Gewalt und Machtmissbrauch an Musikhochschulen - #musicmetoo
Anlass für diesen Post ist mein starkes Bedürfnis Friede Merz und ihre vor ein paar Tagen veröffentlichte Stellungnahme bezüglich ihrer sehr erschütternden eigenen Erfahrung an Machtmissbrauch während ihres Studiums. Bitte lest es Euch durch, es ist eine sehr fundierte, ausgearbeitete Stellungnahme, die ihre mediale, rechtliche und gesellschaftliche Unterstützung mehr als verdient hat! ---> https://friedemerzmusic.com/BLOG (Opens in a new window)
Ich möchte darüber hinaus ein Zitat von Bell Hooks aus ihrem Buch „Feminismus für Alle“ teilen:
„Bezeichnenderweise war die machtvollste Intervention innerhalb der bewusstseinsbildenden Gruppen die Forderung, dass alle Frauen sich mit ihrem eigenen verinnerlichten Sexismus und mit ihrer Hörigkeit gegenüber patriarchalem Denken und Handeln auseinandersetzen müssen, um entschlossen ihre feministische Konversion anzugehen. (...) Solange Frauen das Banner feministischer Politik hochhalten, ohne ihren eigenen Sexismus zu adressieren und zu transformieren, wird die Bewegung letztlich untergraben.“
Ich teile dieses Zitat nicht, um jemanden erziehen zu wollen, sondern weil es genau den Prozess beschreibt, der in den vergangenen Jahren in mir durch solche Bücher ausgelöst wurde. Es gab in meinen jungen Jahren niemanden in meinem Umkreis, der patriarchale Gewalt hinterfragt hat, also habe ich sie ebenso als gegeben akzeptiert und nicht wirklich etwas dagegen getan. Die einzige kleine Revolution, mit der ich mir am Ende ins eigene künstlerische Fleisch geschnitten habe, war, mich einfach von vorneherein gar nicht in das toxische Haifischbecken „Musikhochschule“ zu begeben.
Das wird mir aber jetzt erst alles bewusst, und zwar auch, aufgrund der Stellungnahme von Friede Merz. Und genau das zeigt die Bedeutung von Transparenz, Konversation und Veröffentlichung von Gewalt und Machtmissbrauch an Institutionen, wo sie nicht sein sollte. Damit Betroffene verstehen, das ist nicht okay, was da passiert, auch wenn es schon immer so war. #metoo
Als ich vor 20 Jahren aus der Schule kam, wollte ich unbedingt klassischen Gesang lernen. Das zu können, hat mich unheimlich fasziniert. Also suchte ich mir zunächst eine Gesangslehrerin in Berlin und finanzierte mir den Unterricht mit Nebenjobs und auch gleichzeitig während der Ausbildung zur Hotelfachfrau mit einer 70-Stunden-Woche, um alle Kosten decken zu können. Nach der Ausbildung wollte ich es wissen und begann mich für ein Gesangstudium zu interessieren. Ich belegte Musiktheorie-Kurse an Volkshochschulen, hospitierte bei Kursen an Musikhochschulen in Berlin, die meine Gesangslehrerin veranstaltete. Ich besuchte Abschlusskonzerte von angehenden SängerInnen der Musikhochschule und lauschte denen, die aus den Schulen herauskamen, aber auch dort hineinwollten. Das alles, was ich zu der Zeit mitbekommen hatte, führte schlussendlich dazu, dass ich mich gegen ein Studium an den Universitäten entschied.
