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Essen geht immer

 

Es war so ein Moment, da die Seele den Körper verlässt, eine Runde dreht und sich das Desaster ansieht, ehe sie verstört, wieder in den Leib kriecht, um Bericht zu erstatten.

Sie zuckte ein wenig zusammen, denn das Bild war verstörend unattraktiv: Ein Paar in einem Feinschmecker Restaurant, das zur Taube, zum Gockel, zum Hornvieh oder dergleichen hieß, es war das erste Viertel des neuen Jahrtausends, da nannte man teure Restaurants so. Nicht mehr Französisch, nichts mehr mit Maison au palais sanglant, sondern ehrlich, erdig waren die Namen, und die Inneneinrichtungen. Immer waren großkarierte Stoffe und dunkles Holz im Spiel,immer standen exquisite große Stehlampen mit Textilschirmen auf alten rustikalen Beistelltischen sie flüsterten: Alles soll so bleiben, wie es niemals war.

Vermutlich gab es für Designer ein Programm oder eine Schiss KI ermittelte alle Eckpunkte der gestalterischen Vorlieben wohlhabender Menschen enthalten waren. Auf Englisch. Die Designsprache. Use a kind of Bauernmöbel but they must be made from Teakholz.

Alles im Leben folgte Codes. Stillen Übereinkünften, Gesetzen, die das Leben erleichterten, denn Routine schenkte einem eine gewisse Freiheit. Leute wie sie trugen unabhängig von ihrer Verfassung immer die gleichen Trikotagen. Kaschmirsakkos, edle Rollkragen, Hosen mit Bundfalten, Polo Shirts, wenn es leger sein sollte. Alle um sie sahen aus, wie sie. Da saßen Bauunternehmerinnen, Verwaltungsrat Mitglieder und Halbleiterplattenherstellungsfirmenbosse mit Partnern, die Innendesign machten oder Dentalhygienekliniken besaßen und aßen und redeten dabei darüber, was sie im Verlauf ihres Lebens schon zu sich genommen hatten. Die Namen kleiner Guide de Michelin Lokale in der Provence, Molekularküchengurus in Spanien, und Fernsehköche in der Schweiz rieselten leise durch den Raum, während die Menschen auf den nächsten Gang warteten. Acht Gänge- Alter!

Es benötigte selbst bei sehr langsamen Kauen höchstens 6 Minuten, um das Zeug aufzunehmen das in kleinen Näpfchen, Schüsselchen, Löffelchen gereicht wurde, dann wurde wieder gewartet, eine halbe Stunde. Das bezahlte man im Anschluss, diese Zeit der Langeweile, des sinnlosen Geredes und das Gefühl sich durch die verspürte Langeweile wirklich einen guten Bissen verdient zu haben. Die Gourmets von heute, das waren keinen runden lustig bacchantischen Schlemmer, sondern Macher. Entscheiderinnen, die viel Geld dafür bezahlten, dominiert zu werden,

Und sie mittendrin.

Noch drei Stunden essen mindestens. Und reden. Über Essen. Wie jeder Mensch fühlte sie sich anders, einzigartig, sie gehörte nicht zur Gruppe dieser etwas stereotypen oberen Mittelschicht, sie erfüllte zwar scheinbar alle optischen Attribute, aber innen war doch alles nicht viel anders als damals, als sie zwanzig war oder in einem ähnlichen Alter, an das sie sich nicht mehr erinnern konnte, weil es zu weit entfernt schien.

Ihre Frau steckte sich gerade ein Stück flambiertes Tofubein in den Mund. Ihr Gesicht verwandelte sich in das einer wiederkäuenden Kuh, was ihr nicht unangenehm war, denn Kühe waren über jeden Zweifel erhaben.

An den übrigen Tischen sassen—Reptilen, Hyänen und Frettchen und sie entfernte sich von allem---

 Da war sie, fast 30 Jahre früher. In einem gelben Untermietszimmer, in ihren Ohren rauschte es, von zu viel Stille. Sie war müde, es war kalt. Nachts arbeitete sie an der Kasse eines Clubs. Oder in der Reinigung. Oder als Küchenhilfe. Geld hatte sie nie, und solche Angst und keine Ahnung wovor. Die Welt war zu groß, und sie noch zu jung, um irgendeinen Platz darin einzunehmen. Essen hieß damals für sie eingepackter Schmelzkäse und Knäckebrot, Tütensuppen und Äpfel, immer Hunger und   unglücklich sein und sich sehnen. Mit einer Stärke, die ihr in ihrem heutigen Leben völlig abhandengekommen war. Etwas so sehr zu wollen, und nicht zu wissen was. Ihr Hunger damals, war mit dem, was sie sich leisten konnte, nicht zu stillen gewesen. Sie erinnerte sich daran, dass sie einsam gewesen war, es war ihr nicht gelungen, mit anderen zu fühlen, sie konnte deren Gesichter nicht lesen, und die Absichten dahinter.  Es rauschte in ihren Ohren, sie saß auf dem Bett in einem hässlichen Zimmer und hatte solche Angst, dass es niemals anderes werden könnte. Keiner der ihr gesagt hätte: Das ist nur die Jugend, die wächst sich aus, du musst einfach durchhalten bis du dreißig bist, dann weißt du auch nicht viel mehr, aber es wird dir egal sein. Furchtbare Jahre beschied sie, als der nächste Gang kam.

Sie hörte sich etwas mit ihrer Frau reden, hörte sich lachen, so machten das alle. Kopieren, Was der formale Rahmen unter dem Stichwort- Beziehung -vorgab, aber die meisten waren gar nicht da, sondern an einem Ort wo missgestaltete Tiere an Brunnen tranken.

