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Der lange Atem der Freundschaft

Maren scheint nichts mehr mit ihren drei alten Freundinnen zu verbinden. In ihrer Runde fühlt sie sich manchmal wie ein Störfaktor. Lohnt es sich, um diese Freundschaften zu kämpfen?

Dear Daniel,

tatsächlich liegt mir etwas auf dem Herzen: Ich habe drei Freundinnen aus Schulzeiten, mit denen mich leider nichts mehr verbindet, außer die alten Zeiten. Ich habe ein ganz anderes Leben als die drei, einen anderen Job und keine Kinder. Unsere Treffen sind sehr selten geworden und dann geht's vor allem um dieses Leben, das die drei führen und ich nicht. Ich spüre ihrerseits kein wirkliches Interesse an meinen Problemen und fühle mich in dieser Runde wie ein Störfaktor.

Doch wir kennen uns so lange, da kann ich doch diese Freundschaften nicht einfach aufgeben? Vor einer Aussprache habe ich Angst und weiß gar nicht, ob es überhaupt sinnvoll ist, wo wir doch so unterschiedliche Leben haben. Daher meine Frage: Soll ich um diese Freundschaften kämpfen oder mich auf andere Freundinnen konzentrieren?

Liebe Grüße,

Maren

Liebe Maren,

danke für deinen Brief. Ich kann dein Problem so gut nachvollziehen und ich glaube, viele Menschen kennen solche Situationen: Irgendwann scheint einen mit den Menschen, mit denen einen früher alles verband, gar nichts mehr zu verbinden – vor allem, wenn diese in das vermeintlich „richtige Leben“ mit Partner*innen und Kindern verschwinden und man selbst nicht. Diese Situation tut häufig weh und vielleicht muss sie das auch, damit kommunikativ etwas in Bewegung gerät.

Um es vorwegzunehmen: Ich finde es moralisch nicht verwerflich, sich von Menschen zu trennen, die einen verletzen, einen absichtlich missverstehen und mit denen man sich auch vielleicht einfach nichts mehr zu sagen hat. Aber ich bin mir nicht sicher, ob das auf deine Situation tatsächlich zutrifft. Dein Brief scheint die erwünschte Antwort schon vorwegzunehmen. Du implizierst, du sähest deine Freundinnen nur noch, weil ihr euch so lange kennen würdet, und sagst deutlich, dass euch nichts verbinden würde und du ohnehin andere Freundinnen hättest, auf die du dich besser konzentrieren wolltest: Wie kann man solche Freundschaften nicht hinter sich lassen? Und ich habe den Eindruck, dass du mir mit dieser vorweggenommenen Antwort vielleicht auch schreibst, weil du durch „Allein“ natürlich weißt, dass ich auf deiner Seite bin. Das bin ich auch, ganz klar, aber trotzdem glaube ich, dass du erst einmal in dich gehen solltest, bevor du die Entscheidung triffst, die du treffen möchtest. Dass du erst einmal deine emotionale Verfasstheit reflektierst, damit du diese Entscheidung später nicht bereust.

Egal, wie schön das gelebte Leben ist, das wir uns aufgebaut haben, wir müssen auch unser ungelebtes Leben betrauern. Das Leben, das wir auch hätten führen können. Denn dieses Leben ist in uns aktiv, wir nehmen es überall hin mit und es hat oft einen größeren Einfluss auf uns, als wir glauben.

In deinem Brief schreibst du darüber, dass sich deine Freundinnen nicht für dein Leben und deinen Job interessieren würden. Du beschreibst sie als eine hermetische Gruppe, in der du aufgrund der Andersartigkeit deines Lebens nur stören würdest – obwohl du sicherlich auch Beziehungen mit den drei Einzelpersonen führst, die diese Gruppe ausmachen, auch wenn du davon nicht schreibst. Diese Gemengelage macht mich etwas stutzig. Zum einen, weil du deine Freundinnen unfreiwillig auf ein Stereotyp reduzierst und sie so ihrer Komplexität beraubst, ihres eigenen Lebens, das sie so führen, wie nur sie es können. Ich bin mir sicher, dass deine Freundinnen jeweils nicht hundertprozentig in das Klischee passen, das du von ihnen zeichnest. Mein Eindruck ist, dass du dich ausgeschlossen fühlst – nicht nur von ihnen, sondern auch von dem Leben, das sie für dich so paradigmatisch symbolisieren. Vielleicht könnte es sein (und das ist nur eine Vermutung), dass du auf deine Freundinnen all das projizierst, das du mit diesem Leben verbindest – einem Leben, das für dich ein ungelebtes Leben ist, eines das du nicht so führst, obwohl es so omnipräsent ist. Vielleicht willst du die Beziehung zu deinen Freundinnen auch kappen, damit du dich damit nicht auseinandersetzen musst. Damit du den schmerzhaften Gefühlen, die damit verbunden sein können, ausweichen kannst. Vielleicht willst du deine Freundinnen einfach nicht mehr sehen, weil du nicht mehr an dieses ungelebte Leben erinnert werden willst.

