Passa al contenuto principale

Warum unser Kind Absicht war

und warum es nervt, immer (noch) danach gefragt zu werden

Es passiert auf Partys. Beim gemütlichen Zusammensitzen mit Bekannten, manchmal auch alten Freunden. Irgendwann kommt die Sprache auf unsere Tochter, und wenn sie gerade mal nicht in Hörweite ist, kommt die, meist halb geflüsterte Frage: »Sagt mal: war das eigentlich Absicht? Also dass ihr Lola bekommen habt?«

Eigentlich sollte mich diese Frage ärgern, aber die traurige Wahrheit ist, dass wir sie über die Jahre so oft gehört haben, dass sie längst keine emotionale Reaktion mehr in mir hervorruft außer Resignation. Wir sind mit Mitte Zwanzig weder besonders spät dran gewesen mit unserer Kinderplanung noch besonders unvorbereitet.

Aber die Karriere!

Wer fragt so etwas?

Früher waren es Freund*innen, die in ihren ersten intensiven Karrierezyklen nach dem Studium steckten. Junge Erwachsene, die sich nicht vorstellen konnten, dass das jetzt passen könnte mit einem Kind. Und zu Recht: In unserer durchorganisierten und kapitalisieren Welt, in der Menschen und Dinge nur dann einen Wert haben, wenn sie etwas leisten können, ist das Kinderkriegen fast schon ein anarchistischer Akt: denn Kinder brauchen Fürsorge, Aufmerksamkeit, Zeit und Liebe, die dann an anderer Stelle den Eltern als Arbeitskraft fehlen.

Meiner Meinung nach sollte der Gedanke folgender sein: Wenn es nicht möglich ist, genug Raum für Kinder neben der Karriere zu finden, dann sind nicht die Eltern schlecht vorbereitet oder überraschend schwanger geworden. Nein, dann ist die Arbeitswelt kinder- und elternfeindlich. (Der über Jahrzehnte gewachsene Betreuungsmangel ist eine andere Geschichte und soll ein andermal erzählt werden.)

War das geplant?

Im Kern ist diese Frage absurd.

Das Leben lässt sich nicht planen. Wir hätten die organisiertesten Menschen der Welt sein können – unser Kind hat Wege gefunden, unser Leben auf den Kopf zu stellen, an die wir in unseren wildesten Träumen nicht gedacht hätten.

Genauso wenig gibt es den perfekten Zeitpunkt fürs Kinderkriegen. Es wird immer jemanden geben, der ein gutes Argument dagegen hat. Das beste Beispiel ist die eben erwähnte berufliche Karriere (in all ihren Formen ist dort wenig Raum für ein Kind). Ohne Lola wären wir nicht so viel gereist, hätten unsere Gedanken nicht für euch aufgeschrieben und dieser Text wäre letztlich nicht entstanden. Das ist nicht besser oder schlechter als ein Arbeitsalltag in Deutschland, nur anders – und eben unser Weg. Nur wurde uns das lange nicht geglaubt.

Mit Kind konnten wir nicht 100 Prozent unserer Energie in unser berufliches Vorankommen investierten. Und da das als so ein großer Makel gesehen wird, konnte unser Kind folglich auch nur ein Versehen gewesen sein.

Haben wir etwas verpasst?

Jetzt, wo viele unserer Freund*innen mit Mitte Dreißig eher desillusioniert auf ihre Jobs blicken, sich fragen, wo der Sinn und die Erfüllung bleiben, auf die sie gehofft hatten, kommt das Thema Kinderkriegen auf anderen Wegen zu uns zurück. Es dämmert vielen, dass der berufliche Erfolg keine Befriedigung garantiert und dass der Zeitraum, in dem es ihnen noch möglich ist, Kinder zu bekommen, schnell zusammenschrumpft. Mittlerweile sind es hauptsächlich kinderlose Paare, die uns die Frage stellen: »War das ein Versehen?«

