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Warum hast Du mich nicht umgebracht

 „Ist ihre Frau mit ihnen zwangsverheiratet“, fragt der Vorsitzende Ornob. „Nein. Ihr Vater war einverstanden.“

Vor Beginn der Verhandlung fragt der Vorsitzende der Großen Strafkammer die Schüler, die im Zuschauersaal sitzen, wie alt sie sind. „Diese Verhandlung ist für Kinder und Jugendliche unter 18 Jahren nicht geeignet“; er bittet die zwölf, dreizehn Jahre alten Kinder den Saal zu verlassen.

Ornob Rahman Lashkar ist wegen schwerer Körperverletzung angeklagt. Er hat seiner Frau Shoma Bindu eine Tasse mit siedendem Speiseöl über das Gesicht gegossen, „um sie hässlich zu machen. Damit sie keinem anderen Mann mehr gefällt“.

So steht es in der Anklageschrift.

Ornob wird in Handschellen vorgeführt. Ein Dolmetscher für Bengali nimmt neben dem Mann, der seit vierundzwanzig Jahren in Deutschland lebt, Platz.

Shoma, deren rechte Gesichtshälfte und die zur Abwehr erhobene rechte Hand verbrannt wurde, ist seit zehn Jahren in Deutschland. Ornob hat sie in Bangladesch geheiratet, ihr erster Sohn ist noch dort geboren worden. Sie ist beinahe achtzehn Jahre jünger als ihr Mann. Beider gemeinsamen Söhne, fünfzehn und sechs heute, waren bei dem Attentat auf ihre Mutter dabei.

Shoma kommt in Begleitung eines Zeugenbeistands. Als sie den Saal betritt, heult ihr Mann los. Da Shoma kein Deutsch spricht, muss sie permanent in seine Richtung schauen, da der Übersetzer neben Ornob sitzt. Sie beruft sich auf ihr Zeugnisverweigerungsrecht. Anders, als in den Vorgesprächen mit ihrem Anwalt abgesprochen, widerspricht sie auch der Verwertung ihrer Aussagen bei der Polizei vor Gericht. Als ihr die entsprechende Frage danach gestellt wird, schütteln Ornob und sein Verteidiger leicht mit dem Kopf. Die Staatsanwältin sieht das, der Anwalt von Shoma auch. Er protestiert gegen die „Beeinflussung der Zeugin“. Es wird kurz laut zwischen den Strafverteidigern. Die Ärzte entbindet Shoma jedoch von der Schweigepflicht.

Ihr Mann möchte eine Erklärung abgeben, meldet sich Ornobs Verteidiger. „Frau Lashkar, möchten sie die hören?“, fragt der Vorsitzende. Während Ornob jammert und klagt, wie leid ihm die Sache täte, schaut sie gesenkten Kopfes vor sich hin. „Was soll ich sagen“, übersetzt der Dolmetscher ihre Worte danach. „Ich möchte meinem Mann vergeben. Er ist krank und hat einen Fehler gemacht und wird in Zukunft so etwas nicht mehr machen.“ Sie setzt hinzu: „Ich habe auch Schwierigkeiten, hier zu leben“.

Die Notrufe werden abgespielt. Zahir, der damals vierzehn Jahre alte Sohn, ist zu hören: „Mein Vater hat meiner Mutter heißes Öl ins Gesicht getan.“ Man solle schnell kommen, „Schnell, schnell und einen Krankenwagen“ besorgen. Im Hintergrund sind die entsetzlichen Schreie der Mutter zu hören. Der Polizist versteht den Jungen, der erstaunlich orientiert klingt, nicht: „Ihr Vater hat ihre Mutter geschlagen?“- „Nein! Heißes Öl ins Gesicht!“ Zahir lindert die Folgen des Angriffs, denn er zerrt seine Mutter ins Bad und lässt kaltes Wasser über ihr Gesicht rinnen, bis die Rettungskräfte kommen und Shoma in eine Spezialklinik für Verbrennungsopfer bringen. Die Polizei folgt dem Krankenwagen mit den Söhnen. Noch in der Nacht nimmt das Jugendamt die beiden Kinder für die Dauer des Krankenhausaufenthaltes der Mutter in Obhut. Ornob, der einige Stunden nach dem Geschehen in die verlassene Wohnung zurückgekehrt war, wird verhaftet und kommt in Untersuchungshaft.

