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Der Tag danach

Ein Rausch über Fragmente aus meinem Kopf

Ich liege auf dem Boden, die Vögel zwitschern, der Wind weht warm um mich herum. Unter mir die Kissen unseres Terrassen-Sofas, die werden immer sehr heiß. Wärme von oben und von unten. Mein Körper fühlt sich schwer an, deswegen lege ich die Füße auch hoch. Ein Blinzeln durch meine müden Augenlider eröffnet mir den Blick in den blauen Mittagshimmel dieses Sonntages. Einige wenige weiße Wolken schieben sich über den Himmel und der Sonnenschirm verdeckt mich vor der direkten Sonnenstrahlung.
Ich höre das Getrappel von Pferdehufen: „Los Amadeus, schneller.“ Meine Tochter hört Bibi&Tina. Mein Mann macht ein Foto von mir. Ich teile das Bild auf Instagram, mindestens drei Menschen fragen, ob ich Sex hatte. Leute, was ist in euren Köpfen los? Assoziiert ihr die Worte Erinnerung, Erschöpfung, Entspannung ausschließlich mit Sex?

Was ist Arbeit?

Es ist Montag nach meinem Geburtstag, den ich drei Tage gefeiert habe. Erst den Tag selber, an dem ich arbeitete (Opens in a new window) und trotzdem beschenkt wurde. Dann der Tag danach, den ich mit meinen engsten Familienmenschen verbrachte und die kleine Party zwei Tage später. Ich lud meine Freundinnen ein. Die, die in Berlin sind und auch die, die nicht in der Stadt wohnen. Nicht alle konnten kommen. Wir waren eine kleine Runde, intim und nahe und ich verstand einmal mehr, wie sehr ich diese Menschen brauche.

Heute ist der Tag nach dem Wochenende und ich bin irgendwie hohl. Mein Kopf ist leer und dabei müsste ich richtig arbeiten. Etwas abarbeiten, Termine machen, Material sichten, Strukturen überlegen. Ist das richtig arbeiten? Das eigentliche Verständnis von Arbeit ist morgens um 9.00 Uhr an einem Ort sein, wo Geld verdient wird und am Abend erschöpft und entkräftet wieder zu Hause zu sein. Mechanisch Essen reinschaufeln, vor der Glotze einschlafen und wieder von vorne.
Sollte „Arbeit“ nicht mehr sein? Sollte nicht alles mehr sein? Ein Thema, was mich auch ein Uhr nachts mit meiner Freundin Edda im Garten umgetrieben hat. Mich treibt das alles schon immer um. Ich kann Arbeit und Vergnügen nicht trennen. Ich will es nicht trennen. Und sobald Arbeit für mich nicht mehr vergnüglich ist und mich nervt, ich mich dazu zwingen muss, will ich es nicht mehr.

Manch einer sagte schon zu mir: „Du musst dich aber auch mal zusammenreißen. Manchmal muss man auch durchziehen. Das Leben ist kein Ponyhof.“ Ich möchte aber bei der Arbeit vergnüglich sein und nicht weinen müssen, weil mich die To-do-Liste erschlägt.

Mein Leben ist (k)ein Ponyhof

„Dann baue ich mir eben meinen eigenen Ponyhof,“ erwiderte ich bockig. Erst kürzlich erzählte mir eine Bekannte, sie habe nach ihrer Kündigung keinen neuen Job.
„Wie du hast nichts Neues und trotzdem gekündigt?“, fragte ich ungläubig und sie nickte, ihre Augen füllten sich mit Tränen und sie ergänzte: „Ich kann einfach nicht mehr. Es ist nicht, dass ich so fertig von der Arbeit an sich bin. Ich möchte nur einfach nicht mehr machen, was ich mache. Es macht mich unglücklich.“

Ich nickte, strich über ihre Hand und dann beglückwünschte ich sie. Auch ich hatte schon aus lauter Unglück gekündigt. Jetzt ist das natürlich eine absolute Luxus-Situation, kündigen zu können und erst mal Nichts zu tun. Das geht nur mit einem angemessenen finanziellen Puffer, keine Frage.
Besagte Bekannte wollte nicht mal Nichts tun (Opens in a new window). Nein, im Gegenteil, sie wollte ihre Freundinnen besuchen, die auf ganz Deutschland verteilt sind. Sie plante einen längeren Urlaub (drei Wochen). Sie war wohl in den vergangenen sechs Jahren nicht länger als eine Woche verreist. Woher nahm sie die Kraft, überhaupt zu arbeiten, fragte ich mich da.
Und dann sagte sie mit strahlenden Augen: „Ich möchte ein Reitabzeichen (Opens in a new window) machen.“ Ich staunte, ich fand das toll. Ich hätte sie gerne umarmt, aber so gut kennen wir uns nicht.

