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"Dance is resistance against fascism" - zur Widerstandsgeschichte des Tanzens

Selbst das Schuhplattln verboten die Mächtigen. Im Jahr 1616 verhängte der spätere Kurfürst und damalige Herzog Maximillian I. ein Tanzverbot in Bayern. Zu obszön, triebhaft die Sittlichkeit unterwandernd; zu sehr ein Körpergefühl fördernd, das nach Freiheit von Sittsamkeit und Strenge sich sehnte. Eine Widerstandsbewegung dagegen formierte sich jedoch nicht.

 

BÜRGERTUM UND RASSISMUS

Tanz jenseits höfischer Riten in Volkskulturen dichteten die Wächter christlicher Tugenden immer das "Primitive" an, etwas, das vor der Kultivierung durch weiße, westliche Vernunft und Körperdisziplinierung läge und nicht etwa eine außersprachliche Kommunikationsform darstellte. So auch der Blick auf vermeintliche "Stämme" im Subsahara-Raum, die lediglich als Agenten eines historisch angeblich vor der Entwicklung bürgerlicher Selbst- und Naturbeherrschung kulturellen Konglomerats trommeln und tanzen würden.

 Bilder, Metaphern, Sichtweisen, die tief in europäische Kulturen eingeschrieben noch den Blick rockistischer Songwriter*innen-Fans in der Grunge-Ära prägten. In Texten zu Techno tauchte in den 90ern plötzlich rassistisches Vokabular auf, "wie die Wilden", "Stammesriten" und immer wieder "primitiv" - ich berichte aus der Erinnerung, da vieles nicht mehr im Netz zu finden ist, und aus Interviews mit dem Musikwissenschaftler Peter Wicke. Dieser verfasste auch einen formidablen Text zur Ästhetik des Techno mit dem Titel "Move your body (Si apre in una nuova finestra)".

Einer der vielen Gründe für die Herabwürdigung des Tanzes ist die Präferenz für die Harmonik vor der Rhythmik in europäischen Sichtweisen auf Musik. Die als "groß" geltenden Kompositionen eines Bruckner, Mahler oder Wagner lebten trotz rhythmischer Motive wie in Beethovens 5. Symphonie, trotz der Tanz-Suiten von Johann Sebastian Bach von Kadenzen und deren Auflösung, also Abfolgen der auf der Stufe 1, 4 und 5 bauenden Akkorde einer Tonart. Sie setzten dabei auf die westlichen Tonleitern, gebildet aus verschiedenen Kombinationen von zwölf Tönen. In der Zwölftonmusik waren sie nicht mehr in zumeist auf 7 Töne reduzierten, in standardisierten Ganz- und Halbtonschritten formatierten Modi - C-Dur, A-Moll - zu hören, sondern alle gleich.

 Zuvor setzte sich im Bürgertum des 19. Jahrhunderts ein Verständnis von E-Musik durch, das sitzend im Konzertsaal lauscht. Dieser bürgerliche Zwang zum Selbstzwang, zum Stillsitzen, in der Disziplinierung der Körper ließ nur noch codierte Bewegungen wie bei den Standardtänzen zu, zeigte sich leibfeindlich und repressiv in Korsette gequetscht. Als mit dem Ragtime und dem frühen Jazz in den zwanziger Jahren auf einmal Expressives auch in Tänzen wie dem Charleston sich die Bahn brach, galt dieses als verrucht und verdorben, dekadent - deutlich zu sehen im berühmten Triptychon "Großstadt" von Otto Dix. Das Bürgertum definierte sich in Abgrenzung zum "Unkultivierten" des Proletariats und in ländlichen Regionen, sah im Treiben in den Cabarets und Clubs der Großstädte nur den Sittenverfall wirken.

RHYTHMIK GLOBAL UND DIE GEISTERTANZBEWEGUNG

Ganz anders in außereuropäischen Kulturen. Im Norden Indiens bilden sich um die aus dem arabischen Raum stammende Tabla (Si apre in una nuova finestra) komplexe Kompositionen, die nur mündlich im Lehrer-Schüler-Verhältnis wiedergegeben werden. Im Subsahara-Raum entstanden Rituale rund um komplizierte Polyrhythmiken, parallel gespielte unterschiedliche Metren ergeben einen Gesamtsound, zu dem zu tanzen auch spirituelle Dimensionen erschloss. Auch europäische, schamanische Kulturen folgten den Trance erzeugenden Trommeln und wurden vom Christentum als heidnisch bekämpft.

