NUR MAL KURZ DIE NATUR BEWAHREN
SACHBUCH-KRITIK
„Wir müssen die Natur bewahren, die es noch gibt, und zusätzlich neue Naturräume schaffen oder alte, verschwundene wieder zum Leben erwecken.“ - S. 49
Ozeane: Sie sind gerade in aller Munde. Sei es, da nach dem Welttag der Ozeane am vergangenen Sonntag vom 9. bis zum 13. Juni die UN-Ozeankonferenz in Nizza läuft, bei der unter anderem der französische, angeschlagene Noch-Präsident Emmanuel Macron markige Worte fand. Ebenso wohl dank der Buch-Wie-Dokumentation-Neuerscheinung Ozeane von David Attenborough und Colin Butfield (mehr in den kommenden Tagen). Oder, dass wir nun seit einiger Zeit darum wissen, dass die tiefe See mehr CO2 respektive Karbon absorbiert, als beispielsweise der arg beschnittene Regenwald es schafft.

Womit wir beim Thema wären: Frage nicht, was du für den Wald tun kannst, sondern was der Wald für dich tun kann. Oder andersrum? Oder vice versa? Um das herauszufinden, sei den Leser*innen unbedingt das unterhaltsame, streckenweise zwar sehr wissenschaftliche, dafür allerdings ebenfalls hochgradig informative MIT PFLANZEN DIE WELT RETTEN. Grüne Lösungen gegen den Klimawandel empfohlen. Verfasst hat es der Chemiker und Biologe Bernhard Kegel, der neben seinen zahlreichen Sachbüchern ebenso für diverse Romane (zuletzt GRAS, nominiert als Wissensbuch des Jahres 2024 der Bild der Wissenschaft) bekannt ist. Das bereits im Oktober 2024 im DuMont Verlag aus Köln erschienene, notwendige Buch ist zurecht für den Deutschen Sachbuchpreis 2025 nominiert, der am 17. Juni in Hamburg verliehen wird.
„[D]ie Evolution fragt nicht um Erlaubnis, bevor sie Neues schafft. Sie belohnt diejenigen, die sich ungenutzte Ressourcen erschließen.“ - S. 31
In sieben Hauptkapiteln sowie Einleitung und einer hilfreichen Vorbemerkung „[ü]ber das Gewicht von Luft“ deckt Kegel einen weiten Bereich ab. Zunächst gibt er uns nötige Informationen zu „Stoffflüsse[n] und Zyklen“ sowie „Luftdünger“ mit auf den buschigen Leseweg. (Zumindest für den Autoren dieser Zeilen erwiesen sie sich als sehr nützlich, ist der Unterricht zu manch einer Formel sowie eines biochemischen Vorgangs doch ein wenig her und das Buch durchaus komplex.) Weiter geht es an Land und zu Wasser, in Schlamm aka Mooren und mitten rein in Industrie- wie Forschungsstätten. Im letzten Kapitel dieses lohnenswerten Parforceritts steht der Buchtitel als Frage: „Mit Pflanzen die Welt retten?“
„Eine seriöse Einschätzung des Erfolgs oder Misserfolgs einer Maßnahme ist also erst nach vielen Jahren möglich und sinnvoll.“ - S. 164
Zur Halb-Beantwortung ebendieser Frage kann der eben zitierte Satz herangezogen werden. Er bezieht sich auf die World Ocean Review 8, 2024, worin es um ein unerlässliches Monitoring von Renaturierung geht. Hier, offensichtlich, bezogen auf den Ozean. Konkret Mangrovenwälder und Salzwiesen im Zusammenhang mit so genannten Blue-Carbon-Ökosystemen. Womit wir schon im Mittelteil wieder am Anfang sind.
Denn selbst wenn die Tiefsee weniger erforscht ist als das All und so manch ein Planet in ihm (Grüße gehen raus an Rick & Morty!), wissen wir dennoch, wie wichtig das (pflanzliche) Leben im Ozean für unser (Über-)Leben ist. Falls nicht, ein Grund mehr, Kegels Ausführungen zu den möglicherweise die Welt rettenden Pflanzen zur Hand zu nehmen.
https://steadyhq.com/de/018e38c0-7a57-4e1c-b5b8-4c831b91d2f7/posts/b3c5f5ba-cabe-4990-90c1-159c504458dc (Si apre in una nuova finestra)Zuvor jedoch widmet sich Bernhard Kegel in seinem ebenfalls für den NDR Sachbuchpreis 2024 nominierten Band (Longlist) dem Lieblingsort der Deutschen (nein, nicht Mäckes!), den sie – leider zuletzt allzu völkisch und biologistisch statt naturwissenschaftlich und biologisch – immer wieder gern mit Heimat und Qualität verbinden: dem Wald. Mitnichten nur dem deutschen und schon gar nicht nur dem Wirtschafts- bzw. Nutzwald. Er schaut sich Aufforstungsprojekte in China an, blickt auf das Grüne Band in Afrika und dessen gemächliches Wachstum (was nicht zuletzt auch mit kriegerischen und ökonomischen Konflikten zu tun hat) und kritisiert, dass einige Fläche gar nicht „entwaldet“ seien, der Mensch nur einfach den Wert von Graslandschaften nicht erkenne.
