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Wie finde ich meine authentische Schreibstimme als Expert*in?

(Bildquelle: KI-generiert mit ChatGPT)


Beim letzten Community-Treffen meiner Sachbuchwerkstatt „Let Me Edutain You!“ im Oktober fragte mich Marion, eine Ärztin in unserer Gruppe, wie sie ihren eigenen Ton als Expertin finden könne. Eine klasse Frage, die mich direkt zu diesem Artikel inspiriert hat! Wissenschaft verständlich zu kommunizieren ist heute wichtiger denn je – sei es für Sachbücher, Blogs, Podcasts, YouTube oder die sozialen Medien.

Aber wie finden wir eigentlich unseren ganz eigenen Ton und unsere authentische Schreibstimme?

Lass uns dazu kurz in die Welt der Wissenschaft eintauchen. Stell dir Dr. Lena Fischer vor. Sie ist Biologin und erforscht die Rolle von Insekten im Waldökosystem.

Bildquelle: (KI-generiert mit ChatGPT)

Weil das Insektensterben die Natur aus dem Gleichgewicht bringen könnte, sind ihre Erkenntnisse brisant. Ihre Studien liest und schreibt sie auf Englisch, und hat eine „Wissenschaftssprache“, die voller Fachbegriffe, Abkürzungen und Anglizismen steckt. Mit Kolleg*innen spricht sie wie ein wandelndes Fachbuch. Aber sobald sie versucht, Außenstehenden ihre Forschung zu erklären, wird es schwierig. Meistens enden ihre Erklärungen in verwirrten Blicken beim Gegenüber und der Frage: „Äh … worum geht’s nochmal genau?“

Ein Beispiel:

Lena schreibt einen ersten Entwurf für eine Pressemitteilung zu ihrer aktuellen Insektensterben-Studie:

„Der Rückgang der Populationsdichten innerhalb der Insektenordnungen Diptera und Coleoptera könnte eine trophische Kaskade auslösen, die zur Destabilisierung des Waldökosystems führt.“

Klingt beeindruckend, aber das versteht wohl nur die “Biologen-Gang”. Übersetzung gefällig? „Ohne Käfer und Fliegen gibt es richtig Ärger im Wald!“

Lena merkt schnell: Das klingt irgendwie nicht nach einer Nachricht, die jede/r verstehen kann. Also versucht sie es erneut:

„Wenn Insekten sterben, gerät das Gleichgewicht im Wald ins Wanken – das betrifft andere Tiere und irgendwann auch uns.“


Schon verständlicher, aber ein bisschen trocken und fad. Sie entscheidet sich schließlich für eine bildhafte, direkte Variante:

„Ohne Insekten wird es eng im Wald! Vögel finden kein Futter mehr, Pflanzen werden nicht bestäubt, und am Ende bekommt das sogar unser Klima zu spüren. Kurz gesagt: Ohne die kleinen Krabbler läuft es im Wald nicht mehr rund!“

Jetzt versteht jeder: Insekten sind das Rückgrat des Waldes. Damit ihre Forschung auch in Zukunft gut ankommt, hält sich Lena an vier erste einfache Regeln für verständliches Schreiben:

Tipps

1. Den Bezug zum Alltag betonen: Raus aus dem Elfenbeinturm!
„Ein Problem im Wald ist am Ende auch unser Problem.“ Lena bringt es auf den Punkt: Insekten mögen klein sein, aber ihr Einfluss ist riesig. Mit klaren und bildhaften Worten erreicht sie nicht nur die Wissenschafts-Community, sondern auch alle anderen, die von der intakten Natur profitieren – also uns alle!

2. Fachjargon vermeiden – oder wie man Leute in die Flucht schlägt
Fachbegriffe sind super, wenn du mit deinen Leuten im Labor abhängst. Aber
beim Kaffeeplausch mit normalen Menschen? Eher weniger. Frage dich: „Würde meine Nachbarin dieses Wort verstehen?“ Wenn nicht, formuliere es einfacher. Alternativ kannst du Fachbegriffe einführen und sofort verständlich erklären. Ein Trick: Stell dir vor, du erklärst auf einer Party, was du machst – ohne Fachchinesisch, versteht sich.

3. Kurze Sätze: Mehr Luft zum Atmen
Lange, verschachtelte Sätze machen Texte schwer verdaulich. Kürze sie auf das Wesentliche. Ein guter Indikator: Wenn du beim Lesen deines Satzes Luft holen musst, ist er wahrscheinlich zu lang. Beispiel: „Die Ergebnisse der Studie, die über einen Zeitraum von fünf Jahren erhoben und in mehreren Ländern durchgeführt wurde, zeigten signifikante Unterschiede.“ Besser: „Die Studie lief über fünf Jahre und fand in mehreren Ländern statt. Sie zeigte signifikante Unterschiede.“ Voilà! So kann's jeder verstehen, und du musst keine Sauerstoffmaske holen. 😉

