Passa al contenuto principale

PROPAGANDHI - Geborene Musiker

Wenn man schon gar nicht mehr damit rechnet, kommen PROPAGANDHI mit einem neuen Album um die Ecke. „At Peace“ ist das erste Werk der kanadischen Prog-Punks seit acht Jahren. Wir sprechen mit Frontmann Chris Hannah über den Schreibprozess und die Ausrichtung des aktuellen Albums, der Notwendigkeit von Humor und seine Verbindung zu Heavy Metal.

Wann habt ihr angefangen, an dem Album zu schreiben?
Nun, Teile davon sind wahrscheinlich noch vom letzten Album übrig, um ehrlich zu sein. Dann entstanden sporadisch immer wieder kleine Stücke – ein kleines Riff hier, ein kleines Riff da. Aber wahrscheinlich war es erst 2024 im August, dass wir wirklich angefangen haben, das Songwriting ernst zu nehmen. Dann gab es eine sechsmonatige Phase, bevor wir ins Studio gingen, in der es für mich hieß, dass ich mich komplett darauf fokussiere. Es ist daher schwer abzuschätzen, wie viel Zeit wirklich draufging. Aber es fühlte sich so an, als hätten wir – für uns, für die Art Band, die wir sind, die Art Menschen, die wir sind – in kurzer Zeit viel erreicht. Auch wenn seit dem letzten Album acht Jahre vergangen sind.

Gilt das auch für das Schreiben der Texte? Zieht sich das auch über den ganzen Zeitraum?
Ja, die Ideen auf jeden Fall, aber das Arrangieren der Ideen geschah eher in dieser komprimierten Zeitspanne. Zum Beispiel bei dem Song, der als Single von Epitaph veröffentlicht wurde, „At peace“, darin stecken im Grunde vier verschiedene Songideen, wahrscheinlich von 2017 bis 2022, und schließlich wurden sie alle zu vier verschiedenen Versen zusammengesetzt. So ein bisschen wie bei dem Film „Pulp Fiction“ von Tarantino – vier separate, miteinander verflochtene Stränge, die am Ende irgendwie zusammenlaufen. Nur als Beispiel dafür, wie das bei uns funktioniert. Aber ja, viele der Ideen existierten wahrscheinlich über die gesamten acht Jahre hinweg. Aber manche, wie der erste Song auf der Platte – ich glaube, der kam sehr schnell zustande. Todd hat ihn geschrieben, das war erst ziemlich spät im Schreibprozess. Aber jeder Song funktioniert anders, es kommt immer auf den Einzelfall an.

https://youtu.be/Y4LUHJmPRHE?si=Y4-OHz3HccuaIuRz (Si apre in una nuova finestra)

Und dann natürlich die offensichtliche Frage: Warum hat es so lange gedauert, bis ihr eine neue Platte fertig hattet? Ich nehme an, das werdet ihr ständig gefragt ...
Ja, die Leute fragen uns das seit den 1990ern. „Warum braucht ihr so lange für neue Platten?“ Es lag typischerweise immer so ein Fünf-Jahres-Zyklus zwischen den Alben. Und seit „Victory Lap“ sind es, wenn man die zwei Jahre Pandemie nicht mitzählt, auch fast wieder diese fünf Jahre. Wir sind keine geborenen Musiker. Alles ist für uns ein Kampf, eine Herausforderung. Es dauert bei uns also doppelt so lange wie bei anderen – also bei solchen Leuten, die ein Talent für Worte haben, die ein Talent für Musik haben, denen so etwas leichtfällt. Die jeden Tag aufstehen und einfach Songs schreiben. Wir machen das nicht. Wir können das nicht. Ich denke, wir sind einfach nicht in der Lage, schneller Songs zu schreiben.

