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Klimakollaps ist jetzt: aber er ist nicht “die Apokalypse”

source: ideogram.ai (Si apre in una nuova finestra)

23.05.2024



Liebe Leute,

ein Gespenst geht um in der Klimaszene: das Gespenst der Kollapsakzeptanz. Alle Mächte der alten Ökobewegung haben sich zu einer heiligen Hetzjagd gegen dies Gespenst verbündet: Ampel und Potsdam, Pötter und Unfried, neue Grüne und alte Linke.

Denn das Klima kollabiert – like: jetzt, wir sind mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit jetzt schon im Prozess, der begann, als wir den Makrokipppunkt des globalen Klimasystems überschritten, jenseits dessen ein “instabiler” Zustand des Systems liegt, in dem alle Aussagen a la “wir bleiben dann 17,94 Jahre über 2 Grad, dann saugen wir 560992735 Tonnen CO2 aus der Atmo, und dann wird alles wieder gut!” nur noch wie das verwirrte Gestammel eines schwarzgrünen taz Redakteurs klingen. Und weil dem so ist, hat sich im grünen, im Klimafeld eine neue Mehrheitsströmung etabliert: die Kollapsleugner*innen. Der Kampf gegen diese neue Strategie der Verdrängungsgesellschaft, die immer mehr unsere Bewegung erfasst, muss eine Kernaufgabe all jener werden, die wissen, dass der Kampf um Klimagerechtigkeit im Klimakollaps umso wichtiger wird.

Das kollabierende System

Zuerst eine kurze Bestandsaufnahme: wo stehen wir denn gerade?

Wir haben: eine gelähmte Klimabewegung die ohne funktionierende Strategie versucht, auf das irrelevante Politikfeld “Klimapolitik” Druck auszuüben, um eine zunehmend irrationale und brutale Gesellschaft dazu zu bringen, sich mit enorm großem Arbeitsaufwand fundamental selbst zu transformieren und dabei noch sehr viele Privilegien aufzugeben. Ich weiß ehrlich gesagt nicht, ob wir je eine Chance hatten, hier was zu verschieben. Aber wenn wir sie mal hatten, dass ist dieses Möglichkeitsfenster schon ziemlich lange zu.

Jetzt brettern wir einfach weiter mit voller Fahrt (manchmal bremsen wir etwas, wenn ne Pandemie auf der Straße liegt, und wir darum herum oder im Schleichtempo durch sie durch müssen; und manchmal beschleunigen wir noch weiter, wie mit dem LNG-Ausbau) weiter in den Klimakollaps...

Die große Mehrheit aller Klimawissenschaftler*innen (Si apre in una nuova finestra)ist sich sicher, dass wir nicht in der Lage sein werden, das 2015 in Paris vereinbarte Limit von 1,5 Grad globaler Erwärmung einzuhalten. Außerdem verzichten viele von ihnen (also genau diejenigen, die am besten wissen, welche klimatische Zukunft uns erwartet) darauf, Kinder zu bekommen, weil, Sie wissen schon: Kollaps.

Mehr als 300 Menschen sind bei Sturzfluten in Afghanistan (Si apre in una nuova finestra) ums Leben gekommen, die Behörden haben den Notstand ausgerufen. Sintflutartige Regenfälle in Brasiliens Rio Grande do Sul (Si apre in una nuova finestra)führrten zu den schlimmsten Überschwemmungen, die das Land seit 80 Jahren erlebt hat. Es gab viele Todesopfer, tausende von Familien wurden vertrieben. Meeresoberflächentemperaturen haben seit dem 4. Mai 2023 jeden einzelnen Tag Rekordwerte erreicht, und die globalen Durchschnittstemperaturen der letzten 12 Monate waren mit 1,61 °C über dem vorindustriellen Niveau die höchsten seit Beginn der Aufzeichnungen. (Si apre in una nuova finestra)

Und das waren nur die Nachrichten aus den ersten beiden Maiwochen 2024.

Und die berühmte Energiewende, die uns wegbringen sollte vom destruktiven fossilkapitalistischen Wachstum? Die hängt gerade extrem in den Seilen: ja, es wird immer mehr in erneuerbare Energien investiert und auch immer mehr EE-Kapazität installiert, aber es werden auch enorme Investitionen in fossile Brennstoffe und deren Infrastruktur getätigt:

Im März 2024 (Si apre in una nuova finestra) wurde der bisher stärkste Anstieg des CO2-Gehalts in der Atmosphäre verzeichnet, was zwar einerseits auf das Klimaphänomen El Nino, aber auch auf den immer weiter steigenden Verbrauch fossiler Brennstoffe zurückzuführen ist. 2023 sah den ersten Anstieg der weltweiten Kohleverbrennungskapazitäten seit 2019 (Si apre in una nuova finestra). Und die großen Banken der Welt h (Si apre in una nuova finestra)aben seit der Unterzeichnung des Pariser Abkommens Finanzmittel in Höhe von fast sieben Billionen (7000 Milliarden) US-Dollar an die fossile Brennstoffindustrie vergeben.

