DER KANZLER, DER TOD UND DAS MÄDCHEN
FILM-KRITIK
Nach dem sich steigernden Erfolg und der parallel wachsenden optischen Qualität wie Brutalität der John Wick-Filme war die Erwartungshaltung entsprechend hoch, als es hieß, dass das Wickiversum erweitert würde. Nach der eher mäßig ankommenden Serie The Continental startet mit From The World of John Wick: BALLERINA ein Film, der definitiv nicht John Wick ist und sich, bei allen Reminiszenzen und bekannten Figuren, als eigenständiges Action-Highlight ausmacht.

Unter der Regie von Underworld-Macher Len Wiseman und diversen Nachdrehs von Wick-Mastermind Chad Stahelski sowie dem Drehbuch von Shay Hatten, der schon die Chapter drei und vier schrieb, ist ein Film entstanden, der bei aller Absurdität Figuren und Geschichte ernst nimmt und die geneigten Zuschauer*innen mit einer schon beinahe empathischen Krawallorgie gefangen nimmt. Dazu ist Ana de Armas als Ballerina Eve Macarro eine gelungene Besetzung, die an keiner Stelle wie eine weibliche Kopie Wicks daherkommt.
Der kommt aber natürlich dennoch, insofern ist diese Ballerina auch was für Keanu Reeves-Hardliner. Der Film, der zeitlich um die Handlung des dritten Wick-Films Parabellum einzuordnen ist, beginnt damit, dass die junge Eve (Victoria Comte) mitansehen muss, wie ihr Vater Javier (sexy: David Castañeda) von einer Gruppe maskierter Killer und deren bis hierhin namenlosen Anführer (plastisch: Gabriel Byrne) in den Tod geschickt wird.

Allein, traurig und dezent bitter findet sie der uns gut bekannte Winston Scott (Ian McShane) und rekrutiert sie. In Ausbildung geht sie an der Ballettakademie der Direktorin (Anjelica Huston) und soll durch die harte Schule zu einer Ruska-Roma-Killerin werden. Eine Stütze ist ihr im Rahmen dieses Coming-of-Age-Trainings die zugewandte Noga (Sharon Duncan-Brewster). Nach Beendigung ihrer Ausbildung sowie einem Schnelltest in Kaltblütigkeit geht es zum ersten Einsatz in eisiger Club-Situation.

Bei diesem lassen sich zwei Dinge feststellen: Eva ist noch immer im Lernprozess – Schule und Einsatz sind eben doch ein Unterschied. Und sie weiß die Mittel ihrer Umgebung perfekt einzusetzen, um sich aus Fehler belasteten Situationen zu befreien. Das ist etwas, das sich durch den gesamten Film zieht und einige überraschende Freude mit sich bringt. Wenn sie etwa im letzten Drittel in einer Restaurant-Situation mit jedem Teller, Messer und Glas gegen eine verbissen Schürzen-Killerin kämpft.
Bis dahin allerdings vergeht einige Zeit, die uns dank einer soliden Handlung sowie wirklich stark gefilmter (Kamera: Romain Lacourbas), geschnittener (Jason Ballantine) und wie gewohnt bestens choreografierter Kampfsequenzen sehr kurzweilig scheint. Wenig überraschend dürfte es sein, dass sich Eve nach ihrer Ausbildung und ersten Feldeinsätzen entscheidet, den Killer ihres Vaters – den von Byrne gespielten „Kanzler“ – ausfindig machen und zur Strecke bringen zu wollen.
https://www.youtube.com/watch?v=0FSwsrFpkbw&t=1s (Si apre in una nuova finestra)Dafür legt sie sich mehr oder weniger direkt mit Hustons Direktorin an, muss einen Gefallen bei Winston einfordern und droht einen Krieg zwischen den Killer-Organisationen der Ruska-Roma und der dörflichen Sekten-Gruppe des Kanzlers anzuzetteln. Das erinnert natürlich stark an den vierten, mit Einnahmen von knapp 450 Millionen US-Dollar hart erfolgreichen Wick-Chapters. Nimmt sich dann wiederum aber doch als eigenständige Geschichte aus, da es überraschend familiär zugeht. Ob nun Wahl- oder Blutfamilie, irgendwie bleibt mensch hier mit Hand und Messer, Fuß und Granate unter sich.
Das sorgt in BALLERINA, in dem wir uns viel im osteuropäischen Raum sowie in Österreich bewegen, für besonders viel Spiel, Spaß und Spannung, wenn John Wick, der ein großes Vorbild für Eve ist, losgeschickt wird, um sie auf ihrem granat-starken Rachefeldzug zu stoppen. Dass das ganze von einem lakonischen Humor, einem besonderen Stoizismus und einer die bestehenden Verhältnisse hinterfragenden Zielstrebigkeit geprägt ist, zeichnet den kreativen Film aus.

Ana de Armas geht in ihrer Rolle als so nötig brutale, aber nie folternde Kämpferin/Killerin voll auf. Erneut haben die Macher*innen sich dabei so einiges einfallen lassen, um nicht einfach nur eine Kopie des Bekannten und Bewährten zu liefern. Dass die Stuntfrauen und -koordinatorinnen Anisha Gibbs, Cara Marie Chooljian, Erika Keck, Chau Naumova und Eniko Korcsmáros alles geben, ist offensichtlich und sollte geschätzt werden.
Ebenso sind einige der beeindruckendsten Szenen mit großem Aufwand gedreht worden und kommen nicht aus dem Computer. Als Beispiel sei der (durchaus sehr lange) Feuer-Wasser-Kampf im Kanzler-Dorf Hallstatt genannt. Überhaupt ist das Finale einen Ticken zu überbordend, da zieht sich diese BALLERINA etwas. Unter dem Problem litten allerdings auch schon die letzten zwei Wick-Filme.

Dennoch sei der Film für Fans solide gesottener Action, Frauen-Power und hübscher Ansichten von Waffen in Schädeln unbedingt empfohlen. Wick-Freund*innen gehen wohl ohnehin und wir freuen uns auf ein mögliches Wiedersehen und die weiteren Ideen from the World of John Wick. (Und Lance Reddick in seinem leider letzten Auftritt als erdenden Concierge Charon des Continental zu sehen, bereitet wehmütiges Vergnügen.)
AS
PS: Neuzugang Norman Reedus bleibt als Danile Pine seltsam blass und ist primär abwesend. Irgendwie scheint es, als wäre manch eine seiner Szenen der Schere zum Opfer gefallen.
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From The World of John Wick: BALLERINA startet am 5. Juni 2025 im Kino.