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Bauernproteste 2024, oder: der Großangriff der Arschlochgesellschaft

Liebe Leute,

mal wieder wache ich nach einem wunderschönen Sylvesterexzess in einer Republik auf, die in wenigen Tagen einen erheblichen Schritt nach rechts gemacht hat. Diesmal war dieser Schritt aber nicht nur moralisch-diskursiv (2023: “neuköllner Sylvesternacht” und “kleine Paschas”), diesmal war der Schritt ein taktischer und strategischer. Diesmal haben Bauernproteste, die zwar nicht per se rechts sind, aber doch starke rechte Tendenzen haben, einer schwachen Bundesregierung innerhalb weniger Tage Konzessionen abgetrotzt, die die Klimabewegung in 15 Jahre nicht hätte erkämpfen können. Ist ja auch klar, denn wer sich mit Bäuer*innen anlegt, riskiert Riots und Blockaden gesellschaftlich lebenswichtiger Prozesse (Raffinerien, etc.), während, wer sich mit der Klimabewegung anlegt maximal einen enttäuschten Kuchen von Fridays For Future riskiert.

Dies belegt m.e. gleich mehrere meiner Thesen:

  1. Klimaschutz findet nicht statt, und zwar gar keiner, wirklich nicht mal, das allerkleinste Bisschen.

  2. Der rechte Großangriff auf die linksgrünversiffte Normalität beginnt gerade: er geht vom Stellungskrieg in den Bewegungskrieg über (vgl. Gramsci)

    .

  3. Die Bauernproteste sind die erste bundesweite Kampfhandlung in der kommenden Großoffensive des Faschismus.

Von der Wut der Bäuer*innen

Remember neoliberalism? Der, dachten Linke, sei zu "Hegemonie", stabiler Herrschaft, nicht in der Lage, weil er Löhne kürzte, Sozialleistungen, etc. Da müsste es Widerstand geben... Aber die hegemoniale Einbindung des Neoliberalismus geschah durch niedrige Preise.

D.h., Menschen wurden zwar als Arbeiter*innen gedisst und verarmt, aber der Neoliberalismus rief Menschen eben nicht, wie der Fordismus/Keynesianismus, als Arbeiter*innen an, sondern als Konsument*innen. Und diesen versprach, nein, gab er: alles immer billiger.

Unterhaltungselektronik? Billiger. Energie, Benzin? Billiger. Klamotten? Billiger. Grundnahrungsmittel ebenso wie importierte Sachen, die es früher nur seeeehr teuer oder gar nicht gab? Nicht nur viiiiel billiger, sondern auch year round. Alles überall billiger für Alle.

Im Landwirtschaftsbereich wurden diese massiven Preissenkungen u.a. durch rapide Industrialisierung und Konsolidierung von Höfen in Richtung gigantischer landwirtschaftlicher Industriebetriebe ermöglicht, mit hochtechnisierten und chemisch aufgeposhten Produktionsprozessen.

Dementsprechend waren Kleinbäuer*innen immer einer der zentralen Pfeiler der antineoliberalen "globalisierungskritischen” Bewegung (esp. La Via Campesina, die hierzulande durch die Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft vertreten wird).

Landwirtschaft vs. Klimaschutz

Vorwärts in die #Klimakrise (Si apre in una nuova finestra): in dieser muss Klimaschutz u.a. bedeuten, dass die ökologisch in jederlei Hinsicht abgefuckten Produktionsprozesse tiefgreifend verändert werden müssten. Das ist ein Problem für Landwirt*innen, weil die Profitmargen im Sektor (zumindest bis vor kurzem) eher schmal waren.

Wir haben also: einen Sektor mit niedrigen Profitmargen; einem bis ins letzte Detail durchindustrialisierten & -chemikalisierten (not a word) Produktionsprozess; und massiv negativen sozialökologischen Effekten, der bisher von jeglicher Klimaschutzmaßnahme verschont blieb.

Jede wirkliche Klimaschutzmaßnahme stellt also die Existenzen dieser Agroindustriebetriebe in Frage, weil sie, wegen der hohen Kompetitivität im Sektor (& natürlich der allgemeinen wirtschaftlichen Lage), nicht in der Lage sind, anfallende Preiserhöhungen an die Konsument*innen weiterzureichen.

Fuck with farmers at your own risk

Jetzt sind wir im Kampfszenario: auf der einen Seite eine angeblich sozialökologischliberale Bundesregierung, die krampfhaft versucht, vor ihrem Ende spätestens 2025 noch ein klitzewinziges Bisschen Klimaschutz hinzukriegen, nachdem sie es im Energiesektor verkackt hat.

