Warum sich die AfD als “Kümmerpartei” inszeniert

Hallo,
vielen Dank an diejenigen, die uns auf der re:publica zugehört und uns Feedback gegeben haben. Es freut uns immer sehr, wenn unsere Themen Interesse finden. Leider wird es die Session nicht als Video geben wie das bei der re:publica in Hamburg (Si apre in una nuova finestra) 2024 der Fall war, da unsere Bühne nicht aufgezeichnet wurde. Wir werden aber sicher bald die Inhalte in der ein oder anderen Form hier im Newsletter präsentieren.

Zum Abschluss jeder re:publica gibt’s immer die Zahlen der Veranstaltung - wie viele Besucher:innen beispielsweise waren insgesamt da (30.000 an drei Tagen), wie viele Speaker:innen (weit über 1.000) und - die Zahl gab es dieses Jahr das erste Mal: Wie viele AfD-Politiker:innen standen auf der Bühne: 0. Denn, wie Moderator und Mitgründer der re:publica Markus Beckedahl sagte: “Hier bekommen Rechtsextreme keine Bühne.”

Wer sich dennoch einen Eindruck von der Veranstaltung machen möchte, hier geht’s zur Flickr-Seite (Si apre in una nuova finestra) und hier zum Youtube-Kanal (Si apre in una nuova finestra), auf dem schon einige Sessions zu sehen sind und bald noch viele weitere hochgeladen werden.
Und noch ein Nachtrag zum vergangenen Newsletter. Einige von euch haben uns tatsächlich weitere Lieder für die Liste gesendet, das hat uns sehr gefreut. Darunter waren ein paar Klassiker, wie die Toten Hosen “Sascha - ein aufrechter Deutscher” oder “Schrei nach Liebe” von den Ärzten, aber auch einige Songs, die wir noch nicht kannten, wie beispielsweise “Ich will hier nicht sein” von den Broilers oder “Die Härte” von Herbert Grönemeyer. DANKE! Wir freuen uns immer sehr, wenn jemand uns schreibt :)
bleib achtsam und alles Liebe!

