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Lützerath: das Letzte Gefecht der linken Klimabewegung, oder rise like a phoenix (Si apre in una nuova finestra)?

Hallo allerseits, und ein... frohes Neues?

Sure, besonders wahrscheinlich ist das nicht. Als ich gestern, am Mittwoch den 4.1.2023 aus meinem Sylvesterurlaub im schwulen Sexhimmel zurückkehrte, fand ich eine Republik vor, über die nicht nur eine neue rassistische Moralpanik hereingebrochen war – side note: es gab übrigens auch Böllerkrawalle in der sächsischen Biokartoffelanbauregion (Si apre in una nuova finestra), aber dabei handelte es sicherlich um gutes deutsches Volksbrauchtum, während es sich bei den Krawallen in Neukölln wohl um eine Art Zivilisationsbruch gehandelt haben muss, is ja klar, wir wissen ja alle, wer und vor allem *was* so in Neukölln lebt – sondern in der auch am Dienstag 3.1. von den Verteidiger*innen von Lützerath der “Tag X” ausgerufen wurde.

“Tag X” steht in der Symbolik sozialökologischer Bewegungen in Deutschland für den Tag, an dem sich alle, die können, an einem Ort zusammenfinden müssen, um etwas schrecklich dummes zu verhindern: die Einlagerung von Atommüll in einem unsicheren “Zwischenlager” (ich glaube, das gelbe X wurde zuerst um Gorleben herum verwendet, correct me if I'm wrong – ganz so alt bin ich dann doch noch nicht ;)); das Verpressen von abgespaltenem CO2 in dafür völlig untauglichen geologischen Formationen; oder eben das rabiat dämliche und gleichzeitig widerwärtig unmoralische Abbaggern eines kleinen Dorfes, damit noch schneller noch mehr vom dreckigsten aller fossilen Brennstoffe abgebaggert werden kann, also der verdammten Braunkohle.

Am 3.1. kam er also, der lang erwartete Tag X, Robocops begannen, Strukturen um das kleine Dorf Lützerath – im Dezember bewohnt und verteidigt von 150-200 Menschen, aber diese Zahl steigt gerade schnell an – herum zu bauen, die Umzingelung des Meilers hat begonnen, um noch diesen Monat die Räumung zu ermöglichen, damit... ja, warum eigentlich? Angeblich geht es um ein paar Klumpen Kohle, oder um Versorgungssicherheit, oder um einen früheren Kohleausstieg, oder um die Sicherheit der Grubenkante des Tagebaus Garzweiler.

Unterwergungsritual für die Grünen

Worum es aber wirklich geht, habe ich hier (Si apre in una nuova finestra) schon einmal aufgeschrieben: erstens geht es darum, in der Art Unterwerfungsritual, die ich gut aus meiner BDSM-Praxis kenne, die Grünen zu demütigen, sie zu verwerflichen Handlungen zu bewegen, damit sie so dem deutschen Autoexportkapitalismus beweisen, dass sie für ihn alles, aber wirklich alles tun würden:

Deutschland: Leckt den Boden sauber, um zu beweisen, dass Ihr für mich alles tun würdet.

Grüne: Danke Master, yes master, whatever you say, master.

Zweitens geht es darum, den radikalen Flügel der Klimabewegung endlich als politischen Machtfaktor auszuschalten. Ende Gelände, die Hambis sowie spätere Waldbesetzungen z.B. im “Danni” in Hessen... naja, die nerv(t)en halt, Energiepolitik soll ohne Pöbelbeteiligung als gentlemen's agreement zwischen fossilem Staat und fossilem Kapital organisiert werden. Da stören Bewegungen nur.

Im Oktober letzten Jahres schrieb ich dazu: “Alright, you assholes: challenge accepted. Wenn Ihr eine Machtprobe wollt, dann geben wir Euch eine Machtprobe, und ich bin mir nicht sicher, ob Ihr gewinnen werdet.” Um jetzt mal ehrlich zu sein: that wasn't entirely true. Nicht, dass ich Euch direkt angelogen hätte, aber ich war eigentlich doch ziemlich sicher (halt nicht 100%, daher formell gesehen keine Lüge ;)), dass es da kaum was zu holen gäbe, auch dort gut vernetzte oder gar lebende Kader sprachen meist eher hoffnungslos über unsere taktischen Möglichkeiten im Angesicht einer möglichen Räumung.