4. Bildhafte Vergleiche: Zeig, dass du kein Roboter bist
Wenn dein Text so trocken ist wie eine Anleitung zum Aufbau eines IKEA-Regals, darfst du dich nicht wundern, wenn Leser*innen schon auf Seite 2 abschalten. Bildhafte Vergleiche und gute Metaphern sind das Salz in der Suppe deines Textes.
Beispiel: „Insekten halten den Wald zusammen wie ein unsichtbares Netz.“
Oder: „Das Molekül verhält sich wie ein Teenager: Es will ständig mit allem interagieren, aber nur zu seinen Bedingungen.“

Noch mehr Tipps, um dich aus dem „Wissenschaftsdeutsch“ zu befreien:

 

5. Passiv vermeiden: Lass das „Es wurde untersucht“ mal weg!
Die Wissenschaft liebt das Passiv so sehr, dass man meinen könnte, sie hätte es erfunden. „Es wurde untersucht“ klingt, als hätte ein Geist die Arbeit erledigt. Besser: „Wir haben das untersucht!“ Oder noch besser: „Unsere Untersuchung zeigt…“ Aktive Sätze machen dich nicht nur lebendiger, sondern zeigen auch, dass du selbst noch existierst und nicht in den Tiefen der Bürokratie verloren bist.

6. Frage-Antwort – als wäre es ein Talkshow-Interview
Statt deine Leser*innen mit trockenen Fakten zu bombardieren, stell ihnen Fragen! So wird der Text interaktiver und erhält eine klarere Logik. „Warum verhält sich Licht wie eine Welle? Das liegt daran, dass…“ Stell genau die Fragen, die deine Leser und Leserinnen dir stellen würden, wenn sie direkt vor dir sitzen. Das macht den Text einladender und weniger abstrakt.

7. Storytelling: Sei die Heldin deines Textes!
Anstatt nur zu erklären, warum etwas so ist, erzähl mal eine Geschichte! „Ich saß da, völlig ratlos, vor diesem verrückten Experiment, als plötzlich…“ Zack, schon hängen dir das Publikum an den Lippen und alle scrollen nicht mehr weiter durch Instagram. Nutze persönliche Anekdoten oder Alltagsgeschichten, um deinen Text lebendig zu gestalten. Unsere Leser*innen finden leichter Zugang zu deiner Stimme, wenn sie sich in einer Geschichte wiederfinden können.

8. Nominalisierungen vermeiden: Das „-ung“-Ding, das du vermeiden solltest
Nominalisierungen entstehen, wenn Verben in Substantive umgewandelt werden. Beispiel: „Die Durchführung der Analyse wurde abgeschlossen.“ Gähn! Klingt so trocken wie ein Zwieback im Wüstenwind. Besser: „Wir haben die Analyse durchgeführt.“ Verben halten alles in Schwung und machen deine Texte lebendiger. Lass die Nominalisierungen im Aktenordner!

Tipp: Und ja, wenn du dein Thema einmal richtig durchdrungen hast, kannst du es leichter auf den Punkt bringen – wie aus der „Helikopter-Perspektive“. So erklärst du es anderen klar und präzise.

Schreibstimme

Warum ist die eigene Stimme so wichtig?

Dein eigener Ton verleiht dir Persönlichkeit, Authentizität und zieht Aufmerksamkeit für deine Expertise auf dich. Jede/r kann dem „Sound der Mehrheit“ folgen, aber das wird schnell langweilig. Diejenigen, die anders sprechen, sich nicht dem Einheitsbrei anpassen, erregen automatisch Aufmerksamkeit. Ja, das erfordert Mut – aber es lohnt sich!

Noch dazu stehen wir als Autor*innen im Wettbewerb mit unzähligen anderen Freizeitangeboten. Damit die Leute dir folgen, egal ob du schreibst, podcastest oder vloggst, muss es dein besonderer Stil sein, der heraussticht.

Einige bekannte Wissenschaftsstimmen mal unter die Lupe genommen:

Bildquellen: (alle Wikipedia: CC BY 3.0)

Antje Boetius: Die Meeresbiologin und Polarforscherin schreibt über die Ozeane und die Bedeutung des Klimaschutzes in einer persönlichen und inspirierenden Sprache, die oft über wissenschaftliche Fakten hinausgeht und eine philosophische Note annimmt. Über die warme und empathische Sprache, wird die Schönheit und Zerbrechlichkeit der Natur vermittelt. Ihre Texte regen dazu an, Verantwortung für die Umwelt zu übernehmen, und kombinieren wissenschaftliche Informationen mit einem Appell an die Gesellschaft.

Harald Lesch ist für seine zugängliche und oft humorvolle Art bekannt, Wissenschaft zu erklären. Als Astrophysiker bringt er philosophische und ethische Aspekte in seine wissenschaftlichen Erklärungen ein. Er spricht in einer leichten, oft lockeren Sprache, nutzt Vergleiche aus dem Alltag und schafft es, auch komplexe Konzepte verständlich zu machen. Seine persönliche Begeisterung für die Themen und sein Interesse am Dialog mit den Lesern und Zuschauern sind klar erkennbar.

