100 Ausgaben FUZE - PARKWAY DRIVE (2010)
Kaum eine Band hat den Metalcore so groß gemacht und in Arenen befördert wie die Australier aus Byron Bay. Für viele ist bis heute ihr "Deep Blue" Album von 2010 ein Favorit und Klassiker des Genres. Winston McCall war damals auf dem Cover von FUZE.23 und stand uns Rede und Antwort zu dem Album. Das Interview führt damals Carl Jakob Haupt (Si apre in una nuova finestra), der leider 2019 an einer Krebserkrankung verstorben ist.
Lest hier nun sein Interview aus dem Jahr 2010 mit Winston. Für mehr Interviews aus vergangenen Ausgaben und mehr tragt euch hier in den FUZELetter ein oder supportet uns bei Steady!
https://www.ox-fanzine.de/shop/hefte-und-download/fuze-magazine/fuze-nr-023 (Si apre in una nuova finestra)Dennis
BOYGROUP MIT MOSHPIT UND STAGEDIVES. Keine Woche ist vergangen, seit Sänger Winston McCall den letzten Take für das neue PARKWAY DRIVE-Album „Deep Blue“ aufgenommen hat. Doch anstatt einfach in Los Angeles zu bleiben und endlich mal wieder ausgiebig zu surfen, ist der Australier in Deutschland auf Tour. McCall weiß, was seine Fans von ihm verlangen: ein hartes Album und vor allem viele, viele Live-Shows.
Trotz Release- und Tourstress ist Winston McCall ziemlich entspannt. Die Aufnahmen gingen der Band locker von der Hand. Selbstverständlich war das nicht, denn PARKWAY DRIVE haben für „Deep Blue“ erstmals nicht mit ihrem Hausproduzenten Adam Dutkiewicz, den Gitarristen von KILLSWITCH ENGAGE, den alle nur Adam D. nennen, zusammengearbeitet. „Wir wollten wieder bei Adam aufnehmen, aber irgendwie konnten wir keinen passenden Termin finden“, erinnert sich McCall. „Als klar war, dass es mit ihm nicht klappen würde, hatten wir wirklich Angst.“ Diese Angst rührte vor allem daher, dass Adam D. für einen messerscharf durcharrangierten, klinisch rein produzierten Sound bekannt ist. Ein Sound, mit dem PARKWAY DRIVE berühmt geworden sind.
Doch dieses Mal ist alles anders. Denn dass die Wahl auf Joe Barresi fiel, ist nicht nur erstaunlich, sondern vor allem dem Label der Band zu verdanken – das damit zumindest ein kleines Risiko eingeht. Bei Epitaph Records erinnerte man sich angesichts der brenzligen Lage an einen alten Bekannten. Barresi hatte mit PENNYWISE und BAD RELIGION schon für zwei Label-Kollegen von PARKWAY DRIVE gearbeitet und sich bereits in den neunziger Jahren einen Namen gemacht, als er das Debütalbum von QUEENS OF THE STONE AGE produzierte. „Von Produzenten hatten wir gar keine Ahnung. Die Situation war wirklich schwierig für uns. Als dann jemand von Epitaph andeutete, dass Joe Barresi vielleicht interessiert sein könnte, dachten wir uns ‚Warum eigentlich nicht?‘ und haben ihn engagiert.“
Dass Barresi bis dahin noch nie eine Hardcore-Band produziert hatte, sprach eher für als gegen ihn. „Die meisten Bands, die unsere Art von Musik spielen, haben denselben Sound“, beklagt McCall. Er und seine vier Mitstreiter wollten diesmal anders klingen, auch weil sie selbst nicht ganz unschuldig daran sind, dass sich der hoch- produzierte, sterile Einheitssound durchgesetzt hat. Doch statt einen Gang zurückzuschalten, wollten PARKWAY DRIVE noch härter werden. „Wir dachten uns: Wenn Joe Bands wie QUEENS OF THE STONE AGE und TOOL heavy klingen lassen kann, wie heavy werden wir dann erst klingen?“
https://youtu.be/CeetS4vERoo (Si apre in una nuova finestra)Im Gegensatz zu den Aufnahmen mit Adam D. lief die gesamte Produktion mit Barresi dann auch ziemlich entspannt ab. Die Band war zum ersten Mal in alle Teile des Aufnahmeprozesses involviert „und nicht nur darauf angewiesen, dass ein Typ sich gut mit Pro Tools auskennt“. Anstatt wie früher jeden Song im Studio in einzelne Teile zu zerschnipseln und diese dann von Adam D. neu zusammensetzen zu lassen, wurden nun vom Produzenten lediglich vier Takte geändert. „So etwas wäre mit Adam gar nicht möglich gewesen. ‚Deep Blue‘ ist definitiv das ehrlichste Album, das wir je gemacht haben. Es ist zu einhundert Prozent von uns.“ Die gesamte Platte wurde analog aufgenommen und gemischt, worauf McCall sichtlich stolz ist. „Bei den früheren Produktionen klangen wir nicht mehr wie eine Band. Das Schlagzeug hörte sich wie ein Drumcomputer an, der Gesang war überladen mit Effekten, und die Gitarren waren so perfekt editiert, dass es für einen Menschen schon gar nicht mehr möglich wäre, sie so zu spielen.“
Obwohl PARKWAY DRIVE so stark in den Aufnahmeprozess involviert waren wie niemals zuvor, legten sie den Mix des Albums dann allein in Barresis Hände. „Wir haben auf Tour zwar immer drei verschiedene Kopfhörer-Sets und einige Laptops dabei, aber im Studio klingt eben doch alles anders.“ Zwar wurden immer wieder neue Versionen der Songs per Internet von Los Angeles nach Deutschland geschickt, das letzte Wort hatte jedoch stets Barresi. „Joe macht seinen Job schon so lang, dass er weiß, wie Musik klingen muss. Wir vertrauen ihm total.“ Im Endeffekt ist McCall hochzufrieden mit dem Ergebnis. „Joe hat es genau so gemacht, wie er es wollte. Aber es klingt genau so, wie wir es uns gewünscht haben. Schließlich ist ‚Deep Blue‘ unsere mit Abstand härteste Platte.“ Viel Zeit, sich zu freuen, hat der Frontmann jedoch nicht. Kurz nachdem er diesen Satz gesagt hat, muss er auf die Bühne der ausverkauften Hamburger Markthalle.