 Die wohl prägnanteste Form, anknüpfend an schamanische Praxen Widerstand gegen die christlichen Kolonisatoren zu leisten, fand sich im 19. Jahrhundert in der Geistertanz-Bewegung in Nordamerika. Sie formierte sich in Anknüpfung an traditionelle Riten in den 1870er Jahren auf dem Gebiet der heutigen USA, so z.B. in Nevada, Kalifornien und Oregon, als die indigenen Völker zunehmend aus ihrem Land ver - und unter schweren Verlusten in Reservate gedrängt wurden. Beim Geustertanz bildeten sie einen Kreis aus Männern, Frauen und Two-Spirits, fassten sich an den Händen und bewegten sich zum monotonen Klang der Trommeln, intonierten dabei überlieferte Beschwörungsformeln. Bis zu 6000 Natives bildeten so eine machtvolle soziale Bewegung, die sich als widerständig gegenüber denen zeigte, die sie verdrängen und vernichten wollten.

 Eine zweite Welle dieser Bewegung formierte sich 1890er Jahren. Sie beschworen die Wiederkehr der von den Weißen abgeschlachteten Bison-Herden in den Reservaten, die als erzwungene Sesshaftigkeit in krassem Widerspruch zu den nomadischen Lebensformen dieser Völker standen. Angewiesen auf die Lebensmittellieferungen derer, die sie unterworfen hatten, gequält durch Hunger und Krankheiten bildete sich die Hoffnung, durch die Wiederbelebung des Geistertanzes die Weißen schlicht hinwegfegen zu können.

 Auch legendäre Führungsfiguren wie Sitting Bull förderten die Bewegung. Die Reservatsbehörden reagierten beunruhigt, als sich der Geistertanz unter 25.000 Sioux ausbreitete - völlig richtig ordneten sie dieses als Widerstandsbewegung ein. Präsident Benjamin Harrison initiierte eine Untersuchung durch die Armee und ordnete eine Reduktion der Essensrationen für impertinente Indigene an. Aufstände wurden befürchtet. Sie verhafteten Sitting Bull. Als gegen die grobe Behandlung des älteren Mannes opponierende Stammesmitglieder eingreifen wollten, ermordete ein Sergeant Sitting Bull mit einem Kopfschuss. Weitere 14 Menschen kamen ums Leben, 5 Polizisten und 7 Anhänger Sitting Bulls, darunter sein 14jähriger Sohn. Viele der Stammesangehörigen flüchteten nach Auseinandersetzungen um die Beerdigung aus dem Reservat. Die Soldaten der 7. Kavallerie folgten ihnen und begingen das Massaker am Wounded Knee - zwischen 150 und 300 Sioux wurden brutal abgeschlachtet.

 Parallel formierten sich die Wurzeln dessen, was wir heute als "Black Music" kennen, unter Bedingungen der Sklaverei. In Worksongs tradierten sich afrikanische Musiken und brachten unter anderem den Backbeat hervor - die Betonung des 2. und der 4. Schlages in einem Viervierteltakt statt des 1. und 3. wie in der Marschmusik. Der Groove war geboren ... und auch das prägende Element noch des Rock'n'Roll und der frühen Rockmusik.

 

LET THERE BE GROOVE!

Ein House-Music-Klassiker mythisiert die Historie anders - als Schöpfungsgeschichte:

"In the beginning there was Jack (Si apre in una nuova finestra)

And Jack had a groove (Si apre in una nuova finestra)

And from this groove (Si apre in una nuova finestra)

Came the grooves of all grooves (Si apre in una nuova finestra)

And while one day vicously throwing down on his box (Si apre in una nuova finestra)

Jack boldly declared, let there be house (Si apre in una nuova finestra)

And house music was born (Si apre in una nuova finestra)

I am you see, (Si apre in una nuova finestra)

I am the creator and this is my house" (Si apre in una nuova finestra)

 So fand jede neue Stilrichtung, die auf R&B folgte, ihren Groove. Er ist es, der die Körperdisziplinierung auch des weißen Bürgertums unterlief. Während noch im Jitterburg zu Jazz (Si apre in una nuova finestra), später im Rock'n'Roll Tanzende sich zwischendurch mal an den Händen hielten und bürgerliche Paar-Rituale zugleich persiflierten und aufbrachen, kam nun, und das war wirklich eine Revolution der Körper, das "Auseinandertanzen" in Mode: Sich frei im Raum bewegende Körper, die allen Zwang zum Selbstzwang abwarfen wie ein überflüssiges Kostüm und sich ganz dem Groove hingaben. Zunächst Beat und Soul, und trotz aller Versuche wie im Disco-Fox, das freie Spiel der Leiber wieder zu domestizieren, setzte diese Form sich durch und unterlief kurzerhand die Unterwerfung unter die Selbst- und Naturbeherrschung.

