Zum Hitlergruß und zu kalkulierter Ambivalenz
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1.) Zum Hitlergruß – und zu „kalkulierter Ambivalenz“
Ich hatte mit vielem gerechnet, aber der Hitlergruß stand nicht auf meiner Bingo-Karte für den Amtsantritt von Donald Trump. Es gibt jetzt viele Diskussionen, wie Medien über diesen Moment berichten sollen. Eine besonders deutliche Sichtweise vertritt Lenz Jacobsen auf Zeit.de (Si apre in una nuova finestra), er schreibt: „Man muss das hier zu Beginn nicht unnötig kompliziert machen. Wer auf einer politischen Bühne bei einer politischen Rede vor einem teils rechtsextremen Publikum den rechten Arm schwungvoll und mehrmals schräg in die Höhe reckt, macht den Hitlergruß. Es braucht da kein ‚vermeintlich‘ oder ‚ähnlich‘ oder ‚umstritten‘. Die Geste spricht für sich, sie ist im Video dokumentiert.“ Wir alle können ja nicht in den Kopf von Elon Musk blicken – haben also keinen Beleg für seine Absicht. Aber eines erscheint mir für die Einordnung wichtig: Wie hat Elon Musk selbst reagiert, als das Video mit ihm weltweit zur Debatte wurde? Er verbreitete den Post eines Users, der es als „Hoax“ darstellt, also als falsche Behauptung, Elon Musk habe einen Hitlergruß gemacht. Und er schrieb (Si apre in una nuova finestra) dazu: „Ehrlich gesagt, sie brauchen bessere schmutzige Tricks. Die ‚Alle sind Hitler‘-Attacken sind so abgelutscht.“ Elon Musk inszeniert sich als Opfer. Aber was er nicht tut, ist, sich vom Hitlergruß an sich zu distanzieren. Und er sagt auch nicht, er will nicht von Rechtsextremen bejubelt werden, die ihn nun feiern und sich bestärkt sehen. Ich sehe das so: Die Geste des Hitlergruß ist weltweit bekannt als das Hass-Symbol, das sie ist. Nehmen wir an, jemand macht tatsächlich unabsichtlich eine Geste, die von vielen Menschen bis ins rechtsextremen Spektrum als Hitlergruß gesehen wird, dann wäre meines Erachtens der nächste logische Schritt, sich von dieser Geste und ihren Fans zu distanzieren. Das lese ich aus diesen Worten Elon Musks nicht heraus.
Und ich möchte noch etwas tiefer gehen: Für den Fall, dass Elon Musk gezielt mit der Empörung spielt, gibt es den interessanten Begriff der „kalkulierten Ambivalenz“. Dieser stammt von der Linguistin Ruth Wodak, sie beschäftigt sich mit rechtspopulistischer Kommunikation und hat das lesenswerte Buch „Politik mit der Angst (Si apre in una nuova finestra)“ geschrieben. Mit „kalkulierter Ambivalenz“ ist gemeint, man begeht absichtlich einen Tabubruch, gibt ihn aber nicht zu – sondern profitiert davon, dass ein Teil der eigenen Fans die Beschwichtigung glaubt, und dass ein anderer Teil der eigenen Fans den Tabubruch feiert. Als Beispiel für „kalkulierte Ambivalenz“ geht die Linguistin in ihrem Buch auf eine antisemitische Karikatur (Si apre in una nuova finestra)ein, die der Rechtspopulist Heinz-Christian Strache hochlud. Wenn Kritik auf den Tabubruch folgt, wird der Tabubruch geleugnet. Und danach kommt es zur kalkulierten Ambivalenz, zur antisemitischen Karikatur schreibt Wodak: „Die Leser konnten entweder meinen, dass jede Ähnlichkeit mit einer antisemitischen Karikatur vollkommen zufällig sei, oder sie konnten die antisemitische Bedeutung gutheißen (…).“ So können rechtspopulistische Stimmen provozieren, müssen aber für die eigene Aktion nicht ernsthaft geradestehen – ein Teil der Fans glaubt ihre Beschwichtigungen, ein Teil feiert sie genau für den Tabubruch.
Elon Musk schrieb bisher: „Ehrlich gesagt, sie brauchen bessere schmutzige Tricks. Die ‚Alle sind Hitler‘-Attacken sind so abgelutscht.“ Wie gesagt, ich kann in seinen Kopf nicht hineinblicken. Aber diese Reaktion ermöglicht jetzt, dass sowohl ein Teil seiner Fans, die gemäßigter sind, hier die Sichtweise nahegelegt bekommen, dass Elon Musk zu unrecht mit Faschisten verglichen wird. Gleichzeitig ist aber seine Wortwahl meines Erachtens so uneindeutig, dass sich tatsächliche Neonazis weiterhin über sein Auftreten freuen können. Zumindest bisher habe ich keine weiteren Worte von ihm zur Thematik gesehen. Sehen wir uns noch kurz an, welche weitere Eskalationsstufen Ruth Wodak u.a. nach der „kalkulierten Ambivalenz“ erwähnt:
- Als nächstes wird die Opferrolle beansprucht.
