in der Treibhauspost-Redaktion, die wir zwei Wochen lang nervös die Berichterstattung verfolgt haben, war die COP vor allem eines: ein bizarres Medien- und PR-Spektakel.
Manchmal stellen wir uns die COP wie eine große Arena vor. Eine, in der hart gekämpft wird – und die bisweilen skurrile Züge annimmt. Wie eine, sagen wir, Pokémon-Arena.
Auf der einen Seite steht die fossile Industrie. Sie ist das Nebulak (Si apre in una nuova finestra) unter den Pokémons, äh, Copémons. Nebulak ist ein Wesen des Typs Geist und Gift. Es hüllt Gegner mit seinem üblen Gas ein und ist zu zahlreichen bösartigen Attacken fähig. Es kann Dir mit Gift-Schock oder Smog schwer zusetzen. Daneben hat es diverse Psycho-Attacken auf Lager, um Dich zu verwirren oder zu paralysieren.
Eigentlich hat die fossile Industrie in der Copémon-Arena nichts zu suchen. Trotzdem kapert sie seit der ersten Klimakonferenz (1995 in Berlin) die Verhandlungen jedes Jahr aufs Neue. Sie hat sich auf der COP28 längst zu Gengar (Si apre in una nuova finestra), der bösesten Entwicklungsstufe von Nebulak, weiterentwickelt und sät Zweifel, bremst, lügt und verzögert.
Tritt für das fossile Imperium an: Geist- und Giftpokémon Gengar.
Wer traut sich, Gengar gegenüberzutreten? Na klar: Pikachu. Ein besonders mutiges und schlaues Copémon mit der Fähigkeit, (Geistes-)Blitze zu verteilen – natürlich aus erneuerbarer Energie. Es zieht für die Wissenschaft in die Arena, die seit Jahrzehnten vor katastrophalen Klimafolgen warnt. Angesichts der einschläfernden Pummeluff (Si apre in una nuova finestra)-Politik wird die Wissenschaft immer lauter.
Es ist ein verbitterter Kampf, Fakten gegen Fake News, Wissenschaft gegen ein fossiles Imperium. Wir haben für Dich die wichtigsten Schachzüge, Angriffe und Wendungen aus der Copémon-Arena zusammengetragen. Alles, was Du von der COP28 nicht verpasst haben solltest.
Wissenschaft vs. Desinformation
Gengar (Fossiles Imperium) und Pikachu (Wissenschaft) ziehen in die Arena. Der Copémon-Kampf beginnt.
📸: PokéWiki (Si apre in una nuova finestra).
Fossiles Imperium setzt Unterwanderung ein.
Schon vor der Konferenz gelingt dem fossilen Imperium ein mächtiger Zug: Mit den Vereinigten Arabischen Emiraten (VAE) richtet einer der gewichtigsten Ölstaaten der Welt das Treffen aus. Präsident der COP28 wird ausgerechnet Sultan Al Jaber. Er ist Chef des staatseigenen Öl-Konzerns ADNOC (klingt zwar danach, ist aber kein Pokémon). Dieser plant, seine Produktion derart auszuweiten, dass er bald zum zweitgrößten Öl-Produzenten der Welt (Si apre in una nuova finestra) werden könnte.
Die Attacke ist sehr effektiv!
Eine bessere Täuscher-Persona hätten sich die Erfinder der Desinformation nicht ausdenken können. Al Jaber hat es geschafft, dass einige Beobachter*innen trotz seiner dubiosen Doppelrolle Hoffnung in ihn legen.
Gleich zu Beginn landet er einen Coup, mit dem er dieses Vertrauen füttert: Er verabschiedet einen neuen Fonds für Schäden und Verluste (Si apre in una nuova finestra). Ein Paukenschlag – mit Beigeschmack. Die Finanzzusagen für den Fonds sind lächerlich niedrig. 770 Millionen US-Dollar: Das sind weniger als 0,2 Prozent (Si apre in una nuova finestra) dessen, was Staaten des Globalen Südens jährlich bräuchten.
📊: @LossandDamage auf X (Si apre in una nuova finestra)
Fossiles Imperium setzt schmutzige Geschäfte ein.