Elf Tage, fest bandagiert, liegt Shoma auf Station. Zahir ist ihr Vermittler und Dolmetscher. Diese Aufgabe hat er bis heute.

Der erste Brief von Ornob, einen Monat nach der Tat aus dem Gefängnis geschrieben, ist Bestandteil der Akte und wird in der deutschen Übersetzung verlesen. „Wenn ein Mensch in Wut gerät, vollbringt er schlechte Taten.“ Shoma solle ihn hier rausholen. Ohne ihn könnte sie in diesem Land sowieso nicht leben, nicht allein zurechtkommen. Die Wohnung werde sie verlieren, Bußgelder zahlen müssen, das Jugendamt ihr die Kinder wegnehmen, dekliniert er ihr darin vor. Er teilt ihr mit, wann und wo sie das Kindergeld abholen müsse, der Pass zu verlängern ist. „4. Stock, Sprechzeiten von 8 bis 11“. Ihm ist die „elterliche Sorge“ seit dem Geschehen entzogen. „Die Flammen der Hölle lodern ständig in meinem Herzen.“ Es gibt noch zwei andere Briefe auf Bengali, die der Vorsitzende gerne einführen möchte, doch der Dolmetscher sieht sich außerstande, diese hier und jetzt zu übersetzen. „Es ist sehr schwierig zu übersetzen von Bengali. Es braucht Zeit. Gleich übersetzen ist unmöglich.“ - „Ist das nicht ihre Muttersprache?“, entgegnet der Richter verwundert. Er klingt leicht ungehalten.

„Das ist sehr schwer. Deutsch-Bengali ist so unterschiedlich“, schüttelt der magere, kleine Mann im zu großen Sakko sorgenvoll den Kopf.

Der älteste Sohn wird als Zeuge gerufen. Zahir. Fünfzehn Jahre jetzt, Schüler. Er spricht perfekt Deutsch. Und möchte aussagen. Der Vorsitzende erklärt ihm sehr zugewandt, dass er sich weder nach links, wo sein Vater mit seinem Verteidiger sitzt, noch nach rechts zur Staatsanwältin und seiner Mutter mit ihrem Anwalt wenden müsse, sondern nur ihm zu. „Sie brauchen sich auch nicht auf jemand anderen einlassen. Sie brauchen auch mit niemand anderem reden. Können Sie mir berichten, was vorgefallen ist?“ Zahir hebt an. Er spricht klar und sachlich und zum Mitschreiben der Verfahrensbeteiligten. „Abends ist es passiert. Er ist von draußen gekommen. Er hat eingekauft. Wegen der Streitigkeiten haben meine Mutter, mein kleiner Bruder und ich beschlossen, dass er auszieht in ein Hotel.“ Was der Vater nicht wollte. Die Mutter packte daraufhin für sie. „Ich dachte auch, es wäre gut, ein paar Tage wegzugehen.“ Der Vater erhitzte Öl in einer Pfanne. „Dann hab‘ ich den Herd ausgemacht. Ich dachte, er wollte Essen machen, aber da wir weggehen wollten und nicht essen, hab ich’s ausgemacht.“ Zahir widmet sich wieder dem Packen. Plötzlich nimmt er den Geruch siedenden Öls wahr, „Es hat gestunken. Er muss es wieder angemacht haben. Er kam angerannt mit einer Tasse. Hat meine Mutter an den Haaren gezogen“ und ihr dann das Öl ins Gesicht gegossen. Aus einer „schwarzen Tasse mit Blumen. Die hat er danach einfach hingeworfen. Die ist dann auch kaputtgegangen. Dann ist er weggerannt. Ich hab‘ schnell den Duschkopf angemacht, meiner Mutter geholfen. Die Polizei gerufen. Ich hab‘ ihr kaltes Wasser ins Gesicht getan.“ Zahirs Stimme behält ihren ruhigen, gemäßigten Ton. Der Vorsitzende beugt sich vor und legt den Kopf schief: „Das war, glaube ich, sehr gut.“ - „Danke“, antwortet Zahir. „So konnte das Öl nicht einziehen in die Haut“ bescheinigt ihm der Richter, was die Rechtsmedizinerin später im Laufe der Verhandlungstage noch ausführlich erläutern wird. Einzig Zahirs beherztem schnellen Eingreifen ist es zu verdanken, dass die Entstellungen im Gesicht seiner Mutter milder sind, als zu befürchten gewesen wären.

