Passa al contenuto principale

Afrikas neue Töchter

Buchprojekt von und mit Schwarzen Frauen

Das Buch „Neue Töchter Afrikas“, inklusive ausführlichem Begleitprogramm, will die Gedanken und Gefühle Schwarzer Autorinnen deutschsprachigen Leser*innen näherbringen. Doch nicht nur die Übersetzungen der Texte sind wichtig, sondern vor allem auch Begegnungen und zahlreiche Gespräche.

 Von Katja Fischborn, Köln

 Am Abend eine Lesung, am Morgen danach eine Diskussion mit Schüler*innen in Köln-Ehrenfeld, am Nachmittag mit der Bahn nach Den Haag: Sisonke Msimang ist für einige Wochen in Europa auf Reisen und weit entfernt von ihrer australischen Wahlheimat. Die Schwarze Autorin hatte schon früh ein im Wortsinn bewegtes Leben: Geboren im Exil in Swasiland als Kind politisch aktiver Eltern, die gegen die Apartheid und für ein unabhängiges Südafrika kämpften, aufgewachsen in Sambia, Kanada, Kenia und Äthiopien kam sie schließlich in den 90er Jahren als Studentin in die USA.

Hier erlebte sie Dinge, die sie veränderten und dazu brachten, ein Buch über ihr Leben zu schreiben: „In Amerika begreife ich bald, dass Schwarzsein hier zweierlei bedeutet: unbekannt und unerkannt sein.“ Dieser Satz aus ihrer Autobiografie „Always Another Country: A Memoir of Exile and Home“ (deutsche Ausgabe: „Und immer wieder aufbrechen“) findet sich im Kapitel „Ein Schwarzes Mädchen in Amerika“. Es handelt davon, wie sie zum ersten Mal deutlich erlebt, dass sie als Schwarze Frau nahezu unsichtbar wird. 

„Ich denke, jede Schwarze Frau – eigentlich jede Frau – erfährt diesen Moment in ihrem Leben. Plötzlich ist sie nicht mehr ihre Persönlichkeit, ihr Wesen, ihr Charakter, ihre Erfahrungen, sondern nur noch eine Schwarze Frau.“ Sie vergleicht es mit einem Meeting, in dem frau plötzlich merkt, nicht ernst genommen zu werden, niemand zuhört – weil man einfach „nur“ als Frau wahrgenommen wird. Doch Msimang lässt sich davon nicht entmutigen. „Amerika macht mich tapfer, weil es mich dazu zwingt, für mich selbst zu kämpfen“, schreibt sie weiter.

Kollaboratives Buchprojekt für den deutschen Markt

Starke Schwarze Stimme wie diese füllen das Buch „Neue Töchter Afrikas“, das vor Kurzem im Unrast Verlag aus Münster (Si apre in una nuova finestra) erschienen ist. Hier sind 30 Texte Schwarzer Autorinnen vereint, die in über 100 Jahren entstanden sind. Sie sind von Schwarzen Übersetzerinnen aus dem Englischen ins Deutsche übertragen worden. Die Kurzgeschichten, Gedichte und Essays wurden sorgfältig von Schwarzen Kuratorinnen aus NRW ausgewählt. Die bekannte Verlegerin und Autorin Margaret Busby veröffentliche die Vorgänger „Daugthers of Africa“ und 2019 „New Daughters of Africa“, die jeweils 200 Geschichten bzw. 1.000 Buchseiten umfassen.

Die Aufgabe, das deutsche Publikum mit den Erzählungen Schwarzer Autorinnen vertraut zu machen, hat die Literatur- und Bildungsreihe „stimmen afrikas“ (Si apre in una nuova finestra) in Köln übernommen. Schon seit 2009 lädt die Initiative, gegründet von Christa Morgenrath, zeitgenössische Schriftsteller*innen aus Afrika und der afrikanischen Diaspora zu Lesungen und Diskussionen ein. Als Morgenrath „New Daughters of Africa“ entdeckte, war sie überzeugt, dass es sich lohnen würde, dieses Werk zumindest komprimiert auf Deutsch herauszubringen. Als Zielpublikum sieht sie auch viele Schwarze Frauen in Deutschland, die durch solche Erzählungen empowert werden könnten. Sie meint: „Auf Englisch lesen hier leider viel weniger Menschen.“

Welche Texte dafür ausgewählt werden, wollte keinesfalls sie als weiße Frau entscheiden. Klar war allerdings, dass die Mischung eine große Bandbreite widerspiegeln sollte. Dazu gehören das Alter und die Herkunft der Autorin und das Entstehungsdatum der Texte. Es sind Frauen vom afrikanischen Kontinent präsent, aber auch aus Lateinamerika und der Karibik, was manchmal vergessen werde, betont Herausgeberin Morgenrath. Und die Lektüre soll zwar zum Nachdenken anregen, aber auch Vergnügen bereiten. Also begann sie, Schwarze Frauen zu suchen, die am Projekt mitarbeiten sollten. Die „Töchter Afrikas“ sollten sich nicht nur auf den Buchinhalt beziehen. 