Bewegungspolitischer Optimismus

Aber irgendetwas hat sich seitdem verschoben, ich kann nicht einmal genau sagen, was. Manche meiner Freund*innen & Genoss*innen, vor allem diejenigen, die mich gegen Ende letzten Jahres für meinen Pessimismus und “Defätismus” kritisierten, haben vorgeschlagen, dass mein neuer (äußerst relativer) bewegungspolitischer Optimismus darin begründet liegt, dass es mir in meinem Leben deutlich besser geht; ich meinen Drogenkonsum endlich wieder unter Kontrolle habe (dazu ein Shoutout an meinen Ehemann und companion (Si apre in una nuova finestra) Frank “Wolf (Si apre in una nuova finestra)” Schumacher, ohne den ich im vergangenen Jahr mit großer Wahrscheinlichkeit viel, viel härter abgeschmiert wäre, als es dann am Ende der Fall war – danke mein Wolf); und meine finanzielle Situation, wenngleich noch nicht wirklich stabil, dann doch deutlich weniger dramatisch aussieht, als noch im August vergangenen Jahres, wofür ich vor allem Euch zu danken habe, die Ihr diesen Newsletter finanziell unterstützt: seriously, Ihr habt mir letztes Jahr den Arsch gerettet, und mich vor einem tiefer in die Depression abdriften bewahrt. Danke an Euch alle für Eure ganz praktische Solidarität und Unterstützung meiner Arbeit.

Das aber würde implizieren, dass meine dunklen Zukunftsprojektionen vor allem das Resultat meiner Depression waren, anstatt die realistische Darstellung der wahrscheinlichsten Szenarien, die sich aus den momentanen Kräfteverhältnissen ergeben, und ganz so submissiv bin ich dann doch nicht geworden, dass ich jetzt einfach sagen würde “stimmt, war alles nur schwarz gesehen”. Nein, ich bin weiterhin überzeugt, dass das wahrscheinlichste Szenario immer noch eines ist, in dem kein Klimaschutz stattfindet, was im Rahmen einer eskalierenden Klimakrise zu mehr Verdrängung führen wird, und deswegen der radikale Flügel der Klimabewegung (“radikal” hier im Sinne von: nicht bloß freundlich um Klimaschutz bitten, wie das z.B. ein namentlich nicht genannter Bewegungshegemon weiterhin tut) sich dem Versuch der #Verdrängungsgesellschaft (Si apre in una nuova finestra)ausgesetzt sehen wird, ihn nicht nur politisch zu besiegen, sondern ihn zu zerstören, wie z.B. in den 70er Jahren in den USA die Black Power-Bewegung zerstört wurde. Da wuchs lange kein Gras mehr, und das können wir uns nicht leisten, daher meine Angst.

Ein bisschen Morgenluft

Aber irgendwie – und humble apologies, wenn “irgendwie” analytisch etwas schwach klingt – wittere ich derzeit ein bisschen Morgenluft, kann ich auch ein anderes Szenario sehen. Ein Szenario, in dem wir Lützerath bis zum 14.1. verteidigen können.

Picture this: unser 1. Truppenkontingent befindet sich schon jetzt in Lützerath, the Lützerath Avengers. Diese Superheld*innen der Klimabewegung hatten Monate, um sich auf den Bullenangriff vorzubereiten. Veteran*innen der erfolgreichen Hambi-Verteidigung, battle-hardened Danni Defenders zusammen mit jungen Aktivisti, die seit Wochen, seit Monaten spüren, dass es in Lützerath nicht “nur” um ein paar Häuser geht, sondern um die Zukunft der Klimabewegung schaffen es, der fossilstaatlichen Übermacht lange genug zu trotzen, NRWE die Stirn zu bieten, bis die 1. Entsatztruppen aus NRW eintreffen. Diesen gelingt es zwar vorerst nicht, den Zaun zu überwinden, der ab dem 10.1. Lützerath von der Außenwelt abriegeln soll, sie beginnen aber mit dem Bau eines zweiten Belagerungsringes um die Cops herum – die sich nun der Gefahr eines aktivistischen Zangenangriffs ausgesetzt sehen (historisch eine schwierige Situation für jedwede kämpfende Einheit).

