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Plinius, der Jüngere - Der Untergang von Pompeji (ca. 100 n.Chr)

Liebe Leserinnen, liebe Leser,

ich bin großer Fan von Joachim Telgenbüschers Podcast "Was bisher geschah". Er ist großartig erzählt, springt in einem atemberaubenden Veröffentlichungstempo durch die Geschichte und bringt immer wieder spannende Themen. In einer der letzten Doppelfolgen ging es um den Untergang von Pompeji (Si apre in una nuova finestra) und dabei natürlich auch um die berühmten beiden Briefe von Pliniuis dem Jüngeren.

Das habe ich zum Anlass genommen, um die Briefe nochmal in Gänze zu lesen und da mein Lateinunterricht jetzt gefühlt so lange her ist wie das römische Reich, habe ich mir eine Übersetzung gesucht. Ein Brief eines römischen Aristokraten an einen römischen Geschichtsschreiber ist natürlich keine Reportage im klassischen Sinn - aber wir fassen hier den Begriff ja locker auf und wenn es interessant ist, bin ich sehr großzügig.

Keine Angst - ihr bekommt ebenfalls die Übersetzung und müsst nicht die alten Traumata von der 5 in Latein mit dem Ablabs und all dem aufarbeiten. Wer will, findet natürlich problemlos auch den lateinischen Originaltext in diesem Internet.

Ein Hinweis in eigener Sache: Ab dieser Ausgabe wechselt unser Newsletter auf einen zweimonatigen Publikationszyklus. Grund dafür ist ganz banal, dass mir irgendwann die Reserven an Reportagen ausgehen und dieser Newsletter eben nicht als Nacherzählung von Egon Erwin Kischs gesammelten Werken enden soll. Der hat nämlich viel geschrieben - aber ansonsten setzt uns das viel zu lange bis 70 Jahre nach dem Tod greifende Urheberrecht sehr harte Grenzen. Wer Anregungen für weitere Reportagen und Autoren hat - ich freue mich über jeden Hinweis. Antwortet einfach auf diese Mail.

1. Brief an Tacitus:

„Mein lieber Tacitus, Du wünschst dass ich Dir das Ende meines Onkels beschreibe, damit Du es der Nachwelt wahrheitsgetreuer überliefern kannst. Ich danke dir dafür, denn ich weiß, dass seinem Tod, falls er von Dir dargestellt wird, unsterblicher Ruhm beschieden ist.

Er war in Misenum und befehligte persönlich die Flotte. Am 24. August, etwa um ein Uhr mittags, meldete ihm meine Mutter, es zeige sich eine Wolke von ungewöhnlicher Größe und Gestalt. Er hatte ein Sonnenbad genommen, darauf kalt gebadet, liegend etwas gegessen und war eben in seine Studien vertieft. Er verlangt seine Schuhe und erstieg eine Anhöhe. Von wo er diese Wundererscheinung am besten betrachten konnte. Die Wolke erhob sich – für die von weitem Schauenden war es undeutlich, von welchem Berg dies kam. Dass es der Vesuv war, wurde erst später bekannt. Der Form nach schien es ein Baum und zwar am ehesten eine Pinie. Denn sie wuchs wie auf einem sehr hohen Stamm empor und breitete gewissermaßen Äste aus.

Dies schien ihm, als einem wissensdurstigen Manne, wichtig und wert, näher betrachtet zu werden. Er befiehlt, einen Schnellsegler seefertig zu machen…… Er eilt dorthin woher die andern fliehen, und steuert in geradem Kurs auf die Gefahr zu, so ganz frei von Furcht. Er ließ alle Veränderungen, alle Phasen dieses Unheils, wie er sie wahrnahm, diktierten und aufzeichnen.

Schon fiel Asche auf die Schiffe. Je näher sie herankamen, desto heißer und dichter wurde diese. Schon fielen auch Bimssteine und schwarze, halbverbrannte und von der Hitze geborstene Steine herab. Schon zeigte sich plötzlich eine Untiefe, und durch den Bergsturz wurden die Ufer unzugänglich. Er zögerte einen Augenblick, ob er umkehren solle, dann sagte er dem Steuermann, der zur Umkehr riet: „ Dem Mutigen hilft Gott! Vorwärts zum Pomponianus!“

.. Er umarmte den Ängstlichen, tröstet ihn, munterte ihn auf und lässt sich, um dessen Furcht durch seine eigene Sorglosigkeit zu beheben, ins Bad tragen. Nach dem Bad liegt er zu Tisch und speist frohgemut oder, was gleich groß ist, tut, als sei er frohgemut……. Sie beraten gemeinsam, ob sie im Hause bleiben oder sich im Freien aufhalten sollten. Denn infolge häufiger und heftiger Beben, begannen die Häuser zu schwanken und schienen, gleichsam aus ihren Fundamenten gehoben, sich bald hierhin, bald dorthin, zu bewegen..