Schon vor Beginn der Konferenz werden Dokumente geleakt, die zeigen: Al Jaber plante, seine Rolle als COP-Präsident zu nutzen, um Öl- und Gas-Deals (Si apre in una nuova finestra) mit anderen Staaten zu schließen. Und siehe da: In den ersten Tagen vereinbart ADNOC mit Aserbaidschan eine Investition in ein Gas-Feld (Si apre in una nuova finestra) im Kaspischen Meer.
Wissenschaft setzt Tatsachengewitter ein.
Wissenschaftler*innen, Zivilgesellschaft und mehr als hundert Staaten fordern auf der COP28 ein Ausstieg (phase out) aus fossilen Energien. Anders lässt sich die Erderhitzung nicht stoppen. Die 1,5-Grad-Pfade aus dem IPCC-Report machen deutlich, dass es so schnell wie möglich gehen muss: bis 2030 müssen die Emissionien nahezu halbiert sein. Momentan sieht es allerdings so aus, als würden sie bis dahin noch um 9 Prozent steigen (Si apre in una nuova finestra).
Die Attacke ist sehr effektiv!
Auf den bisherigen 27 COPs ist die Rolle von fossilen Energien (mit Ausnahme von Kohle) immer unter den Tisch gefallen. Jetzt wird die Forderung zu einem der zentralen Verhandlungspunkte.
Fossiles Imperium setzt erneut Unterwanderung ein.
Eine Welle von 2.456 fossilen Lobbyisten (Si apre in una nuova finestra) überschwemmt die COP28. Das sind viermal mehr als auf der vorherigen Konferenz und vor allem: mehr als jede andere Länderdelegation (außer Brasilien und den VAE).
160 dieser Lobbyisten haben in der Vergangenheit die Klimakrise geleugnet (Si apre in una nuova finestra). Auch der Chef von ExxonMobil, Darren Woods höchstselbst, ist vor Ort. Seine Meinung (Si apre in una nuova finestra): Auf der COP würde „viel zu viel Gewicht darauf gelegt, fossile Brennstoffe, Öl und Gas loszuwerden“ – man müsste sich aber eher mit den daraus entstehenden Emissionen beschäftigen.
Wissenschaft ist getroffen, Verteidigung sinkt.
Fossiles Imperium setzt Desinformation ein.
Der Guardian berichtet (Si apre in una nuova finestra) von Aussagen Al Jabers: Es gäbe keine wissenschaftlichen Szenarien, die zeigen, dass man für 1,5 Grad aus den fossilen Energien aussteigen müsse. Man könne nicht aus fossilen Energien aussteigen, „unless you want to take the world back into caves“. Da zeigt jemand sein wahres Gesicht. Die Empörung ist groß.
„In den Korridoren der Verhandlungen scheint eine gewisse Unsicherheit darüber zu herrschen, wo die Wissenschaft steht“, sagt der PIK-Direktor Johan Rockström. Er und mehr als 100 weitere Klimaforscher*innen bekräftigen in einem Statement den wissenschaftlichen Konsens, dass die Welt schleunigst aus fossilen Brennstoffen aussteigen muss, um mehr als 1,5 Grad zu verhindern.
Die Desinformations-Attacke ging daneben.
Wissenschaft setzt neueste Erkenntnisse ein.
Forschende stellen auf der COP28 den „Global Tipping Points (Si apre in una nuova finestra)“-Report vor. Ein internationales Team von mehr als 200 Forscher*innen hat aktuelle Erkenntnisse zu Kipppunkten im Erdsystem zusammengetragen. Das Ergebnis: Fünf Kippelemente sind bereits heute in akuter Gefahr, überschritten zu werden.
Das Grönland-Eisschild könnte vollständig abschmelzen und den Meeresspiegel um bis zu 7,5 Meter steigen lassen.
Das Westantarktische Eisschild könnte vollständig abschmelzen und den Meeresspiegel um bis zu 5 Meter steigen lassen.
Warmwasser-Korallenriffe könnten aussterben und eine Destabilisierung der Nahrungskette nach sich ziehen.
Die Zirkulation des Subpolarwirbels im Nordatlantik (SPG) könnte zusammenbrechen und den Lebensmittelanbau beeinträchtigen.
Permafrostgebiete könnten tauen und massenweise klimawirksames Methan freisetzen.
Fossiles Imperium ist immun gegen wissenschaftliche Erkenntnisse.