Kurz: Der Klimakollaps ist entweder bereits im Gange, was bedeuten würde, dass alle Aussagen vom Typ “wir werden in der Lage sein, das Klima bei XYZ Grad Erwärmung zu stabilisieren..." unwirksam sind, denn in einem kollabierenden Klima gibt es keine linearen Effekte mehr, und alle möglichen Kipppunkte werden zwangsläufig überschritten. Oder aber der Klimakollaps steht unmittelbar bevor. In diesem Fall werden das CO2 und das Methan, die sich derzeit in der Atmosphäre befinden (Methan braucht etwa 12 Jahre, um das Klima zu erwärmen, CO2 50 Jahre), zwangsläufig dazu führen, dass wir in den Abgrund fallen, während das Methan und das CO2, die wir derzeit ausstoßen werden, dafür sorgen werden, dass unser Fall eher wie ein bewusster Sprung in den Abgrund aussehen wird.

Nichts davon ist spekulativ: es ist unmöglich, es gibt absolut keine Chance (Null. Nicht eine Null-Punkt-Null-Punkt-Null-Punkt-irgendwas-Chance, sondern Null), den Klimakollaps noch zu “verhindern”.

Kollapsleugnen ist das neue Klimaleugnen

In diesem Kontext entsteh ab 2023 eine neue Konfliktlinie, die quer durch das Klimafeld läuft. Nicht die zwischen dem markt- und staatsgläubigen moderaten und dem eher bewegungsgläubigen radikalen Klimaflügel. Die ist im Grunde schon befriedet, weil sich auch der radikale Klimabewegungsflügel in der letzten Analyse als zutiefst staatstragend herausgestellt hat. Beim Gesetzesbruch der Letzten Generation ging es nie um mehr, als die relevanten auctoritates dazu zu zwingen, das richtige zu tun, während die Moderaten halt eher so... davon ausgingen, dass die richtige Partei in der Regierung schon das Richtige tun würde.

Die neue Konfliktlinie handelt, wie die ganz alte im Klimafeld – die Klimakrise findet statt: ja/nein – von der Frage der grundsätzlichen Akzeptanz der Realität. Wenn ich die entscheidende Frage, an der sich hier die Geister scheiden in Worte fassen müsste, würde ich sie so formulieren: “Haben wir noch eine (wie auch immer geartete) Chance, den Kollaps des globalen Klimasystems abzuwenden, und so eine (wie auch immer geartete) rationale Planbarkeit einer Zukunft herzustellen, die sich vom Heute vor allem dadurch unterscheiden wird, dass globale Ausbeutung und Überproduktion jetzt erneuerbar-elektrisch und nicht mehr fossil angetrieben werden?”

Diese “Cleavage”, wie die Politikwissenschaft solche Spaltungslinien innerhalb von Gesellschaften gerne nennt, ist interessanterweise eine, die quer durch die Klimabewegung läuft, und genau deswegen denen von uns, die auf die oben gestellte Frage mit “nein” antworten würden, auch die Möglichkeit bietet, mit Menschen außerhalb der Klimabubble zu reden. Denn: “Kollapsakzeptanz” ist eine Frage der emotionalen Arbeit, die geleistet wurde, um die unbequeme Tatsache des notwendigerweise kommenden Klimakollaps anzuerkennen. Mein Ex-ex-ex-Freund zum Beispiel, kein politisch besonders interessierter Mensch, beanwortete die Frage “wo in Deutschland will ich wohnen” (er arbeitet als Mann in der Jugendpädagogik, kann sich also im Grunde aussuchen, wo er hinziehen will) erst, nachdem er sich über Trockenheit, Überflutungspotenzial, etc. seiner potenziellen Wohnorte informiert hatte. Und er hat sich eine Kaminheizung eingebaut, weil er denkt, dass halt Gasnetze auch mal zusammenbrechen können.

Je mehr Wissen, desto mehr Verdrängung

Die Tatsache, dass ich über Kollapsakzeptanz mit vielen Menschen außerhalb der Klimabewegung leichter sprechen kann, als mit solchen, die sich seit Jahren, manchmal seit Jahrzehnten für Klimaschutz einsetzen, macht natürlich zuerst ein Bisschen stutzig. Dann aber denke ich daran, was ich mal über “Verdrängung” verstanden hab: dass man sich Verdrängung wirklich als physikalischen Prozess vorstellen muss. Je mehr ich über das weiß, was ich nicht akzeptieren will, desto mehr muss ich verdrängen, desto mehr vom Inhalt meines Hirns muss ich für meine Suchmaschine “off limits” stellen (denn: das verdrängte Wissen verschwindet ja nicht). Ob man sich das als ein Verstecken oder als ein Aufbauen von Mauern um das zu verdrängende Wissen vorstellt, welche Metapher auch immer wir verwenden: wer mehr weiß, muss mehr verdrängen, also mehr Energie aufwenden, weil mehr Masse verschoben werden muss. Und je mehr von dem, was ich weiß, bestätigt, was ich nicht wissen will, desto größere Bereiche meines Hirns sind dann eben off limits (zumindest, wenn ich effektiv verdränge).