Einige Aussagen, die mir hängen geblieben sind:
„Die Aufnahmeprüfung besteht fast niemand beim ersten Mal, damit möchte man die angehenden StudentInnen testen. Trotzdem hilft Vitamin B, in den Gängen der Uni sind mir später Menschen begegnet, die nicht mal bei der Prüfung anwesend waren, aber Prof. Soundso persönlich kannten.“
„Wenn Du Gesang studieren möchtest, dann such Dir erst mal eine/n Dozent/in raus und mach Dich dort vorstellig. Entweder gleich auf der ‚Couch‘ oder nimm Geld in die Hand und nimm bei denen Unterricht.“
„Bei den GesangsstudentInnen ist es völlig normal, dass sie Knötchen auf den Stimmbändern haben, oder schon die erste Stimmband OP hinter sich haben.“
„Ich bin im vorletzten Semester und habe noch immer nicht gelernt, wie man auf der Bühne auftritt und mit dem Korrepetitor kommuniziert. Immer wenn ich danach gefragt habe, dann wird mir gesagt, das lernst Du schon noch.“
Weiterhin habe ich mit einigen professionellen SängerInnen und MusikerInnen an Welt-Bühnen gesprochen und von vielen Erfahrungen von Sexismus, sexualisierter Gewalt, Gewalt aufgrund von ungleichem Machtverhältnis, Drangsalierungen, Alkoholismus, Vetternwirtschaft, Abhängigkeit von Psychopharmaka, um den Druck auszuhalten, gehört. Es war völlig normal, dass KünstlerInnen, RegisseurInnen schreien, mobben, gaslighten, denn „die sind eben so“. Entweder Du legst Dir ein hartes Fell an oder steigst aus.
Jetzt im Nachhinein denke ich, ja meine Wahl war, gar nicht erst einzusteigen. Genau diese Elefantenhaut habe ich nicht! Außerdem möchte ich in all meiner Vulnerabilität als Sängerin und mit sexueller Gewalt in meiner Familiengeschichte, mich auch nicht in ein solch toxisches Umfeld beruflich begeben. Unter solchen Umständen kann ich nicht lernen und noch weniger singen.
Konnte ich das damals so klar benennen? Definitiv, NEIN! Es war ein Bauchgefühl in mir, das sagte, da spiele ich nicht mit! Das ist nicht richtig, nicht fair, ungesund, gefährlich. Aber habe ich was dagegen gesagt? Auch nicht, denn auch ich war so geprägt, das war schon immer so und ist anscheinend normal. Es machen einfach fast alle mit. Und genau darauf bezieht sich unter anderem auch das anfängliche Zitat von Bell Hooks. Ich habe nämlich auch schon einige Diskussionen mit Frauen geführt, die dann meinten, was soll das mit #metoo, hätten sie doch einfach nicht mitgemacht, aber sie wollten doch unbedingt berühmt werden.
Was heißt das dann im Umkehrschluss, habe ich mich oft gefragt: Selbst Schuld, wenn Du mit Deiner Berufung wie SchauspielerIn oder SängerIn Geld verdienen möchtest? Musst Du ja nicht, dann mach doch etwas ganz anderes?
Nein, es ist ein strukturelles Problem und es ist falsch und unrecht, dass TäterInnen weiterhin in sämtlichen Institutionen gedeckt werden, zumeist aus Angst das Gesicht und das Ansehen zu verlieren. Wie kann es sein, dass auch an Bühnen weiterhin Gewalt von 'Oben' mächtiger, und Sexismus verdeckt unter der Kunstfreiheit akzeptiert ist, weil KünstlerInnen Angst haben müssen ihren Job zu verlieren?
In meinem Podcast kommen im Hintergrund ebenso manch heikle Themen auf den Tisch, die dann gerne nicht veröffentlicht werden sollen, damit es nicht zum Nachteil der Interviewten wird.
Wie dem auch sei, es liegt an uns zu entscheiden. Ob wir aufstehen und etwas dagegen sagen und uns verbünden gegen Unrecht.
Gebt Betroffenen wie Friede Merz auch Eure Stimme und unterstützt sie mit ihrem Anliegen, in dem ihr ihren Post teilt, an die Öffentlichkeit bringt, medial und im kleinen Kreis. Es ist wichtig, darüber zu sprechen, sich weiterzuentwickeln, zu lernen und strukturellen Machtmissbrauch, Sexismus, psychische und sexuelle Gewalt in der Arbeitswelt, an Schulen und Universitäten, also eigentlich so grundsätzlich zu beenden. Das Ende dieser Form von struktureller, patriarchaler Gewalt muss das neue Normal sein und nicht andersherum!
https://www.musicmetoo.de/ (Opens in a new window)@sz @taz.die_tageszeitung @ig_jazz_berlin @deutschejazzunion @awarenessakademie
@jazz_institut_berlin @udkberlin
@themisvertrauensstelle @senkultgz @bundeskultur @deepunddeutlich @deutschlandfunkkultur @musicwomengermany @keychange @zeitmagazin @radiocosmo @radioeins
(Opens in a new window)