Gleichzeitig finde ich, dass euer Songwriting immer verschachtelter und progressiver wird von Album zu Album. Ich tappe jedes Mal in die Falle und erwarte ein streetpunkiges Album. Aber was wir beim letzten und beim neuen Album bekommen haben, ist wesentlich progressiver. Jetzt sagst du mir, ihr seid keine geborenen Songwriter. Wie passt das zusammen? Ist es einfach Glück, dass die Songs so rauskommen? Oder ist das euer Ziel, dass sie komplex und nicht leicht verständlich sind?
Nun, ich denke, was wir schlussendlich aufnehmen können, ist einfach das Ergebnis von purem Durchhaltevermögen. Aber es ist auch der Spaß an der Sache im Proberaum. Für mich ist das Einzige, was ich am Banddasein mag, der Proberaum. Alles andere mag ich nicht. Ich mag keine Touren, ich mag nichts außer Proben. Ich spiele nicht mal gern Shows. Ich liebe es, im Proberaum zu sein, herumzuexperimentieren und diese Momente, in denen man sich anschaut und sagt: „Wow, hast du das gehört?“ Und du denkst dir, das ist wirklich gut. Ich glaube, im Herzen sind wir Musikfans, und wir suchen wahrscheinlich ständig nach dem Gefühl, das wir als Kids hatten, als wir zum ersten Mal die Thrash-Metal-Bands hörten. Dieses Gefühl von „Wow, was ist das? Das ist verrückt.“ Und wir versuchen, dieses Gefühl durch unsere eigene Erkundung von Instrumenten und Klängen wieder zu erzeugen. Wie gesagt, es ist schwer für uns, weil wir keine geborenen Musiker sind. Aber wir versuchen wirklich, das zu überwinden. Und es passiert einfach, dass die Arrangements oder die Musik, die wir finden, dieses Gefühl hervorrufen – kein nostalgisches Gefühl, sondern das Gefühl: „Wow, wir sind auf einem Abenteuertrip!“ Aber für andere Leute klingt es vielleicht proggig oder metallisch oder was auch immer.

https://youtu.be/IaczEDfTE3M?si=B7xmlDVrtJZXj52P (Si apre in una nuova finestra)

Ja, ehrlich gesagt finde ich euren Sound nicht wirklich metallisch. Mein Hintergrund ist Heavy Metal, auch die extremeren Formen. Vielleicht sind eure Strukturen progressiver oder vom Punk entfernt, aber auf der Heaviness-Skala seid ihr nicht an der Spitze.
Nein, das sind wir nicht. Wir sind keine Metalband. Und wir sind auch keine Punkband. Offensichtlich.

Aber trotzdem fand sich in eurem Pressetext dieser kleine Hinweis, dass ihr euch beim neuen Album ein wenig vom „Firepower“-Feeling von JUDAS PRIEST habt inspirieren lassen. Großartiges Album, wenn man bedenkt, dass es von Leuten in ihren 70ern kommt, die das seit fast 50 Jahren machen. Hört ihr immer noch hauptsächlich die alten Legenden, die ihr als Jugendliche entdeckt habt? Oder verfolgt ihr auch noch, was aktuell in der Metal-Szene passiert – mit all den Revival-Bands im Thrash, Death oder Heavy Metal?
Also ich denke, das passiert jedem: Man hängt an dem, was man in seiner prägenden Zeit erlebt hat. Und was JUDAS PRIEST und die Alben „Firepower“ und „Invincible Shield“ angeht, das ist eine Band, die inspirierend ist, weil sie etwas gemacht hat, das so gut ist wie „Defenders Of The Faith“. Eins ist eigentlich spannend: Die meisten Bands verschwinden irgendwann. Aber die Bands, die wir immer gemocht haben, die wir bewundert haben, waren die, die weitermachten. VOIVOD veröffentlichen immer noch gute Platten. SACRIFICE veröffentlichen immer noch gute Platten. Auch SNFU machten– bis sie aufhörten – gute Platten. Und JUDAS PRIEST veröffentlichen auch einfach gute Platten. Es gab eine Phase, wo ich ihre Alben mittelmäßig fand, aber als sie „Firepower“ rausbrachten, dachte ich: Heilige Scheiße, das ist irre! Todd interessiert sich wahrscheinlich mehr für neue Sachen als ich, aber ich habe kürzlich eine italienische Band namens MESSA gehört, so gut. Die Single „At Races“, perfekt. Erinnern mich ein bisschen an UNTO OTHERS, so ein 1980er-Goth-Vibe, den ich echt mag. VOUNA, hast du von denen gehört? Eine Black-Metal-Version dieses Goth-Zeugs aus Olympia.

Nein, ich glaube nicht.
Die sind richtig gut. CHEMICIDE aus Costa Rica, großartig. Oder noch eine italienische Band: THE 7TH GUILD.

Auch die kenne ich nicht.
Wow, der Sänger, fast schon lächerlich. Sie haben so ein Kreuzzugs-Piraten-Thema, aber so großartig. Sie versuchen, jeder Faser dieser Musik Glanz zu verleihen. Ich geh manchmal die Playlists von Streamingdiensten durch, neue Metal-Sachen – 90% überspringe ich. Aber dann findet sich manchmal eine so großartige Band. Ich verfolge das ein bisschen, aber nicht wie besessen.