Mai Thi Nguyen-Kim: Die Chemikerin und Wissenschaftsjournalistin erklärt wissenschaftliche Phänomene auf eine klare, unterhaltsame und oft humorvolle Weise, um ein breites Publikum zu erreichen. Sie verwendet eine moderne, freche Sprache und greift oft aktuelle Themen auf, um Wissenschaft in den Alltag zu integrieren. Ihr Stil ist direkt und dynamisch, und sie nutzt häufig persönliche Geschichten, um wissenschaftliche Konzepte nahbar zu machen.

Was spricht dich spontan am meisten an?

Schreibübungen

Wie entwickelst du deine eigene authentische Schreibstimme als Expert:in?

Oft ist es die Angst vor dem weißen Blatt und der perfekten Formulierung, die uns starr und kompliziert schreiben lässt.

Also – lass etwas mehr Lockerheit und Spaß zu!



Hier ein paar praktische Übungen, die dir helfen, deine persönliche Schreibstimme zu entwickeln:

  1. Automatisches Schreiben: Schreibe schnell und ungefiltert!
    Setze dir eine Zeit von mindestens 15 Minuten und schreibe mit Stift (bessere Verbindung der Hand zum Gehirn) ohne Unterbrechung. Lass den Stift über das Papier fliegen, ohne zu stoppen.
    Bei dieser Übung geht es nicht um Grammatik, Stil oder perfekte Sätze, sondern darum, den inneren Zensor auszuschalten und einfach zu schreiben, was dir in den Kopf kommt. Wenn dir kurz nichts einfällt, schreibe einfach „mir fällt nichts ein“ oder wiederhole den letzten Satz – das Ziel ist, den Fluss nicht zu unterbrechen. Durch das unzensierte Schreiben werden oft überraschende Ideen oder Gedanken sichtbar, die in deinem gewohnten, strukturierten Schreibprozess verborgen bleiben.
    Regelmäßiges automatisches Schreiben fördert die Kreativität und hilft dir, deine eigene Stimme zu entdecken, da es eine authentische Ausdrucksweise auf eine spielerische und unzensierte Art zum Vorschein bringt.

  2. Schreibe eine E-Mail an einen Freund!
    Stell dir vor, du schreibst einer guten Freundin oder einem guten Freund. Wenn du an eine vertraute Person schreibst, kommst du automatisch in deine natürliche Sprache. Und ja, schick die Mail ruhig ab – das macht es noch authentischer.

  3. Imitiere Vorbilder!
    Such dir Texte aus Sachbüchern oder Blogs, die dich inspirieren, und schreib Passagen zur Analyse und Übung ab. Ruhig bis zu zehn Seiten aus Büchern ;-). So erkennst du Muster im Schreibstil und ob etwas dich anspricht und was zu deinem Stil passen könnte.

  4. Nimm dich mit dem Mikro auf!
    Im Alltag sprechen wir oft klarer und persönlicher, als wir schreiben. Nimm dich doch einmal auf, zum Beispiel beim Kochen oder Autofahren, wenn du entspannt bist.
    Spezieller Tipp für Marions Wissensblog: Ärzte und Ärztinnen sind beim Gespräch mit Patienten oft sehr empathisch und direkt– und diese ganz natürliche Stimme wollen wir beim Schreiben einfangen. Also sich einfach mal selbst zuhören und mitschreiben :-).

Der Check

Der letzte Check: Der „Müller-Lieschen-Trick“

Lass jemand außerhalb deines Fachgebiets deinen Text lesen! Wenn diese Person den Text versteht und sagt: „Aha, jetzt verstehe ich endlich, was du machst!“, hast du es geschafft.
Wenn du nur ein „Hm... interessant!“ hörst und ein nervöser Blick zur Tür geht, solltest du nochmal ran.
Die Steigerungsstufe im „Herunterbrechen“ sehr komplexer Sachverhalte ist es übrigens , die eigene Wissenschaft einem fünfjährigen Kind zu erklären ;-). Versuch es mal nach dem ultimativen Prinzip “Sendung mit der Maus”!
Tipp: Hier hilft auch ChatGPT weiter.
Typischer Prompt: Erkläre einem Fünfjährigen Einsteins Relativitätstheorie oder die Fotosynthese oder was du gerade auf deinem Stapel hast.

Ich hoffe, dass dir meine Tipps etwas dabei weiterhelfen, deine ganz eigene Stimme als Experte oder Expertin zu finden, die sowohl Leser anspricht als auch deine Expertise auf authentische Weise zeigt – ganz ohne Fachchinesisch!

Im besten Fall hörst du dann auch von deinen Freunden: "Beim Lesen höre ich dich sprechen!”. So das Fazit meiner Freundin Silke nach dem Lesen meiner Sachbücher.

Lass mich sehr gerne wissen, was bei dir am besten funktioniert und ob du doch noch ganz andere Erfahrungen für uns hast?

 

Deine Susanne Thiele

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