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City of Darkness (Soi Cheang)

In City of Darkness widmet sich der Hongkonger Regisseur Soi Cheang der Frage, wie sich die berüchtigte Walled City Kowloon entwickelt hätte, wäre sie von einer einenden Führungspersönlichkeit gelenkt worden. Diese Enklave, die insbesondere in den 1980er Jahren als gesetzloser Raum bekannt war, entzog sich staatlichem Einfluss und Bürokratie. Stattdessen florierten unter der Kontrolle der Triaden illegale Geschäfte mit Drogen, Waffen und anderen in Hongkong verbotenen Waren.

Der Film beginnt mit einer fiktiven Erzählung: Cyclone, die personifizierte einende Kraft, bezwingt rivalisierende Gangs, die von Jim, dem „King of Killers“, angeführt werden. Nach seinem Sieg übernimmt Cyclone die Kontrolle über Kowloon.

Im Zentrum der Handlung steht Chan Lok-kwan, ein staatenloser Flüchtling, der in Hongkong verzweifelt versucht, Geld für einen Pass aufzutreiben. Als er vom Kopf der örtlichen Triaden, Mr. Big, hintergangen wird, bleibt ihm keine andere Wahl, als in die Walled City zu fliehen. Dort wird er unter die Fittiche von Cyclone genommen. Doch die scheinbare Sicherheit währt nicht lange: Die Triaden unter der Führung von Mr. Big dringen in die Walled City ein und versuchen, diese zu unterwerfen. Nun liegt es an Chan Lok-kwan, der inzwischen selbst Teil der Gemeinschaft von Kowloon geworden ist, dies um jeden Preis zu verhindern.

Der amerikanische (Alb-)Traum

Spätestens seit Scorseses Klassiker Goodfellas ist klar, wofür strukturierte Organisationen wie die Mafia, die Yakuza oder die Triaden stehen: Sie sind die Verkörperung der freien Marktwirtschaft. Abseits von Gesetzen, Moral oder anderen Regeln regiert hier allein das Prinzip von Angebot und Nachfrage. Während der Prohibition etwa stillte das Chicago Outfit unter der Führung von Al Capone den Durst der Bevölkerung nach Alkohol. Die Yakuza in Japan organisieren bis heute Prostitution und Glücksspiel. Kurz gesagt: Wo eine Nachfrage existiert, die innerhalb eines staatlichen Systems nicht erfüllt werden kann, entsteht zwangsläufig ein Markt jenseits des Gesetzes.

Auch für die Triaden gilt dieses Prinzip. Im Film sehen wir Chan Lok-kwan, der sich in einem illegalen Kampf behaupten muss, um Geld zu verdienen. Dieser Kampf befriedigt die schaulustigen Bedürfnisse der Wettenden und eröffnet Chan Lok-kwan die Möglichkeit, seinen Gewinn in einen Reisepass zu investieren. Doch anders als in den amerikanischen Vorbildern gestaltet sich der Weg in Hongkong deutlich schwieriger. Der Pass hat einen hohen Preis: Neben Geld wird von Chan Lok-kwan auch verlangt, sich den Triaden anzuschließen und künftig loyal für sie zu kämpfen. Als er sich weigert, verliert er nicht nur seinen gesamten Gewinn, sondern entkommt nur knapp dem Tod.

Hongkong, das als Freihandelskolonie Großbritanniens galt, wurde gleichzeitig als Versprechen von Wohlstand für den Rest Chinas inszeniert. Durch den Handel unter kapitalistischen Bedingungen lockte man die chinesische Bevölkerung wie auch die Regierung, sich den selbstgesetzten Regeln zu unterwerfen. Doch der vermeintliche Interessenausgleich von Angebot und Nachfrage bleibt eine Illusion. Stattdessen geht es darum, sich vollständig einem kapitalistischen und imperialistischen System mit all seinen Zwängen zu unterwerfen. Die wahre Macht liegt bei denjenigen, die das System kontrollieren. Sie diktieren die Regeln, denen sich sowohl Rivalen als auch Teilnehmer beugen müssen.

Lang lebe der Sozialismus

In City of Darkness stehen drei Systeme im Mittelpunkt, die sich grundlegend voneinander unterscheiden: Der Staat, der aufgrund seiner starren Bürokratie die Bedürfnisse der Menschen nicht erfüllen kann; die Triaden, die als Verkörperung des neoliberalen Kapitalismus auftreten, ihre „Kunden“ jedoch ebenso in Abhängigkeit zwingen wollen; und schließlich Kowloon. Kowloon repräsentiert einen bürgerzentrierten Sozialismus, in dem Gleichberechtigung und Gemeinwohl an oberster Stelle stehen. Jeder leistet hier seinen Beitrag, der dem Wohl der Gemeinschaft dient.

Cyclone, der Anführer Kowloons, wird dabei nicht nur als strenger, aber fürsorglicher Herrscher dargestellt, der das Wohl seiner Mitbürger im Blick hat, sondern auch als einfacher Friseur. Trotz seiner Führungsrolle bleibt er in den Alltag der Gemeinschaft eingebunden. Allerdings macht der Film auch die Zwänge des Kapitalismus deutlich: Selbst Cyclone muss regelmäßig Miete an verschiedene Immobilienbesitzer zahlen – ein geringer Preis für die Freiheit, die Kowloon den Menschen bietet.