Fossiles Imperium setzt CCS-Hirngespinst ein.
Das Gift- und Gas-Copémon greift zu einem seiner liebsten Taschenspielertricks. In bester ExxonMobil-Manier behauptet es, man müsse nicht von fossilen Brennstoffen loskommen, sondern sich nur um die Emissionen kümmern – und dafür gäbe es schließlich eine technologische Wunderwaffe: Carbon Capture and Storage (CCS). Man fängt die Emissionen einfach auf und verbuddelt sie im Boden oder im Ozean.
Mehr als 475 CCS-Lobbyisten auf der COP (Si apre in una nuova finestra) feuern Fossiles Imperium bei der Attacke an.
Wissenschaft setzt Faktencheck gegen CCS-Hirngespinst ein.
Wissenschaftler*innen widerlegen die Behauptung (Si apre in una nuova finestra), dass CCS eine großflächige Klimalösung sein könnte. Die Technologie ist unausgereift, zu teuer und bisher nur in winzigem Maßstab möglich.
Vor allem ist der CCS-Vorstoß ein Ablenkungsmanöver von der wichtigsten Maßnahme überhaupt: die Emissionen auf Null zu senken. „Wenn die Badewanne überläuft, greifst du nicht zum vergoldeten Mopp“, sagt MIT-Professor Charles Harvey. „Du drehst einfach den Wasserhahn zu.“
Fossiles Imperium verliert Verteidigungspunkte.
Wissenschaft setzt Faktensturm ein.
Führende Klimaforscher*innen legen nach. Johan Rockström stellt einen Bericht mit dem Titel „Zehn neue Erkenntnisse der Klimawissenschaft (Si apre in una nuova finestra)“ vor. Darunter:
1,5 Grad zu überschreiten, ist unvermeidbar. Entscheidend ist, dafür zu sorgen, dass das Überschreiten vorübergehend sein wird.
Biodiversitäts- und Klimakrise sind verknüpft und müssen gemeinsam bewältigt werden.
Extremwetterereignisse, die gleichzeitig auftreten (zum Beispiel eine Hitzewelle in Kombination mit einer Dürre) – sogenannte coumpound events – sind noch wenig erforscht. Klar ist aber: Ihre Auswirkungen sind verheerend und schlimmer als die Summe der Einzelereignisse.
Die zehn Erkenntnisse werden an alle Verhandlungsparteien der COP geschickt.
Wissenschaft setzt erdrückende Beweislage ein.
Mehr als 100 Forscher*innen warnen (Si apre in una nuova finestra), dass die Klimakrise weltweit die Ausbreitung von Infektionskrankheiten vorantreibt. Die jüngsten Ausbrüche von Cholera und Dengue-Fieber verdeutlichen die Bedrohung. Es brauche entschiedene Maßnahmen.
Die Attacken sind sehr effektiv!
Fossiles Imperium verliert Kraftpunkte.
Der Ausstieg aus Fossilen könnte es zum ersten Mal in ein offizielles COP-Dokument schaffen.
Fossiles Imperium gerät in Panik.
Fossiles Imperium setzt Blockade-Haltung ein.
Der Chef der Organisation Erdöl exportierender Länder (OPEC), Haitham Al Ghais, schickt kurz vor Konferenzende einen Brief an die Mitgliedstaaten. Der Brief wird geleakt. Al Ghais warnt darin (Si apre in una nuova finestra): „Es scheint, dass der ungerechtfertigte und unverhältnismäßige Druck gegen fossile Energien einen Kipppunkt mit unumkehrbaren Konsequenzen erreichen könnte.“ Die OPEC-Mitglieder sollen jegliche Beschlüsse gegen fossile Energien blockieren.
Fossiles Imperium gewinnt Angriffspunkte.
Der erste Entwurf des Abschlussdokuments wird ein Tag vor dem geplanten Ende des Gipfels veröffentlicht. Keine Rede von fossilen Energien, nicht einmal von einem Herunterfahren (geschweige denn von einem Ausstieg).