Unter freiem Himmel andererseits war das Herabfallen der, wenn auch leichten und vom Feuer angefressenen, Bimssteine zu fürchten. Man entschloss sich nach einem Vergleich der Gefahren doch zu dieser Lösung. Bei meinem Onkel allerdings trug ein Vernunftgrund über den andern den Sieg davon. Bei den übrigen eine Furcht über die andere. Sie legen Kissen auf den Kopf und binden diese mit leinenen Tüchern fest.

Dies war ihr Schutz gegen die herabfallenden Steine. Schon war es anderswo Tag, hier aber Nacht, schwärzer und dichter als alle Nächte. Doch erhellten sie viele Fackeln und verschiedene Lichter. Man beschloss, zum Strand zu gehen und aus der Nähe zu schauen, ob das Meer schon einen Versuch gestattete. Es war immer noch stürmisch und der Wind blies aus der Gegenrichtung. Hier legte sich mein Onkel auf ein ausgebreitetes Leintuch, verlangte mehrmals kaltes Wasser und trank. Dann treiben die Flammen und der Vorbote der Flammen, der Schwefelgeruch, die andern in die Flucht. Ihn veranlassen sie zum Aufstehen. Gestützt auf zwei junge Sklaven erhob er sich und brach sogleich wieder zusammen, weil ihm, wie ich vermute, durch die zu dicke Luft das Atmen verunmöglicht und die Luftwege verschlossen wurden. Diese waren bei ihm von Natur aus schwach und eng und häufig entzündet ."

2. Brief an Tacitus:

Plinius entbietet Tacicus seinen Gruß:

„Du sagst mir, dass du von dem Brief, den ich dir auf deinen Wunsch über den Tod meines Onkels schrieb, neugierig gemacht, nicht nur etwas über die ausgestandenen Ängste zu erfahren wünscht, sondern auch über die Ereignisse, die mir widerfuhren, der ich in Misenum blieb (in der Tat wollte ich sie dir schon in meinem vorhergehenden Brief erzählen).“

Wenn es mich auch bis ins Innerste aufwühlt, sobald ich nur daran denke, werde ich beginnen:

Nach der Abreise des Onkels verbrachte ich meine Zeit mit Studieren (denn gerade deswegen war ich da geblieben). Nach dem Bad aß ich dann zu Abend und ging zu Bett. Der Schlaf war unruhig und kurz. Schon viele Tage vorher hatte die Erde gebebt, ohne jedoch große Panik zu verursachen. Dieses Phänomen ist in Campanien häufig. In jener Nacht, jedoch wetterte es so sehr, dass wir glauben mussten, dass das Haus sich nicht nur bewegte, sondern tatsächlich umgeworfen würde.

Als meine Mutter in mein Zimmer eilte, wollte ich gerade aufstehen, um sie zu wecken, falls sie geschlafen hätte. Dann fanden wir Zuflucht im Hofe des Hauses, welcher die Wohnung nur wenig vom Meer trennt. Ich weiß nicht ob ich es Mut oder Unvorsichtigkeit nennen soll (ich ging auf meine 18 zu), jedenfalls bat ich um ein Buch von Titus Livius. Fast aus Zeitvertreib fing ich zu lesen an und machte Zusammenfassungen. Ein Freund des Onkels erschien, der kurz zuvor aus Spanien zu ihm gekommen war, und tadelte ihre Geduld und meine Sicherheit. Da er mich und meine Mutter so ruhig sitzend sah, und dass ich selbst sogar las, . . .

Der Tag hat nunmehr seit einer Stunde begonnen. jedoch noch mit schwachem, unsicherem Licht. Im Inneren der Häuser herrschte schon Verwüstung. Vor uns, die wir uns im Freien befanden, stand das Schreckensgespenst neuer Einstürze groß und unabwendbar vor Augen…. Schließlich schien es uns dann logisch die Stadt zu verlassen. Es folgte uns eine entsetzte Menge, die von der Panik des Schreckens ergriffen, statt der eigenen Vorsicht zu vertrauen, dem Rat der Andern folgt, und während wir weitergingen, wurde das Gedränge der Massen immer größer. . . .

Nachdem wir das Stadtzentrum verlassen hatten, hielten wir an. Hier erlebten wir gleichzeitig Verwunderung und Angst, denn die Karren, die wir uns bringen ließen, schaukelten, obwohl der Boden ziemlich eben war. Dies geschah in entgegen gesetzten Richtungen und es gelang uns nicht, sie am selben Platz festzuhalten, auch wenn wir sie mit großen Stein Blöcke abstützten.