In Kowloon wird „ehrliche“ Handarbeit besonders hervorgehoben. So sehen wir einen Schuster, der glorifiziert dargestellt wird, während er von Hand die Sohle eines Schuhs befestigt – an seinem Handgelenk eine goldene Uhr. Die Botschaft ist klar: Im Sozialismus kann man durch eigene Arbeit nicht nur seinen Lebensunterhalt sichern, sondern sich auch Luxus leisten. Jede Arbeit wird hier gleichwertig anerkannt. Selbst Prostitution gilt als respektable Arbeit, die wie jede andere ihren Platz in der Gesellschaft hat. Ein weiteres Beispiel für diese Gleichwertigkeit zeigt sich in der Bäckerei, wo eine etwa achtjährige Lehrmeisterin tätig ist. Hier werden Hierarchien allein durch Erfahrung und Expertise definiert, nicht durch Alter oder Geschlecht.

Anstelle staatlicher Institutionen agiert die Gemeinschaft als moralische Instanz. So wird etwa ein Frauenschläger in einer dunklen Gasse von vier maskierten Männern zur Rechenschaft gezogen und für seine Taten bestraft. Die Botschaft: Gerechtigkeit entsteht hier durch den kollektiven Willen der Gesellschaft.

Am Ende vereinen sich alle – jung und alt, Männer und Frauen – in friedlicher Harmonie. Sie feiern ihre Gemeinschaft, in der jeder, der seinen Beitrag leistet, willkommen ist. City of Darkness zeichnet so das Bild einer utopischen Gesellschaft, in der das Gemeinwohl über allem steht und Individualität dennoch ihren Platz findet.

Geburtsrecht

Der Kitt, der Kowloon zusammenhält, ohne eine staatliche Ordnungsinstanz zu benötigen, ist die Staatsangehörigkeit als Geburtsrecht. Chan Lok-kwan erhält vom Hongkonger Staat die Bestätigung, dass er qua Geburt Hongkonger ist. Seine Identität als Erbe Jims verschafft ihm schließlich den ersehnten Reisepass. Doch mit den Privilegien eines anerkannten Staatsbürgers gehen auch Verpflichtungen einher – ganz im Sinne von JFKs berühmtem Appell: „Frage nicht, was dein Land für dich tun kann, frage, was du für dein Land tun kannst.“ Es ist daher selbstverständlich, dass Chan Lok-kwan nicht die Möglichkeit zur Flucht ergreift. Stattdessen kehrt er zurück nach Kowloon, um seine neue Heimat gegen die Triaden zu verteidigen.

In der Welt von City of Darkness stellt sich nicht die Frage, wie man mit Kriegsflüchtlingen umgeht oder wie man die Bevölkerung dazu motiviert – oder zwingt –, für das Land zu kämpfen und gegebenenfalls zu sterben. Im idealisierten Kowloon sind Bürger und Staat untrennbar miteinander verbunden. Der Staat, den es zu verteidigen gilt, ist zugleich die Selbstverteidigung des individuellen Bürgers. Flucht ist nicht nur unmöglich, sondern die Idee einer Abkehr vom Staat erscheint schlicht undenkbar.

Die Pflicht zur Verteidigung richtet sich konkret gegen das Fremde: die Triaden unter Mr. Big, die Kowloon gewaltsam an sich reißen wollen. Doch selbst innerhalb der Triaden zerfällt die Einheit: Mr. Big wird von seinem machthungrigen Untergebenen King verraten und ermordet. Dieser Verrat unterstreicht die moralische Aussage des Films: Das kapitalistische System ist in sich so korrupt, dass seine Akteure stets nur ihren persönlichen Vorteil suchen. Im Gegensatz dazu steht das sozialistische Kowloon, wo alle bereit sind, ihren Platz in der Gemeinschaft einzunehmen – und im Ernstfall sogar für das Kollektiv zu sterben.

Die ordnende Autorität von Cyclone, die gelegentlich streng eingreifen muss, wird ausschließlich durch externe Kräfte erforderlich. Sein Credo lautet: „Mach keinen Ärger.“ Ärger bezieht sich hier auf das Kokain, das Chan Lok-kwan mitbringt und das schnellstmöglich wieder aus der Stadt entfernt werden soll. Der „Ärger“, den Cyclone um jeden Preis vermeiden will, kommt immer von außen. Interne Konflikte, wie etwa der Fall des Frauenschlägers, regelt die Gemeinschaft selbst.

Fazit

City of Darkness nutzt eine beeindruckende Kulisse und meisterhaft inszenierte Kämpfe, um ideologische Schlachten auszutragen. Der Sozialismus wird hier als etwas dargestellt, das mit aller Kraft protektionistisch gegen den kapitalistischen Einfluss von außen verteidigt werden muss – notfalls bis aufs Blut. King, als personifiziertes Sinnbild des Kapitalismus, erscheint zunächst unbesiegbar, kann jedoch letztlich nur von innen heraus gestürzt werden. Der moralische Kompass jedes Einzelnen erweist sich dabei als entscheidend.

Ähnlich wie in Black Panther, wo das geheiligte Wakanda nur durch Geburt legitimiert und verteidigt werden kann, zeigt auch City of Darkness, dass äußere Einflüsse eine intakte Idylle korrumpieren. Am Ende blicken die Protagonisten in hoffnungsvoller Aufbruchsstimmung auf ein Flugzeug und stellen fest: Egal, wie sehr sich Hongkong auch verändert, die grundlegenden Werte bleiben unverändert.

Das Land wird hier zur Identität und zum Lebensinhalt seiner (geborenen) Bürger, für die es selbstverständlich ist, dieses Land zu verteidigen – selbst um den Preis des eigenen Lebens.


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