Raab in Gefahr
Montagmorgen. Du liest die Blaupause, den Newsletter, mit dem du Communitys besser verstehst und erfolgreich Mitgliedschaften anbietest. Diese Woche: Was das Comeback von Stefan Raab mit der Zukunft des Fernsehens zu tun hat.
Hallo!
Hast du am Wochenende den Stefan-Raab-Kampf im Fernsehen gesehen? Nein, ich auch nicht.
Trotzdem (oder deswegen) gibt es aus dem Comeback interessante Entwicklungen der Medien abzulesen. Um die geht es in dieser Ausgabe.
Als ich noch ausschließlich als Journalist gearbeitet habe, hatte ich ein ausgeprägtes Interesse am sogenannten Medienjournalismus (Si apre in una nuova finestra). Das ist ein sehr kleiner, aber feiner Zweig des Journalismus, der sich mit der Medienindustrie beschäftigt, also Verlagen, Sendern und Medienkonzernen. Und außerdem mit Medienkritik: Was läuft schief bei den lieben Kolleg:innen und in den Medien im Allgemeinen? Es ist eine Form der Kunstkritik – wenn man Fernsehen, Radio, Zeitungen, Zeitschriften und Webseiten als Kunstformen ernst nimmt. All das habe ich damals wirklich sehr ernst genommen (und tue es immer noch).
Als Raab kurz eine Offenbarung war
Ein Blick auf die Medien, den ich in dieser Zeit cool fand, war „High Brow on Low Culture“, also mit akademisch erhobenen Augenbrauen auf die Populär-Kultur zu schauen, ohne sie zu verachten. Die Zeiten dafür waren gut: Serien wie „Die Sopranos“, „Sex and the City“, „Curb your Enthusiasm“ brachten eine neue Qualität ins Fernsehen. Aber auch in Deutschland wurde es interessanter, unter anderem durch den Einfluss des Musiksenders Viva, wo auch Stefan Raab seinen Anfang nahm. „TV Total“, seine erste, noch wöchentliche Show im großen Fernsehen, war damals ganz kurz (und leider nur vorübergehend) eine Offenbarung.
An all das musste ich am Wochenende denken, als eben dieser Raab seine ollste Kamelle unters Volk brachte, um ein möglichst grelles Show-Comeback zu inszenieren, und zum dritten Mal gegen die Ex-Box-Weltmeisterin Regina Halmich antrat.
Wie Raab RTLs Geschäft retten soll
Warum das Ganze? Das hat einen interessanten Hintergrund – zumindest interpretiere ich die Sache so, ohne tief im Thema zu sein. Ich schätze, dem linearen Privatfernsehen geht absehbar das Geld aus. Die beiden großen privaten Fernsehgruppen ProSiebenSat.1 und RTL sehen in ihren Umsatztabellen, dass ihr mittelfristig Geschäftsmodell zur Neige geht, wenn sich die Kurven nicht verändern. Es gibt weniger Werbebuchungen, und diese Entwicklung vollzieht sich womöglich schneller als prognostiziert.
Wenn die Sendergruppen in Zukunft kein Geld mehr damit verdienen, Werbung im frei empfangbaren Fernsehen zu zeigen, sind sie in einer ähnlichen Situation, wie die Zeitungen und Zeitschriften seit zehn Jahren: Sie müssen ein bisher noch einigermaßen gut funktionierendes Geschäftsmodell betreiben, gleichzeitig aber ein komplett neues Modell daneben aufbauen, das aber sehr unterschiedliche Mechaniken verfolgt.