Geschlagen habe sein Vater die Mutter nie, zumindest habe er das nie gesehen, antwortet Zahir auf die entsprechende Frage des Vorsitzenden. „Eifersucht gab es früher schon, das ging aber vorbei.“ Diesmal nicht. „Es hat ein Mann aus Bangladesch bei uns übernachtet. Er macht hier Geschäfte, er war schon öfter hier. Ich hatte auch bei ihm in Bangladesch Ferien. Der Gast schlief im Kinderzimmer, ich mit dem Vater im Wohnzimmer, meine Mutter mit meinem kleinen Bruder im Schlafzimmer. Ich rief meine Mutter gegen vier, fünf Uhr, weil es mir schlecht ging. Der Gast ist Muslim und betet fünfmal am Tag, deshalb war er schon wach. Er fragte meine Mutter, warum sie wach sei. Sie erklärte ihm, meinem Sohn geht es schlecht. Vater wurde wach und beschuldigte sie: was macht ihr da?“ Der Vater unterstellte der Mutter und dem Gast, dass sie die Nacht miteinander verbracht hätten. Empört verließ der Gast daraufhin das Haus und zog in ein Hotel. Der Vater entschuldigte sich, doch am nächsten Tag „fing das wieder an“, die Vorwürfe, die Streitereien wegen des Vaters Eifersucht. Es gab früher schon einmal so heftige Auseinandersetzungen, dass Zahir die Polizei gerufen hatte, sehr zum Unmut seines Vaters. Einmal, als seine Mutter zu ihm sagte, sie habe „ein schlechtes Gefühl“ schlief Zahir nachts bei ihr zum Schutz.

Wie seine Mutter die Sache verkraftet habe, möchte der Vorsitzende wissen. „Sie war erst mal lange schockiert. Es hat schon lange gedauert, bis wir das verarbeitet hatten.“- „Wie kommt ihre Mutter zurecht?“ - „In der ersten Zeit war es ziemlich schwer, auch finanziell. Die anderen Bengalen wissen auch Bescheid. Wir hatten eigentlich viele Kontakte. Durch diese Sache ist der Kontakt jetzt abgebrochen. Bis heute.“ - „Wie erklären sie sich das?“- „Vielleicht wurde etwas Falsches herumerzählt. Dass wir ihn weghaben wollten und ihn falsch beschuldigen. Dass es ein Unfall war.“

Ein Unfall - das ist Ornobs Version.

Zahir hat freiwillig die neunte Klasse wiederholt. Er musste so oft fehlen, um seine Mutter als Dolmetscher zu Terminen zu begleiten, dass er „schlechte Noten bekommen“ hatte. „Und darf ich fragen, wie kommen sie damit klar?“ - „Ja, ich hab‘ schon gemerkt, das gar nichts mehr wie früher ist. Wir brauchen ihn auch. Ob man ihm doch mal verzeihen könnte - ich bin immer noch am Überlegen… Es ist auch sehr schwer für uns ohne ihn.“

„Sie haben uns heute sehr beeindruckt“, entlässt ihn der Vorsitzende. „Da sind wir alle voller Bewunderung. Da können sie sehr stolz auf sich sein.“

Die Nachbarin aus der Wohnung unter den Lashkars ist in ihrem Notruf zu hören: „Bei den Nachbarn über mir hört es sich ziemlich nach häuslicher Gewalt an, schlimmer als ein Streit.“ In der Verhandlung berichtet sie, dass sie zunächst einen Knall gehörte habe, „den ich nicht einordnen konnte. Die Kinder weinten, da hab‘ ich Angst um die Kinder gehabt. Es hat sich sehr schlimm angehört. Als würde ein Körper gezogen. Ein Kind schrie ‚Papa‘. Irgendwann ist jemand durchs Treppenhaus gerannt.“