Ihr nächster Satz trieb mir fast Tränen in die Augen. Sie sagte strahlend bis über beide Ohren: „Und wenn ich das Abzeichen gemacht habe, dann möchte ich mir ein Pferd kaufen. Das ist schon immer mein Traum.“

Da ist er, ihr Ponyhof.

Schweiß zwischen den Pobacken

Auf einmal wurde es heiß, zuerst an den Füßen, dann am Bein, die Sonne war gewandert. Ich musste mich umbetten und ich musste an „Irgendwann werden wir uns alles erzählen (Opens in a new window)“ denken. Das Buch von Daniela Krien fand den Weg in mein Bücherregal (Opens in a new window), als dieses Jahr die Neuauflage erschien, kurz bevor der Film in die Kinos kam. Ich denke dabei an die Magie von heißen Sommertagen (Opens in a new window), wenn ich morgens im Zelt (Opens in a new window) aufwache und mir der Schweiß auf der Stirn steht. Manchmal ist es auf unserer Terrasse am späten Nachmittag so heiß. Dann steht die Sonne drauf – wie jetzt gerade. Wie in einem Kessel liege ich und warte, dass der Mann nach mir vorschlägt, Café freddo zu machen. Nicht, dass ich das nicht auch selber könnte, aber es ist nicht das Gleiche.

Ich liege schon eine ganze Weile hier rum, mein ist erhitzt Gesicht und zwischen meinen Pobacken hat sich Schweiß gesammelt. Nagut, sammeln ist übertrieben.

„Es ist Sommer, heißer, herrlicher Sommer. […] Der August ist mein liebster Monat. Noch immer ist es warm, doch nicht mehr so drückend wie im Juli. Eine sanfte Schwermut erfüllt mich, wenn sich der Sommer dem Herbst zuneigt und mein Geburtstag ansteht. […] Der Altweibersommer weht luftige, feine Spinnfäden übers Land, die sich in meinen Haaren verfangen. Der Mais rechts auf dem Feld ist schon weit gediehen, und ich hole mir einen noch zarten Kolben und esse ihn. Beim Gehen fühle ich mich so frei wie noch niemals vorher.“

Diese Zeilen stammen aus dem Buch „Irgendwann werden wir uns alles erzählen“ von Daniela Krien. Eine bewegende Geschichte im ersten Sommer nach dem Mauerfall. Eine Mischung aus Schwermut und Neuanfang, aus Liebe und Betrug (Opens in a new window), aus Ehrlichkeit und großen Lügen.
Ich bin auch schwermütig, aber anders. Traurig schwermütig vielleicht, denn wenn mein Geburtstag vorbei ist, dann ist die Hälfte des Jahres rum. Wir sind fast mitten im Sommer und ich habe jetzt schon Angst, wenn er endet.

„Musst du denn nicht arbeiten?“

Ich schaue es dem Fenster und mache nichts.  Zurück zum Montag. Ich rufe meine Mama (Opens in a new window) an, sie  lenkt mich ab, ich höre gar nicht richtig zu. Dann sage ich „Ich habe viel zu tun“, und beende das Gespräch. Ich gehe in die Küche und räume den Geschirrspüler aus, aber nur zur Hälfte. Wieder zurück am Schreibtisch tippe ich diesen Rausch. Nachmittags gehe ich mit meiner Tochter Eis essen und einen Bikini kaufen. Eigentlich habe ich keine Zeit für sowas. Ich will aber Zeit dafür haben. Ich möchte auch Zeit haben, zu den Special Olympics (Opens in a new window) zu gehen – mitten in der Woche mit meiner arbeitslosen Freundin.

Später am Tag sitze ich alleine auf der Terrasse und schaue schon wieder in den Himmel. Es gibt Änderungen, die mein Manuskript (Opens in a new window) braucht. Eine andere körperliche Reaktion oder gar keine. Aber meine Protagonistin reagiert immer körperlich. Ich gehe spazieren, beobachte die Menschen, wie sie umher rennen, immer in Eile, immer auf dem Sprung.

