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Liebe auf Knopfdruck

In der Welt der perfekten Hochzeit und der inszenierten Küsse entdeckte ich meine eigene, ungeschminkte Wahrheit. Eine Abrechnung mit dem Glück auf Kommando und dem entwaffnenden Blick aufs Wesentliche.

Mehrere Jahre war ich der unsichtbare Chronist auf Hochzeiten. Von morgens um acht beim Zurechtmachen, über die rührende Vermählung, das viel beklatschte Kuchenstechen, das Strauß werfen (wehe, das Ding fliegt schräg in die Hände von Opa Franz!), bis spät abends, tanzend, und der angeschwipsten Tante Frieda zu love me tender, in die Nacht hinein. 

Ach, und die Gäste! Eine Fliege hier, ein Seitenscheitel da, und die Kleinen, behangen mit floralen Headpieces, flitzten durch die Szenerie. Die Sommerkleider? Ein Traum. Mein Refugium, das war die Kamera. Ein Versteck, fast transparent, hinter dem ich die lächelnde Menschheit in all ihrer, nunja, zurecht geschminkten Pracht ablichtete. Mein Job war es, diese Glückseligkeit für immer festzuhalten. 

Zwei Szenarien jedoch konnte ich nicht ausstehen. Erstens: Gruppenfotos. Einmal das Paar mit den Eltern, einmal mit Geschwistern, Cousinen, Großeltern, Freund:innen, et cetera. Dieses Shooting, bei dem sich jeder mal mit jedem fotografieren lassen will. Und just, wenn du glaubst, das war’s, jetzt wird das letzte Mal abgedrückt – nein! Kollege Heinz und Großtante Erna, spät, aber unvermeidlich, wollen sich auch noch ins Bild drängen.

Das Zweite, oh Gott, das Zweite: Pärchenfotos. Du suchst dir zwei, drei Locations, fährst mit dem Brautpaar – und mindestens zwei Leuten im Schlepptau, die sich dazu berufen fühlen, das Paar 24/7 zu betreuen, an Ort und Stelle, und lässt die beiden posieren. Einmmal mit Küsschen, schaut mal hierrüber, jetzt noch die Titanic-Nachstellung am Steg, und jetzt bitte in die Kamera, dann fällt sie ihm in die Arme, die Blicke verliebt wie am ersten Tag. 

Warum nervte mich das so sehr? Nach zwei Jahren ackern in der Hochzeitsfotografie sah ich mich einem erschütternden Eingeständnis gegenüber: Ich hasste es, Regisseur auf großangelegten Feiern zu sein. Eine Realität zu drapieren, die so nie existieren würde, nicht mein Ding. Dieses vorgefertigte „So-tun-als-ob“, dieses Liebe-auf-Kommando.

Ich musste aufhören, Hochzeiten zu fotografieren, wenn ich mir selbst treu bleiben wollte. Zog die Reißleine und verließ die Bühne. Business geschlossen. Flinte ins metaphorische Korn geworfen, kein Schnappschuss. Und hier, in diesem schmerzvollen Moment, fand ich etwas, das wichtiger war als alle perfekten Küsschenfotos der Welt: Klarheit.

Wenn ich heute Menschen für ihren Internetauftritt porträtiere, erkläre ich ihnen vor dem Shooting: „Ich werde dir nicht sagen, wie du schauen sollst. Sei du selbst.“ Keine Masken, keine Posen. Und dann, zehn Klicks später, ist alles im Kasten. Um dabei DAS EINE Bild zu machen, habe ich jahrelang geübt. Aber der Kerngedanke bleibt unverändert: keine Inszenierungen. Niemals.

Und doch, ich fotografiere jeden Tag, aber ohne explizite „Foto-Sessions“. Die Bahnfahrten zur Redaktion von Krautreporter und zurück bilden derzeit die Bühne, die Mitreisenden, meine Protagonisten. Ich habe eine Affinität zum Banalen entwickelt. Jedes Bild ist ein Satz im visuellen Tagebuch, und jede Aufnahme fügt ein neues Kapitel hinzu.

Das fotografische Learning 

Die ewige Frage, die so viele kennen: „Was ist mein Stil? Was will ich zeigen?“ trat in den Hintergrund, als ich vor Jahren meine Entscheidung getroffen hatte. Denn ich wusste jetzt: Das hier mache ich, und das da? Nein, das mache ich nicht.

Diese Einsicht, dieses Aha-Erlebnis, das ist meine Erfahrung, nicht deine. Doch ich glaube, der Schlüssel liegt genau da: Wenn wir erkennen, ob wir Inszenierung lieben oder verabscheuen, können wir als Fotograf:innen einen entschlosseneren, klareren Weg einschlagen. 

Weil bestimmte Fragen – die Fragen, die uns in der Vergangenheit vielleicht gelähmt haben – einfach überflüssig werden. Und das hat Folgen. Womöglich sieht man das sogar auf unseren Fotos.