Schnell wieder weg

Da war sie,

mit Mitte dreißig. Sie war zufrieden. Sie arbeitete irgendetwas, was noch nicht perfekt war, aber angenehmer als Büros zu reinigen. Sie hatte gelernt Kontakt zu anderen zu haben, wenn auch nicht zu Männern, die waren ihr zu fremd. 

Es war das Alter, in dem man sich mit Freunden zum Essen traf, was meinte, man ging zu einem Italiener, oder zum Imbiss, man verbrachte seine Zeit mit anderen Alleinstehenden, die meisten hatten sich noch nicht in Kleinfamilien oder in therapeutische Einrichtungen verabschiedet. Der Kühlschrank war gefüllt, und sie frühstückte regelmäßig und ging zur Dentalhygiene.

Dann- ein kleiner Sprung in ihrem Leben: Die Zeit zwischen dreißig und vierzig,

wenn man nicht mehr an Wunder glaubt, aber doch noch ein wenig darauf hofft. Dass einem etwas zustünde, einfach weil man den Mist auf sich nahm, weil man sich ankleidete, Formulare ausfüllte, enttäuscht wurde, fror, das musste doch belohnt werden, konnte doch nicht sein, dass die tausend anderen Embryonen das große Los gezogen hatten Sie fühlte sich noch jung, stand auf dem Balkon ihrer überschaubaren Wohnung, sah den Schwalben zu und der Hunger war leiser geworden. Es ließ sich aushalten, ihr Leben, wenngleich sie ein wenig müde wurde, bei dem Gedanken es noch 40 Jahre in der gleichen Form fortzusetzen.

Das Dessert.

Und fast waren Körper und Seele wieder deckungsgleich.

Vor zehn Jahren, hatte sie ihre Frau getroffen, neben der sie gut einschlafen konnte.  

Sie war des Alleinseins müde und wartete nicht mehr auf große Leidenschaften, die hatte sie für untauglich befunden. Es schien ihr, als sei sie nach Ende ihrer Pubertät in einen leichten Schlaf gefallen, und Jahre später erwacht, in einem zu Hause, in dem wesensfremde Dinge standen, mit einem Herz, das machte ihr Sorgen manchmal. Es war so langsam geworden, so träge und nichts vermochte sie mehr zu erregen. Die Dummheit nicht, die Verlogenheit und Gier, die Dauerkrisen, Kriege, die Erkenntnis, dass Menschen weder gut noch schlecht waren, sondern meistens einfach träge,

 sie hatte sich damit abgefunden,

eingesehen, dass man seine Zeit nur durchhalten musste. Wann genau es begonnen hatte, dass sie nicht mehr las, sondern Filme streamt, dass sie nicht mehr dachte, sondern Zeitungsartikel wiederholte, Dass sie irgendwie glaubte es sich verdient zu haben, dass sie nicht arbeitslos war, ihre Wohnung noch hatte, nicht fliehen musste und eine Art Stolz auf ihre Herkunft empfand, wusste sie nicht, es fiel vermutlich mit der Leidenschaft für Spitzenküche zusammen und der Erkenntnis, das ihre Wohnung eingerichtet war. Reisen zu gefährlich geworden war, die Arbeit nur noch ein Durchhalten war, wenngleich ein gut bezahltes. Vielleicht hatten sie irgendwann entdeckt, dass es wirklich Unterschiede in der Qualität der Nahrung gab, hatten herausgefunden, dass ein teurer Wein besser schmeckte, als ein billiger, dass man sehr erlesenen Fisch kaufen konnte, wenn man bereit war für hundert Gramm 30 Franken zu bezahlen, und dass es Alternativen zum Italiener um die Ecke gab. Wie alles im Leben konnte man auch in diesem Bereich tiefer gehen, weiter, über Grenzen, und irgendwann waren auch die Preise für hundert Gramm Trüffel normal, und wenn ein Restaurant keinen Stern aufwies, musste man über seinen Besuch nicht nachdenken.

Nie mehr Hunger zu haben. Einen Menschen neben sich, der freundlich war und von leisem Temperament, keine Angst mehr, außer der, vor dem Tod, der mit jedem Restaurantbesuch ein wenig näherkam, dass war ihr Leben und es jetzt noch zu verändern ein Akt, der einer Kraft bedurfte, die sie nicht mehr hatte. Und ändern—in was? 

Der Espresso wurde serviert, und sie kehrte zurück.

Sah den Menschen ihr gegenüber, dessen Kopf ein wenig gerötet war, und der eine große Zufriedenheit ausstrahlte. Er hatte gut gegessen, der Mensch, von dem sie wenig musste. Parameter, Geschichten. Fotos, doch nie würde sie wissen, wie es wäre, ihre Frau zu sein.

Sie würden gleich in einem nach Leder riechenden Auto in eine nach Blumen reichende Wohnung fahren, sich gereinigt nebeneinander legen und einschlafen, erwachen in einem neuen Tag, der ohne weitere Sorgen auf sie wartete. Die glücklichste Zeit ihres Lebens war jetzt. Was war falsch daran, nichts mehr zu wollen, außer vielleicht ein wunderbares neues Restaurant, einen erlesenen Wein zu entdecken? Viel mehr war es doch nicht, was von einem blieb. Ein Körper, im besten Fall ein wohlgenährter, der Futter würde. Da war nichts Schlechtes, am Satt sein. Dachte sie, und war wieder eins, nach dem Moment der Verwirrung, die einen befällt, wenn die Seele kleine Ausflüge unternimmt. Eins mit sich und der Welt, die grauenhaft war. Hatte sie gelesen.

Argomento Sehr unterhaltsame Texte

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