Wir sägen am Klimaast, auf dem wir sitzen
Merksatz: Erst forschen, dann pflanzen! Was genauso für das Bauen mit Holz gilt. Denn dies könne schnell nach hinten losgehen und sei einfach eine kostenintensive Energierverschwendung. Sollte Bauen mit Holz also bedeuten, dass wir vermehrt auf Monokulturen statt Mischwald und eben vorrangig auf die erwähnten Nutzwälder setzen, mag es manch einem Wirtschaftszweig nutzen, nicht aber den Zweigen der Bäume.
Sehr aufschlussreich und voller spannender naturwissenschaftlicher Anekdoten ist der Abschnitt zum „verpönten Moor“, das wir haben „absacken“ lassen, bevor wir es „abgebrannt“ haben und nun feststellen: Oh, Shit! Irgendwie brauchen wir die Schlammkantine ja doch. Und bemerken, dass eine Wiedervernässung ein zeitintensiver, kostenträchtiger, überaus komplexer und ortsabhängiger Vorgang ist. Wie in jedem Kapitel beschreibt Kegel auch hier wieder die (meist) menschengemachte Problemlage, spricht mit Forscher*innen und Praktiker*innen, benennt (hypothetische) Lösungsoptionen und beschreibt Ansätze aus Theorie und Praxis.

Das liest sich besonders eindrücklich im letzten großen Abschnitt „Ein alter Traum – Energieerzeugung nach Art der Pflanzen“, in dem es um die „geisterhafte Photosynthese“, künstliche Blätter, Biogas, Lichtsättigung, umstrittene „synthetische Biologie“, teure Machbarkeitsstudien, usw., usf. geht. Komplex und schwindelerregend, buchstäblich und sprichwörtlich, mit Blick auf Gebirge und Photosynthese, ohne welche die „Erde ein trostloser Gesteinsball“ geblieben wäre und all die Fakten und Quellen, die uns hier um die zugigen Ohren fliegen.
Ergo: MIT PFLANZEN DIE WELT RETTEN verlangt uns nicht nur einige Aufmerksamkeit, sondern ebenso einen gewissen Grad an Resilienz ab. Gibt es doch viele unschöne und ärgerliche Informationen aufzunehmen sowie einiges kondensiertes Wasser, äh, Wissen zu verdauen. Am vergleichsweise knackigen Schluss geht es noch einmal darum, welche Maßnahmen bereits ergriffen worden sind, welche anstehen und welche in ferner Zukunft und möglicherweise fernen Welten liegen (dass vieles im Buch im Konjunktiv steht, bestätigt die weite Ferne manch eines Gedankens).
https://steadyhq.com/de/018e38c0-7a57-4e1c-b5b8-4c831b91d2f7/posts/c6825e0d-9010-470d-86c4-935f5f6419e4 (Si apre in una nuova finestra)Ebenso sei es „vollkommen absurd, „enorme finanzielle Mittel und unendlich viel Arbeit in die Aufforstung von Wäldern, die Wiedervernässung von Mooren und die Wiederherstellung von Seegraswiesen, Tangwäldern und Mangroven zu investieren und gleichzeitig die noch existierenden intakten Reste dieser Ökosysteme an anderer Stelle großflächig zu zerstören.“ Wichtig sei also, dass wir begreifen, dass Naturschutz Klimaschutz ist. Dass Machbarkeit und Nutzung wissenschaftlicher Erkenntnisse dabei immer auch „von aktuellen Koalitionen und Narrativen beeinflusst“ werden, erschwert so manches. Hierzulande sehen wir das daran, dass die neue Bundesregierung aus CDU/CSU und SPD den Posten der*des Meeresbeauftragten abgeschafft und dafür den eher in anderen Zusammenhängen fürs Abtauchen bekannten CDU-Politiker Christoph Ploß zum Koordinator der Bundesregierung für die maritime Wirtschaft und Tourismus ernannt hat. Das platziert die Ökonomie vor der Ökologie. Immerhin kommt er aus Hamburg.
„Wir können nicht warten, bis alle Fragen bis ins letzte Detail geklärt sind. Die Zeit drängt. Probleme werden am besten dann gelöst, wenn sie sich auf dem eingeschlagenen Weg stellen.“ - S. 164
AS
PS: Die Zwischenüberschrift mit dem "Klimaast” ist einem Gedanken aus dem Schlusskapitel, Seite 220, entnommen.
PPS: Das letzte Zitat bezieht sich auf eine Aussage des niederländischen Biologen und emeritierten Professors für Moorkunde und Paläoökologie an der Universität Greifswald, Hans Joosten, die im Rahmen eines Gesprächs mit Bernhard Kegel zum Buch fiel. Er bezog sich zwar auf Moore, doch kann der Satz im Grunde auf alle Bereich - Wald, Wasser, Luft - gemünzt werden.
PPPS: Mehr zum Sachbuchpreis, den Nominierten sowie dem Siegertitel gibt es kurz nach der Verleihung im Lauf der kommenden Woche.
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Eine Leseprobe findet ihr hier (Si apre in una nuova finestra).
Bernhard Kegel: Mit Pflanzen die Welt retten. Grüne Lösungen gegen den Klimawandel (Si apre in una nuova finestra); Oktober 2024; 288 Seiten; Hardcover, gebunden mit Schutzumschlag und Lesebändchen; ISBN: 978-3-8321-6850-6 ; DuMont Verlag; 25,00 €