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Willkommen im Hotel „Kinderzimmer”

(Auf die Ohren und lesbar.)

Ich schreibe jeden Tag einen kleinen Text in ein Notizbuch. Drei Sätze plus ein Highlight. Denn jeden Tag passiert etwas Besonderes. Jeder Tag hat einen Höhepunkt. Zum Ende des vergangenen Jahres wurde das schon immer schwieriger. Und momentan erscheint es mir nahezu unmöglich, ein Highlight des Tages aufzuschreiben. Denn jeder Tag ist gleich. Mir fehlen diese Momente, an denen etwas anderes passiert als erwartet. Auch die Wochenenden sind vorhersehbar. Der Ablauf ist etwas langsamer, aber im Grunde passiert auch wieder nichts. Ich finde keine Höhepunkte mehr, weil Alltag, Wochenende und jetzt auch Urlaub keinen Unterschied mehr machen.

Das eine geht nur mit dem anderen. Urlaub und Wochenende sind nur dann schön, wenn nach Hause kommen glücklich macht. Wiederum ist der Alltag nur angenehm, wenn es das Wochenende und den Urlaub gibt. Das ist wie in einer Beziehung: Partner geben einander Raum. Jeder muss mal raus und ohne den anderen sein. Nichts ist schöner als das Gefühl, den Partner zu vermissen und ihn bald wieder bei sich zu haben. Vermisst einer den anderen nicht mehr, ist die Krise nah.

Urlaub wie Alltag

Nun merke ich gerade, dass ich in einer tiefen Krise stecke. In einer Beziehungskrise. Aber ich bin nicht Teil dieser Krise, sondern mittendrin. Die Beziehung zwischen meinem Alltag und meinem Urlaub ist gestört. Denn es ist alles gleich.

Gerade haben wir zwei Wochen Osterferien hinter uns, in denen wir eigentlich auf einer griechischen Insel gewesen wären.

Die Tage plätscherten also einfach weiter dahin, obwohl ja frei war. Ich nahm mir zwar schon die Freiheit, in der Osterwoche nicht zu arbeiten, aber es fiel mir schwer, das Gedankenkarussell anzuhalten. Klar, das Kind musste nicht für zweieinhalb Stunden in die Schule, aber ansonsten blieben die Tage wie vorher.

Frühstück gleich.

Schule gleich.

Alltag gleich.

Ferien gleich.

Wochenende gleich.

Urlaub gleich.

Das Besondere war weg. Wir hatten es verloren und das führte bei mir dazu, dass meine Grenzen verschwammen und ich nichts mehr ernst nehmen konnte und wollte. Ich lag morgens im Bett und musste mich wirklich zwingen aufzustehen. Ich wollte meine Freundinnen sehen und es war mir egal, ob wir getestet sind oder wer wen anstecken könnte. Es ist doch sowieso alles gleich. Vielleicht ist es dann auch gleich wie vor Corona. Mein Kopf schwirrte, obwohl nichts passierte. Ich blieb einfach liegen. „Denn liegen ist Frieden,“ zitierte ich die Sängerin Elen leise vor mich hin.

Zweites Kind = Zweite Welle

Die Scheidungsanwältin Helene Klar schreibt im Süddeutsche Zeitung Magazin, dass der häufigste Scheidungsgrund das zweite Kind ist. Übertrage ich das mal auf die Ehe von Alltag und Urlaub, dann ist der Alltag gerade mit dem dritten Kind schwanger. Und das, obwohl das Zweite noch lange nicht aus dem Gröbsten raus ist.

„Mit dem zweiten Kind tritt der permanente Ausnahmezustand ein. Sicher, selbst Leute, die zehn Jahre verheiratet sind, kriegen das erste Kind, und schwupp, geht die Ehe den Bach runter. Aber selbst wenn man die erste Krise überstanden hat, kommt mit dem zweiten Kind die größere Krise“, sagt die Anwältin.

