Über die Invasion, den Sumpf, die italienische Linke und das Essen.
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Das war die Rialtobrücke am vergangenen Wochenende, an diesem Wochenende sieht es nicht besser aus: Menschenmassen, die sich wie Lavaströme durch die Gassen wälzen. Karneval-Horror (Si apre in una nuova finestra). “Ein Wochenende mit Massenandrang. Die Venezianer verlassen die Stadt” titelt die Nuova di Venezia, der Gazzettino mahnt “Karneval und rote Zonen: Man erwartet die Invasion” und auch die FAZ warnt vor einem “möglicherweise chaotischen Besucheransturm”. (Si apre in una nuova finestra) Na ja, was soll ich Ihnen sagen: Die Venezianer, die noch nicht geflohen sind, sind dazu verdammt, das Haus nicht zu verlassen. Letztes Jahr habe ich für die Taz über das zynische Geschäft mit dem venezianischen Karneval berichte (Si apre in una nuova finestra)t, und leider leider ist der Artikel immer noch absolut aktuell.
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Ein Eintrittsgeld wird in diesen Tagen natürlich nicht verlangt, was auch die FAZ veranlasst, kritisch anzumerken, dass die sogenannte “Maßnahme zur „Entzerrung“ der Besucherströme bisher nicht die erhoffte Wirkung entfaltet habe, zumal zu Stoßzeiten wie zu Karneval und an Ostern sowie im Ferienmonat August kein Eintrittsgeld erhoben werde.
Bürgermeister Brugnaro will den Andrang in Zukunft mit Drehkreuzen (Si apre in una nuova finestra)in Griff kriegen. Ist zwar so, als würde man ankündigen, die Klimakatastrophe mit Yoga-Übungen zu bekämpfen, aber offenbar erhofft er sich, dass sein Bluff verfängt. Schließlich hat er mit Bluffs einige Erfahrung.
Davon zeugen auch die Tonnen von Dokumenten, durch die sich die venezianische Staatsanwaltschaft gegenwärtig kämpft: Zur Aufklärung der Korruptionsaffäre mit dem schönen Namen “Palude” - der Sumpf (Si apre in una nuova finestra) - hat die Staatsanwaltschaft 36 000 Seiten Akten samt Anhang beschlagnahmt: Vernehmungsprotokolle, hochauflösende Tafeln für die “Wasserfrontprojekte” anstelle des bürgermeistereigenen 41 Hektar verseuchten Geländes, Kopien von Abhörprotokollen. All das muss jetzt hochgeladen werden, was das Computersystem der venezianischen Staatsanwalt zum Absturz gebracht hat - und den 34 Beschuldigten in die Hände spielt, denn ihnen müssten die Akten zur Einsicht spätestens 20 Tage nach Beendigung der Ermittlungen übergeben werden …
Venedig hat eine neue Ehrenbürgerin: Die Schwester des Emirs von Katar. Nach Zahlung von 50 Millionen Euro wurde ihr die venezianische Ehrenbürgerschaft verliehen. In einer Stadt mit einem Bürgermeister, der der Korruption beschuldigt wird, ist natürlich alles möglich. Aber dennoch finden wir es komisch (Si apre in una nuova finestra), dass ihr nicht nur die Ehrenbürgerschaft verliehen, sondern Katar auch garantiert wurde, in den - denkmalgeschützten - Giardini der Biennale einen neuen Pavillon zu bauen: Zumindest kurios für eine Stadt, die nach dem 7. Oktober 2023 monatelang die israelische Flagge an der Fassade zeigte, während Katar weiterhin Gastgeber der Hamas-Führer war. Jetzt aber ist alles vergessen: Diese Partnerschaft werde sowohl Venedig als auch Katar an der Spitze des kreativen, akademischen, wirtschaftlichen und sozialen Austauschs auf der ganzen Welt halten, kündigte Bürgermeister Brugnaro an. Ohne die erforderlichen Genehmigungen abzuwarten, kündigten die Katar Museums bereits den Bau des Pavillons an. By the way: Katar hat noch nie an der Biennale teilgenommen.
Die permanenten Pavillons der Biennale-Gärten stammen fast alle aus den Jahren 1910-1960, seit dreißig Jahren wurde dort nicht mehr gebaut, in den letzten 50 Jahren haben nur Korea und Australien Konzessionen erhalten. Jetzt hat die Stadtverwaltung für Katar eine Konzession für 90 Jahre vorbereitet. Zu bedenken ist, dass Sie in Reskis Republik natürlich sehr viel kostengünstiger Ehrenvenezianer (Si apre in una nuova finestra) werden können!
