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Was ist Männlichkeit?

Letzte Woche wurde ich tatsächlich zwei Mal zum Thema Männlichkeit interviewt. Und irgendwie fand ich meine Antworten zuerst richtig unbefriedigend und dann irgendwie gut. Kann man sich zu diesem Thema äußern, ohne Clichés zu bedienen? Und wenn ich sie nicht bediene, dann kenne ich sie ja trotzdem. Ist es dann trotz der Norm? Wegen der Norm? Gegen die Norm? Oder war ich das, der sich so entwickelt hat?

Was war für mich Männlichkeit?

Zuerst war einfach mein Vater Männlichkeit. Meine erste Erinnerung zum Thema Geschlecht ist, dass ich wusste, ich gehöre in Babas Kategorie. Baba trägt einen schwarzen Pullover? Ich will auch. Baba besitzt einen Bademantel? Ich will auch. So ging das lange. Dann die Pubertät und sogar da wollte ich unbedingt, dass man auf dem Passfoto sofort erkennt, dass meine Augenpartie meinem Vater ähnlich sieht...

Irgendwann hatte ich natürlich etwas... sagen wir... elaboriertere Bilder von Geschlechtern und man hat mir eingeredet, es gäbe nur zwei und ich wäre eine Frau. Ich muss ehrlich sagen, in dieser Rolle bekommt man echt viel Handwerkszeug, Gefühle auszudrücken, sich selbst zu versorgen, eigenständig zu sein, sogar viele Tipps zur Erziehung ungeborener Kinder - tolle Sache, aber... Niemand sagt dir, wie man Grenzen aufzeigt, Wut empfinden kann, sich wehrt und eine gesunde Scheißegalhaltung einnimmt. Das muss man dann optional selbst lernen. Im Paket dabei noch Selbstzweifel, toxische Körperbilder, D*ätkultur und der nötige Hass auf jede potentielle Falte am Körper.
Gut, wenn die Alternativ ist, dass man keinerlei Infos zu Gefühlen bekommt, außer dem Tipp, keine außer Wut zu haben und ein dauerhaftes starkes Avatar seiner Selbst aufrecht zu erhalten, das man durch ausschließlich aus Politik und Sport bestehende Konversationen verteidigt, finde ich jetzt persönlich die erste Alternativ irgendwie angenehmer und nuancierter. - Gut, sicherlich Typ- und Geschmacksache.

Wie auch immer, jedenfalls erfuhr ich ja dann mit 23 die Wahrheit über mich...

Männlichkeit während der Transition (vor Testosteron)

Als ich herausgefunden habe, dass ich ein Mann bin und schon immer war, war ich zwar extrem erleichtert, aber als ich freudig auf Menschen zuging, um ihnen die Lösung all meiner früheren Sorgen mitzuteilen, reagierten sie irgendwie komisch. Man sperrte sich, mich in das Bild von einem Mann einzusortieren. Und ich lernte schnell: Wenn ich von Sport und Politik spreche, dunkle und weite Kleidungsstücke trage, platzeinnehmend sitze und trainiere, bekomme ich häufiger das Pronomen er. Plötzlich zeigten mir alle, was sie dachten, dass männlich ist. Und Spoiler: Alle denken etwas utnerschiedliches.

Haare auf den Beinen stehen lassen, Bart ankleben, Brüste abbinden - mal ehrlich: Wer muss denn auch im Alltag atmen? Deine Lieblingsfarbe ist aber schon blau oder zumindest grün, oder? Oh nein, deine Hände sind aber viel zu filigran! Du hast ja gar keine Haare auf den Händen! Deine Wimpern sind zu lang, die Wangenknochen zu hoch, der Po zu groß, die Hüfte zu breit. Und plötzlich war jedes morgentliche Anziehen eine Metamorphose, jedes morgentliche Haus Verlassen eine Mutprobe und jedes Wort eine Oktave zu hoch.

Aber: Je mehr ich dieser "Männlichkeit" entsprach, desto wahrscheinlicher wurde mir keine sprachliche Gewalt angetan.

Was ist Männlichkeit heute für mich?

Als ich begonnen habe, Testosteron zu nehmen, wurden diese Kämpfe kleiner. Gut, ich bekam doch noch Kommentare und bekomme bis heute noch irgendwelche (ziemlich fantasiereichen) Varianten von "Aaaah, ich hab gesehen, dass du trans bist." (Ähm, nein, hast du nicht, das ist unmöglich nach drei Jahren Testosteron-Hormontherapie.), aber ich werde heute hauptsächlich aufs Äußere bezogen in Ruhe gelassen. (Gott sei Dank!) Und es kam eine Aufgabe damit: Ich musste jetzt nicht mehr stereotyp männlich sein, um die richtigen Pronomen zu bekommen. Ich durfte jetzt meine eigene Männlichkeit konstruieren.

Eine Männlichkeit mit Emotionen in der Stimme, keinem Bock auf Fußballthemen, Bart, tiefer Stimme, Lieblingsfarbe türkis, keinem Bock auf sexistische Witze, Empathie, Hair-Conditioner, rosa Washitape im Bullet Journal und Heterosexualität. Aber nichts davon ist frei von einer Interpretation. Ich weiß einfach, für welche Handlungen, ich misgendert worden wäre. Welche Eigenschaften in ein Gutachten über mich gehören. Welche Eigenschaften ich totschweigen sollte.

Männlichkeit ist für mich, wenn jemand sagt: Ich bin ein Mann und es so meint. Und trotzdem weiß ich wie Männlichkeit zu sein hat. Niemand ist frei von den Bildern. Niemand trainiert und weiß dabei nicht, welcher Körper das Ziel des Trainings sein sollte. Niemand trägt Make-Up ohne zu wissen, dass die Norm das nicht gut findet. Sind wir damit einfach immer der Norm folgend oder gegen die Norm? Sind wir also so oder so an die Norm gebunden? Können wir uns davon jemals befreien?

Darf ich wählen welcher Mann ich bin? Ja. Jeder Mann darf das. Du kannst wählen, ob du deine Privilegien reflektierst und dich gegen Sexismus stellst. Du kannst wählen, ob du rosa anziehst oder blau. Du kannst wählen, ob du dich für deine emotionale Seite entscheidest oder dagegen. Natürlich. Aber es ist sehr schwierig, sich gegen toxische Männlichkeitsbilder zu stellen.

Und wenn man sich dagegen stellt, ist das nicht auch mutig? Das findet die Norm doch bestimmt gut.

HINWEIS

Ich habe den Text 2020 im Dezember geschrieben.

Argomento Identität & Glaube

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