Während einerseits also der politische Druck auf die Grünen – der zentrale verbleibende politische Hebel der Klimabewegung ins politische System – ständig wächst, weil jeden Tag mehr Videos blutüberströmter Gesichter Grüner Jugendfunktionär*innen im Netz kursieren, stören andererseits militanzfähige Kleingruppen zunehmend empfindlich die Versorgungs- und Nachschublinien der fossilkapitalistischen Invasionsarmee. Die Räumung kann nicht vollendet werden, weil die Räumfahrzeuge in Gräben, mysteriöse Funktionschäden aufweisen, Tanks voller Zuckersirup, oder von Weihnachtselfen zerstochene Reifen. Social Media goes nuts, jeden Abend nach der Tagesschau läuft ein “Der Kampf um Lützerath” Brennpunkt. Tausende im ganzen Land entscheiden sich, zur Demo am 14.1. zu fahren. Im Triumpfzug zieht die auf zehntausende angewachsene Demo Richtung Lützerath, fordert den Abbau des Zaunes, und droht damit, ihn ansonsten selbst einzureißen, und Lützerath zu befreien.

Nun steht die Politik, stehen vor allem die Grünen vor einem Dilemma: weiterhin ihre neugefundene (und jeden Tag wieder unter Beweis gestellte) Nibelungentreue zum deutschen Kapital aufrechtzuerhalten, aber damit inkauf zu nehmen, dass ihre eigene Basis von Reuls Schlägertrupps zu Brei geprügelt wird. Kurz vor der fast schon nicht mehr abwendbaren Konfrontation, dem Battle of Lützerath, ruft Robert Habeck bei Mona Neubaur an, und bewegt sie dazu, RWE zu überzeugen (man ist ja von Grün aus heutzutage ganz dicke mit RWE, immerhin arbeitet Titus Rebhahn, ACABs ehemaliger Bürochef, jetzt für diesen deutschen Vorzeigekonzern), die Räumung abzublasen, oder zumindest auszusetzen – es steht zu viel auf dem Spiel für die Grünen, die sich nicht vollends von ihrem imaginierten Markenkern “Klimaschutz” verabschieden wollen (nicht aus inhaltlichen Gründen natürlich, sondern aus parteitaktischen).

Als am Abend des 14.1.23 die Nachricht durchsickert, dass die Räumung wohl ausgesetzt wird, feiert die zum ersten Mal seit Jahren siegreiche Klimabewegung in einer für einen Januar äußerst unüblich warmen 20-Grad-Nacht die größte Party ihres Bestehens. Lützerath hätte zum Grab der radikalen Klimabewegung werden sollen. Jetzt wurde es der Ort, an dem sie wie der Phoenix aus der Asche aufsteigt, um den Kampf für Klimagerechtigkeit auf erweiterter Stufenleiter fortzusetzen. Die Letzte Generation steht nicht mehr allein, sowohl Ende Gelände als auch FFF haben ihre Rolle wiedergefunden, sind wieder in Bewegung.

Lützerath lebt.

Ok, das war jetzt vielleicht nicht das aller wahrscheinlichste Szenario, aber es ist nicht (mehr) unmöglich. Und weil ich – trotz allen situationsbedingten Pessismus/Defätismus ein unverbesserlicher Optimist bin, wenn es um soziale Bewegung geht – eben diese Morgenluft wittere, habe ich mich entschieden, am Samstag nach Lützerath zu fahren, und dort mind. bis zum 14.1.23 zu bleiben. Während dieser Zeit werdet Ihr einen täglichen Newsletter von mir erhalten, und mein #Klimaum9-Format wird wie gehabt auf Twitter (Si apre in una nuova finestra), Mastodon (Si apre in una nuova finestra) und Youtube (Si apre in una nuova finestra) veröffentlicht werden. Deshalb muss ich hier mal mit dem Schreiben aufhören, und meine Sachen organisieren. So eine Winterblockade muss gut vorbereitet sein, vor allem für nen alten Mann mit Rückenproblemen.

Also: danke nochmal, von ganzem Herzen, für all Eure Unterstützung. Next stop: Lützerath. Ihr werdet von mir hören.

Euer Tadzio

(der ganz ehrlich auch ziemlichen Bammel hat, dass er in Lützerath eine Retraumatisierung erleben wird, aber... what else is there but try to fight and win?)

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