ADHS und die Stagnation des Wohlbefindens
Languishing - Stagnation des Wohlbefindens
Gestern war der vorletzte Tag der Kulturellen Landpartie hier im Wendland. Und Familie Winkler zu einem Familienausflug in Richtung des Pfingstmarktes in Satemin. Wie offenbar gefühlt ALLE anderen Norddeutschen auch.
Wir fuhren über die engen Feldwege in Richtung Satemin, als auf der linken Fahrbahn nun schon Schlangen von parkenden Autos die Fahrbahn verengten. Zudem waren (vorbildlich) etliche Fahrradfahrer im Wendland unterwegs. Hätten wir mal vielleicht auch tun sollen, wenn ich nicht so verdammt unsportlich wäre und schon gefühlt hundert Jahre nicht auf dem Fahrrad war...
Vor uns fuhr ein überbreites Wohnmobil, was schon so schwer durchkommen konnte. Als es nun auch noch Gegenverkehr in Form eines Wohnwagengespanns gab, ging buchstäblich gar nichts mehr. Und das für ziemlich lange Zeit, denn es ging weder rechts noch links, weder vor und schon gar nicht zurück.
Der fliessende Verkehr bzw. das vorherige Pendeln der Autofahrer (mal fuhren Autos aus dem Gegenverkehr, mal konnten wir weiter fahren) stagnierte bis der Verkehr vollends zum Stillstand kam.
Und das Mitten im Nirgendwo und eigentlich auch ohne Stress, denn wir waren ja alle zunächst gut gelaunt und glücklich über diesen schönen Tag.
Die Stimmung in unserem Auto kippte aber von zu Minute zu Minute. Und so wie es im AUSSEN nicht mehr weiter ging, so wurden wir im INNEN eben immer gereizter, unruhiger und angespannter. Denn auch hier ging es ja irgendwie weder VOR noch irgendwie ZURÜCK. Im englischsprachigen Raum würde man vielleicht von "stucked" sprechen.
Eigentlich wollten wir nur noch weg. Raus. Aber genau das ging ja auch nicht.
Dieser Zustand der inneren Blockade der Selbstregulation und der Motivation kam mir aber durchaus bekannt vor.
Languishing
Das Konzept des Languishing in der Positiven Psychologie beschreibt einen emotionalen Zustand, der sich durch eine allgemeine Stagnation, Erschöpfung und ein Gefühl der Leere auszeichnet. Es ist ein Zustand, in dem Menschen weder blühend (flourishing) noch von einer ernsthaften psychischen Störung betroffen sind, sondern sich irgendwo dazwischen befinden.
Der Begriff "Languishing" wurde erstmals von Corey Keyes, einem Soziologen und Psychologen, im Jahr 2002 eingeführt. Er entwickelte das Konzept als Gegenstück zum Konzept des "Flourishing", bei dem Menschen ein hohes Maß an psychischer Gesundheit und Wohlbefinden erleben. Laut Keyes liegt Languishing zwischen Flourishing und psychischer Störung wie Depression oder Angststörung.
Im Idealfall kann man also schwingungsfähig wie ein Pendel sich aus diesem Zustand der Blockade befreien, gerade wenn man eben etwas zum Aufblühen (Flourishing) hat und sich begeistern kann.
Die Idee hinter Languishing ist, dass Menschen in einem Zustand der Stagnation und des Mangels an Erfüllung leben können, obwohl sie keine diagnostizierbare psychische Erkrankung haben. Es ist ein Zustand, in dem das emotionale Wohlbefinden aufgrund verschiedener Faktoren, wie etwa der Belastungen des modernen Lebens, der Unsicherheit oder der Langeweile, beeinträchtigt ist.
Und Langeweile bzw. unsinnige (nicht nachvollziehbare) von aussen gestellte Aufgabenstellungen und unrealistische Erwartungen kennen wir ja als Probleme bei ADHS zur Genüge, oder?
Historisch betrachtet liegt der Fokus der Positiven Psychologie auf der Erforschung und Förderung des menschlichen Wohlbefindens, anstatt sich ausschließlich auf psychische Störungen zu konzentrieren. Martin Seligman, ein bekannter Psychologe und einer der Begründer der Positiven Psychologie, betonte die Bedeutung von positiven Emotionen, Engagement, Beziehungen, Sinnhaftigkeit und Leistung (PERMA-Modell) für ein erfülltes Leben.
In diesem Kontext stellt Languishing eine Art Zwischenzustand dar, der von einem Mangel an positiven Emotionen, einem Gefühl von Leere und einer geringeren Motivation gekennzeichnet ist. Es ist ein Zustand, in dem Menschen zwar nicht aktiv leiden, aber auch nicht ihr volles Potenzial ausschöpfen oder ein hohes Maß an Wohlbefinden erfahren.
In den letzten Jahren hat das Konzept des Languishing aufgrund der Auswirkungen der COVID-19-Pandemie und der damit verbundenen Unsicherheit und Einschränkungen an Bedeutung gewonnen. Viele Menschen fanden sich in einer Art emotionaler Stagnation wieder, während sie mit den Herausforderungen der Pandemie konfrontiert waren, wie beispielsweise sozialer Isolation, Verlust von Routinen und Sorgen um die Gesundheit.
Und irgendwie breitet sich nach meiner subjektiven Wahrnehmung insgesamt so eine Haltung bzw. Stagnation aus, die nun das Gegenteil von Begeisterungsfähigkeit für das interessen-basierte bzw. auf Anfeuerung und Motivation getrimmte ADHS-Gehirn darstellt.
Die Positive Psychologie und Forscher im Bereich der psychischen Gesundheit haben begonnen, Languishing als einen wichtigen Aspekt des Wohlbefindens zu erkennen und sich darauf zu konzentrieren, wie Menschen aus diesem Zustand herauskommen und zu einem blühenden Leben zurückkehren können. Dies kann durch verschiedene Maßnahmen erreicht werden, darunter die Förderung positiver Emotionen, die Entwicklung von Zielen und Sinnhaftigkeit, die Pflege von sozialen Beziehungen und die Förderung von Selbstfürsorge und Achtsamkeit.
Es ist wichtig zu beachten, dass Languishing kein Zustand ist, der eine psychische Störung darstellt, sondern eher eine vorübergehende Phase, in der das emotionale Wohlbefinden beeinträchtigt ist.
Aber es ist halt umso wichtiger, sich dann zu überlegen, wie man sich daraus auch wieder befreit... Denn schliesslich hatten wir ja dann doch noch einen schönen Tag in Satemin und ich kann heute diesen Beitrag schreiben und sitze nicht länger im Auto :-)
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