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Coming Out an einem christlichen College: Aufarbeitung mit einem Podcast

Von Klaus Martin Höfer

Ein schwuler Student hat sein Coming Out an einer der illiberalsten Hochschulen des Landes. In einem Podcast schildert er seine Erlebnisse und hat dafür auch andere Studierende und Lehrende der Universität interviewt. Der Podcast gibt einen  Einblick in das Zusammenleben auf einem Campus mit Kontrolle, Überwachung und Verboten. Der Titel: "Wie ich BJU überlebte". Mehr als 20 000 mal wurde er  mittlerweile abgerufen. 

Andrew Pledger ist in einer kleinen fundamentalistischen Baptistengemeinde mit strengen Regeln groß geworden. Deswegen war es nicht verwunderlich, dass ihn seine Eltern nach der High School auf ein christliches College schickten. Nur dafür hätten sie Geld ausgegeben, um einen Hochschulabschluss zu finanzieren – so wie viele konservative christliche Eltern, die ihre Söhne und Töchter nicht dem Einfluss säkularer liberaler Hochschulbildung aussetzen wollen.

Bei der Bob Jones University mussten sie sich keine Sorgen machen: Die Evolutionslehre ist des Teufels, statt dessen wird der "Young Earth Creationism" gelehrt, der überzeugt ist, dass die Erde vor höchstens 10 000 Jahren durch direktes Handeln Gottes entstanden ist, mit wörtlich genommenen sechs Tagen zu je 24 Stunden und einem Ruhetag, wie es im 1. Buch Mose steht. Die Universität erlaubt keinen Alkohol und keinen vorehelichen Sex. Selbstredend auch, dass LGBT-Lebensweisen nicht geduldet werden. So weit, so erwartbar auf einem christlichen College in den USA. 

Andrew merkte bald, dass die BJU noch einen drauflegt, und zwar mit Regeln wie diesen:  Kein körperlicher Kontakt zwischen unverheirateten Männern und Frauen (für ein Foto dürfen sie sich kurz einen Arm um Schulter oder Rücken legen), Rock, Pop, Jazz, Country und Rapmusik tragen die Zeichen "unserer derzeitigen verkommenen Kultur" und sind zu meiden, sonntäglicher Besuch im Gottesdienst ist Pflicht, das Zimmer wird drei Mal in der Woche kontrolliert, der Computer muss für Kontrollen passwortfrei zur Verfügung stehen. Alle Kommilitonen sind aufgefordert, verbotenes oder verdächtiges Verhalten von anderen zu melden, zum Beispiel, wenn sie Licht in einem Zimmer zu einem Zeitpunkt sehen, wenn eigentlich sich alle zum Gottesdienst- oder anderen Kirchenveranstaltungen treffen sollten. Melden sie die vermeintichen Übeltäter nicht, gelten sie als ebenso "schuldig". 

Zunächst versuchte Andrew noch, seinen Glauben, seine Sexualität und seine Haltung als selbstbestimmendes Individuum in Übereinstimmung zu bekommen. Er hatte schon zuhause gelernt, sich anzupassen, also versuchte er dies auch an der BJU. Doch über die Jahre kamen ihm Zweifel. Er verstieß immer öfter gegen die strengen Regeln, hoffte, dass dies nicht entdeckt würde. Wenige Monate vor seinem Abschluss schließlich outete er sich – und wurde binnen weniger Tage aus dem College geworfen. In den Augen der Bob Jones Universität war dies nur folgerichtig. 

1927 war sie von dem gleichnamigen Prediger gegründet worden, weil er fürchtete, die an staatlichen und auch an konfessionellen Hochschulen unterrichtete Evolutionslehre werde die USA zu einer "Nation von Atheisten" machen. Dagegen wollte er mit der BJU angehen, auch wenn er selbst gar keinen Hochschulabschluss besaß. Beinahe wäre die BJU pleite gegangen, doch wie so viele andere Colleges, vor allem die auf Gewinn ausgerichteten, profitierte sie von der "GI Bill", mit der ab dem Ende des Zweiten Weltkriege Millionen von vor allem weißen US-Soldaten ein staatlich gefördertes Hochschulstudium ermöglicht wurde und es daher einen riesigen Bedarf an Studienplätzen gab. Derzeit sind etwa 40 000 Studierende an der BJU eingeschrieben. 

Was Trump in seiner Agenda 47 schreibt, was DeSantis in Florida und Gouverneure in einigen anderen Bundestaaten an restriktiver Gesetzgebung für die öffentlichen Hochschulen vorhaben, schreckt Studierende und Lehrende an christlichen Colleges wie der BJU  selten. Genau aus solchen Gründen haben sie oder ihre Eltern sich oft diese Hochschulen ausgesucht. Und unabhängig von den politischen Machtverhältnissen in Washington oder den jeweiligen Bundesstaaten halten viele an diesen Präferenzen fest. 