Daraus lässt sich folgende These ableiten: wer einen Großteil seines Lebens in den Kampf für Klimaschutz investiert hat, während dieses Lebens viel Wissen über Klima, Klimaschutz und Energiewende angehäuft, und gleichzeitig (als Politiker*in, Aktivist*in, Journalist*in) enorme zeitliche, emotionale und andere “investments” in dieses Thema getätigt hat, für die wird es ungleich schwieriger, als für solche, die beim Klimaschutz nie “skin in the game” hatten, zu akzeptieren, dass das mit dem Klimaschutz halt nicht klappen wird. Die nur scheinbar paradoxe Situation ist also: je mehr Menschen über “das Klima” wissen, je mehr Zeit sie in ihrem Leben für Klimaschutz gekämpft haben, desto unwahrscheinlicher ist es, dass sie jetzt anerkennen können, was Sache ist. Dass es keinen Klimaschutzt gegeben hat, keinen gibt, und keinen geben wird; und dass der Kollaps entweder schon da, oder unausweichlich ist.

Das bedeutet, dass Kollapsleugnung quer durch das Klimafeld geht, und dieses gerade mit großer Geschwindigkeit intern zerlegt. Sie lässt sich auch nicht entlang klassischer links-rechts-Schemata abbilden, unter anderem, weil Linke seit jeher ein Problem mit der Akzeptanz von Kollaps haben, war “unser” Projekt doch eigentlich immer eines, das mit Hoffnung in die Zukunft blickte: die Idee des “Kollaps” scheint daher vielen Linken nahezulegen, dass halt einfach alles vorbei wäre, wir einfach nach hause gehen und dort heulen könnten

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Fear is the mind killer

Kollapsleugnung ist also im Kern das Resultat einer Reihe verdrängter und unerkannter Ängste (btw: “unerkannt” heißt nicht “ungefühlt” - das Gefühl ist da, blockiert werden seine Wahrnehmung und darauf folgende Selbstreflexion): Angst davor, dass das eigene Lebenswerk, ob Kampf für Klimaschutz, Aufbau eines florierendes Handwerksbetriebs im Flutbereich des Ahrtals, oder auch der Aufbau einer eigenen Familie, einfach hinfällig sein könnte, wenn “Alles” den Bach runtergeht. Angst davor, dass die Zukunft nur noch dunkel aussieht, wenn man sich der Realität stellte, Angst davor, was man den eigenen Kindern erzählen soll, und wie darauf reagieren, wenn diese eine realistische Sicht auf ihre zukünftigen Lebenschancen entwickeln.

Und zuletzt natürlich Angst vor “dem Kollaps”, den man sich aufgrund des in industriell-kapitalistischen Gesellschaften existierenden impliziten Kollaps-Bilderverbots überhaupt nicht realistisch vorstellen kann und schon gar nicht will. Woher sonst kämen Aussagen wie die vom klugen Jobst Heitzig vom PIK, der auf die Frage nach dem “Kollaps des Klimasystems” mit einer recht verwirrten Aussage über den “Kollaps der Zivilisation (Si apre in una nuova finestra)” reagierte, und damit bewies, dass dieser kluge Klimaforscher, der sicherlich mehr über das Klimasystem und seine Kollapsdynamiken weiß, als ich, sich der Diskussion über sein Spezialgebiet verweigert, indem er eine “Aha, da sind sie wieder, die frühneuzeitlich-millenaristischen Apokalypsekulte” Ausweichstrategie fährt. Auch Jim Skea, der Chef des IPCC, war sich nicht zu blöd, dem Spiegel zu sagen, dass beim Überschreiten des 1,5 Grad Limits “die Welt nicht untergehen” würde.

Come on, Jim und Jobst: niemand redet vom bald anstehenden “Ende der Zivilisation” (what does that even mean exactly?), wir “Kollapsolog*innen” sagen auch nicht, dass dann “ALLE STERBEN WERDEN”. Wir reden, erstens, vom Kollaps des globalen Klimasystems, also seinem Übergang von einem stabilen in einen instabilen Zustand; zweitens von verschiedenen Kollapsen in verschiedenen Systemen, die sich zu einer gesellschaftlich zunehmend abgefuckten Situation verdichten werden. Aber bevor wir darüber überhaupt reden können, müssen wir erstmal über Ängste reden...

Denn: der Klimakollaps ist eben nicht die Apokalypse. Apokalypse bedeutet nämlich Katastrophe plus Erleuchtung. Und ich erlebe gerade eher das Gegenteil von Erleuchtung.

Mit kollapsakzeptierenden Grüßen,



Euer Tadzio

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