Starkes Netzwerk für Beteiligte

„Marion Kraft war die erste, mit der ich darüber gesprochen habe, und sie hat mich sehr unterstützt“, betont Morgenrath. Kraft kennt sich in der Literaturszene sehr gut aus, die afro-deutsche Literaturwissenschaftlerin ist ebenfalls Autorin, Herausgeberin und Übersetzerin und im Buch mit einem Vorwort präsent. Nur ein Beispiel für das starke Netzwerk, das für das Projekt nötig war – und sich gleichzeitig erweitert und neu gebildet hat. Denn Morgenrath wollte bewusst den beteiligten Frauen neue Kontakte ermöglichen. Das passt zum Thema Sisterhood, der schwesterlichen Liebe und Solidarität von Frauen, das sich laut Kraft „wie ein verbindender roter Faden durch fast alle Texte in dem Band zieht.“

Etliche Veranstaltungen zum Buch fanden lange vor dessen Veröffentlichung im Frühjahr 2023 statt: Kuratorinnen, Autorinnen und Übersetzerinnen erzählten und lasen mehrmals in Köln vor Publikum und auch in Schulen, berichteten über Hintergründe, beantworteten Fragen. Hierfür wurden weitere Frauen zum Beispiel als Moderatorin, Vorleserin oder Dolmetscherin engagiert. „Auf diese Weise kann ich viel mehr Menschen zeigen, die am Prozess beteiligt sind“, erklärt Morgenrath. 

Und auch nach dem Erscheinungsdatum am 13. April geht es weiter mit einschlägigen Veranstaltungen, unter anderem bei der Leipziger und Frankfurter Buchmesse. Finanziell unterstützt wird das Projekt von einigen öffentlichen Einrichtungen des Bundes, des Landes NRW, der Stadt Köln und privaten Initiativen – als Schirmfrau konnte Schriftstellerin Melanie Raabe gewonnen werden, die in Köln lebt.

Auswahl war ein Kompromiss

Vier Kuratorinnen bestritten den schwierigen Auswahlprozess. Jede hatte ihre persönlichen Favoriten, die sie miteinander in Einklang bringen mussten. Es geht um Tabus und Traumata, um ernste und schwierige Themen wie Flucht und Heimat, Rassismus und Tod, Hautfarbe und Geschlecht, aber auch Freundschaft und Romantik. Manches kommt nachdenklich daher, eher behutsam, anderes direkt und kraftvoll, mal konfrontativ, mal mit Humor. „Wir hatten die Verantwortung, bestimmte, auch moderne Perspektiven sichtbar zu machen“, sagt Kuratorin Emilene Wopana Mudimu.

Für Glenda Obermuller geht es auch darum, andere zu inspirieren und zu unterstützen. „Ich stünde nicht hier ohne die Kraft derjenigen, die vor mir da waren“, sagt sie in Bezug auf Sklaverei-Vergangenheit ihres Heimatlandes Guyana. „So werden wir auch andere tragen.“ Eine der beiden Übersetzerinnen ist Aminata Cissé Schleicher. Die Leipzigerin studierte Amerikanistik und Germanistik, arbeitete als freie Autorin etwa beim MDR und bei der Stadt Leipzig. Auch als Jurymitglied bei den Resonanzen, dem ersten Schwarzen Literaturfestival während der Ruhrfestspiele in Recklinghausen (Si apre in una nuova finestra), war ihre Expertise gefragt.

„Wer welchen Text übernimmt, haben wir verhandelt“, erklärt Schleicher. Zu den Autorinnen selbst habe sie meist keinen Kontakt, sondern frage zunächst in ihrem Umfeld, wer helfen kann, sollten Probleme auftauchen. Die Besonderheiten der verschiedenen Kulturen beim Übertrag in eine andere Sprache zu erhalten ist eine Herausforderung. Das Ergebnis prägt entscheidend mit, wie Leser*innen die Veröffentlichungen aufnehmen. Eventuelle „Stolpersteine“ seien aber kein Mangel, betont Kraft in ihrem Vorwort, sondern eine Bereicherung: „Sie fordern zum Nachdenken und zu eigener Recherche auf und dazu, unseren Blick auf die Welt zu erweitern.“

Noch mehr als regionale Dialekte oder kreative Wortschöpfungen beschäftigt Cissé Schleicher, wie Begriffe wie „race“ oder auch das N-Wort übersetzt werden können und sollen. So heißt es beispielsweise in einer Passage: „Als ich eines Abends mit dem Bus nach Hause fahre, tritt ein alter Mann beim Aussteigen an mich heran und flüstert mir – fast lyrisch – ins Ohr: »N*****bitch.«“ So bleibt nachvollziehbar, was im Original formuliert ist, ohne es explizit auszuschreiben.

Nirgendwo und überall zu Hause 

Cissé Schleicher ist beeindruckt von der Leistung Margaret Busbys, in beiden Anthologien ein so abwechslungsreiches und diverses Bild Schwarzer Literatur aus verschiedenen Generationen und unterschiedlichsten Ursprungs zusammenzustellen. „Kosmopolitisch ist ein gutes Wort dafür“, sagt sie. Die Sprachen, die Herkunft, die Kulturen, die Familien – das afrikanische Erbe sei auf der ganzen Welt verteilt. Das gebe auch die deutsche Ausgabe des Buches wieder. Ihr Fazit: „Wir sind nirgendwo richtig zu Hause und gleichzeitig überall.“

Angst, dass durch die Übertragung in eine andere Sprache etwas von ihrer Geschichte, ihrer Botschaft verloren gehen könnte, hat Autorin Sisonke Msimang übrigens nicht. „Auch beim Schreiben verliert man die Kontrolle. Man kann nicht beeinflussen, wie etwas von anderen verstanden oder aufgenommen wird.“ Ihr erstes Buch habe sie in erster Linie für die Menschen, vor allem die Frauen ihrer Generation in Südafrika verfasst. Dass Busby sie in die Anthologie aufnahm, sei eine große Ehre gewesen. Und dass sie nun auch auf Deutsch zu lesen sein werde, ein toller Bonus.

0 commenti

Vuoi essere la prima persona a commentare?
Abbonati a DEINE KORRESPONDENTIN e avvia una conversazione.
Sostieni