Einer der Ermittlungsbeamten schildert die Situation der Frau und ihrer Kinder, wie sie sich für die Polizei darstellt. Er bestätigt, was Shoma und Zahir nur andeuteten. „In der bengalischen Gemeinde wird die Wichtigkeit gesehen, dass die Familie wieder zusammenkommt. Er wurde sehr positiv dargestellt… Aus den Gesprächen mit diversen Bekannten ergab sich, dass es als ganz großes Problem angesehen wird in der Gemeinde, dass er in Haft ist. Es gibt in keinster Weise Rückhalt für sie und die Kinder, keine Unterstützung für sie. Die Gemeinde ist für ihn da.“ Ein anderer Polizist aus der Tatortgruppe berichtet eine Anekdote am Rande der Beschuldigtenvernehmung von Ornob. „Der erste Dolmetscher“, den die Beamten da hinzugezogen hatten, „zeigte sich verwundert. Er kenne die Methode anders: Wenn ein Mann eine Frau verehrt und abgewiesen wird, dann bestraft er sie, in dem er ihr heißes Öl ins Gesicht schüttet“, aber der Ehemann der eigenen Frau doch nicht. Die Staatsanwältin tauscht einen Blick mit dem Vertreter der Nebenklage.

Nach ein paar Tagen hat der Übersetzer die beschlagnahmten Briefe von Ornob aus der Haft an seinen Bruder in Bangladesch übertragen. Er habe seine Frau beim Geschlechtsverkehr mit dem Gast erwischt, steht darin. Der Bruder solle zu dessen Ehefrau gehen und ihr mitteilen, dass Shoma nun von diesem Mann schwanger sei. Shoma tue alles, was dieser sage und „wird auf seinen Rat mich nicht aus dem Gefängnis holen“. Dieser Brief ist zu viel für Shoma. „Meine Mandantin möchte eine Erklärung abgeben“, meldet sich ihr Anwalt. Der Dolmetscher antwortet in Bengali auf ihre ersten Sätze und muss erst ermahnt werden, nur wortgetreu zu übersetzen, statt einen Dialog mit Frau Lashkar zu führen, den niemand versteht. Was er schließlich überträgt lautet so: „Ich leide wirklich, was du getan hast. Ich kann jetzt nicht mehr nach Bangladesch gehen. Die bengalische Gemeinde macht uns wirklich Schwierigkeiten. Warum hast du mich nicht umgebracht? Jetzt fühl ich mich wirklich schlecht. Ich habe niemanden hier in Deutschland, nur dich. Deine Familie hat keinen Kontakt zu mir aufgenommen.“ Ornobs Verteidiger versucht, durch permanentes Dazwischenreden ihre Klage zu stoppen. Frau Lashkars Anwalt beanstandet das. „Ich kriege keine Unterstützung von den Bengalen. Es geht uns wirklich schlecht“, redet Shoma weiter. Dann bricht sie ab.

Er heult, den Kopf gesenkt wie alle Verhandlungstage. Sein ältester Sohn, statt in der Schule zu sein, sitzt im Zuschauersaal, ganz hinten. Für einen Moment entsteht eine Pause. „Sie müssen ihrer Mandantin sagen, dass wir das nur einführen können, wenn wir sie als Zeugin hören“, erinnert der Vorsitzende an die Strafprozessordnung. Für fünf Minuten wird unterbrochen. Mit Hilfe von Zahir spricht Frau Lashkars Anwalt mit ihr. „Die Mandantin bleibt bei ihrer Zeugnisverweigerung“, verkündet der Nebenklagevertreter resigniert, als alle wieder im Saal sind. Damit sind ihre Worte nicht zu verwerten. Sein Widerpart, der Verteidiger, bittet um eine Verschiebung der Verhandlung auf den nächsten angesetzten Termin, schon wegen der „problematischen emotionalen Schwingungen hier im Raum“.

Es kommen noch ein paar Zeugen aus der bengalischen Gemeinde, die davon reden, Kontakt zu pflegen und Hilfe zu bieten. Auf explizierte Nachfragen von Staatsanwaltschaft und der Kammer bleibt außer einem zufälligen Sehen von weitem auf der Straße nichts davon übrig. Einer, von dem die Kammer nach Aktenlage glaubt, dass er gleich im Krankenhaus auf Shoma einwirken wollte, von einem Unfall zu reden und den Mann aus der Untersuchungshaft zu holen, behauptet, sie habe dort zu ihm gesagt, sie liebe ihren Mann. „Das haben sie bei der Polizei aber so nicht gesagt“, wundert sich der Vorsitzende. „Da war ich total unvorbereitet“, ist die unfreiwillig komische Antwort des Mannes.