Zurück zu eurer Platte: Die Texte sind meiner Meinung nach deutlich introspektiver als bei früheren Veröffentlichen. Wie kam es dazu? Wir haben ja schon am Anfang darüber gesprochen, dass die Ideen über die letzten sieben, acht Jahre gesammelt wurden. Wonach habt ihr die Ideen schließlich ausgewählt?
Das Introspektive haben wir schon lange da. Es kann vielleicht so wirken, als ob das bei diesem Album besonders der Fall ist. Ich weiß nicht ... Ich habe das Gefühl, es war schon immer da – also nicht immer, aber ich würde sagen, seit dem „Supporting Cast“-Album. Ich verstehe, was du meinst, aber diese Selbstreflexion war schon lange ein Thema. Vielleicht wird sie einfach stärker mit der Zeit. Ich finde es interessanter, mich mit der Frage zu beschäftigen, wie man ein sinnvolles Leben in einer völlig durchgedrehten Welt führen kann. Und vielleicht haben wir in gewisser Weise einen Großteil des eher politischen Materials ausgeschöpft. Also die direkten, klaren Aussagen über die Welt. Das ist nicht weg – es ist immer noch da, aber es muss nicht ständig wiederholt werden. Doch es ist immer noch Teil des Ganzen.

Also wie viel dunkler es noch werden kann, bevor alles zusammenbricht, und wir hoffentlich etwas Neues an seiner Stelle aufbauen können?

Das Album heißt „At Peace“. Wenn du dir eine Welt bauen könntest, in der du, deine Familie und alle Menschen in Frieden leben könnten – wie würde sie aussehen?
Nun, da gibt es zwei Antworten. Da ist die utopische Antwort, nämlich so eine Art Rückbesinnung darauf, wie Menschen vor der Zivilisation gelebt haben. Ich vermute, dass die Menschheit damals vielleicht tatsächlich die höchste Form ihrer Existenz erreicht hat. Ich meine, das ist wahrscheinlich das, was ich als fortgeschrittene Gesellschaft bezeichnen würde: eine Gesellschaft ohne Zivilisation. Andererseits gibt es eine Antwort, die eher im aktuellen Kontext verwurzelt ist. Und die Wahrheit ist: Ich verlange eigentlich nicht viel. Wenn wir einfach die Kluft zwischen Arm und Reich, zwischen Mächtigen und Machtlosen ein wenig verringern könnten – oben etwas abschneiden, unten etwas anheben – dann hätten wir eine humanere Variante von dem, was wir jetzt haben. Aber das ist nicht der Kurs, den die Zivilisation gewöhnlich zulässt. Es ist eher das Gegenteil: die Spaltung wird immer größer. Und im Moment ist es schwer zu erkennen, wie wir da wieder rauskommen sollen, ohne dass es vorher noch viel schlimmer wird. Aber auf der anderen Seite ... Ich habe neulich ein Interview mit einem eigentlich sehr zynischen, altgedienten Aktivisten gesehen. Und der hat mich überrascht, indem er sagte: Vielleicht können wir das als eine Art Hoffnung betrachten. Also wie viel dunkler es noch werden kann, bevor alles zusammenbricht, und wir hoffentlich etwas Neues an seiner Stelle aufbauen können?

Ja, okay. Ich sehe das nicht. Ich sehe im Moment kein Licht am Ende des Tunnels.
Ich auch nicht. Aber das ist ja gerade der Kampf, der sich durch diese Platte zieht. Das ist das ganze Ding, „At Peace“. Wie kommen wir dahin? Aber, das andere, was diese Person gesagt hat, war: Man kämpft nicht deshalb, weil man sicher gewinnt. Man kämpft und müht sich im Angesicht der sicheren Niederlage – für den Versuch an sich. Das ändert nichts an unseren Aussichten, aber in dem Moment, in dem der das sagte, ist meine Verzweiflung deutlich kleiner geworden. Ich habe also einen kleinen Auftrieb gespürt – so nach dem Motto: Ja, er hat recht. Wenn wir einfach aufgeben, bleibt nicht alles gleich. Es wird schlimmer. Also müssen wir immer weitermachen, uns wehren, wo wir können. Was sollen wir sonst tun? Weißt du, wir müssen herausfinden, wie wir mit uns selbst leben können. Und in meinem Fall, ich habe Kinder, ich will nicht, dass sie am Ende meines Lebens sagen: „Du nichts gemacht. Du warst währenddessen einfach nur in einer beschissenen Band.“ Man muss rausfinden, was man mit dem Rest seines Lebens macht, das bedeutungsvoll ist.