Während Techno noch dazu neigte, den Groove, das Synkopieren - Adorno hasste es -, die verschobenen Zählzeiten, den Swing, all das sich dem Marsch entziehende wieder durch "gerade" Rhythmen auszutreiben, hat in R&B, House, Eurodance und Hip Hop längst der Groove gesiegt.

 Er unterläuft kurzerhand auch das ganz auf Sprache setzende Prinzip all der Bob Dylan Folgenden, der in den Siebzigern auch ganz groovig komponierte wie in "Hurricance" oder "You have to serve somebody", und setzt ganz auf Rhythmik - to be slave to the Rhythm. Noch das "4 to the floor" als prägend für Disco, die Bassdrum erklingt auf jeder der 4 Zählzeiten eine 4-Viertel-Taktes, führt zu einem Sog des treibenden Beats, dem egal ist, was da gesungen wird. Da Sprache oft einfach die der Dominanz- und Schriftkulturen ist, knüpfte Hip Hop an die Traditionen oraler Überlieferung in Black Communities an und brachte Groove und Beat auch in den Sprachrhythmus, dabei stets Schemata des Geraden, Marschierenden dekonstruierend. Diese Formen überlebten alle Attacken durch Punk und Grunge und existieren diversifiziert fort in populären Musiken.

 Die Kritische Theorie, Adorno und seine Adepten, geißelten die auf Rhythmik basierende Musik als Fortsetzung der Arbeit an Fließband, den gleichförmigen Abläufen in industrieller Produktion, da die Körper, in zerstückelte Handlungsabläufe zerlegt, eben auch nur dem vorgegebenen Zeitrhythmus folgen. Was aber würde passieren, wenn die Arbeitenden in den Lagern von Thomann und Amazon auf einmal tanzen würden? Aber für Tanz hat sich die Kritische Theorie eh selten interessiert ...

 Der Groove ist historisch wie in seiner Form tatsächlich antifaschistisch. Er hindert am Marschieren, er dressiert die Körper nicht hart wie Kruppstahl, schnell wie die Windhunde, zäh wie Leder. Es geht um Arschwackeln, sexy sein, sich der Musik hinzugeben. Tanz ist noch da, wo alle zum gleichen Beat allein tanzen, eine andere Form des Sozialen, der Kooperation, der Synchronisierung von Menschen eben nicht zu kriegerischen Handlungen, mag sich wie im Capoeira auch eine Kampfsportart daraus entwickelt haben. Simon Reynolds beschreibt in "Energy Flash (Si apre in una nuova finestra)", dass auch der oft gegeißelte MDMA-Konsum z.B. im Acid House oder auch auf britischen Raves die gewalttätigen Konfrontationen zwischen jungen Männern z.B. im Hooliganism drastisch reduziert habe. Rückblickend erscheinen mir auch die Loveparade, der Mayday, all die irgendwann ballermannisierten Techno-Großveranstaltungen der 90er Jahre ein wirkungsvolles Gegengift gegen die Neonazis der Baseballschlägerjahre gewesen zu sein -  zumindest temporär.

 So wirkt es auf mich als ein Zeichen der Hoffnung, dass parallel  zu Naziaufmärschen gegen  CSD-Demos in Bautzen (Si apre in una nuova finestra) sich in Berlin "Rave the Planet (Si apre in una nuova finestra)" wieder formierte - eine Dance-Großveranstaltung, die an die Loveparade anknüpft.

 Für Queers ist Tanz immer auch eine widerständige Form gewesen, die sie von Forderungen heteronormativ geprägter Geschlechtlichkeit in Sport, Militär, bei der Arbeit zeitweise befreien konnte. Nicht zufällig haben Black und Latin Queers Discos und aktuell noch gültige Formen des Clubbings erfunden, damals, in New York. Konsequent kreierten ebenfalls Black und Latin Queers House-Music im Warehouse von Chicago, im Paradise Garage Manhattans gerade in der krassesten Phase der AIDS-Epidemie - weil sie in den Tanz vor dem Horror des Alltags flüchten konnten. Dieser Eskapismus folgt einer Notwendigkeit für marginalisierte Communities - weil das Leben eben sonst oft unerträglich ist.

 Dass auf so vielen Demos gegen rechts nicht getanzt wird, das ist deshalb ein ernsthaftes Problem. Jede CSD-Demo ist ebenfalls eine antifaschistische Demo; sie lebt jedoch vom Tanz. Weil man sich von Faschistoidem nur dann vollständig befreien kann, wenn man den eigenen Körperpanzer aufbricht und sich so befreit ...

 PS: Hier das Video zum Text (Si apre in una nuova finestra). Davon fertige ich noch eine Long-Version; der Track ist beinah 5 Minuten lang.

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Argomento Kunst

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