„Ist ihre Frau mit ihnen zwangsverheiratet“, fragt der Vorsitzende Ornob. „Nein. Ihr Vater war einverstanden“, übersetzt der Dolmetscher dessen Antwort.

Die Kammer verurteilt Ornob Rahman Lashkar wegen „gefährlicher Körperverletzung in Tateinheit mit versuchter schwerer Körperverletzung“ schlussendlich zu vier Jahren. Auch Haftfortdauer wird angeordnet. Der freundliche jungenhafte Richter schlägt bei der Urteilsverkündung schneidigere Töne an. „Der Sohn muss damals“ bei seinem ersten Anruf bei der Polizei „schon befürchtet haben, dass ein schlimmes Unglück geschieht. Das macht man ja nicht so einfach, die Polizei zu rufen, wenn sich die Eltern streiten“. Der Richter erwähnt noch mal die „bemerkenswerte Aussage“ des Jungen. „Schmerzen ungeheuerlicher Stärke“ habe Lashkar seiner Frau zugefügt, sie „mehrere Wochen entstellt“, die Sonne müsse sie nun meiden, in der Nähe von Wärmequellen leide sie noch unter Schmerzen. „Sie ist gezeichnet von der Tat“, hat „eine Pigmentstörung und eine Narbe an der Stirn behalten und muss sich schminken“ um dies halbwegs zu verbergen. Auch psychisch ist sie beeinträchtigt, wird „jeden Tag an die Tat erinnert… Die Menschen aus ihrem Kulturkreis können sich denken“, was die Zeichnung bedeuten soll. „Lebenslang beeinträchtigt“ wird die Frau sein. „Sie und ihre Söhne sind in der bengalischen Gemeinde isoliert.“

Herr Lashkar verfolgt die Worte des Richters mit Hilfe des Dolmetschers zusammengesunken dasitzend wie alle Tage, die Brust in Herzhöhe mit einer Hand gefasst. Sein Verteidiger bittet um Unterbrechung, sein Mandant könne einen Herzinfarkt erleiden, müsse etwas trinken. „Dann soll er. Wir warten so lange“ bescheidet der Vorsitzende ungerührt, legt die Arme übereinander, wartet ab, bis der Angeklagte im Saal einen Schluck aus seiner Wasserflasche genommen hat. Unbewegter Miene setzt er fort:

„Aus der Tat spricht eine Gesinnung, die so abscheulich und menschenverachtend ist, wie wir sie auch im Gericht selten haben.“ Der Angeklagte „lebt seit 93 hier. Die Zeit ist lange vorbei, auch nur den Hauch eines Verständnisses zu haben“ für kulturelle Prägungen. „Das Seelenheil seiner beiden Söhne schwer beschädigt, in einem Ausmaß, dass noch nicht abzusehen ist“ habe der Angeklagte. In der Tat manifestiere sich „Rücksichtslosigkeit und Selbstsucht“.

Eine Frage allerdings kann auch dieser Prozess nicht beantworten: die Rolle der Übersetzer. Diskussionen über die korrekte Wiedergabe einer Aussage gibt es in vielen Verfahren, sie ist ja entscheidend. Ein Dolmetscher für Türkisch wird im Frankfurter Gericht der „Gentlemenübersetzer“ genannt - nur gibt es im Saal meistens genügend Zweisprachige, die reklamieren.

Für Tigray, Farsi-Urdu-Paschtu beispielsweise oder hier Bengali sind Polizei und Gericht ganz in der Hand der wenigen Übersetzer, die sich nicht selten auch als Berater der Beschuldigten und Angeklagten verstehen. Das ist kein nur diffuser, nicht zu verifizierender Eindruck, dass bekunden einige unumwunden. Unter vier Augen, versteht sich.

Shumona Sinhas Roman „Erschlagt die Armen!“ sei zur Lektüre empfohlen. Die aus Kalkutta stammende französische Schriftstellerin hatte jahrelang nebenher als Dolmetscherin in der Ausländerbehörde in Paris gearbeitet. Nach der Veröffentlichung des Romans, in dem sie auch beschrieb, wie sie die immergleichen, erfolgversprechenden, auswendiggelernten Geschichten ihrer Landsleute wahnsinnig machten, wurde ihr dort gekündigt.

Die Namen sind geändert.

Argomento Vor Gericht

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