Wir sahen wie das Meer sich zurückzog, fast wie von dem Erdbeben zurückgeschoben. Der Küsten streifen verbreiterte sich und auf dem trockenen Sandstrand waren viele Meerestiere zurückgeblieben. Auf der entgegen gesetzten Seite war eine schwarze, drohende Wolke, die sich von den hervorschnellenden glühenden Dämpfen durchbrochen in langen Flammen-Figuren auseinanderzog. Sie glichen Blitzen, waren jedoch größer. Nun nahm der Spanier die Rede auf:“ Wenn euer Bruder und Onkel lebt, und wenn er tot ist, wünscht er dass ihr überleben möget.

Wieso zögert Ihr also zu fliehen?“ Wir antworteten, dass wir nicht an unsere eigene Rettung denken könnten, solange wir der seinen nicht sicher wären. Daraufhin floh er. Es verging nicht viel Zeit bis jene Wolke auf die Erde herab fiel und das Meer bedeckte. Sie hatte Capri und das Promontorium von Misenum eingehüllt. Erst dann bar und ermahnte mich meine Mutter dringend, auf jeden Fall zu fliehen. Denn ich sei jung und dazu in der Lage. Sie hingegen würde ruhig sterben, wenn nur nicht ihre im Laufe der Jahre entstandene Körper fülle der Grund auch für meinen Tod würde.

Also nahm ich sie bei der Hand und zwang sie den Schritt zu beschleunigen. . . Schon viel die Asche, wenn auch in diesem Moment noch spärlich. Ich wandte mich um: im Rücken hatten wir eine dichte Wolke, welche uns folgte. Gleich Wildbächen schüttete sie sich über die Erde aus. „Kehren wir um, sagte ich, solange man noch etwas sieht und bevor wir auf der Strasse von der flüchtenden Menge im Dunkeln überrannt werden.“

Wir hatten uns gerade hingesetzt als über uns die Nacht hereinbrach. Nicht wie eine wolkige Nacht ohne Mond, sondern wie sie in geschlossenen Räumen ohne Licht erscheint. Hättest du die Seufzer der Frauen, das anhaltende weinen der Kinder oder die Ehegatten, welche sich an der Stimme zu erkennen suchten. Diese das eigene Schicksal beweinend, jene das der Verwandte. Es gab auch einige, die aus Angst sterben wollten, um wer weiß was für einem Tod entgegenzugehen.

Viele erhoben die Hände zu den Göttern und viele andere sagten, dass es keine Götter mehr gäb. Daß dies die letzte Nacht für die Welt sei. Es fehlten auch nicht diejenigen, welche die wirkliche Gefahr mit eingebildeten und erlogenen Schreckensnachrichten erhöhten. So glaubte man an die Falschmeldungen, dass zu Misenum jedes Haus brannte und jenes andere schon eingestürzt sei.

Für kurze Zeit wurde es wieder hell. Es schien uns aber kein Tageslicht zu sein, sondern das Feuer, das auf uns zukam. In Wirklichkeit war die Gegend, bis zu der das Feuer gelangte, ziemlich weit entfernt. Dann war es wieder Nacht und Aschenregen viel schwerer und dichter. Ab und zu standen wir auf, um ihn abzuschütteln, damit wir nicht zugedeckt würden und vom Gewicht erstickten.

Ich könnte mich rühmen, dass mir bei so großer Gefahr nicht ein einziger Seufzer oder ein wenig männliches Wort entschlüpfte. Obwohl ich überzeugt war, dass ich mit allen Dingen und die Dinge mit mir untergingen, denn bei allem Elend schien mir der Tod ein Trost.

Schließlich ließ die Eintrübung nach und löste sich fast in Dunst und Nebel auf. Gleich darauf erschien tatsächlich der Tag und auch die Sonne leuchtete wieder, jedoch blass wie bei einer Sonnenfinsternis. Den noch angstvoll zitternden Augen schien alles verändert und mit einer dichten Aschenschicht, fast wie von Schnee bedeckt.

Wir kehrten nach Misenum zurück, und nachdem wir uns wieder hergerichtet hatten, verbrachten wir eine unsichere und angstvolle Nacht zwischen Hoffnung und Furcht. Es herrschte jedoch die Furcht vor, denn die Erde fuhr fort zu beben und viele, die den Verstand verloren hatten, spöttelten mit schauerlichen Weissagungen über ihr eigenes und der anderen schlimmes Schicksal. Trotz der erlebten und noch durchzustehenden schrecklichen Ereignisse, beschlossen wir nicht einmal jetzt abzureisen, bevor wir keine Nachricht von unserem Onkel erhalten hätten.

Natürlich wirst Du diese Dinge lesen, ohne darüber zu schreiben, da sie unwürdig sind, in die Geschichte einzugehen, und wenn Du sie nicht einmal eines Briefes würdig halten solltest, fällt die Schuld dafür dir selbst zu, denn du hast ihn von mir verlangt.

Also lebe wohl.

Plinius der Jüngere