Die Gefahr der Überschätzung (von Trump und Co)
Nicht nur seine Fans überschätzen Donald Trump: Bei polarisierenden Politiker:innen gibt es die Gefahr, dass ihnen zu viel strategische Genialität zugeschrieben wird – dass man sie damit größer macht, als sie sind.
Es ist natürlich absurd, wie sehr die Verbündeten von US-Präsident Donald Trump selbst große Niederlagen oder absurde Entscheidungen von ihm schönreden. Nachdem Trump mit seinen Zöllen eine Talfahrt der Börsen auslöste, ruderte er zurück. Aber sein Lager versucht jetzt, das umzudeuten. So als wäre das alles ein genialer Schachzug gewesen. Zum Beispiel behauptete der Milliardär Bill Ackman auf X: “Das wurde brilliant von @realDonaldTrump ausgeführt.” Aber “brilliant” war dieses Vorgehen gewiss nicht – oder wie es der Reporter Charlie Warzel in The Atlantic beschreibt: “There Was Never a Master Plan” (Si apre in una nuova finestra). Auf Deutsch: Es gab nie den Master-Plan.
Ich halte diesen Satz “Es gab nie den Master-Plan” auch für Menschen wichtig, die Trump kritisieren. Denn ich sehe auch die Gefahr: Gerade wenn man einen Politiker sehr kritisch sieht, kann passieren, dass man ihn als genialen Über-Bösewicht darstellt – der alles vorausgeplant hat.
Ich schreibe das aus aktuellem Anlass, weil mir in den letzten Tagen dazu passende Online-Postings unterkamen. Zum Beispiel vertreten manche die These, Trumps Plan wäre von Anfang an gewesen, großes Insider-Trading zu ermöglichen. (Wohlgemerkt: Es stellt sich zu Recht die Frage (Si apre in una nuova finestra), ob es im Rahmen dieser Börsen-Achterbahnfahrt zu großem Insider-Trading kam – also manche sich unfair begünstigten. Aber das muss nicht heißen, dass wirklich alle Entscheidungen der Trump-Regierung vorgeplant waren. Beides ist denkbar: Eine ungeplante Kurs-Wende plus unmoralische Vorgänge.)
Nehmen wir Trumps Pausierung der Zölle: Wenn man sich gut informierte Medienberichte ansieht, scheint Trump selbst die Meinung geändert zu haben, da ihn der Kurs der US-Staatsanleihen beunruhigte. So schreibt die New York Times (Si apre in una nuova finestra): “Die Entscheidung von Mr. Trump wurde durch die Befürchtung getrieben, dass sein Herumspielen mit Zöllen schnell in eine Finanzkrise umschlagen könnte.”
Dass Trump bei den Zöllen zurückruderte, ist ein peinlicher Moment für ihn – zumindest ist dieser Mann bisher nicht damit aufgefallen, dass er gerne öffentlich seine Meinung ändert oder sich nach einer ungünstigen Entscheidung einsichtig zeigt. Und mir erscheint es wichtig, das auch klar als Niederlage (Si apre in una nuova finestra) für Trump zu beschreiben. Er kann sehr wohl auch scheitern.
Mein Eindruck ist nämlich: Speziell, wenn einem einen Politiker, eine Politikerin, eine ganze Partei ungeheuer sind, kann passieren, dass man sie überschätzt – dass man ihnen mehr vorausschauendes Denken zuschreibt oder strategische Genialität, als das unbedingt der Fall sein muss. Zum Beispiel würde ich auch davon ausgehen, dass Trump (und seine Verbündeten) langfristige Ziele verfolgen – Stichwort “Project 2025 (Si apre in una nuova finestra)”. Aber das heißt nicht, dass ihnen dieser gewünschte Umbau tatsächlich gelingt oder dass sie im rasanten politischen Tagesgeschäft alles gewünscht umsetzen können. Siehe das aktuelle Zoll-Fiasko.
Dass man Politiker:innen wie Trump nicht überschätzen sollte, erscheint mir aus folgendem Grund wichtig: Ein Überschätzen solcher Akteure und Akteurinnen kann auch bedeuten, dass man die demokratischen Möglichkeiten der Gegenwehr unterschätzt – also dass zum Beispiel Trump mit seinen Plänen nicht überall durchkommen muss. Wir sollten Leute wie Trump nicht größer machen oder ihnen mehr Kalkül zuschreiben, als wirklich nachweisbar erkennbar ist, weil sonst passiert allzu leicht, dass man hoffnungslos wird oder bestehenden Chancen des Widerstands übersieht, die es sehr wohl gibt.
Zum Schluss noch zwei Lese-Empfehlungen:
Am halben Weg zum Polizeistaat
Trump in seiner Genialität nicht zu überschätzen, bedeutet übrigens nicht, dass man seine Politik verharmlosen muss: Die US-Regierung widersetzt sich nun sogar dem Supreme Court - dem Höchstgericht, das anordnet, dass ein irrtümlich abgeschobener Mann in die USA zurückgebracht werden muss. “Trump ist auf halbem Weg, Amerika in einen Polizeistaat zu verwandeln” (Si apre in una nuova finestra), lautet etwa ein Kommentar der Financial Times.
Fake-Bilder per KI
OpenAI hat die Regeln gelockert, inwieweit mit seiner KI auch Fake-Bilder von Prominenten erstellt werden können. Eine Recherche von CBC (Si apre in una nuova finestra) zeigt auf, wie leicht auch unvorteilhafte Bilder über Politiker:innen erstellt werden können - mit ein paar Umwegen. Diese Recherche zeigt das Missbrauchspotenzial von Bilder-KIs auf.
Danke fürs Lesen - bis in 2 Wochen!
Schönen Gruß
Ingrid Brodnig
Grafik in der Web-Version: ChatGPT 4o