UC Davis: Ärger wegen Tierversuchen von Musk-Firma Neurolink
Vorwurf: Uni hilft beim Vertuschen von aus dem Ruder gelaufenen Experimenten
Von Klaus Martin Höfer
Elon Musik hat lange bestritten, dass Primaten bei den Tierversuchen seines Unternehmens Neuralink sterben mussten. Dokumente, die aufgrund von Informationsfreiheitsgesetzen öffentlich wurden, zeigen das Gegenteil. Möglicherweise sind einige Tiere sogar auf eine besonders grausame Art gestorben. Bilder und Videos der Tierversuche hält die Universität von Kalifornien in Davis (UCD) weiterhin unter Verschluss – auch aus Angst vor einem schlechten Image und vor gewaltsamen Protesten. Mit dem dortigen Biomedizinlabor hatte das Musk-Unternehmen die Tierversuche durchgeführt.
Drastische Beschreibungen von gequälten Tieren
Das Magazin wired hat kürzlich neue Recherchen dazu veröffentlicht und schildert beispielhaft den Ablauf eines Versuches. Einer siebenjährigen Makake-Äffin war ein Neuralink-Hirnimplantat eingesetzt worden. Wie sich nachher bei der Autopsie herausstellte, hatte das Implantat ein Leck gehabt; ein giftiger Klebstoff trat aus. Die dadurch hervorgerufene Entzündung führte zu einem starken Druck auf den Teil des Hirn, der den Liquor produziert, die Flüssigkeit, in der das Gehirn üblicherweise schimmend und sicher lagert. Als die Schwellung einen bestimmten Wert überschritt, wollten die Mitarbeiter des UC-Davis-Labors das Tier einschläfern. Doch der Kunde, die Firma Neuralink, protestierte, sie sollten noch einen weiteren Tag warten, schreiben die Autoren des wired-Artikels und schildern äußerst drastisch, was dann mit dem Affen passierte.
Wie sich später herausstellte, war das zu späte Einschläfern ein Verstoß gegen ein Bundesgesetz, das den Umgang mit Versuchstieren regelt. Weil die UC Davis den Verstoß jedoch selbst meldete, hatte dies aber keine Folgen, weder für die Hochschule noch für Neuralink. Wired zitiert einen ehemaligen Mitarbeiter des Unternehmens mit den Worten, das Tier sei ja eingeschläfert worden, das Implantat habe also den Tod nicht direkt verursacht. Eine ähnliche Position vertrat offenbar auch Elon Musk: Kein Primat sei durch ein Implantat von Neuralink ums Leben gekommen, wird er von wired zitiert.
Neuralink: Experimente mit der Hirn-Computer-Schnittstelle
Neuralink ist eines der Unternehmen von Elon Musk, das er zusammen mit anderen 2016 gründetet und das er auch zu einem großen Teil finanziert. Es entwickelt Hirnimplantate, also Schnittstellen zu Computern ("brain-computer interfaces") und Neuroprothesen mit einer Verbindung zu medizinischen Geräten. Ein Ziel seiner Forschung sei es, so Neuralink, gelähmten Menschen zu ermöglichen, alleine mit ihrer Gedankenkraft Computer, Telefone und andere Geräte nutzen zu können. Für die Entwicklung der Hirnimplantate wollte Neuralink offenbar zunächst ein eigenes Tierversuchslabor aufbauen, beauftragte dann aber die UC Davis mit entsprechenden Experimenten.
Primatenforschung in Davis auch für die Industrie
Auf dem Campus der staatlichen Hochschule befindet sich eines von sieben Nationalen Primatenforschungszentren. Selbstgestellte Aufgaben ist die Verbesserung der Gesundheit von Menschen und Tieren. Ungefähr 5000 Primaten werden deswegen dort zu Versuchszwecken gehalten. Die UC Davis ist einer von zehn Standorten des University of California-Verbundes; andere sind zum Beispiel Berkeley, Los Angeles und San Diego. Knapp 200 000 Studierende sind eingeschrieben; die einzelnen Hochschulen sind voneinander unabhängig. Sie zählen mit einer herausragenden akademischen Forschung und vergleichsweise günstigen Studiengebühren zu den "Public Ivy"-Hochschulen, ein Begriff, der sie mit den teuren, privat finanzierten "Ivy-League"-Hochschulen vergleicht.
Weiteren bundesstaatliche Hochschulverbünde in Kalifornien sind die California State Universities und die Community Colleges California. Weil für diese öffentlichen Hochschulen und Forschungseinrichtungen, die zu einem großen Teil aus Steuern finanziert werden, besondere Offenlegungspflichten bestehen, kamen auch die offenbar zumindest zum Teil aus dem Ruder gelaufenen Tierversuche in Davis ans Licht.