Ein öliger Mittelfinger an die über hundert Staaten, die während der gesamten Verhandlungen auf einen Ausstieg gepocht haben. Und vor allem an die kleinen Inselstaaten, die im Meer zu versinken drohen. Diese Inselstaaten, und auch die EU und die USA, reagieren entsetzt. John Silk, Regierungsmitglied der Marshallinseln (Si apre in una nuova finestra), sagt: „Wir sind nicht hergekommen, um unser Todesurteil zu unterschreiben.“ – „We will not go silently to our watery graves.“
Die Verhandlungen enden mit einem Kompromiss.
Am Ende stehen die fossilen Energien wieder in der Vereinbarung drin. Aber von einem Ausstieg (phase out) ist keine Rede, sondern von einem transitioning away, einer Abkehr.
Zwar wird die Bedeutung von Erneuerbaren Energien festgehalten (eine Verdreifachung der Kapazitäten und eine Verdopplung der Effizienz bis 2030). Gleichzeitig hat es aber auch ein Paragraf in den Text geschafft, der Erdgas bescheinigt, eine Übergangstechnologie zu sein – ohne Bezug zum IPCC oder anderen wissenschaftlichen Erkenntnissen. Ein Schlupfloch, wenn nicht ein roter Teppich für fossile Konzerne und Staaten, die ihre Gasgeschäfte weiter ausweiten wollen.
Auch CCS erhält seinen Platz im Dokument. Immerhin wird betont, dass die Technologie vor allem in Sektoren eingesetzt werden müsste, die nur schwer dekarbonisiert werden können.
Die Analyse aus der Copémon-Arena
Dass eine Abkehr von fossilen Energien einstimmig vereinbart wurde, ist für sich genommen ein riesiger, diplomatischer Schritt. Kein*e Wissenschaftler*in wird sich aber hinstellen und sagen, dass das Ergebnis der COP28 angesichts der Klimakrise ausreichend ist. Was im COP-Beschluss vor allem fehlt: ein Fahrplan mit konkreten Maßnahmen, wie die Emissionen bis 2030 halbiert werden sollen.
Die nächste Klimakonferenz, die COP29, wird übrigens wieder in einem fossilen Staat stattfinden – in Aserbaidschan. Dann geht der Copémon-Kampf zwischen Wissenschaft und Desinformation in eine neue Runde.
Wird es nicht endlich einmal Zeit, diesem Spektakel neue Regeln zu geben? Ideen dafür gäbe es genug, zum Beispiel: ein Teilnahmeverbot für fossile Lobbyisten oder eine generelle Verschlankung des Prozesses (dieses Jahr waren fast 100.000 Teilnehmer*innen registriert, auf der ersten COP waren es nur 4.000).
Ein noch weitreichenderer Vorschlag kommt von fünf IPCC-Leitautoren (Si apre in una nuova finestra). Sie fordern, dass der Weltklimarat (IPCC) neu strukturiert wird und mehr Befugnisse bekommt. Wissenschaftler*innen sollten die Möglichkeit erhalten, politische Vorgaben zu formulieren und deren Umsetzung zu überwachen.
Auch Pikachu hat noch eine Entwicklungsstufe (Si apre in una nuova finestra) in petto …
Wenn Du mehr zur COP28-Einigung erfahren willst:
eine umfassende Analyse des Ergebnisses von Carbon Brief (Si apre in una nuova finestra)(auf Englisch)
eine gute Einschätzung von Germanwatch (Si apre in una nuova finestra)
Danke, dass Du unsere etwas unkonventionelle COP-Zusammenfassung bis zum Ende gelesen hast. Wenn Du hier und jetzt etwas gegen Desinformation und für konstruktiven Klima-Journalismus machen willst, überlege Dir doch, ob Du unsere Arbeit als Mitglied unterstützen möchtest. Das geht ab 4 Euro im Monat über Steady – eine Berliner Plattform über die wir auch unsere Mails verschicken. Vielen Dank!
Genauso freuen wir uns, wenn Du den Kampf der Wissenschaft in der Copémon-Arena an Deine alten Sammelkarten-Buddies weiterleitest (oder an eine Person, die unbedingt endlich mal eine COP-Zusammenfassung lesen sollte).
Die nächste Treibhauspost bekommst Du am 13. Januar. Lass Dich bis dahin von Schnee und Besinnlichkeit berieseln.
Bis dahin, herzliche Grüße
Manuel
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Plastic Fischer (Si apre in una nuova finestra), Sozialunternehmen gegen Plastikmüll
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