Auf der anderen Seite Bäuer*innen, die ökonomisch mit dem Rücken zur Wand stehen, sich kulturell in einer immer weniger weiß, rural, und träckerfahrenden Welt zunehmend unsichtbar und ungehört fühlen, die (Marx: "die Idiotie des Landlebens”) kulturell eher konservativ sind, und außerdem mit zweierlei ausgestattet sind, was sie kampffähig macht:

1. sie haben immer schon die eigenen Reproduktionsmittel unter Kontrolle (they can grow their own food, own their land), was sie resilient macht.

2. landwirtschaftliche Maschinen sind starke Waffen.

Wir kennen das aus dem Wendland, wo die Blockade der Castorstrecken (2 Straßen führten zum "Endlager": Süd-& Nordroute) zwischen den aktivistischen Gruppen & den lokalen Bäuer*innen aufgeteilt wurde. Wir brauchten Tausende für eine effektive Blockade. Die nur ein paar Träcker.

Wir kennen das aus Holland, oder von den Kämpfen französischer Bäuer*innen im Larzac - vielleicht erinnern sich manche noch an José Bové, der seinen Träcker nutzte, um eine McDonalds-Baustelle zu zerstören. Träcker können (wie die Truckerblockade in Kanada) ALLES blockieren.

ALLES blockieren heißt, in der Lage zu sein, den Fluss von Nahrungsmitteln in die Städte zu unterbrechen; es heißt, eine Gesellschaft, die auf fossilen Energien aufbaut, von der Energieversorgung abzuschneiden, z.B. durch Raffinerieblockaden (vgl. UK trucker protests 2000).

Das Störpotenzial von Bauernprotesten ist also gigantisch, während die Rolle von Bäuer*innen in der Gesellschaft trotz Globalisierung und Industrialisierung weiterhin wichtig ist: ein Zusammenbruch heimischer Nahrungsmittelproduktion wäre ein Desaster für jede Regierung.

Daher die gigantischen Subventionen für den, wie oben beschrieben, ultraindustrialisierten und -chemikalisierten (immer noch kein Wort) Landwirtschaftssektor. As a government, you need the farmers, & you don't want to fuck with them. You really don't.

Stand der Dinge

  1. Klimaschutz macht Eingriffe in die Landwirtschaft notwendig.

  2. Diese Eingriffe würden Kosten erhöhen & Profite senken, aber Preiserhöhungen sind nur begrenzt möglich.

  3. Bäuer*innen stehen ökonomisch mit dem Rücken zur Wand & fühlen sich kulturell ausgegrenzt.

  4. Bäuer*innen sind wegen ihrer Ausrüstung und ländlichen Rückzugsbasis äußerst kampffähige Subjekte.

  5. Bäuerliche Proteste haben kürzlich 2 große Erfolge erzielt, zuerst in Holland, dann gegen neue EU-Agrarregeln. Das macht Mut & spornt an.

  6. Die organisatorischen & kulturellen Verbindungen nach rechts sind, zumindest in großen Teilen Europas, sehr stark (there's a reason Queers & PoCs don't wanna move to the countryside).

  7. Fucking with farmers almost ALWAYS leads to chaotic protests & often riots.

  8. Eine unpopuläre Bundesregierung kann es sich nicht leisten, gegen eine gut organisierte und kampffähige Gruppe irgendwas durchzusetzen, vor allem nicht, wenn es so unpopulär ist, wie Klimaschutz.

  9. D.h., die Regierung musste einknicken, darin liegt der Unterschied zur LG.

  10. Die ohnehin schon eher land- als stadtaffinen Rechten (wo wohnen die Linksgrünversifften?) erkennen in den Bäuer*innen plötzlich ihre neue Sturmabteilung, denn: Bäuer*innen mögen oft reaktionäre Säcke sein, aber sie genießen großes gesellschaftliches Ansehen.

  11. Also werden rechte Kader nicht nur in anti-Geflüchteten-Protesten wütende Dorfbürgis organisieren, sie können jetzt bundesweit einsetzbare Kampftruppen bewegen: (overlay, Höckes Stimme: "Bauernblockade jetzt soforrrt um die Hauptstadt des Feindes, um Berlin herum").

  12. Faced with this scenario, wird die Ampel im Grunde ihre letzten Versuche einpacken, irgendwelche relevanten Klimaschutzgesetze durchzusetzen, sie wird 2024 eine "lame duck"-Regierung sein. Die Rechten feiern sich, in der Union wird klar: Antiklimapolitik ist ein Vote-Winner.

2024 wird das Jahr sein, in dem der Klimaschutz - ohnehin immer eher eine Erzählung als eine Praxis - sterben wird. RIP Klimaschutz: you never even saw the light of day. Will die Klimabewegung ihm nicht folgen, muss sie also zur Klimantifa werden. Klimantifa or death.

Mit klimantifaschistischen Grüßen,

Euer Tadzio

Argomento Bauernproteste

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