Willst du mich verantwortungsgemeinschaften, mein Schatz?
Hi! Hier schreibt Laura. Nicht, dass mir jetzt jemand eine weirde Obession nachsagt, aber: Ich schreibe heute schon wieder über Marco Buschmann. Ein bisschen zumindest. Denn es gibt möglicherweise bald ein neues Gesetz. Und ein Update in Sachen EU-Richtlinie zu Gewalt gegen Frauen.
Dass es neben “Mutti, Vati, Kind” andere Familien- und Lebensmodelle gibt, hat (mittlerweile) auch die Regierung auf dem Schirm. Deswegen soll 2025 die sogenannte Verantwortungsgemeinschaft kommen. Das Projekt ist Teil des Koalitionsvertrages von SPD, Grünen und FDP. Justizminister Marco Buschmann (FDP) hat nun dazu ein Eckpunktepapier (Si apre in una nuova finestra) vorgestellt. Im Herbst soll der konkrete Gesetzentwurf folgen.
Was ist das und was kann das?
Der Name ist tatsächlich recht treffend: Er beschreibt eine Gruppe von zwei bissechs Menschen, die füreinander Verantwortung übernehmen möchten. Buschmann nennt als Beispiele etwa die Senior*innen-WG (ohne zu gendern, das war ich) oder Alleinerziehende, die sich zusammentun wollen. Ein weiteres denkbares Beispiel wären queere Mehrelternfamilien. (Das war wieder ich.)
Im Grunde handelt es sich dabei einfach um einen notariell beurkundeten Vertrag. Details zur genauen Ausgestaltung des Gesetzes sollen noch folgen. Geplant ist aber ein Stufenmodell mit einer Grund- und einer Aufbaustufe inklusive verschiedenen Modulen. Die Palette reicht damit von beispielsweise einem Auskunftsrecht gegenüber Ärzt*innen bis hin zum Vermögensausgleich, wenn die Gemeinschaft aufgelöst wird. (Letzteres, also die Beendigung des Vertrags, soll übrigens einseitig erklärt werden können.) Bei Deutschlandfunk Kultur gibt es dazu eine praktische Übersicht mit weiterführenden Beiträgen (Si apre in una nuova finestra).
Mehr Klarheit besteht offenkundig darüber, was die Verantwortungsgemeinschaft alles NICHT ist. So betont Marco Buschmann vorsichtshalber ganz doll, dass es sich nicht um eine “Ehe light” handele (Si apre in una nuova finestra). Möglicherweise damit den Konservativen nicht die Pferde durchgehen. (Hat nicht so gut geklappt, aber dazu gleich mehr.)
Es gibt außerdem keine Steuererleichterungen und keine Unterhaltsansprüche. Am Eltern-Kind-Verhältnis wird nicht gerüttelt. Es gibt keine erbrechtlichen Folgen und weder ein Recht auf Aufenthalt noch eine Arbeitserlaubnis.
Und wofür das Ganze?
An den Plänen gibt es auch Kritik (Si apre in una nuova finestra), z.B. aus der Opposition. Die kann man folgendermaßen zusammenfassen: überflüssig, zu kompliziert, zu teuer – und nichts, was man mit Hilfe von Verträgen und Vollmachten nicht schon jetzt allein zusammenzimmern könnte. Ohne neues Gesetz.
Soweit so nachvollziehbar. Aber jetzt wird’s kurz eklig: Günter Krings, rechtspolitischer Sprecher der CDU sagte gegenüber dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND) (Si apre in una nuova finestra) zu den Plänen des Justizministers: „Niemand wird kontrollieren können, welcher Art die Verbindung zwischen den Menschen in einer solchen Verantwortungsgemeinschaft ist.“ Und weiter: „Das könnte zum Beispiel die Vielehe sein.“
Das ist in mehrfacher Hinsicht bemerkenswert. Soweit ich weiß, hat auch bei einer Ehe bisher niemand kontrolliert “welcher Art” die Verbindung ist. Ich weiß wohl, dass der Staat etwas gegen Scheinehen hat. Aber, ob sich Eheleute lieben oder abgrundtief hassen, nur der Steuern oder der Tradition wegen verheiratet sind, oder wer mit wem außerhalb dieser Ehe schläft – das scheint dem Staat doch für gewöhnlich schnuppe zu sein. (Ist jetzt ein guter Moment daran zu erinnern, dass es dem Staat bis 1997 auch noch schnuppe war, wenn ein Mann seine Ehefrau vergewaltigte? (Si apre in una nuova finestra) Frage für eine Freundin.)
Und dann nehme ich jetzt einfach mal an, dass Krings bei dem Begriff “Vielehe” nicht an fundamentalistisch-christliche Mormonengruppierungen denkt, sondern in erster Linie an Muslime. Das hat er so schlauerweise nicht gesagt, aber den dazugehörigen Frame (Si apre in una nuova finestra) in unseren Köpfen trotzdem aktiviert, hoppala. Auch dass Krings damit der AfD 1:1 nach dem Mund redet (Beispiel 1 (Si apre in una nuova finestra) und Beispiel 2 (Si apre in una nuova finestra)) ist ganz bestimmt nur aus Versehen passiert.
