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Liebe Leserïnnen,

folgendermaßen:

Der Staat muss oder möchte (je nach persönlicher Sichtweise) uns gelegentlich mal über die Schultern schauen, damit wir keinen Schabernack treiben. Deshalb ist der Staat unter die Hacker gegangen und dringt ab und zu in unsere PCs, Tablets und Smartphones ein, um sich dort umzusehen (Online-Durchsuchung (Si apre in una nuova finestra)) oder unsere WhatsApp-Chats mitzulesen (Quellen-TKÜ (Si apre in una nuova finestra)). Die Techniken und Schadsoftware, die für ein derartiges Eindringen nötig sind, sind im Kern die gleichen, die auch von kriminellen Hackern benutzt werden, und können sehr vereinfachend unter dem Begriff "Trojaner" zusammengefasst werden. "Staatstrojaner", so die polemische Bezeichnung der Kritikerïnnen staatlichen Überwachungsdranges, gibt es sei Jahren und sie werden in unterschiedlichem Ausmaß in ganz Deutschland eingesetzt. 

Um so erstaunlicher ist, was einige Abgeordnete der FDP aus dem Bundesrat zu berichten wissen, etwa Marco Buschmann (Si apre in una nuova finestra) (parlamentarischer Geschäftsführer der FDP-Bundestagsfraktion):

Und Lukas Köhler (Si apre in una nuova finestra) (klimapolitischer Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion):

Und Mario Brandenburg (Si apre in una nuova finestra) (MdB, FDP):

Und Benjamin Strasser (Si apre in una nuova finestra) (MdB, FDP):

Und Sandra Weeser (Si apre in una nuova finestra) (MdB, FDP): 

Und Hagen Reinhold (Si apre in una nuova finestra) (MdB, FDP), w

Durften wir also diese Woche in einer Sternstunde der parlamentarischen Demokratie und des Föderalismus eine netzpolitische Großtat des Liberalismus erleben? Die Wirklichkeit ist ernüchternder. Im Bundesrat standen zwei Gesetzesänderungen zur Abstimmung (Si apre in una nuova finestra):

Unter TOP 26 sollten alle 19 deutschen Geheimdienste die Befugnis bekommen, die so genannte "Quellen-TKÜ plus" einsetzen zu dürfen, eine Kombination aus Abhörung und eingeschränkter Online-Durchsuchung.

Unter TOP 29 sollte diese Befugnis für die Bundespolizei dahingehend erweitert werden, dass sie die "Quellen-TKÜ plus" einsetzen darf, ohne dass es dafür eines konkreten Tatverdachts und einer begangenen Straftat bedarf. Es sollte genügen, dass Ermittlerïnnen kraft ihrer Wassersuppe der Ansicht sind, dass eine Person einfach mal überwacht gehöre.

TOP 26 wurde glatt durchgewunken. Lediglich TOP 29 wurde unter anderem auf Betreiben der FDP in den Vermittlungsausschuss überwiesen.

Das heißt: Die FDP hat einer Ausweitung der bereits bestehenden Überwachungsmöglichkeiten zugestimmt und nur eine Sonderregelung für die Bundespolizei abgelehnt – und damit in den Vermittlungsausschuss überwiesen, wo sie vielleicht untergeht, vielleicht aber auch fortbesteht. Ich weiß ja nicht, wie es Euch und Ihnen geht, liebe Leserïnnen, aber "Verhindert", "Zustimmung verweigert", "gestoppt", "gescheitert" sieht für meine Begriffe anders aus. Vielmehr handelt es sich um ein Musterbeispiel für politisches Lügen: Das eine behaupten, das Gegenteil tun.

Technisch korrekt sind die Tweets von Marco Buschmann und Mario Brandenburg, die sich tatsächlich nur auf die Bundespolizei beziehen. Das als Erfolgsmeldung zu verbreiten und einfach die andere Abstimmung bzgl. der Geheimdienste zu unterschlagen, ist natürlich ein geschickter Spin. So lässt sich lügen, ohne die Unwahrheit zu sagen. Die übrigen FDP-MdB waren für diesen Spin offenbar zu doof: Sie haben einfach platt behauptet, da sei ganz allgemein ein Staatstrojaner verhindert worden. Es ist allerdings in Betracht zu ziehen, dass viele dieser MdB nicht wissen, wovon sie reden.