- Und nach der Aufregung über den Tabubruch wird dann auch noch behauptet, die Kritik am Tabubruch zeige, dass es keine Rede- und Meinungsfreiheit mehr gäbe. „Solche Äußerungen verschieben sofort den Bezugsrahmen und lösen eine neue Debatte über Meinungsfreiheit und politische Korrektheit aus –ohne Bezug zum ursprünglichen Skandal –, sie dienen damit als Ablenkung vom Thema des Skandals.“
2.) Update: „Im Moment“ gibt es weiterhin Faktenchecks in Europa
Vorerst will Meta die Faktenchecks außerhalb den USA beibehalten. Das hat das Unternehmen hinter Facebook und Instagram nun dem Medium Bloomberg gesagt (Si apre in una nuova finestra). Nicola Mendelsohn (Head of Global Business bei Meta) sagte, man wolle abwarten, wie sich die Änderungen in den USA auswirken. „Also ändert sich im Rest der Welt im Moment nichts – wir arbeiten weiterhin mit diesen Faktenchecker:innen weltweit zusammen.“ Das ist jetzt keine wahnsinnig beruhigende Nachricht – also keine Sicherheit oder gar Vertrauens-Erklärung gegenüber heimischen Faktenchecker:innen, das wäre leider auch unrealistisch gewesen. Und es heißt, dass europäische Faktenchecker:innen weiterhin Unklarheit haben, wie es mittel- und langfristig mit ihrer Kooperation mit Meta weiterläuft. Aber es erscheint mir zumindest gut, dass Meta im Moment diese Kooperationen in der EU nicht anfasst.
3.) Eine Lese-Empfehlung: Abkehr von „Democracy Dies in Darkness“
Dank der Kolumnistin Margaret Sullivan habe ich mitbekommen, dass die Washington Post ihr berühmtes Motto „Democracy Dies in Darkness“ – das eine Reaktion auf die erste Amtszeit Donald Trumps und die Aufgabe von Journalismus war – intern anscheinend in den Hintergrund rückt. Zwar wird „Democracy Dies in Darkness“ anscheinend weiterhin in der Online- und Print-Ausgabe zu sehen sein, aber intern wurde den Redakteur:innen ausgerichtet, der neue Leitsatz ist (allen Ernstes): „Riveting storytelling for all of America.“ Also auf Deutsch: „Fesselndes Storytelling für ganz Amerika.“ Zu Recht verstehe ich Sullivans Unmut, die selbst Medienkolumnistin bei der Washington Post war und schreibt: „Also wir sind jetzt von einer inspirierenden, vielleicht auch heftig daherkommenden, Betonung der bedeutungsvollen Rolle der Presse in der Gesellschaft zu Unternehmens-Sprech übergegangen, mit einer Botschaft, die ich sowohl nervig als auch beunruhigend finde. Nervig, weil ich die trendige Etikettierung von Journalismus als ‚Storytelling‘ nicht mag. (…) Und ‚für ganz Amerika‘ ist vermutlich eine codierte Sprache, die sich an die MAGA-Welt richtet.“
Hier kann man ihren ganzen Newsletter dazu (Si apre in una nuova finestra) lesen. Und in ihrer Guardian-Kolumne (Si apre in una nuova finestra) schreibt sie über die Situation in der Washington Post, die Jeff Bezos gehört. Ich empfehle generell, die Medientexte von Sullivan zu lesen!
Das war es auch schon – es passiert derzeit so viel, dass ich nicht alle wichtigen Themen im Newsletter behandeln kann. Eine Einordnung der zweiten Amtszeit von Donald Trump (Si apre in una nuova finestra) mit Blick auf Tech-Plattformen wie Facebook und X gab ich in der “Zeit im Bild Spezial”. Und wer grundsätzliche Tipps in Zeiten einer verrohten politischen Debattenkultur sucht, kann diese auch in meinem Buch „Wider die Verrohung (Si apre in una nuova finestra)“ finden. Ich freue mich über alle, die gerade in diesen Zeiten das Buch lesen!
Schönen Gruß
Ingrid Brodnig
Die Illustration in der Web-Version wurde mit DALL:E erstellt