Die Hoffnung im Chaos
Von Manuel Benjamin Lehmann
Es wird viel diskutiert und gemutmasst, was die zweite Amtszeit von Donald Trump für die Welt bedeuten könnte. Wenn wir hypothetisch einmal davon ausgehen, dass es schlimm wird: Mit welcher Haltung können wir dem anders begegnen, als damit den Kopf in den Sand zu stecken oder panisch zu werden?
Dieser Beitrag könnte auch «It's hope, stupid!» heissen, angelehnt an das Narrativ «It’s the economy, stupid» aus dem Wahlkampf von Bill Clinton 1992. Und damit auf eine Zeitenwende hindeuten, respektive, dass da vielleicht gerade ein Narrativ seine Gültigkeit verloren hat. Das aus einer bestimmten Perspektive Irrationale hat gerade das Rationale besiegt. Um dies zu verstehen, schaue ich tief in Amerikas Seele.
Die Wahrnehmung vieler Europäer:innen, wie auch vieler Amerikaner:innen ist, dass wir in gerade in dunklen Zeiten leben. Oder dunkle Zeiten auf uns zukommen. Die vielen Drohungen von Donald Trump in seinem Wahlkampf lassen solche Schlussfolgerungen zu. Donald Trump spricht die Wut an. Er holt die Menschen nicht nur in ihrer Wut ab, wie dies viele Populist:innen tun. Donald Trump verkörpert die Wut. Er drückt sie mit seinem ganzen Wesen aus. Es gab in den letzten Tagen viele Analysen und Mutmassungen, woher die Wut rührt, die er adressiert und die ihm zu einer Mehrheit der Stimmen verholfen hat. Auch ich habe darübergeschrieben. Siehe meine beiden letzten Beiträge in diesem Blog.
Und da ist aber noch mehr: Donald Trump adressiert auch die Hoffnung. Er vermittelt Hoffnung. Mein erster Impuls dazu ist, dass es nur ein Irrtum sein kann, wenn man Hoffnung entwickelt aufgrund von Trumps Lügen. Dass man dafür schon dumm sein muss. Und damit möchte ich das Thema bleiben lassen und abhaken, weil dies bequemer ist, als dahinter zu schauen. Mache ich jetzt aber nicht.
«Make America Great Again!». Macht Amerika wieder grossartig! Dieses Narrativ begleitet Trump. Und Ivanka Trump sagte am Parteitag der Republikaner 2016: «Alles wird wieder möglich sein». Die Trumps vermitteln Hoffnung. Ich habe Interviews gelesen mit Erstwähler:innen, die Wünsche haben, die konträr liegen zum Wahlprogramm von Trump. Und ihn gewählt haben, weil sie eher erwarten, dass er diese Wünsche eher erfüllt, als dass dies die Demokraten und Kamala Harris tun.
Nun ist es so, dass der oder die herausfordernde Kandidatin, wenn es um die Hoffnung geht, vermutlich meist im Vorteil ist. Wer regiert, ist diesbezüglich weniger glaubwürdig, weil gerade die Möglichkeit bestanden hat, die Hoffnungen der Menschen zu erfüllen. Und gewisse dieser Hoffnungen enttäuscht wurden. So konnten die Demokraten einige ihrer Senatoren nicht davon überzeugen, den Mindestlohn zu erhöhen, was ein Wahlversprechen von Joe Biden war. Daran scheiterte die landesweite Einführung.
Bei Trump gibt es aber einen Bestandteil in seiner Biografie, von dem man in Europa nicht so häufig liest. Er hat eine bestimmte Art des positiven Denkens gelernt von Norman Vincent Peale, New Yorker Pastor und Beststellerautor. Gary Lachman beschreibt den eigentümlichen Mix von positivem Denken, Chaos-Magie, rechtsextremen Ideen und Gespür für aktuelle Stimmungen in dem Buch «Dark Star Rising: Magick and Power in the Age of Trump». Davon sind Trumps Charakter und seine Reden geprägt. Häufig braucht er Metaphern auf die Apokalypse, wenn es um den aktuellen Stand der USA geht, und sagt umgekehrt auf X: «Your vote will unleash a new GOLDEN AGE!» Wer ihn wählt, läutet nicht wenigerals ein goldenes Zeitalter ein.