Wieder zu Hause sehe ich meinen Nachbarn mit seinem Sohn in seinen Garten kommen. Er fragt mich: „Na, wie läuft es?“
„Gar nicht“, antworte ich, „ich denke über körperliche Reaktionen nach.“ Er lacht und wünscht mir viel Erfolg.
Ich schaue den beiden zu, wie sie mit wehendem Haar auf ihrem Trampolin Richtung Himmel fliegen. Dann schreibe ich:

In meinem Bauch flattert es merkwürdig. Als würde ich auf einem Trampolin in den Himmel fliegen und es ist nicht klar, ob ich jemals wieder auf dem Boden lande.

Es mag Menschen geben, die jetzt sagen: „Ja musst du denn nicht arbeiten?“
„Ich arbeite“, würde ich dann antworten. „Nur anders als du. Denn ich brauche Müßiggang für meinen Job.“

Wikipedia schreibt: Müßiggang bezeichnet das Aufsuchen der Muße, das entspannte und von Pflichten freie Ausleben, nicht die Erholung von besonderen Stresssituationen oder körperlichen Belastungen. Müßiggang geht z. B. mit geistigen Genüssen oder leichten vergnüglichen Tätigkeiten einher, kann jedoch auch das reine Nichtstun bedeuten.

Kaffee, Eiswürfel und Zucker

Für einen Kaffee freddo braucht es einen frisch gebrühten doppelten Espresso. Am besten der Zucker ist schon unten drin. Dann fließt der heiße Espresso direkt auf die braunen Zuckerkörner.

Anschließend den heißen Sud aufschäumen. Das geht am besten mit einem Aufschäumer (Opens in a new window) für Frappee.

In ein extra Glas reichlich Eiswürfel und kalte Hafermilch gießen. Wahlweise geht auch Kuhmilch oder gar keine Milch. Und dann – jetzt kommt das Schönste – den geschäumten Espresso langsam rüber gießen. Mach es unbedingt sehr langsam und genieße diesen Anblick. Schon dabei läuft mir das Wasser im Mund zusammen.

Trinke deinen Freddo mit Strohhalm. Kalt, süß und stark. Das Gehirn wird erfrischt, dein Herz belebt und die Füße kommen in Bewegung. Perfekt für Müßiggang.

Schwung zu Siegfried

Jetzt fehlt in diesem Rausch nur noch Antonia Baum. (Opens in a new window) Sie schreibt Kolumnen für die Zeit und hat ein neues Buch veröffentlicht. Die Premiere ist schon eine Weile her, ich habe aber jetzt erst gelesen. Ehrlich gesagt kann ich nicht so richtig in Worte fassen, was mich an diesem Buch mit dem Titel „Siegfried“ fasziniert. Ist es die Geschichte einer jungen Schriftstellerin, die an dem Morgen beginnt, als sie sich selbst in die Psychiatrie einweist oder ist es die über allem schwer schwebende Beziehung zu ihrem Stiefvater Siegfried?

Vielleicht ist es auch die Flucht, die sie aus ihrem Leben antritt, nur um einmal richtig zur Ruhe zu kommen:

„An dem Abend einige Monate später, als ich zu Benjamin ging, war ich geflogen, ich hatte es an dem Ort, den Alex und ich uns gemeinsam geschaffen hatten, nicht mehr ausgehalten. Es gibt überhaupt nichts Gutes mehr dort, dachte ich. Immer gab es ein Problem…“

Antonia beschreibt genau, ich fühle, was die Protagonistin empfindet, und kann die Enge in ihrer Brust spüren. Das ist gut geschrieben, wirklich. Empfehlung.

Mittagsschlaf

Mein Po sinkt in die großen weichen Kissen, die Füße bette ich auf den Hocker, vielleicht werde ich ohnmächtig von der Wärme und dem Rausch der gestrigen Nacht. Ich werfe einen letzten Blick in den blauen Himmel,  schließe meine Augen und falle in einen seichten Mittagsschlaf. Den ganzen Tag hatte ich vermeintlich nichts getan und dabei dachte ich so viele Gedanken.

Bleibt leicht&lebendig,
Helen

PS: Kurz nachdem ich weggenickt war, kackte mir ein Spatz auf den Bauch. Bringt das Glück?

PPS: Der Montag endete vergnüglicher als gedacht.

Ich war in Finnland: Hier ist das Dossier (Opens in a new window) zur Reise.

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