Wenn die ganze Insel brennt
Naturschützerin kämpft gegen Massenbrandstiftung
Erneut stand Europas Süden vor einem Jahr in Flammen. Ganz besonders hart traf es die Insel Sizilien. Dabei scheinen die Feuer nicht nur eine Folge von Klimakatastrophen oder fahrlässigem Verhalten zu sein, sondern vielmehr kriminelle Strategie. Eine deutsche Naturschützerin forscht nach den Ursachen und engagiert sich für Prävention.
Von Helen Hecker, Palermo
Der dunkle Nachthimmel über Palermo ist hell erleuchtet, die Luft erfüllt von beißendem Rauch. Auch um Mitternacht sind die Temperaturen noch bei 43 Grad. Wie so oft im Sommer wüten verheerende Waldbrände in den Bergen rings um die sizilianische Hauptstadt. Doch diesmal ist alles anders.
Die gesamte Stadt ist von Flammen umzingelt. Der Flughafen ist geschlossen, die Autobahn gesperrt und mehr als 1.500 Menschen evakuiert. Auch die städtische Mülldeponie „Bellolampo“ fängt Feuer. Vier Tage lang verpesten giftige Dioxine die Umgebung.
Trotz intensivem Einsatz von Polizei, Feuerwehr, Forstwirtschaft und zivilem Katastrophenschutz war es im vergangenen Sommer kaum möglich, die Brände in den Griff zu bekommen. Allein um Palermo zählten die Verantwortlichen etwa 60 Brandherde. Alles Zufall? Wohl kaum. Das zumindest steht für einen Großteil der Bevölkerung fest.
Auch öffentliche Amtsträger*innen wie der Bischof von Cefalù, Giuseppe Marciante, sprechen in der Lokalzeitung und auf Social Media von „geplanter Brandstiftung zugunsten schmutziger wirtschaftlicher Interessen“. Die deutsche Aktivistin Hanna Rasper teilt ebenfalls diese Überzeugung und betont, dass es auf Sizilien faktisch kein natürliches Feuer gebe. „Die sind alle menschengemacht – auch wenn das unvorstellbar klingt.“
Wenn die Natur zum Brandopfer wird
Vor fünf Jahren kam die Designerin aus Berlin nach Palermo. Ursprünglich war nur ein sechsmonatiger Aufenthalt im Rahmen des „Erasmus For Young Entrepreneurs“-Programms geplant. Doch die Insel fesselte die 29-Jährige „wie eine Krake mit ihren Tentakeln“. Sie verliebte sich vor allem in Siziliens Natur und gründete 2022 mit anderen Aktivist*innen das Kollektiv „Rewild Sicily" (Si apre in una nuova finestra). „Unser Ziel ist es, erneut ein wilderes Sizilien zu schaffen“, erzählt sie stolz.
Dazu setzen sie auf das Konzept des „Rewilding“ – einem Naturschutz-Ansatz, der unter anderem von den US-amerikanischen Naturschützern und Biologen Michael Soulé und Reed Noss entwickelt wurde und sich seit den 1990er Jahren in der ganzen Welt verbreitet. Die Idee dahinter ist, erneut die natürlichen Prozesse eines Ökosystems in Gang zu bringen, statt ein bestimmtes Habitat oder eine Spezies durch menschliches Eingreifen zu schützen.
„Wir wollen der Natur helfen, sich selbst zu regenerieren“, so Rasper. Das alles werde jedoch hinfällig, sobald es brenne. „Jeder, der sich mit Naturschutz beschäftigt, kommt um das Thema Feuer nicht herum.“ Auch das erste Projekt ihres Kollektivs widmete sich daher den Waldbränden. Gemeinsam machten sie sich zu einer Recherchereise über die Insel auf und erforschte die Ursachen – und wie diesen wirksam vorgebeugt werden kann.
