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Was ist ein Ausländer?

Was ist ein Ausländer?

Wenn Menschen denken, Migration wäre gut, um Drecksarbeit abzugeben

Eine Kolumne von Charlotte Suhr (26. Mai 2024)

Ich finde den Begriff Ausländer schrecklich. Ebenso wie Migrant. Mixed-Race. Biodeutsch. Halbirgendwas. Autochthon. Weiß. Weiß gelesen. White Passing. Alman. Kartoffel. Ich finde diese Kategorien nicht nur insgesamt unglaublich othernd und konstruiert, sondern es schüttelt mich auch auf einer persönlichen Ebene, sie (für mich) zu benutzen. Wenn andere sich mit einem oder mehreren dieser Begriffe identifizieren, geht mich das selbstverständlich nichts an. Es gibt sogar Menschen, die selbstbewusst beleidigende Fremdbezeichnungen für sich verwenden, weil sie das als empowernd empfinden. So wie manche Schwarze Menschen das N-Wort für sich selbst verwenden, Frauen das F-Wort oder manche das Wort mit K als Podcast Titel nutzen. Dabei geht es wohl darum, sich selbst Autonomie zurückzuholen. Die genauen Emotionen und Argumente dafür kenne ich nicht. Aber ich bin immer Fan davon, wenn marginalisierte Menschen die Möglichkeit haben, das zu tun, was ihnen dabei hilft mit der schmerzhaften Tatsache zu copen, dass eine Gesellschaft ihnen stets das Gefühl gibt, sie seien weniger wert als andere.

Ich persönlich finde keinen einzigen der Begriffe gut. Nicht als Eigenbezeichnung für mich und erst recht nicht als Fremdbezeichnung von anderen. Vielleicht liegt das an meiner eigenen mehr als komplizierten Familiengeschichte und der nicht-existenten Beziehung zu meinem kurdischen Vater, meinen verknoteten Emotionen, dass ich jede dieser Bezeichnung für mich selbst ablehne. Ich möchte und kann mich überhaupt nicht kategorisieren. Gäbe es in Bezug auf Kultur und Ethnie ein Äquivalent zu nicht-binär wie beim Thema Geschlecht, es wäre meins. Ich identifiziere mich mit nichts oder es gibt noch keinen passenden Begriff für mich. Vielleicht müsste ich mir einen ausdenken. Mich schüttelt es beim Wort Halbkurdin, Deutsch-Kurdin, nur deutsch, nur kurdisch, „anderer“ kultureller Hintergrund, Migrationshintergrund- und geschichte, „Wurzeln“, fremd, ausländisch, nicht-weiß, White Passing, weiß gelesen. All das fühlt sich übergestülpt, falsch, konstruiert und peinlich an. Nichts davon trifft zu.

An und für sich müsste man sich ja auch gar nicht identifizieren und kategorisieren. Weder für sich noch für andere. Theoretisch braucht es keine Einteilung in irgendwelche ethnischen Schubladen, vor allem nicht, wenn diese teilweise haarscharf an rassentheoretischen Ideen vorbeischrammen. Bezeichnungen, die auf kulturelle, ethnische und nationale Unterschieden hinweisen sollen, werden jedoch relevant im Kontext von Rassismus. Denn wie soll man über Rassismus sprechen, wenn man Kategorien negiert? Man muss notgedrungen auf Hilfsbegriffe ausweichen, selbst wenn sie sich falsch anfühlen, weil einem sonst die Sprache fehlt, über das Thema Diskriminierung zu sprechen. So sehr einem bei sich selbst und anderen kulturelle, ethnische und nationale Unterschiede egal sind, was die Individualität und den Wert von Personen ausmacht, so sehr wird man in die Notwendigkeit gezwungen, darauf aufmerksam zu machen, um Rassismus in Worte kleiden zu können. Unpassende, simplifizierte und teilweise degradierende Worte werden notwendig, damit man aufzeigen kann, was in der Welt passiert und wie ein großes Klientel von Menschen denkt: In „Wir“ und „Die“. „Ausländisch“ und „Deutsch“. Eine künstlich erschaffene und größtenteils inhaltsleere Ansicht, die von Rassist:in zu Rassist:in auch noch variiert, so dass für manche eine Person als „ausländisch“ gilt, wenn sie eine dunkle Haut hat, auch wenn sie schon seit mehreren Generationen hier lebt. Für mache macht „ausländisch“ aus, kein deutsch zu sprechen, für manche, keinen deutschen Pass zu haben, für manche ein Kopftuch und für wieder andere alles, was nicht seit sechzehn Generationen in Deutschland lebt. Denn von Rassismus betroffen sind nicht „Ausländer“, sondern Menschen, die von anderen Menschen rassifiziert werden. Und das kann sogar bedeuten, immer wieder als was anderes zu gelten.