Egal, wie schön das gelebte Leben ist, das wir uns aufgebaut haben, wir müssen auch unser ungelebtes Leben, das Leben, das wir auch hätten führen können, betrauern. Denn dieses Leben ist in uns aktiv, wir nehmen es überall hin mit und es hat oft einen größeren Einfluss auf uns, als wir glauben. Ich selbst habe einige Freund*innen, die eher klassischen Lebensentwürfen folgen, bei denen es von außen so aussieht, als würden sie „das richtige Leben“ führen, also dem Lebensmodell nachgehen, das in unserer Gesellschaft entgegen allen sozialen Entwicklungen immer noch als das beschützenswerteste und bedeutendste Lebensmodell gilt. Was mir immer geholfen hat, ist erst einmal Interesse für sie aufzubringen, reale Einblicke in ihre Leben zu erlangen und herauszufinden, wie ihre emotionale Realität in diesem vermeintlich richtigen Leben aussieht. Meistens stellt man fest, dass das reale Leben, das sie führen, nur selten wirklich in das Klischee dieses Lebensentwurfs passt, das wir mit uns herumtragen. Meistens stellt man fest, dass sie nur ein anderes Leben führen als man selbst und kein Leben, das besser oder schlechter ist. Dieses Interesse würde ich mir auch bei dir wünschen, Maren. Deinem Brief nach zu urteilen, scheint es nicht allzu stark ausgeprägt zu sein. Stell deinen Freundinnen Fragen zu den Innenansichten ihres Lebens, finde heraus, wie es ihnen damit wirklich geht, wie sich ihr Alltag tatsächlich anfühlt. Und stell deinen einzelnen Freundinnen diese Fragen, denn du hast es hier mit drei Einzelfreundschaften zu tun und nicht mit der Freundschaft zu einer Gruppe. Ich bin mir sicher, dass du andere Dinge hören wirst, als du dir vorstellst und als die Dinge, die in der Gruppendynamik dieser Abende zu viert zum Vorschein kommen. Ich bin mir sicher, dass sich allein dadurch viel für dich relativieren wird.

Freundschaften, habe ich den Eindruck, sind eine der am meisten missverstandenen Beziehungsformen überhaupt. Die Wahrheit ist, dass auch wenn wir ähnliche Bilder davon im Kopf haben, alle etwas anderes darunter verstehen. Wir alle führen Freundschaften auf unsere eigene, verkorkste Weise, es gibt sie in wirklich in allen möglichen Varianten – und das ist so gut so. Was diese Varianten aber verbindet, ist ein Gefühl von Freiwilligkeit, von Freiheit. Auf diesem Gefühl beruhen meinem Eindruck nach alle Freundschaften. Und will man Freundschaften pflegen, muss man darauf achten, dass das so bleibt. Es gibt keine Regeln, die man befolgen, keine Verträge, die man schließen kann.

Freundschaften, habe ich den Eindruck, sind eine der am meisten missverstandenen Beziehungsformen überhaupt. Die Wahrheit ist, dass auch wenn wir ähnliche Bilder davon im Kopf haben, alle etwas anderes darunter verstehen. Wir alle führen Freundschaften auf unsere eigene, verkorkste Weise – und das ist so gut so. 

Meiner persönlichen Erfahrung nach sollte man in Freundschaften nichts erzwingen, denn damit richtet man das zugrunde, was sie im Kern ausmachen – wenn du und deine Freundinnen euch in dieser Konstellation nicht versteht, dann muss man das erst einmal so konstatieren und hinnehmen. Es gibt allerdings auch Situationen, in denen man feststellt, dass man selbst der Grund für das Gefühl des Zwanges ist, das dem Befreundetsein so im Weg zu stehen scheint. Dass man selbst die Person ist, die nicht wirklich offen für die Andersartigkeit der Freund*innen sind. Die Person, die Interesse für ihr Leben möchte, sich aber selbst nicht richtig für das Leben der anderen interessiert, zumindest jetzt nicht, in diesem Moment. Es könnte durchaus sein, dass das bei dir der Fall ist – und dass das der Punkt ist, an dem du tatsächlich etwas ändern kannst.

Ich möchte dem aber auch hinzufügen, dass es meiner Erfahrung nach immer wieder zu Aufs und Abs in Freundschaften kommt. Jahre einer nie dagewesenen Nähe wechseln sich mit Jahren der Ernüchterung und der gelegentlichen Genervtheit ab. Jahre, in denen man sich fast täglich oder wöchentlich trifft, mit Jahren, in denen man nur noch alle paar Wochen miteinander telefoniert. Ich glaube, dass das organische Entwicklungen sind, die manchmal schmerzhaft sein können, aber eigentlich als nicht weiter bedenklich gelten sollten. Unsere Leben verändern sich immer wieder, die ganze Zeit, und diese Veränderung findet nur in den allerseltensten Fällen im Gleichklang mit allen Freund*innen statt.

Wenn ich dir eine Empfehlung geben darf, an die ich wirklich glaube: Versuche, bei deinen Freundschaften eine langfristige Perspektive einzunehmen. Zurzeit hast du vielleicht nicht viel mit deinen Freundinnen gemeinsam. Auch nach einer gründlichen inneren Auseinandersetzung und auch, nachdem du echtes Interesses am Leben deiner Freundinnen gezeigt hast, kann es sein, dass deine Beziehungen zu diesen drei Frauen abkühlen oder gar erkalten, dass ihr euch für ein paar Jahre nur noch eins, zwei Mal im Jahr seht. Deswegen muss man Freundschaften nicht mit großer Geste beenden. Vielleicht verliert ihr euch sogar auch ein paar Jahre lang ganz aus den Augen, und auch das sollte nicht weiter schlimm sein. Aber wer weiß schon, wie eure Leben in fünf, zehn oder zwanzig Jahren aussehen werden? Wie viel ihr dann miteinander teilt? Wie viel ihr euch dann zu sagen habt, wie sehr ihr dann wieder für einander da sein könnt und wollt? Ich selbst war in meinem Leben schon oft überrascht davon, was für einen langen Atem Freundschaften haben können. Und für mich persönlich ist dieser lange Atem eines ihrer allergrößten Geschenke. Vielleicht wirst du das später einmal ganz ähnlich sehen.

Ich wünsche dir alles Gute für deinen Weg, liebe Maren, du bist nicht allein.

Liebe Grüße,

Daniel

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