Um was geht’s?
“Die #AfD ist die einzige Partei, die sich gesichert um die Interessen der deutschen Bürgerinnen und Bürger kümmert.”
Das ist der Tweet eines AfD-nahen Kanals auf X als Antwort auf die Einstufung der Gesamtpartei als rechtsextremistisch durch den Verfassungsschutz.
Hier steckt alles drin: Verharmlosung, Umdeutung, Delegitimierung des Verfassungsschutzes.
Ein Schlüsselwort fällt dabei auf: “kümmern”. Dahinter steckt eine Strategie, die die AfD seit einigen Jahren konsequent fährt. Indem sie sich als vermeintliche “Kümmerpartei” inszeniert, vermittelt sie sozusagen: “Wir verstehen eure Sorgen, wir lösen eure Probleme”.
Im Gegensatz dazu - so die Kernbotschaft - seien die etablierten Parteien nur noch mit sich selbst beschäftigt und setzten Politik “gegen das Volk” um. Ganz klassischer Populismus also, verpackt in betont pragmatischer Wortwahl.
Heute schauen wir uns deshalb an, wie sich die AfD als “Kümmerpartei” inszeniert, welche strukturellen Lücken ihr dafür helfen und welche konkrete Folgen das für das demokratische Miteinander und die Menschen vor Ort hat.
Warum die “Kümmerpartei” so gut funktioniert
Die Strategie des “Kümmerns” ist nicht neu - und sie Folge einer grundsätzlichen (Fehl-)Entwicklung.
👉 Wo zentrale soziale Strukturen bröckeln, entstehen freie Stellen, die extrem rechte Kräfte geschickt füllen. Wenn beispielsweise in einer ländlichen Region Kitas, Seniorenheime oder Jugendzentren nicht mehr ausreichend finanziert werden oder schlichtweg kein Personal finden, bleibt eine Lücke.
❗️Das kann vor allem in ländlichen Regionen Konsequenzen für die demokratische Kultur und deren Verankrung in der Gesellschaft nach sich ziehen.
In einer Studie stellt das Institut für Demokratie und Zivilgesellschaft (Si apre in una nuova finestra) fest, dass Rechtsextremen vor allem in Kommunen strategisch Lücken in der öffentlichen Infrastruktur auffallen.
Dort, so heißt es, “gelingt es Rechtsextremen, Leerstellen und Nischen in der öffentlichen Infrastruktur zu besetzen und sich so kommunal als soziale Kümmerer zu inszenieren”.
Aus dieser Position heraus werden dann, laut IDZ, “antipluralistische, menschenfeindliche und demokratiegefährdende Tendenzen‘ weiter in der Gesellschaft verankert”.
In Thüringen war die Strategie bereits erfolgreich
Wie erfolgreich das sein kann, beschreibt das IDZ (Si apre in una nuova finestra) anhand eines Beispiels in der Thüringer Gemeinde Schmiedefeld. Dort habe demnach vor vielen Jahren “ein bekannter Rechtsextremist den örtlichen Jugendtreff” übernommen, nachdem sich der vorherige Träger aus dem Ort zurückgezogen hatte.
👉 Und das hat in der Folge “zur Stärkung der rechtsextremen Szene in der ganzen Region” geführt, was sich dann auch politisch ausgedrückt hat.
❗️ So vervielfachte die dortige NPD ihr Wahlergebnis “innerhalb von fünf Jahren von 2,7 Prozent auf 18,6 Prozent”.
Mittlerweile gelingt es auch der AfD, dieses “Kümmerer”-Image fest zu verankern. In einer ihrer Hochburgen Thüringen gaben 33 Prozent in einer repräsentativen Umfrage nach der Landtagswahl 2024 an, dass sich die AfD einfach “mehr als andere Parteien um die Probleme hier vor Ort kümmert”.
Wie die AfD ihre Gesinnung ins “Kümmern” einfließen lässt
Zwei bekannte Namen, die für diese Strategie stehen, sind Robert Sesselmann, der erste AfD-Landrat Deutschlands in Sonneberg, und Hannes Loth, der erste AfD-Bürgermeister Deutschlands in Raguhn-Jeßnitz - beide 2023 in ihre Ämter gewählt.
Die Leipziger Volkszeitung hat damals ihre Leser:innen zu den Gründen befragt. Eine Person schrieb offenbar mit zynischem Unterton: “Die AfD möchte die Interessen der deutschen Bürger vertreten, sagt sie. Es wäre ja zu schön, wenn es mal eine Partei gäbe, die sich, wie früher, vorrangig um das eigene Volk und dann um die Welt kümmert.”
Ähnliches sagen auch Menschen, die Raguhn-Jeßnitz wohnen. Dorthin hat die FAZ (Si apre in una nuova finestra) eine Reporterin geschickt, sie fragte wenige Tage vor der Bürgermeisterwahl nach der Unterstützung für Hannes Loth.
👉 Einige Anwohner:innen sagten, Loth sei “ein Bürger von hier”, würde sich nach den Problemen der Menschen erkundigen und - vor allem - “sich kümmern”. So habe er beispielsweise während der Coronavirus-Pandemie ein Testzentrum eröffnet, er sei ein “Macher”.
❗️Dass für viele Menschen völlig nachrangig ist, welcher Partei Sesselmann oder Loth angehören, solange sie “die Initiative ergreifen” -, ist kein Zufall.
Genau hier setzt eine bewusste Strategie an, wie ein Beitrag im Verfassungsblog (Si apre in una nuova finestra) erläutert:
Die “AfD-Amts- und Mandatsträger:innen hängen ihre Parteimitgliedschaft nicht an die große Glocke” - bei ihnen dominiert das “Persönliche und nicht das Parteipolitische (Si apre in una nuova finestra)”.
Mit diesem Bild geben sie dann den lokalen Kümmerer und knüpfen „dabei an das frühere Image der Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS) als regionale Interessenvertretungspartei des Ostens“ an.
Unverfängliche Themen statt völkische Ideologie
Ähnliches steht auch in einer Studie der Hochschule Magdeburg Stendal, die “Das Ringen der AfD um kommunale Ämter (Si apre in una nuova finestra)” untersucht hat. Die Autor:innen kommen zu dem Ergebnis, dass “die Inszenierung als Kümmerin” Teil einer spezifischen Strategie eines lokalen Rechtsextremismus“ ist.
Kommunal wolle die AfD “als Hoffnungsträgerin” angesehen werden, mit der infra- und versorgungsstrukturelle Verbesserung möglich seien.
👉 Das deckt sich auch mit einer Passage im Text des Verfassungsblogs, wonach sich “Rechtsaußenakteur:innen in lokaler Regierungsverantwortung bewusst eher unverfängliche Themen” suchen, vor allem in den Bereichen Infrastruktur, Kultur und kommunaler Finanzen - um sich damit “von unten” zu Normalisieren und zu Verharmlosen. Gleichzeitig halten sie ihre “völkisch-nationalistische Ideologie im öffentlichen Auftreten weitestgehend fern”.
Damit will sich die AfD verankern, der thüringische AfD-Vizechef Torben Braga 2024 in einem Interview mit der Zeit bestätigte:
❗️ “Wenn die Leute mit uns in Kontakt kommen, wenn sie merken, dass da Menschen stehen [...] dann wird es ihnen schwerfallen, zu glauben, dass das alles Rechtsextreme sein sollen.”
Wenn “Kümmern” Gewalt verstärkt
Dennoch rücken mit jeder AfD-Personalie “rechtsradikale bis rechtsextreme Positionen über ihre Repräsentanten schrittweise in die Mitte der Gesellschaft” und das ermutigt offenbar Menschen, die diese Überzeugungen in sich tragen.
Das legt ein Blick nach Sonneberg nahe. (Wir erinnern uns: der erste AfD-Landrat Deutschlands 2023 Robert Sesselmann- siehe oben.) Denn dort hat die rechtsextreme Kriminalität zugenommen seitdem die AfD dort regiert. Das zeigt eine Untersuchung von Ezra (Si apre in una nuova finestra):
“Mit 20 registrierten Angriffen ist der Landkreis Sonneberg erstmals ein Hotspot rechtsmotivierter Gewalt im unabhängigen Monitoring der fachspezifischen Gewaltopferberatungsstelle.”
In einem Interview (Si apre in una nuova finestra) gibt der Projektleiter Franz Zobel einen Erklärungsversuch ab. Demnach gebe es offenbar einen Zusammenhang zwischen politischen Prozessen und rassistischer Hasskriminalität.
❗️Rechte Gewalt nehme dort zu, wo Täter:innen erkennen würden, “dass ihre Taten eine breite Unterstützung in der Bevölkerung haben”, sagt Zobel.
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