Kinder halten das Leben in Bewegung. Wir haben gar nicht die Möglichkeit, stehenzubleiben, weil es mit Lola schlicht keinen Stillstand gibt. Und häufig habe ich das Gefühl, es steht eigentlich die Angst vor Stillstand hinter dieser Frage: »War das ein Versehen?« Also: »Können wir uns entspannen, denn wir haben nichts verpasst, alles richtig gemacht?«

Alles Absicht

Der Punkt ist nur: Ich kann diese Frage gar nicht stellvertretend beantworten. Ich glaube, dass Kinder haben einen zwangsweise verändert. Das ist oft nicht angenehm, weil das Tempo des Wandels von außen vorgegeben wird. Aber es hält flexibel.

Die Pro- und Kontra-Listen, die ich für die Elternschaft schreiben könnte, wären in beide Richtungen nahezu unendlich.

Es gibt Tage, an denen ich mir wünsche, einfach ungebunden und ohne Absprache mein Ding durchzuziehen. Keine Babysitter zu suchen, um mal einen Abend auszugehen. Raum zu haben, wenn ich ihn mir nehmen möchte. Aber das heißt nicht – nach wie vor – dass ich meine Tochter damals nicht aus ganzem Herzen wollte. Wir haben mit voller Absicht ein Kind bekommen. Obwohl es nicht »gut« für die Karriere war. Obwohl wir nicht alle Folgen abschätzen konnten. Gerade, weil es sich zu diesem Zeitpunkt richtig angefühlt hat.

Gewünschtes Wunschkind

Ich wünsche mir, dass die Frage »War das Absicht?« aus dem Smalltalk-Fundus gestrichen wird.

Sie ist übergriffig und hat nie etwas mit den Eltern oder gar dem Kind zu tun. Sie sagt so viel mehr über die Fragenden aus, als ihnen bewusst sein dürfte. Hinter dieser Aussage steht alles, was die Elternschaft heutzutage so herausfordernd macht. Das Verteufeln von Kindern und ihren Bedürfnissen (»Warum schreit das Kind so rum?«; »In der Öffentlichkeit stillen ist eklig!«) bei gleichzeitigem Romantisieren der Belastung, das Ganze für Eltern mit sich bringt (»Ein Kinderlächeln ist die schönste Belohnung«; »Ich dachte, ihr habt euch die Kleine gewünscht?«).

Die Frage zeigt, wie wenig Eltern zugetraut wird. Anstatt über all die systematischen Ungerechtigkeiten nachzudenken, die das Kinderkriegen heute erschweren, bleiben wir auf der persönlichen Ebene und suchen nach

Fehlern. Denn in einer so kinderfeindlichen Welt kann eine Entscheidung für ein Kind per Definition nur ein Missgeschick gewesen sein. Und das ist ein Problem.

Lola ist jetzt neun Jahre alt. Zeit genug für alle Menschen, damit Frieden zu schließen, dass Josi und ich Eltern sind. Ein Kind haben, dass einen substanziellen Teil unseres Lebens ausmacht. Auch, wenn vieles herausfordernd bleibt, ist es jeden Tag aufs Neue großartig zu sehen, auf wie vielen verschiedenen Wegen sie uns überraschen kann. Mit ihren Ideen, ihrem Wachstum, ihrer Liebe.

Deshalb ist und bleibt meine Antwort auf die Frage »War das Absicht?«:

»Ja. Und wir würden es jedes Mal wieder genauso machen.«

Olaf

Du möchtest weiterlesen? Das freut uns! Wenn Du Mitglied wirst, hilfst Du uns dabei, dass wir langfristig für Dich frei texten können.

Sei dabei (Si apre in una nuova finestra)

Argomento Olaf

1 commento

Vorresti vedere i commenti?
Abbonati a Backpackbaby e partecipa alla conversazione.
Sostieni