Wer vom Feuer profitiert
Gespräche mit der örtlichen Bevölkerung und verschiedenen Betroffenen enthüllten ihr, dass zahlreiche Personen von den Waldbränden auf Sizilien profitierten. Einige strebten demnach nach freiem Bauland, andere verfolgten territoriale Ansprüche oder begingen Versicherungsbetrug. Es gibt auch Spekulationen über absichtlich gelegte Brände durch örtliche Forstarbeiter, die sogenannten „Forestali“. Sie würden durch Wiederaufforstung Gewinne erzielen wollen und damit ihre Arbeitsplätze sichern.
Während Ermittlungen von Staatsanwalt und Polizei entweder im Sande verlaufen oder nur schleppend vorankommen, vermuten viele Sizilianer*innen korrupte Machenschaften und mafiöse Strukturen hinter den Bränden. Demnach würden viele Feuer oft an strategischen Punkten entfacht, beispielsweise dort, wo sie sich durch günstige Thermik schneller ausbreiten oder nachts, wenn die Löschflugzeuge nicht fliegen dürfen.
Insbesondere wenn es um die Natur gehe, interessiere es kaum jemanden. Erst wenn – wie 2023 – das Leben von Hunderten Menschen bedroht sei, würden sowohl Politiker*innen als auch Bürger*innen aufschrecken. Danach verschwände das Thema wieder aus den Medien und den Köpfen. Genau das will Rasper ändern. Zunächst muss sie jedoch die Bilanz des letzten Sommers verdauen.
Klimawandel heizt die Feuer zusätzlich an
Laut aktuellen Daten des „European Forest Fire Information System (Si apre in una nuova finestra)“ wurden auf Sizilien mehr als 62.000 Hektar Land von Bränden verwüstet – eine Fläche doppelt so groß wie der Rest Italiens. Besonders betroffen war die Provinz Palermo, wo etwa ein Drittel der gesamten nationalen Waldfläche verbrannte. Klimaexpert*innen wie Professor Giorgio Vacchiano von der Universität Mailand prognostizieren sogar eine mögliche Zunahme von Flächenbränden bis 2060 um 20 bis 50 Prozent aufgrund vermehrter Trockenheit.
Feuer seien grundsätzlich nicht ungewöhnlich, erklärt Rasper. Insbesondere im Süden Europas habe es diese schon immer gegeben. Das Problem sei jedoch, dass der Klimawandel auch zu höheren Temperaturen und heftigeren Stürmen führe – ideale Bedingungen für großflächige und intensive Waldbrände.
Dies gekoppelt mit strategischer Brandstiftung an immer denselben Orten mache es den betroffenen Ökosystemen unmöglich, sich zu regenerieren. Dramatische Aussichten nicht nur für Naturschutz-Aktivist*innen, sondern auch für einheimische Landwirt*innen und Tierproduzent*innen, deren Lebensunterhalt bedroht ist. Eine von ihnen ist die Ziegenhirtin und Käseherstellerin Rossella Calascibetta. Im vergangenen Jahr stand ihr privater Waldbesitz, in dem ihre 100 Ziegen leben, erneut in Flammen.
Bereits 2020 riskierte sie, alles zu verlieren. Denn obwohl die 52-Jährige die örtliche Forstwirtschaft um Hilfe gerufen hatte, wurde der notwendige Löschhubschrauber erst geschickt, als sie sich selbst unter Lebensgefahr ins Feuer begab. „Nur wenn Menschen in Gefahr sind, wird eingegriffen. Tiere und Natur zählen nicht.“ Calascibetta erzählt mit Tränen in den Augen von diesen Momenten des Bangens und davon, wie sie auch im Sommer 2023 erneut vor den Flammen stand.
Hilfe zur Selbsthilfe
Zum Glück war sie diesmal besser auf den Ernstfall vorbereitet. Nur wenige Wochen bevor die Feuersbrunst in den Bergen um Palermo wütete, richtete Raspers Kollektiv auf Calascibettas Grundstück ein Anti-Waldbrand-Sommercamp aus. Unterstützt von der Berliner Organisation „Planet Wild” (Si apre in una nuova finestra) wurden die Hirtin und andere darin geschult, wie sie ausgestattet mit selbstgebastelten Feuerschlägern und Löschrucksäcken als „zivile Feuerbekämpfer*innen“ kleine Brände selbst löschen können. So gelang es Calascibetta und einer Gruppe Freiwilliger, den Wald auch diesmal zu retten.
