Die größten Verbrechen der Fotografie: Color-Key
An den Ständern deutscher Zeitschriftenläden sind sie kaum zu übersehen und eine Google-Bildersuche erklärt das Phänomen sofort: Color-Key-Fotos. Meist sind auf darauf Kinder, Babys, Frauen oder Autos zu sehen. Doch das ist nicht das Problem.
Color-Key ist eine Technik, die sich dadurch auszeichnet, dass der größte Teil eines ursprünglich farbigen Bildes in schwarzweiß dargestellt wird. Leider nur der größte Teil, denn ein Bereich leuchtet stets in Farbe – oft ist diese Farbe Rot.
Ein Junge mit Hut übergibt einem Mädchen (vorwiegend Kleinkinder) eine rote Rose, ein Baby trägt eine rote Schleife auf dem Kopf oder eine Frau spaziert mit einem (wer hätte es gedacht?) roten Mantel durch das Bild.
An dieser Stelle habe ich darauf verzichtet, fremde Fotos zu benutzen – sondern eine Aufnahme, die ich vor Jahren in Karlsruhe machte, bearbeitet und in ein Color-Key verwandelt.
Ich weiß. Es ist zum Konfetti kotzen.
Nachteile, Nachteile, Nachteile
Color-Key ist in meinen Augen deshalb ein Verbrechen, weil es zwei Techniken der Fotografie miteinander vereint, die unterschiedlicher nicht sein könnten: Schwarzweißfotografie und Farbfotografie. Manche Dinge sollte man einfach nicht mischen, genauso, wie man Fischstäbchen nicht mit Vanille-Eis mischen sollte. Kann man machen, ist halt… ihr wisst schon.
Bei Color-Key passiert folgendes: Wir sehen ein Foto, das nicht wirklich schwarzweiß und nicht wirklich in Farbe ist. Das ist ein Problem. Warum?
Schwarzweißfotos leben davon, dass sie auf Farbe verzichten, damit sich Betrachter auf Formen, Strukturen und Kontraste konzentrieren können. Das ist ein Vorteil.
Elementare Bestandteile der Farbfotografie hingegen sind Farbkontraste – mehrere Farben in einem Bild wirken aufeinander und erzeugen somit etwas, das wir aus der Musik kennen: Harmonie. Farben können auch überhaupt nicht zueinander passen, was dann zu einer Disharmonie im Bild führen kann. Auch das ist ein Vorteil.
Color-Key schließt diese Vorteile aus und macht somit meiner Meinung nach jedes Foto kaputt. Wir sehen nichts Halbes und nichts Ganzes.
Die billigste Technik, das Auge zu lenken
Menschen geben sich seit der Existenz der Fotografie Mühe, Betrachter:innen dabei zu helfen, das zu sehen, was sie sehen sollen.
Dabei achten sie auf Linien im Bild, die zum Hauptobjekt führen, arbeiten mit Hell- und Dunkelkontrasten, Schärfe/-Unschärfeverhältnissen, ausgeklügelter Bildkomposition, Drittelregeln und vielem mehr. Man könnte sogar so weit gehen, zu sagen, dass dies die Hauptaufgabe des fotografischen Schaffens ist.
Die Color-Key-Fotografie scheißt einfach auf all das und drängt Betrachter:innen das Hauptobjekt in maximal halsbrecherischer Weise auf. Allem, was im Bild nicht wichtig ist, wird in einem Bildbearbeitungsprogramm die Farbe entzogen und das Hauptobjekt trägt die Farbe, auf die das menschliche Auge sofort reagiert. Fucking rot.
Wer kümmert sich schon um Bildkomposition, wenn man einfach ein Color-Key draus machen kann?
Color-Key ist Kitsch
Das letzte Problem dieses Verbrechens ist der sagenhafte Kitsch, der zu sehen ist. Diese Bilder versprechen eine fiktive Traumwelt, in der sich Kleinkinder gegenseitig Rosen schenken, mit herzförmigen Luftballons umhertollen und Babys den ganzen Tag mit Schleifen am Kopf süß in den Himmel starren.
Der spanische Medienwissenschaftler Vincent Romano schrieb 1985 in „Macht, Kult und Kitsch“: „Die Realität, man weiß es, ist komplex und vielseitig. Ihre Kenntnis verlangt ständige Analyse. Der Kitsch aber arbeitet als Darstellungsform mit Stereotypen.“
Und genau das ist es, was meistens auf Color-Key-Postkarten zu sehen ist: Eine wirklichkeitsfremde Darstellung von Stereotypen. Man wird mir diesen Satz noch um die Ohren werfen, aber ich schreibe es trotzdem: Color-Key ist das Arschgeweih der Fotografie.
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Übrigens: Ich denke darüber nach, über die größten Verbrechen der Fotografie eine Serie zu schreiben. Welche Verbrechen fallen dir ein? Schreibe mir gerne: martin@krautreporter.de.