Trump passt wesentlich besser zur Apokalypse als Harris. Und die Apokalypse hat einen hohen Beliebtheitsgrad in den USA, um es etwas ironisch auszudrücken. Bei den Gläubigen sowieso. Aber auch die Liberalen aus Hollywood zelebrieren sie regelmässig in aufwändig inszenierten Filmen. Und nach der Apokalypse kommt das goldene Zeitalter. So sagt es die Legende. Wobei es bei Trump unklar bleibt, was damit gemeint ist. Und vermutlich ist dies wichtig: Nur so taugt dies als Projektionsfläche für eigene Wünsche. Mit konkreten, positiven Zukunfts-Szenarien beschäftigen sich hingegen nur ein paar wenige Wissenschafler:innen und Bürgerräte. Selbst die Politik hat dafür selten wirklich den Kopf frei.
Die demokratische Partei arbeitet zwar schon an einer besseren Welt. Es sind aber häufig nur kleine Schritte, die dann vom Senat und dem Repräsentantenhaus erst noch in Frage gestellt werden. Der Wall Street, den Pharmafirmen (von denen Purdue für die Opiatkrise verantwortlich gemacht wird) und der Lebensmittelindustrie mit ihren Zusatzstoffen und dickmachenden Lebensmitteln wird aber auch von den Demokraten wenig bis nichts entgegengesetzt. So werden die beiden Parteien als zwei Seiten einer Medaille wahrgenommen, die kaum mehr schimmert. Das Land der unbegrenzten Möglichkeiten. Es ist nicht mehr.
In dieser Situation sehnen sich die einen nach vergangenen, besseren Zeiten. Die anderen möchten erst recht, dass alles so bleibt, wie es ist. Die Dritten sehen im Kollaps das grössere Versprechen. Es liesse sich die Frage stellen, welche Versprechen dem Chaos innewohnen. In Zeiten von Umbrüchen wird die bestehende Ordnung auf den Kopf gestellt. Es ist sehr viel möglich. Wer eben noch reich war, ist plötzlich arm und vielleicht sogar im Gefängnis. Und wer eben noch arm war und seine Chancen nutzt, kann schnell reich werden. Ich habe schon mit Menschen im ehemaligen Osten von Deutschland gesprochen, die die Wende genauso erlebten.
Nun möchte ich dies nicht heroisieren. Wenn Amerika auf solche Zeiten hinsteuert, wird damit auch sehr viel Leid verbunden sein. Und trotzdem wird bei mir, wenn ich von den Personalentscheidungen von Trump lese, auch eine gewisse Neugier ausgelöst. Was passiert, wenn die Institutionen radikal in Frage gestellt werden? Ich möchte niemanden ermuntern, seine Wertehaltung aufzugeben zugunsten dieser Neugier. Ich halte es für ausserordentlich wichtig, gewisse Werte zu verteidigen in den nächsten Jahren und freue mich über die Entschlossenheit, die in der Zivilgesellschaft bei aller Verzweiflung auch zu spüren ist. «MeToo», «Black Lives Matter» und der Klimastreik – all dies passierte in der ersten Amtszeit von Trump. Ich halte es für wichtig, dranzubleiben.
Aber vielleicht hat es neben wichtigem Engagement Raum für einen neugierigen Beobachter, der auch da sein darf und Dinge aus einer etwas anderen Perspektive wahrnehmen kann. Der das Chaos aushält. Weil uns all die schönen Ziele, Strategien, Papiere und Handlungspläne, die letztendlich meist doch nicht umgesetzt werden, irgendwie auch herzlich wenig genützt haben. Und ganz viel Widerstand ausgelöst haben. Halten wir inne, mitten im Chaos. Was haben wir falsch gemacht? Was können wir besser machen? Finden wir etwas Neues in uns, aus dem heraus wir agieren können? Und was für Möglichkeiten liegen im Chaos? Um diese zu erspüren und wahrzunehmen, brauchen wir diesen neugierigen Beobachter in uns.
«Hoffnung ist nicht die Überzeugung, dass etwas gut ausgeht, sondern die Gewissheit, dass etwas Sinn hat, egal wie es ausgeht.» Václav Havel, ehemaliger Präsident der tschechischen Republik.
Otto Scharmer, Autor der Theory U, zur aktuellen Entwicklung und der Hoffnung:
https://www.youtube.com/watch?v=PdCMF50C2XM (Opens in a new window)Du willst von neuen Beiträgen auf Steady erfahren? Abonniere dafür unseren Newsletter.
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(Opens in a new window)Foto: Chris Andrawes (unsplash)