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Mit spitzer Feder

Comic-Zeichnerinnen in Schweden

Nur etwas für Kinder oder ein reiner Männer-Spielplatz? Von wegen! In Schweden machen sich seit einigen Jahren vor allem Frauen in der Comic-Szene einen Namen. Schwedische Zeichnerinnen kritisieren in ihren Geschichten die Gesellschaft, schreiben spannende Storys und feiern damit auch international Erfolge.

 Von Regine Glaß, Göteborg

Eigentlich sollte die sechsjährige Yvette Gustafsson (Si apre in una nuova finestra) einen Erlebnisaufsatz schreiben. Stattdessen entstand im Schulunterricht ihr erstes Comic, das von einem Hund handelte, der überfahren wurde. „Ich konnte einfach nicht tun, was von mir verlangt wird“, sagt die heute 39-Jährige spitzbübisch, während sie in den Händen ihr neuestes Buch hält. Hätte sie damals nicht statt zu schreiben ihre erste Bildergeschichte mit dem Stift aufs Papier gezeichnet, würde es ihre Comics für Erwachsene wohl heute nicht geben. Inzwischen lebt Gustafsson von ihren Bildergeschichten und teilt sich ihren Schreibtisch in einem Co-Working-Space in einem alten Fabrikgebäude in Göteborg mit anderen Kreativen.

Nach ihren ersten Versuchen als Kind malte sie zunächst nicht weiter, sondern las: Schwedische Klassiker wie „Pettersson und Findus“ oder die international bekannten Disney-Hefte mit „Donald Duck“, der in Schweden Kalle Anka heißt. Die Geschichten ihrer Kindheit inspirieren sie heute in ihrer Arbeit ebenso wie Fernsehserien wie zum Beispiel „Friends“. Diese Begeisterung brachte sie schließlich dazu, in dem winzigen schwedischen Ort Hofors eine Ausbildung zur Comic-Zeichnerin zu absolvieren. Unter ihren Auftraggeber*innen sind Bildungseinrichtungen wie Museen und Schulen sowie populärwissenschaftliche Zeitschriften.

Instagram-Follower erhaschen den ersten Blick

Die sprichwörtliche, spitze Feder, mit der sie ihre Comics erstellt, ist ein digitaler Stift. Mit diesem zeichnet sie wie viele moderne Zeichner*innen am Tablet und kann somit die Bilder direkt am Computer bearbeiten und auch digital veröffentlichen. Eine ganze Abenteuerserie namens „Zak und Ting“ vertreibt Gustafsson auf diese Weise selbst. Die ersten Ausgaben hat sie durch ein Crowdfunding im Internet finanziert. Darin erleben die beiden Hauptfiguren Abenteuer, während sie ständig versuchen, anderen zu helfen, aber dabei selbst immer tiefer in den Schlamassel geraten.

Diese Eigenschaften habe sie durchaus mit ihren Figuren gemeinsam, sagt Gustafsson. Die Zielgruppe sind längst nicht nur Kinder, sondern auch junge Erwachsene, die sich in den Charakteren wiederfinden können. Ihr neuestes Werk ist die Reihe „Feltänkt“ – auf Deutsch „Falsch gedacht“ – von der gerade der vierte Band mit dem Titel „Lagom ist relativ“ erschienen ist. „Lagom“ ist ein schwedisches Wort, das ungefähr „nicht zu viel und nicht zu wenig“ bedeutet.

Autobiographisch erzählt sie hier Geschichten über ihr Leben als junge, schwedische Kreative und wie schwer es ihr manchmal fällt, „lagom“ zu sein; bewertet aber auch den Zeitgeist und kritisiert in ironischen Zeichnungen die Gesellschaft. Zu sehen sind diese in digitaler Form unter anderem auf Instagram (Si apre in una nuova finestra). Dort veröffentlicht sie die Comics, bevor sie gedruckt als Buch erscheinen.

Gustafsson lacht manchmal, während sie durch ihre eigenen Comics blättert. „Satire und Ironie sind die ältesten Formen dafür, die herrschende Klasse zu kritisieren“, erklärt sie. Ein Beispiel dafür ist ein Strip über ein Paralleluniversum, in dem mächtige Männer ihre Machtkomplexe, isoliert vom Rest der Gesellschaft, auf der sogenannten „Fahr zur Hölle“-Insel ausleben können. Andere Geschichten handeln stattdessen schlicht und einfach von Referenzen, die Menschen in ihrem Alter kennen: Zum Beispiel die Angst vor dem Telefonieren als eine der letzten Generationen, die noch mit dem Festnetzapparat mit Wählscheibe aufgewachsen sind.

Manchmal wird sie mit dem Vorurteil konfrontiert, dass Comics doch nur etwas für Kinder seien. „Aber es geht darum, Geschichten zu erzählen“, sagt Gustafsson. Diese Lust am Erzählen möchte sie anderen weitergeben. Deshalb hat sie das westschwedische Comic-Festival mitgegründet, das auch dieses Jahr wieder im Oktober stattfinden wird. Dort wird es unter anderem Zeichen-Workshops geben, aber auch akademischen Input über die Bedeutung von Comics.

Zeitgenössische Themen als roter Faden

Im vergangenen Jahr kam dieser von Anna Nordenstam, Professorin für Literatur an der Universität Göteborg. Nordenstam hat zusammen mit ihrer Kollegin Margareta Wallin Wictorin ein Forschungsprojekt gestartet, in dem sie den feministischen Comic-Boom in Schweden untersucht. Eine seiner erfolgreichsten Vertreterinnen ist Liv Strömquist, deren Comics ins Deutsche und viele weitere Sprachen übersetzt wurden. Ihr Thema ist die Rolle von Frauen in der Gesellschaft – sowohl historisch als auch aktuell.