Nachdem Pledgers erster Podcast offenbar bei vielen, auch ehemaligen Studierenden,  einen Nerv getroffen hat, dreht sich die Diskussion um die Frage, ob die Bob Jones-Uni mit ihrem abgeschlossen Wertesystem und Schwarz-Weiß-Denken weniger eine Religion repräsentiert als ein Kult ist – eine Frage, die einige Therapeuten von Aussteigern aus diesem System bejahen. In einer neuen Podcast-Serie spricht Pledger darüber, einmal im Monat. Er hat sich dafür mit anderen ehemaligen Studierenden und Mitarbeitenden der BJU zusammengesetzt, auch mit anderen LGBT-Menschen, die von ihrem Leben auf dem Campus erzählen und wie sie BJU "überlebt" haben, so der Titel des Podcasts. Interessant ist in diesem Zusammenhang, was Religionssoziologen herausgefunden haben: Jüngere Evangelikale sind offenbar toleranter als ihre Eltern gegenüber LGBT-Menschen auf dem Campus. Doch die Eltern zahlen zumeist das Studium – und erwarten entsprechende Strenge von den Colleges. 


Hintergrund:

Konfessionelle und christliche Colleges in den USA

Es gibt in den USA mehrere hundert Colleges und Universitäten mit einem religiösen  oder konfessionellen Hintergrund. Dazu gehört zum Beispiel die wissenschaftlich angesehene Georgetown University in Washington D.C.,  die von Jesuiten geleitet wird. Etliche Hochschulen wurden im Umfeld der "mainline protestant churches" gegründet, also den eher liberalen protestantischen Kirchen. Eine Verpflichtung zu Glaubensbekenntnissen und Gottesdienstbesuchen gibt es dort heutzutage nicht. Ein Beispiel ist die Moravian University in Bethlehem (Pennsylvania), die ihre Wurzeln in der "Herrnhuter Brüdergemeine" sieht. Die "Moravians", wie die Kirche in den USA heißt, zählt dort zu den "mainline churches"; die Universität bezeichnet sich als "private" Einrichtung.

Die etwa 140 Universitäten, die sich ausdrücklich als "christlich" bezeichnen, heben sich noch einmal sehr stark ab und ordnen sich in das US-amerikanische evangelikale Spektrum ein. Meist beziehen sie sich dabei auf die "five fundamentals", die fünf Glaubenssätze, die Anfang des 20. Jahrhunderts von konservativen Theologen im Streit mit dem Modernismus und der historisch-kritischen Methode der Bibelauslegung formuliert wurden (Unfehlbarkeit der Bibel, Jungfrauengeburt Jesu, Christi Tod als Sühne für menschliche Sünde, körperliche Auferstehung Jesu, historische Realität der Wundertaten Jesu). Eine als wörtlich verstandene Auslegung der Bibel setzen sie dabei voraus.

Es gibt zwei Dachverbände, die auch Akkreditierungen vergeben: Das "Council for Christian Colleges & Universities" (CCCU) und die  "Transnational Association of Christian Colleges and School" (TACCS). Bei Mitgliedshochschulen des CCCU hat es in den vergangenen Jahren immer wieder Diskussionen um Standards gegeben, und zwar nicht um die akademischen Standards, sondern inwieweit einzelne Hochschulen und auch der Dachverband selbst noch die Standards der "five fundamentals" einhalten. Zudem ging es um die Anerkennung der gleichgeschlechtlichen Ehe, die Anstellung gleichgeschlechtlicher Paare oder homosexueller oder lesbischer Dozenten und Dozentinnen. Einige Mitgliedhochschulen schieden deswegen aus. Streng den Kurs der "five fundamentals" fährt dagegen die "Transnational Association of Christian Colleges and School", in der auch die Bob Jones University Mitglied ist. 

Hochschulen wie die BJU haben es lange nicht angestrebt, außerhalb ihrer Vereinigungen akkreditiert zu werden. Doch dies hat sich geändert. Die BJU begann dies in Fächern, die naturwissenschaftlich weniger umstritten sind: Kunst und Musik –  und sie hat sich dabei durchaus ein Renomee aufgebaut. Mittlerweile rühmt sich die Hochschule, dass die meisten ihrer Lehrenden Abschlüsse anderer Hochschulen vorweisen, und dann an die BJU gekommen oder zurückgekehrt sind. Auch einige andere christliche Hochschulen sehen sich mittlerweile nicht nur als Ausbildungsstätte für Studierende mit einem evangelikalen Hintergrund – und auch eher säkulare Studierende, die sich nicht an den strengen Regeln stören, ziehen christliche Colleges zumindest für ein paar Semester in Betracht, wenn sie denn andere Vorteile bieten, zum Beispiel Kurse und Abschlüsse, die auch von "weltlichen" Akkreditierungsorganisationen anerkannt sind. Und wenn ein solches College nahe am Heimatort ist: Rund drei Viertel aller Studierenden sucht sich eine Hochschule in einem Umkreis von 100 Meilen vom Elternhaus aus.

Argomento Studierende

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