Dennoch betont Rasper, dass das eigenständige Bekämpfen der Feuer nur eine kurzfristige Lösung und zudem sehr gefährlich sei. Nötig sei vielmehr ein präventives Monitoring durch Überwachungsdrohnen oder eine aktive Feuerwache vonseiten der örtlichen Behörden und die schrittweise Wiederherstellung natürlicher Ökosysteme, „die Sizilien widerstandsfähiger gegen Feuer machen“.
Die Insel sei vor allem deswegen so anfällig für Waldbrände, weil hier politische und wirtschaftliche Interessenkonflikte auf Landschaften träfen, die von Menschen geschaffen wurden und schlecht verwaltet seien. Insbesondere nach dem Zweiten Weltkrieg wurden auf Sizilien massiv Pinien und Eukalyptus angepflanzt, Baumarten, die um ein Vielfaches schneller brennen als die ursprünglichen Eichenwälder, jedoch lukrativ sind, da sie schnell wachsen.
Problematisch sind Überweidung und brandanfälliges Unterholz
Zudem führe der Mangel an Raubtieren wie Wölfen dazu, dass Grasfresser wie Dammhirsche nicht mehr natürlich vorwärtsgetrieben würden und sich daher in bestimmten Gebieten konzentrierten. Die Folgen: Überweidung zum einen und ein zu dichtes, brandanfälliges Unterholz zum anderen. Eine mögliche Lösung, erklärt Rasper, könnten natürliche Waldmanagementpraktiken wie beispielsweise die von Rossella Calascibetta praktizierte Tierhaltung im Wald sein.
Die Ziegen übernehmen dabei die Rolle des Dammwilds und säubern nachhaltig das Unterholz, wo es notwendig ist. „Menschen wie Rossella beweisen damit, dass aus Sündenböcken sogar Verbündete im Kampf gegen Brände werden können.“ Denn oftmals würden auch Hirt*innen als Brandstifter*innen beschuldigt, wenn sie ihr Weideland nach traditionellen Methoden abbrennen, um es zu erneuern.
Das Faszinierende am „Rewilding“ sei, so Rasper, dass es jedem und jeder offenstände. „Man muss dazu kein Ökologe oder Biologe sein. Vielmehr ist es eine Einladung zum Mitgestalten. Als Designerin finde ich das besonders cool und spannend.“ Statt am Zeichentisch oder Computer zu sitzen, ist sie dabei aktiv in der Natur unterwegs.
Gemeinsame Teilhabe an der Natur
Doch obwohl es beim „Rewilding“ darum geht, der Natur ihren Lauf zu lassen, sei vor allem der Umgang mit den Menschen zentral. „Insbesondere in Europa haben wir nicht den Raum für megaroße Nationalparks, wo die Natur vor sich hindümpelt, sondern es ist alles voll mit Infrastruktur. Das heißt, wenn man ‚rewilden‘ möchte, muss man immer mit den Menschen kooperieren“, erklärt Hanna Rasper.
Gemeint sind zum Beispiel gezielte Trainingsprogramme oder Aktionen, die dabei helfen, eine größere Community und mehr Aufklärung im Bereich Artenschutz und Brandökologie zu erreichen. Dieses gemeinsame Teilhaben an der Natur ist für Rasper das Wertvolle an ihrer Arbeit.
Denn nur wenn sich der Mensch nicht mehr als ein „Krebsgeschwür der Erde“ begreife, sondern als ein Teil von ihr, könnten auch Wege und Lösungen geschaffen werden, die Waldbrände künftig verhindern. „Wo Staat und Politik zu kurz greifen müssen wir als Zivilgesellschaft zusammenhalten“, sagt sie. „Damit können wir den Kriminellen vielleicht nicht das Handwerk legen, aber sie zumindest ein Stück weit hindern.“