Tierschützer klagten auf Herausgabe von Unterlagen
Die Organisation "Physicians Committee for Responsible Medicine" (PCRM), die sich für Alternativen zu Tierversuchen einsetzt, verklagte 2021 die Universität auf die Herausgabe der Unterlagen zu den Experimenten. Die Tierschützer, die auch eng mit PETA zusammenarbeiten, beriefen sich dabei u.a. auf die kalifornische Gesetzgebung, die öffentliche Einrichtungen zur Veröffentlichung ihrer Dokumente verpflichtet. Im Februar 2022 teilte die Universität mit, sie habe der Organisation entsprechende Unterlagen über die Forschungszusammenarbeit mit Neuralink und die Tierversuche übermittelt. Insgesamt soll es sich um 600 Seiten handeln. Reuters, CNN und andere berichteten darüber.
Nach der Auswertung der, so PCRM, "verstörenden" Dokumente teilte die Organisation dann mit, die Aufzeichnungen zu den 23 Versuchstiere zeigten ein "Muster extremen Leidens und Vernachlässigung durch das Personal". In einem 700seitigen Bericht an das US-Landwirtschaftsministerium als Aufsichtsbehörde forderte die Tierschützer eine Untersuchung gegen die ihrer Ansicht nach schwerwiegenden Verstöße gegen das Tierschutzgesetz. Die Hochschule, die laut PCRM 1,4 Millionen Euro von Neuralink erhielt, hat die Anschuldigungen bislang zurückgewiesen. Die Forscher hätten sich an die geltenden Standards und Regeln verhalten. Neuralink veröffentlichte ähnliche Aussagen.
Weitere Klage auf Herausgabe von Fotos
Eine zweite Klage gegen die Universität richtet sich nun auf die Herausgabe von Fotos und Videos. Mehr als 370 Fotos sind offenbar noch im Besitz der UC Davis. Während sie viele schriftliche Dokumente zu den Tierversuchen unter Druck und nach dem Hinweis auf die Veröffentlichungspflichten herausgab, wehrt sie sich nun seit mehr als einem Jahr gegen die Veröffentlichung des Bildmaterials.
Videos, auf die sich schon bereitgestelle Unterlagen bezogen, sind offenbar verschwunden. Die Hochschule verweist dabei auf Neuralink, das eine eigene Computer- und Aufzeichnungslogistik für die Tierversuche aufgebaut und nach Beendigung mitgenommen habe. Das Primatenzentrum selbst habe keinen Zugriff auf von Neuralink gespeicherten Videos gehabt.
Üblicherweise sind allerdings Aufnahmen auf dem Tierversuchsgelände streng reglementiert. Die Hochschule schreibt vor, dass bei Videoaufnahmen die Versuchstiere selbst nur unscharf abgebildet werden dürfen. Zudem behält sich die Universität vor, alle auch von anderen auf dem Campus gemachten Fotos und Aufnahmen zu sichten und freizugeben. Für die Zusammenarbeit mit Neuralink wurde dies offenbar nicht umgesetzt. Allerdings galten für Mitarbeiter sowohl der Hochschule als auch von Neuralink strenge Geheimhaltungsvorschriften, vor allem aus Angst vor einer kritischen Öffentlichkeit.
Nach Informationen von wired habe Neuralink zumindest zeitweise keine entsprechend ausgebildeten Mitarbeiter gehabt, um Chips sachgerecht implantieren zu können. Fotos könnten Aufnahmen misslungener oder schlecht ausgeführter chirurgischer Operationen zeigen. Zu sehen wären auf jeden Fall aber, welche neurologischen Auswirkungen die Versuche auf die Tiere hatten, zum Beisiel dratische Verformungen im Hirnbereich.
Die Anwälte der Hochschule argumentieren unter anderem, dass Unbeteiligte diese Fotos nicht in ihrem wissenschaftlichen Zusammenhang einordnen könnten. Würden sie veröffentlicht, könnte es zu gewaltsamen Protesten kommen, auch gegen die Mitarbeiter der Universität. Die Aufzeichnungen seien zu Lehr- und Fortbildungszwecken angefertigt werden, um die klinische Praxis und Operationstechniken zu verbessern. Dies würde künftig wegfallen, da die Hochschule das Risiko der Veröffentlichungspflicht nicht eingehen werde.
PCRM steht auf dem Standpunkt, die Herausgabe der Aufnahmen sei inbesondere wichtig, weil Neuralink die Öffentlichkeit willentlich täusche und die grausame Art und Weise der Tierversuche herunterspiele. Weil die Experimente auch aus Steuermitteln finanziert worden sei, habe die Öffentichkeit ein Recht, darüber informiert zu werden.
Das Gerichtsverfahren der Tierschutzorganisation Physcians Committee for Responsible Medicine gegen die University of California in Davis ist noch nicht abgeschlossen.
Im Mai 2023 teilte Neuralink mit, die FDA, die oberste US-amerikanische Gesundheitsbehörde, habe dem Unternehmen die Erlaubnis erteilt, nunmehr Versuche mit Hirnimplantaten auch am Menschen durchführen zu dürfen.
https://www.wired.com/story/neuralink-uc-davis-monkey-photos-videos-secret/ (Opens in a new window)