Nein, mal im Ernst: Das ist rassistisch, gefährlich und noch dazu Derailing wie aus dem Bilderbuch. Denn das geplante Gesetz hat nichts mit einer Vielehe zu tun, könnte aber etwa besagten queeren Mehrelternfamilien potenziell den Alltag erleichtern. (Schade, dass Anna Lena Göttsche vom Deutschen Juristinnenbund laut Spiegel (Si apre in una nuova finestra) dasselbe Narrativ bedient wie Krings.)
Kurzer Exkurs zum Thema Polygamie
Die Vielehe, auch Polygamie genannt, ist in Deutschland verboten. Aus guten Gründen. Die UN-Menschenrechtskommission etwa hält fest, dass Polygamie die Würde von Frauen angreife. Auch das zurecht. Dennoch muss ich jetzt ein klitzekleines bisschen spitzfindig sein. Wo Polygamie drauf steht, ist nämlich fast immer Polygynie drin. Polygynie bedeutet, dass ein Mann mehrere Ehefrauen hat. Polyandrie wäre, wenn eine Frau mehrere Ehemänner hat. Beim MDR gibt es zu dem ganzen Thema eine gute Übersicht. (Si apre in una nuova finestra)
Der Begriff verschleiert also leider, dass es die patriarchalen Begleitumstände sind, die Ausbeutung, Gewalt und Unterdrückung bedeuten. Und eben nicht per se der Umstand, zu mehr als einer Person eine intime Beziehung zu haben oder mit verschiedenen Menschen Kinder.
Eigentlich würde an diese Stelle eine generelle Kritik an der Ehe gehören, aber das würde zu weit führen. Dafür könntet ihr jetzt noch einmal in das Gespräch mit Emilia Roig (Si apre in una nuova finestra) reinhören, das Katharina letzten Sommer mit ihr über ihr Buch “Das Ende der Ehe” geführt hat.
Und damit zurück zu Buschmann
Buschmann verteidigt seine Pläne gegen die Kritik (Si apre in una nuova finestra). Die Verantwortungsgemeinschaft habe einen symbolischen Mehrwert. "Wer sie eingeht, gibt einem sozialen Verhältnis eine Struktur und einen positiven Namen."
Etwas, das ebenfalls einen symbolischen Mehrwert gehabt hätte, wäre Buschmanns Ja zur geplanten EU-Richtlinie zu Gewalt an Frauen gewesen. Im letzten Newsletter schrieb ich darüber, dass die Richtlinie zu scheitern drohte. Sie ist nicht gescheitert, aber: Ein entscheidender Passus wurde gestrichen. (Si apre in una nuova finestra) Und zwar derjenige, der Vergewaltigung in der EU einheitlich definiert und unter Strafe gestellt hätte. Buschmann hatte argumentiert, die EU habe gar nicht die Kompetenz, den Straftatbestand der Vergewaltigung zu regeln – und deswegen das Vorhaben blockiert. Mit anderen Worten: “Ich bin dagegen, weil: Ich weiß nicht, ob wir damit durchkommen.” Ich frage mich bis heute, warum er nicht einfach sagen konnte: “Ich bin dafür und jetzt schauen wir mal, ob wir damit durchkommen.”
Kritiker der Richtlinie argumentieren außerdem (Si apre in una nuova finestra), die deutsche Gesetzeslage sei ausreichend, das Prinzip “Ja heißt Ja” berge keinen echten Vorteil gegenüber dem Prinzip “Nein heißt Nein”. Und da möchte ich widersprechen, denn auch hier gibt es einen symbolischen Mehrwert. Es macht sehr wohl einen Unterschied, ob der Grundsatz lautet: “Wer nicht will muss Nein sagen” oder “Wer aktiv werden will, muss ein Ja abwarten”. Klar, in beiden Fällen bleibt die Beweisbarkeit schwierig. Aber von einem Gesetz, das Konsens zur Grundlage hat, geht eine enorme Strahlkraft in die Gesellschaft aus. Oder bin ich da zu naiv?
Wenn ihr bis hier drangeblieben seid: Vielen Dank! Ich schreibe diesen Newsletter heute aus dem Kind-krank-trotzdem-arbeiten-müssen-Lager und kann nicht dafür garantieren, dass jeder Satz und jede Pointe sitzt. Seht’s mir nach, wenn nicht. Und lasst mich doch gern wissen, ob ihr Interesse hättet an einem Lila Podcast, der die vielen neuen familienpolitischen Maßnahmen der Ampelregierung mal einem feministischen Check unterzieht. Ich denke da gerade u.a. an das sogenannte Kleine Sorgerecht (Si apre in una nuova finestra) oder die geplanten Änderungen zum Abstammungsrecht (Si apre in una nuova finestra).
Bis bald im Podcast oder im Postfach!
Laura
Halt, Stopp! Eine Sache noch!
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Bild: Unsplash/Stefano Ghezzi