Am Samstag erst hat die Taz auf ihrer Genossenschaftsversammlung beschlossen, dass im kommenden Oktober ihre letzte gedruckte Ausgabe als Tageszeitung erscheint – lobenswert transparent und vernünftig. Anstelle des Print-Abos ist ein am Wochenende gedrucktes Paket Papier dann nur noch Teil eines neuen Journalismus-Zahl-Angebots.
https://taz.de/In-eigener-Sache/!6036349/ (Si apre in una nuova finestra)Das Ende des linearen Fernsehens zeichnet sich ab
Ähnlich Schwieriges müssen die beiden Paid-Ableger RTL+ beziehungsweise Joyn für ProSiebenSat.1 leisten: von einem Werbemodell in ein Abomodell zu wechseln, ohne das Geschäft zu zerstören. Sie müssen also völlig neue Inhalte produzieren für ihre Streamingdienste, für die sie Geld verlangen. Und das in einem Markt, in dem große Konkurrenz herrscht – nämlich durch Netflix, Disney+, Amazon Prime Video und andere Streamingdienste aus Übersee. Die sind weit voraus bei der Qualität der Inhalte, aber eben auch bei der Technologie – also der Software, mit der diese Inhalte auf allen denkbaren Endgeräten super reibungslos funktionieren müssen.
Vor wenigen Wochen gab es eine wenig beachtete Meldung (Si apre in una nuova finestra), die ich so verstehe, dass RTL seine komplette Tech-Infrastruktur für das Streaming von RTL+ einstampft und an ein Joint-Venture namens Bedrock nach Frankreich auslagert. Es scheint einfach zu komplex zu sein, in Deutschland ein konkurrenzfähiges Streaming-Produkt zu entwickeln. Stattdessen tut man sich mit europäischen Schwesterunternehmen zusammen und setzt auf eine Standard-Plattform.
Ich glaube, das ist gut so. Es bestünde sonst die Gefahr, dass der Konzern ähnliche Fehler begeht wie zuvor die Zeitungs- und Magazinverlage, indem er seine Möglichkeiten überschätzte.
Homophob, frauenfeindlich und gemein
Vor diesem Hintergrund lässt sich erklären, warum die neue Raab-Show und der Exklusivvertrag über fünf Jahre zustande gekommen sind, die er mit RTL geschlossen hat – und damit dem ehemaligen Endgegner, als er noch das Gesicht von ProSieben war. Seine neue wöchentliche Sendung wird nämlich gar nicht im Fernsehen laufen, sondern nur in der RTL+-App, zu sehen nur für zahlende Kund:innen. Raabs Aufgabe ist es offenbar, das Interesse an RTL+ enorm zu erhöhen, um den Umstieg vom linearen Fernsehen zu einem digitalen Bezahl-Streamingdienst zu beschleunigen.
Mit anderen Worten: Bei RTL steigt das Wasser in Richtung Hals. Die Macher:innen setzen darum viel Geld auf einen Mann, dessen beste Ideen lang her sind, damit ihnen nicht wirtschaftlich die Luft ausgeht.
Riskant. Denn die großen Raab-Shows von damals scheinen völlig aus der Zeit gefallen, wenn man sich alte Clips anschaut, die dann doch überraschend homophob, frauenfeindlich und schlichtweg gemein auf allen Ebenen sind. Kann er mit so etwas heutzutage selbst das Publikum von damals noch hinter dem Ofen hervorlocken und dazu bewegen, auf ihre alten Tage ein RTL+-Abo abzuschließen? Sollte man so jemandem die Zukunft eines ganzen Konzerns ausliefern? No pressure!
Wenn er eines kann
Optimistisch betrachtet ist es keine allzu gewagte Wette. Niemand in Deutschland kann Show so gut wie Stefan Raab. Ich habe vor zwanzig Jahren mal genau darüber in einem Interview mit ihm gesprochen – nämlich über die Fähigkeit, in einem Land, das für den großen Auftritt keine gute kulturelle Sprache hat, Show-Effekte zu erzeugen. Kaum jemand ist so kreativ und produktiv darin, auf der Glatze deutsches Fernsehen Locken zu drehen. Es macht heute noch Spaß, die ersten zehn Minuten der von Raab produzierte Düsseldorf-Ausgabe des Eurovision Song-Contest von 2011 anzuschauen. Das ist – bei allem nur notdürftig ironisch gebrochenem Größenwahn – eine geile Show.
https://youtu.be/uJd3eO9MEgo?si=UOg6_x4jG1FAZpNz (Si apre in una nuova finestra)Und 13 Jahre her.
Bis nächsten Montag,
👋 Sebastian
PS:
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