Es ist vor allem diese konstruierte und absolut hohle Ansicht des „Wir“ und „Die, „Ausländer“ und „Deutsche“, die mir so übel aufstieß, während ich die letzten Tage in meinem Instagram Feed von einem Video geradezu überschwemmt wurde, das irgendwelche reichen Menschen zeigte, die auf Sylt besoffen zu Gigi D´Agostino „Ausländer raus!“ grölten und dabei den Hitler-Gruß zeigten. Ein Videos, das ich am liebsten gar nicht - in der Realität aber leider viel zu häufig anschauen musste, weil alle es unbedingt teilen mussten. Die grinsende Fresse einer lachenden Frau, die neckisch in die Kamera singt und die ganze Welt daran teilhaben lässt, wie ausgelassen und unbeschwert es sein kann, ein Arschloch zu sein.

Für mich gibt es kaum eine schlimmere Kombination auf der Welt als Personen, die hohl und bösartig sind. Man möchte diese besoffenen Feier-Nazis schütteln und sie fragen, was sie sich dabei dachten. Woher dieser Hass? Ist es überhaupt Hass? Ich möchte das rechte Pack fragen, was genau für sie eigentlich ein „Ausländer“ sein soll. Ich stelle mir vor, wie sie sich die Dichotomie von Ausländer vs. Deutsche vorstellen. Zwei Gruppen von Menschen getrennt durch einen Felsspalt, rechts blonde Ninas und Stefans mit stahlblauen Augen und auf der anderen Seite…ja, was?

Was ist ein Ausländer? Woran erkennt man jemanden, der „ausländisch“ ist?

Es ist dieselbe Frage, die ich mir stellte, als hochrangige Politiker:innen sich in Potsdam trafen und darüber debattierten, Menschen mit Migrationshintergrund aus Deutschland abzuschieben. Ich fragte mich: Wen meint ihr? Emigriert von woher? Und wann? In der wievielten Generation? Ich stellte es mir wie eine Art Wannsee-Konferenz 2.0 vor, in welcher alte weiße Männer darüber fachsimplen, zu wie vielen Teilen ein Mensch „migrantisch“ sein müsse, um sich für eine Abschiebung zu qualifizieren. Als wäre „migrantisch“ eine Qualität im Blut, die man bei Bedarf nachmessen könnte. Gehe ich zu intellektuell an die Sache heran? War das ganze nur ein Schmierentheater, um eine Außenwirkung zu erzielen? Worum geht es? Was ist der Kern? Über wen und was sprechen wir? Wenn ich sehe, dass Menschen böse Dinge tun und sagen, bin ich verwirrt und zornig und möchte mir einen Reim daraus machen. Sachverhalte aufdröseln, als würde es mir helfen, mit der Schrecklichkeit besser klarzukommen, wenn ich sie nur verstünde. Aber wie soll man eine Logik verstehen, die keine ist, wie individuellen Hass nachvollziehen, der sich aus nichts speist außer falscher Rechtschaffenheit und auch noch von Rassist:in zu Rassit:in variiert?