Weil Wahlkampf ist:

Allerdings ist es falsch, nur auf die FDP zu zeigen. Wie stehen die anderen Parteien zu dem Thema? Fast alle haben in Programmen und Beschlüssen schon einmal geäußert, dass sie den "Staatstrojaner" ablehnen. Zuletzt hat der Parteitag der Grünen einen Passus aus dem Wahlprogramm gestrichen, der sich für den Einsatz von "Staatstrojanern" aussprach. Leider helfen programmatische Aussagen nicht weiter, wenn ihnen das konkrete Regierungshandeln widerspricht. In der Praxis ist staatliches Hacken ein gemeinsames Projekt von CDU/CSU, SPD, FDP und den Grünen. Sie alle haben in den Regierungskoalitionen der Bundesländer irgendwann dem Einsatz von Staatstrojanern zugestimmt oder diesen zumindest toleriert. Lediglich die Linkspartei verhindert deren Einsatz in Thüringen und Berlin. Im Stadtstaat wurden unter der großen Koalition geschlossene Verträge zwischen LKA und FinFisher (Si apre in una nuova finestra), einem dubiosen Anbieter für Spionagesoftware, unter Rot-Rot-Grün wieder gekündigt.

Aber nochmal: Warum ist das so schlimm?

Staatliches Hacken ist ganz grundsätzlich ein Problem, weil es auf Sicherheitslücken angewiesen ist. Das heißt, der Staat hat ein Interesse daran, Sicherheitslücken nicht den Software-Herstellern zu melden, sondern diese möglichst lange offen zu halten, und beteiligt sich sogar am Schwarzmarkthandel mit diesen Sicherheitslücken. Also den gleichen Lücken, die auch von kriminellen Hackern ausgesenutzt werden, zum Beispiel um Computer-Inhalte zu verschlüsseln und anschließend Lösegeld zu verlangen (Si apre in una nuova finestra). Das heißt, der Staat arbeitet daran, unser aller Computer unsicher zu halten und verstößt damit gegen das 2008 vom Bundesverfassungsgericht definierte Grundrecht auf Gewährleistung der Vertraulichkeit und Integrität informationstechnischer Systeme (Si apre in una nuova finestra).

Aber ist das nicht eine Frage der Rechtsgüterabwägung? Muss die Polizei nicht auch gelegentlich Kriminelle abhören können, um ihren Aufgaben nachzugehen? Darüber lässt sich streiten. Vielleicht ist es in Strafverfahren angemessen, wenn bei entsprechender Schwere der Tat ein Gericht eine solche Überwachung anordnet. Leider ist der so genannte "Richtervorbehalt" in der Praxis eine reine Formsache. Theoretisch ist es immerhin möglich, sich juristisch gegen eine solche Überwachung zu wehren. Bei der Überwachung durch Geheimdienste ist weder ein Rechtsweg vorgesehen, noch unterliegt sie einer richterlichen Kontrolle.

Es ist gar nicht nötig sich auszumalen, welchen Schaden solche Überwachungsmöglichkeiten in der Hand einer möglicherweise irgendwann an die Macht kommenden totalitären Regierung anrichten könnten. Es genügt völlig, sich die zahllosen Fälle von Übergriffen, Rassismus, Polizeigewalt, rechtsradikaler (Si apre in una nuova finestra) Unterwanderung und Korpsgeist in den Polizeien anzusehen. Möchten wir wirklich Polizistïnnen, immer wieder und wieder und nochmal und nochmal die Polizeidatenbanken zum Stalking missbrauchen oder Daten an Nazis durchstechen, derart weitreichende Befugnisse geben? Und wie wollen wir sicherstellen, dass belastendes Material, welches auf den überwachten Geräten gefunden wird, schon vorher dort war und nicht erst von politisch motivierten oder ehrgeizigen Ermittlerïnnen dort hinterlassen wurde?

In der FDP, um zurück zum ursprünglichen Thema zu kommen, sind diese ganzen Argumente bekannt. Sonst würden sich die MdB nicht so sehr mit der angeblichen Verhinderung von "Staatstrojanern" brüsten. In diesem Kontext ist vielleicht ein anderes Gesetzesvorhaben von Interesse: In Nordrhein-Westfalen plant die CDU unter Ministerpräsident Armin Laschet gemeinsam mit der immer um Rechtsstaatlichkeit und Bürgerrechte bemühten FDP gerade ein außerordentlich restriktives und so gar nicht liberales Versammlungsgesetz (Si apre in una nuova finestra), das schärfer als in allen anderen Bundesländern einschließlich Bayern ausfällt. Bei der Landtagsabstimmung nach der Sommerpause ist wieder Gelegenheit, der FDP beim Verhindern, Stoppen und Verweigern zuzusehen.

Und damit, liebe Leserïnnen, wünsche ich ein schönes Restwochenende.

Enno Park

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