Und da, auf der großen Bühne des großen Saals, steht er dann – nur eine Woche nach Aufnahme des letzten Takes. Bejubelt wird er von 1200 – man muss es so sagen – Fans. Jede(r) Zweite trägt ein T-Shirt seiner Band, manche zwei. Allein die Merchandising-Einnahmen an diesem Abend könnten wahrscheinlich die Produktionskosten des neuen Albums decken. Die Show ist schon vor dem ersten Ton ein Spektakel, das man so im Hardcore nur selten zu sehen bekommt. Unmittelbar bevor PARKWAY DRIVE die Bühne betreten, wird die Stimmung zusätzlich von Charlie Alvarez, einem der Gitarristen von THE WARRIORS, angeheizt. Der nur mittelmäßig schön anzusehende Mann kündigt den Headliner mit einer ganz besonderen Performance an: Er steht während der Ansage nackt – und sichtlich betrunken – auf der Bühne. Die Menge johlt.
Doch all das, all die Erwartungen an die neuen Songs, die vielen Vorbands, sogar der große Hype um die Band ist binnen Sekunden vergessen, als die Australier auf die Bühne kommen. Die Zuschauer flippen regelrecht aus. Das erinnert bisweilen weniger an eine Hardcore-Show, sondern mehr an den Auftritt einer Boygroup. Eine Boygroup mit Moshpit und Stagedives. McCall und seine Band scheint das nicht zu irritieren. Sie sind es mittlerweile gewohnt, große Hallen auszuverkaufen. Trotz professionell durchgezogener Show wirken PARKWAY DRIVE zu jedem Zeitpunkt sympathisch. Die gesamte Crew und alle Vorbands stehen während des Konzerts am Bühnenrand, als könnten sie kaum fassen, was dort passiert. Und tatsächlich ist das Erlebte unglaublich. Jeder auf der Bühne, der nicht zur Band gehört, hilft mit, die zahlreichen Stagediver geregelt von der Bühne zu bekommen. Zum Ende der Show wird dies fast unmöglich. Teilweise streiten sich zehn Fans darum, von der Mitte der Bühne springen zu dürfen.
„Es ist schön, dass sich die Leute immer noch über fünf Jahre alte Songs freuen“, so Winston McCall. „Ich würde aber gerne bald mehr Material vom neuen Album spielen.“ Dass das so einfach nicht geht, wird klar, als PARKWAY DRIVE zumindest ein neues Lied während der Show in Hamburg spielen. Das Publikum weiß schlicht nichts damit anzufangen. Wo sonst jedem Breakdown entgegengefiebert und jede Textzeile mitgesungen wird, ist es jetzt ruhig. Die Fans sind ratlos, versuchen aber, sich nichts anmerken zu lassen.
Aber warum überhaupt eine Tour, bevor das neue Album herauskommt? „Die Platte ist eigentlich gar nicht so wichtig für die Touren. Es war einfach günstiger für uns, nach den Aufnahmen direkt nach Europa zu kommen, als noch einmal zur Südhalbkugel zu fliegen.“ Richtig vorgestellt wird „Deep Blue“ dann erstmals bei der Warped Tour in den USA. Zurück nach Deutschland kommen PARKWAY DRIVE im Oktober, im Rahmen der Never Say Die! Tour. Bis dahin haben sicher auch die europäischen Fans wieder alle Sing-Alongs und Breakdowns auswendig gelernt. Denn so viel hat sich trotz der neuen Aufnahmebedingungen bei den fünf Australiern gar nicht geändert. Sie wissen noch immer, was ihre Fans von ihnen verlangen – und liefern es ihnen par excellence. So wie sich das für die wohl momentan größte Band im Hardcore-Business gehört.
Carl Jakob Haupt
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