Heute wird in Deutschland ja gewählt (ich habe schon gewählt. Dank meiner mühsam ergatterten doppelten Staatsbürgerschaft darf ich sowohl in Deutschland als auch in Italien wählen. Nur bei Europawahlen, hehe, darf man nicht zwei Mal wählen, aber das wusste der gute Giovanni Di Lorenzo nicht). Und ja, ich weiß, worum es geht. Falls Sie das tröstet: In Italien sieht es auch nicht besser aus. Und damit meine ich nicht Meloni. Die jetzt das Problem hat, zwischen dem Stuhl von Trump und dem der EU herumzurutschen. Soll sie die Ukraine weiterhin unterstützen, obwohl ihr Buddy dagegen ist? Oder voll auf Trump setzen und die Maske endlich herunterreißen, auf dass die ihr wohlgeneigten Kommentatoren in Deutschland sehen, was wir in Italien schon lange …?
Was dabei die Sache nicht leichter macht, ist die Haltung der italienischen Linken, pardon der “Progressiven Linken” zum Ukraine-Krieg. Sie, also Teile der Fünfsterne, des AVS (Italienische Linke / Grünes Europa) und ein paar Versprengte der demokratischen Partei finden Trump ganz okay, was sie damit rechtfertigen, dass er ja keine Kriege angefangen hat (sie betrachten ihn als „pragmatischen Geschäftsmann“) und hoffen, dass er irgendwie den Krieg in der Ukraine beendet. Und außerdem spricht in ihren Augen auch für Trump, dass er irgendwie gegen „das Establishment“ ist.
Als ich verzweifelt auf der Suche nach unabhängigen Stimmen der Linken war, bin ich auf einen Artikel von Paolo Flores D’Arcais (Si apre in una nuova finestra)gestoßen, des italienischen Philosophen und Journalisten, der feststellte: “Die Ukraine-Verhandlungen zwischen Trump und Putin erweisen sich als Niederlage für die Demokratie, als Katastrophe für Europa und als Schande für die Linke.” Ich habe ihn übersetzt, nachzulesen hier (Si apre in una nuova finestra).
Und Pancho Pardi, italienischer Bürgerrechtler und ehemaliger Senator der Bürgerrechtsbewegung „Italia dei Valori“ schreibt, ebenfalls bei Micromega (Si apre in una nuova finestra): “Im Namen eines „gerechten“ Friedens, der nur für den Aggressor gilt, ignoriert die vorherrschende Meinung der italienischen Linken nicht nur die Knebelbedingungen, die Russland der Ukraine aufzwingen will, sondern auch die noch demütigenderen Bedingungen, die Trump stellt. (…) Ein seltsames Schicksal für die linke Sichtweise: den größten aller Kapitalisten zu bejubeln, während man im Namen des „Friedens“ vom Unglück eines Landes und eines Volkes profitiert.”
Pancho Pardi hat bereits im Oktober 2023 die Haltung der “progressiven Linken” Italiens zum Ukrainekrieg kritisiert und schrieb: “Die Linke gräbt weiterhin nutzlos in der Vergangenheit, um die Verantwortung anderer für den Krieg zu finden, den Putin gegen die Ukraine geführt hat.” Ich habe auch seinen Artikel ins Deutsche übersetzt, nachzulesen hier (Si apre in una nuova finestra).
Was hilft? Essen. Also wir, der Italiener und ich, reden ja ständig über das Essen - auch damit wir nicht über Politik reden müssen. In den Ferien hat der Italiener das bereits von mir gelobte (Si apre in una nuova finestra) Buch “Mythos Nationalgericht” (Si apre in una nuova finestra) des Historikers Alberto Grandi gelesen, der mitleidslos feststellt, dass es in der italienischen Küche vor allem um Selbstvermarktung geht.
Und dank sehr schön aufgemachten “Kulturgeschichte der italienischen Küche” (Si apre in una nuova finestra) des Gastrosophen (ja so etwas gibt es auch) Peter Peter (Si apre in una nuova finestra) bleibt keine Frage ungeklärt, vor allem nicht die, woher die Pasta jetzt wirklich kommt, aus China oder Italien? Was harmlos klingt, kann natürlich schnell in eine hitzige Diskussion über kulturelle Hegemonie ausarten. Unter Berufung auf den neapolitanischen Philosophen Giambattista Vico (1668-1774) und sein Hauptwerk “La Scienza Nuova” erfahren wir jedoch: “Die Chinesen haben die Nudel erfunden, aber im Mittelmeerraum sind sie auch erfunden worden, die Kulturen sind unabhängig voneinander darauf gekommen, Mehl mit Wasser zu Teig zu formen und dann zu kochen.”
Damit wäre wenigstens dieses Problem friedlich gelöst.
In diesem Sinne grüßt Sie herzlich, Ihre Petra Reski
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