Wenn ich mir das so durch den Kopf gehen lasse, wird mir total klar, warum ich nicht aufstehen kann. Ich befinde mich nämlich mitten in einem totalen Ausnahmezustand. Nach der ersten Welle (also dem ersten Kind) vergangenen Frühling rappelten wir uns auf, machten einen abgespeckten Sommerurlaub und ahnten nicht, dass die zweite Welle uns so erschlagen würde. Das zweite Kind also zerlegte im Winter all unsere Hoffnung und fast keiner konnte sich vorstellen, wie der Alltag und der Urlaub jemals wieder zueinanderfinden sollten.

Mit den Impfungen kam die Hoffnung und vor lauter (Un-)Glück wurde der Alltag wieder schwanger. Das ging aber für den Urlaub viel zu schnell, er war noch nicht bereit. Wir hocken nach wie vor zu Hause und der Urlaub entfernt sich immer weiter von seinem Alltag. Und das spüre ich sehr stark, vor allem meine Seele spürt das.

Meine Sehnsucht nach Flucht und Geselligkeit bestimmt mein Denken und Handeln. Ich tue quasi alles, nur um unter Menschen zu kommen. Bitte testet mich ständig und immerzu, nur damit ich raus kann. Aber die Tests sind rar, von den Impfungen will ich gar nicht erst sprechen und die Scheidung ist kaum mehr abzuwenden.

Gönnen und strahlen

Ich stelle mir nun vor Alltag und Urlaub kommen zu mir in eine Eheberatung. Was würde ich ihnen sagen? „Achten sie aufeinander, versuchen sie sich zu schätzen und lassen sie den anderen mal wieder strahlen. Gönnen sie ihrem Partner nur das Beste.“

Das ist für Alltag und Urlaub gar nicht so einfach. Ihre Situation ist ziemlich festgefahren, denn der Alltag hat sich mit einem Virus eingelassen und dieser unterdrückt den Urlaub.

Aber sie wollen es versuchen. Sie wollen sich mehr Zeit geben und geduldig sein. Der Alltag lässt den Urlaub wieder strahlen, indem er ihm erlaubt zu hoffen, dass er auch mal wieder in den Vordergrund rücken darf. Die ersten in meinem Familien-und Bekanntenkreis sind geimpft und die nächsten Termine sind gemacht. Also Hoffnung ist ein guter Rat. Klappt ein bisschen.

Nächster Punkt, den Alltag auch wieder strahlen lassen und ihm etwas gönnen. Er ist ganz schön traurig und weiß gar nicht, woher er noch die Kraft nehmen soll, um über die schwere Zeit zu kommen. Er fühlt sich schuldig an der Misere. Dem Alltag muss also geholfen werden.

Was haben wir gemacht? Die erste Aktion war für mich umräumen und aussortieren. Also das Bücherregal auf den Kopf gestellt, alles raus, was nicht mehr gelesen wird und das Regal in den Keller. Die übrig gebliebenen Bücher hab ich nach Farben sortiert. Klingt erst mal komisch, sieht aber sehr frisch aus. Jetzt ist im Wohnzimmer so viel Platz, dass der Esstisch umgestellt wird. Bilder hab ich umgehängt und Pflanzen verstellt. Es sieht neu aus und verändert den Alltag. Zwei Wochen fühlte es sich fast wie Urlaub an.

Die nächste Aktion waren umfangreiche Tests und Übernachtungen bei allen Omas und Opas. Der Alltag strahlte, er fühlte sich, als wäre er im Urlaub. Der beruhigte sich ein bisschen und gönnte seinem Liebsten etwas innere Ruhe.

Besteht also Hoffnung für Alltag und Urlaub? Können sie sich retten und ihre Liebe neu strahlen lassen? „Ich denke schon, dass Sie das schaffen können“, rate ich den beiden in der Sitzung. „Sie müssen nur aneinander glauben und auch in der Krise nicht vergessen, was sie an ihrem Partner schätzen. Freuen sie sich aufeinander und vergessen sie nicht, dass es sich lohnt, auch düstere Zeiten zusammen durchzustehen.“

Höhepunkt des Tages: Ausflug ins Hotel „Kinderzimmer“.

Wir werden diese Krise mit dem Alltag und dem Urlaub zusammen aushalten und wenn es bedeutet, dass wir wochenweise den Schlafplatz im eigenen Haus wechseln müssen.

Bleibt leicht & lebendig!
Eure Heli

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