Mich stößt das Video so sehr ab, weil ich die fröhliche Ausgelassenheit der Singenden so grässlich finde. Für sie macht es keinen Unterschied, ob sie Malle-Schlager wie „Finger im Po Mexiko“ singen oder Nazi-Parolen. Ist schließlich beides ein ulkiger Ohrwurm. Sie sind dabei so unbehelligt. Das Thema berührt sie höchstens auf einer theoretischen Ebene, aber vielleicht nicht einmal dort. Würde jemand ihnen die Frage stellen, warum sie dieses Lied grölen wollten, würden sie wahrscheinlich die Schultern zucken und kichern. „Ist doch nur Spaaaaaaß“, würden sie wahrscheinlich sagen. Nicht, dass ich alle Rassist:innen für hohl halte oder denke, sie wüssten nicht, was sie tun. Es gibt solche und solche. Die Intellektuellen. Die Mitläufer:innen. Die Bösartigen. Die Feigen. Die Armen. Die Reichen. Die, die keinen Plan haben, was überhaupt vor sich geht. Sie alle sind jedoch gleich menschenverachtend.

Was ich besonders schlimm fand, waren die Kommentare unter besagtem Video: „Aber dann abends einen Döner essen oder was?“.  „Ohne Ausländer würde Deutschland überhaupt nicht funktionieren“. „Ach und wer kocht euch euer Essen?“. Aussagen, die wahrscheinliche eine Kritik an dem offenen Rassismus sein sollen, aber leider um Meilen am Ziel vorbeischießen. Mehr noch: Eigentlich ein Problem sui generis darstellen. Vielleicht handelt es sich bei einigen Kommentierenden um Menschen, die tatsächlich einen Migrationshintergrund haben und ihre eigene Existenz in Deutschland damit rechtfertigen wollen, dass sie hart arbeiten. Verständlich in einer Welt, die immer wieder vermittelt, dass Personen nur den Wert haben, den sie erwirtschaften können. Verständlich und doch unendlich traurig.

Ich denke aber auch, vielen (nicht-betroffenen) Kommentierenden geht es nicht um das moralische Fehlverhalten, die Verachtung und den Hass gegen Menschen, den Rassismus per se - sondern darum, dass Ausländer „nützlich“ für Deutschland seien frei nach dem Motto: Seid mal dankbar, dass die eure Drecksarbeit machen. Was für ein Menschenbild muss man haben, um die Existenz von Menschen in einem Land zu verteidigen, weil man von deren Arbeitskraft im Niedriglohnsektor - und nicht zu vergessen: den leckeren importierten Gerichten - profitieren will. Wie kann man sich nicht dafür schämen, solche Dinge von sich zu geben? Wie kann man so sehr in „wir“ und „die“ denken, dass man meint, Migration wäre gut, weil man diese Menschen noch ein bisschen besser ausbeuten kann? Den Kommentierenden geht es nicht darum, auf die Dehumanisierung aufmerksam zu machen, sondern eine vermeintliche „Heuchelei“ aufzudecken. Argumentativ überlegen zu sein. Das Gefüge Deutschland und Wirtschaft besser zu durchblicken. Das stößt mich fast genauso ab wie das ursprüngliche Video selbst.

Und genau das ist es, was jeder Form der Diskriminierung zugrunde liegt und einen Austausch auf Augenhöhe, geschweige denn Respekt und Gerechtigkeit, scheinbar unmöglich macht: Das Othering. Die Überzeugung, dass es eine Gruppe von Menschen gibt, die den Standard, den Menschen per se, die „Mehrheit“, die kulturelle Hoheit ausmacht - und die anderen. Zu einer Dominanzkultur, wie Birgit Rommelspacher es nennt, zu gehören - sei es als Mann, als cis Person, als weißer Mensch oder Christ:in - bedeutet, davon auszugehen, dass man selbst der Nabel der Welt ist und alle anderen sich um einen selbst zu drehen haben. Wer nur mit der Funktion von Menschen argumentiert und nicht ihrem moralischen Wert und ihrer inhärenten Würde, der sieht sie nicht als Menschen wie sich selbst. Vielleicht zur menschlichen Rasse gehörend, aber nicht als Person, als Individuum.

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