„Strömquists Comics sind einzigartig, weil sie sehr viel recherchiert und Fußnoten verwendet. Das ist Gender Studies im Comic-Format", erklärt die Wissenschaftlerin. Liv Strömquist ist jedoch nur eine der berühmtesten Galionsfiguren aus einer Reihe von ebenso talentierten, nur weniger bekannten Künstlerinnen des Genres aus Schweden. Vergangenes Jahr zum Beispiel hielt Nordenstam ein Seminar über Klima-Aktivismus unter feministischen Comic-Zeichnerinnen. „Ich glaube, die schwedische weibliche Comic-Szene ist so bekannt geworden, weil sie wichtige, aktuelle Themen in einer Zeit anspricht, in der wir sie brauchen", sagt Nordenstam.

Auch in Deutschland gibt es immer mehr Zeichnerinnen, und solidarische Bündnisse bemühen sich um bessere Arbeitsbedingungen (Si apre in una nuova finestra). Comics gehören dennoch eher zur Subkultur. Schwedische Zeichnerinnen sind dagegen auch über die Fan-Szene hinaus bekannt: Liv Strömquist hat inzwischen in Schweden einen beliebten Podcast, auf Yvette Gustafssons Instagram-Konto fiebern mehr als 3.500 Follower*innen bei ihren Webcomics mit, und Lotta Sjöberg prägte einen ganz neuen Begriff von Comics, Handwerk und Aktivismus: Craftivism.

Auffällig in Schweden ist, dass es in einem Land mit zehn Millionen Einwohner*innen sieben Hochschulen gibt, in denen man das Comic-Zeichnen erlernen kann. Außerdem mehrere Verlage, die nur Comics herausbringen. Einer von ihnen, der Galago-Verlag, hat seit dem Jahr 2007 eine Quote: 50 Prozent der veröffentlichten Künstler*innen sind weiblich. Anna Nordenstam sieht das Verhältnis zwischen den Geschlechtern und Beziehungen als roten Faden in vielen schwedischen Werken.

„Schweden gibt gerne vor, gleichberechtigt zu sein. Und das sind wir im Vergleich zu vielen anderen Ländern auch, zum Beispiel, wenn es um Vollzeitarbeit geht. Aber wir haben noch viel zu tun", sagt sie und bezieht sich dabei auf eine Karikatur der stickenden und zeichnenden Comic-Künstlerin Lotta Sjöberg. Diese zeigt ein kleines, rotes Holzhaus, ein Klischee wie aus Astrid Lindgrens „Die Kinder von Bullerbü“. „Aber was ist das?“, sagt Nordenstam und zeigt auf eine Sprechblase: Auf Schwedisch steht dort: „Hilf beim Abwaschen, verdammt noch mal!“ Statistiken belegten, dass Frauen – auch in Schweden – immer noch mehr Hausarbeit leisteten als Männer, mehr in Teilzeit arbeiteten und mehr Stunden mit Care-Arbeit verbrächten.

Comics als Stickerei 

Sjöberg arbeitet in Stockholm meist von zu Hause aus an ihren Stickereien, die sie wie Gustafsson gern zunächst bei Instagram (Si apre in una nuova finestra) veröffentlicht. Gleichzeitig erlebt sie das Sticken, an dem sie mehrere Stunden arbeitet, als eine Reaktion auf die Schnelllebigkeit der Gesellschaft. Der kreative Prozess laufe dabei so ab: Am Morgen sehe sie sich die Nachrichten an, und wenn plötzlich ein Ereignis in ihr den Impuls wecke, es zu verbildlichen, lasse sie alles stehen und liegen und sticke. Sie ist bei ihrer Arbeit gern nachhaltig, kauft Secondhandkleidung, schreibt absichtlich falsch buchstabiert Markennamen wie „Gutji“ darauf oder weist auf einem Pulli auf die Arbeitsbedingungen der Fast-Fashion-Industrie hin. „Ich bin diesen Pulli nicht wert“, steht am Ende des Manifests auf dem Kleidungsstück.

„Mir gefällt an dieser Kunstform, dass ich im wahrsten Sinne des Wortes mit meiner scharfen Nadel die Gesellschaft kommentiere“, so Sjöberg. Auf ein anderes Bild hat sie „Girls just wanna have fun“ mit dem Bild eines traurigen Mädchens gestickt. Damit verarbeitet die 49 Jahre alte Künstlerin Themen wie Angst und Depression und den Anspruch, dass Frauen immer zu lächeln hätten. Für ihre Comics nimmt Sjöberg sich gerne Zeit, schaltet auch vom Rest ihres Lebens ab.

Doch gerade sei sie besonders gestresst wegen einer bevorstehenden Ausstellung in Stockholm, in der sie ihre Arbeiten der analogen Welt präsentieren wird. Auch Yvette Gustafsson wird ihr Wissen demnächst wieder weitergeben, beim Festival im Oktober und in Workshops mit Jugendlichen an Schulen. Was ihr dabei besonders Freude mache: „Mittlerweile interessieren sich Jungs und Mädchen gleichermaßen für Comics. Am Anfang sagen sie alle: Wir können überhaupt nicht zeichnen. Und am Ende entsteht wieder ein neuer Comic.“ 

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