Andererseits konterst oder milderst du all diese sehr schweren Themen auf dem Album mit Ironie und Sarkasmus. Das ist ja nichts Neues für PROPAGANDHI, das habt ihr immer gemacht, aber auf diesem Album fällt es besonders auf, weil die Themen ziemlich düster sind. „Cat guy“ zum Beispiel – hier ist es offensichtlich, dass du es durch Sarkasmus auflockerst und dem Song einen netten Dreh gibst.
Ich versuche nicht bewusst, es für Leute verdaulicher zu machen. Aber ich glaube, was da passiert ist ... Kennst du die Band SNFU aus Kanada? Ihr Sänger war Mr. Chi Pig. Hierzulande war er eine große Nummer. Ich würde ihn als den wahren Staatsdichter Kanadas bezeichnen. Leider ist er vor ein paar Jahren gestorben. Ich denke, besonders beim Schreiben dieser Platte habe ich vielleicht so eine Art Sportpsychologie oder einfach einen Weg gesucht, mich zu zentrieren oder sogar einfach Spaß zu haben – also habe ich versucht, Mr. Chi Pigs Geist zu channeln. Es ging um die Art, wie er an Dinge heranging. Er hat sehr ernste und düstere Themen mit enormem Humor behandelt. Und ich glaube, ich war stark davon beeinflusst, besonders von ihrem Album „In The Meantime And In Between Time“. Meine Texte gleichen nicht dem, was Mr. Chi Pig gemacht hat, aber mein Ziel war es, die deprimierenden Themen mit seinem Geist zu durchdringen. So hat das, denke ich, angefangen.

https://youtu.be/YxRchr2Tm3k?si=iRvlrocPUQRvTp7h (Si apre in una nuova finestra)

Und kannst du dir vorstellen, ein Texte zu schreiben ohne diesen Twist, ohne diesen Hoffnungsschimmer, sondern einfach nur durchgehend depressiv?
Nein. Mir macht es auch einfach mehr Spaß und ist auch spannender, wenn ein Song abwechselnde Stimmungen enthält. Andererseits sind Todds Songs auf dieser Platte verdammt ernst. Da werden keine Witze gemacht. Ich war auch bei denen beteiligt am Schreibprozesses – nicht bei den Texten selbst, aber ich schätze sie sehr. Und vielleicht hilft gerade der Kontrast zwischen seinen und meinen Liedern einigen Leuten, das gesamte Album durchzuhalten. Es ist nicht nur entweder das eine oder das andere – man bekommt ein bisschen beides.

Dann habe ich noch eine letzte Frage. Wenn der junge Chris Hannah, der „How to Clean Everything“ geschrieben hat, sich das neue Album anhören würde – was würde er denken?
Ich denke, der junge Chris würde sagen: „Heilige Scheiße, endlich. Wir haben es endlich geschafft.“ Ich meine, vielleicht hätte ich das vor ein paar Alben auch schon gedacht – aber jetzt konnten wir wirklich das umsetzen, was wir von Anfang an wollten. Nämlich uns weiterentwickeln, uns selbst herausfordern, nicht wie eine Band aus Südkalifornien klingen, uns lieber auf einige unserer frühen Einflüsse besinnen. Als wir die Band gegründet haben, war Jord der Punk, ich war der Metalhead. In meiner Vorstellung sollten wir eher wie KREATOR, SACRIFICE oder CELTIC FROST klingen. Und wir haben es versucht. Die Vocals waren brutal schlecht. Dann haben wir BAD RELIGION entdeckt, das „Suffer“-Album, und dachten: Vielleicht können wir das mit einbauen. Und dann klangen wir für ein paar Jahre wie diese ganzen südkalifornischen Bands. Doch sobald uns das bewusst wurde, haben wir uns davon wieder abgewandt. Wir sind über die Jahre besser an unseren Instrumenten geworden. Und ich glaube, der junge Chris wäre überrascht, aber auch begeistert, das zu sehen: Da werde ich also mal landen? Musikalisch? Okay, cool.
Manuel Stein

Lest auch:

https://steadyhq.com/de/fuzemagazine/posts/6c25198b-c351-4f1d-b5d1-9b798168c6c1 (Si apre in una nuova finestra)
Argomento Interviews

0 commenti

Vuoi essere la prima persona a commentare?
Abbonati a FUZE Magazine e avvia una conversazione.
Sostieni