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Nur ein kleiner Schnupfen

Ein ansteckender Rausch über falsch verstandene Höflichkeit

In meinem Hinterkopf sitzt ganz still und leise die kleine Skepsis, die vorsichtig sagt: „Hoffentlich geht das gut.“ Ich beobachte drei zehnjährige Mädchen, die fröhlich in unserer Küche umherspringen und Pizzateig belegen. Tomaten, Mais, Paprika, Salami und gaaaaaanz viel Mozzarella. Mehlstaub wabert durch die Luft und obwohl das Fenster offen ist, spüre ich die warme feuchte Luft, die von uns ausgeht. Unsere Küche ist nicht sehr groß, mehr Sorte gemütlich. Ein Ort, in dem man sich eher einmal mehr umarmt und berührt, als aus dem Weg geht. Gemeinsam kochen endet meist im Engtanz, aber das ist hier nicht die Geschichte. Vor allem nicht in diesen Zeiten.

Glückliche Kinder

Mitten auf dem Höhepunkt der Omikron-Welle haben sich drei Grazien bei uns zu Hause verabredet, um eine Übernachtungsparty zu feiern. Grundsätzlich bin ich ein riesen Fan solcher Veranstaltungen. Ich habe genau das auch geliebt als Kind. Naja um ehrlich zu sein, stehe ich noch immer drauf und wenn ich einen Wunsch frei hätte (vielleicht zum 40igsten ;D), würde ich mir eine Übernachtungsparty mit meinen besten Freundinnen wünschen. Aber in Zeiten von diesem Virus ist eine solche Nacht natürlich denkwürdig. Aber wir sagten uns, „egal, was solls“. Lass die Kinder raus, lass sie leben, sie haben sich genug für uns eingeschränkt. Wir sind alle durchgeimpft (dreimal natürlich) und auch die anderen Eltern und engsten Familienmitglieder, sofern sie im entsprechenden Alter sind.

Nun frage ich mich selber, warum ich jetzt noch darüber schreibe? Wo doch die Welle ihren Höhepunkt überschritten hat. Ich habe selber über eine Mutter in Quarantäne (Opens in a new window)  gelesen und Rotz und Wasser geheult, gelacht und mitgelitten, weil es mich so bewegt hat. Und da hatte ich das dringende Bedürfnis auch über Ansteckung zu schreiben. Wir waren uns also einig, die Mädchen sollen Spaß haben. Die werden dreimal in der Woche getestet, wir taten es vorsorglich auch noch mal und her mit den kleinen Ladies.

Unsere Tochter bewohnt das Dachgeschoss alleine – dort ist auch Platz für richtig viele. Aber noch sind wir froh, dass es nur die zwei besten Freundinnen sind und nicht noch andere. Das kommt sicherlich früh genug. Ich fürchte mich ein bisschen davor. Denn das Mädchen ist eine wunderbare Mischung aus meinem Mann und mir. Und das könnte bedeuten, sie geht mit großer Leidenschaft aus (Opens in a new window). In Verbindung mit der Ausdauer meines Gatten (Opens in a new window) werden das lange Wochenenden.
Getestet und gesund traten die drei Kinder hier an und feierten ihre Sause. Wir fühlten uns sicher, immerhin hatten wir es zwei Jahre ohne Infektion geschafft. „Da kriegen wir die restlichen Monate auch noch rum.“ So dachten wir. Wir aßen alle gemeinsam Pizza, die Freundinnen guckten einen Film, tanzten, kicherten, unser kleines Knusperhaus wackelte und die jungen Damen hatten den Spaß ihres Lebens. Es fühlte sich alles richtig an. Am Sonntag hoppelten die Mädchen völlig übermüdet, aber unendlich glücklich nach Hause und wir gingen ins Museum.

Wendepunkt

Am folgenden Montag ging unser Mädchen ganz normal wieder in die Schule, zusammen mit ihren Freundinnen. Wie immer wurden sie getestet, wie (beinahe) immer war alles in Ordnung. Wir haben uns alle ans testen gewöhnt und ja, wir haben uns auch irgendwie an die negativen Ergebnisse gewöhnt. Jetzt wird schon nichts mehr passieren, hofften wir. Wir waren sehr froh, haben wir etwas richtig gemacht. Das Wochenende war keine falsche Entscheidung. Freundin 1 wohnt gegenüber, nachmittags spielten unsere Mädchen zusammen. Am nächsten Morgen geht es der Freundin nicht gut, sie hat Kopfweh und erhöhte Temperatur und geht lieber nicht in die Schule. Unser Kind sagt: „Ich hab mir schon gedacht, dass sie nicht kommt, sie war gestern schon ein bisschen schlapp.“
Oh ok, denke ich, naja wird schon nichts sein. Im Laufe des Vormittags besiegelt sich unser Schicksal. Der Papa von Freundin 1 kommt rüber und berichtet von einem positiven Corona Test. Mir rutscht das Herz in die Hose. Da ist es, das Virus. Nebenan. Nicht mehr weit weg. Ich bin in Sorge um die Freundin, aber es geht ihr so weit ganz gut. Mein Mann und ich sind beide zu Hause zum Arbeiten, an diesem Tag und gerade, als wir uns fragen, ob wir unsere Tochter jetzt aus der Schule holen müssten, klingelt mein Handy. Bitte abholen. Sie ist Erstkontakt. Die Kinder seien auf dem Flur gestapelt. Beginn der Quarantäne.

Alle sind mal dran

Tag eins bis drei waren ok, dann kamen die ersten Symptome. Erschöpfung, erhöhte Temperatur, Halsweh. Noch ein Tag später und auch ihr Test war positiv. Da war er. Der positive Test. Zwei Jahre haben wir uns darauf vorbereitet und dann, als das Virus mit uns im Bett liegt, sind wir überhaupt nicht vorbereitet. Ich kraule mein Mädchen, höre mit ihr stundenlang Bibi&Tina und versichere ihr, dass sie nicht schuld ist. Milder Verlauf hieß bei uns: drei Tage wortlos auf dem Sofa liegend an die Decke starren. Ich fand das schlimm, denn das macht sie nicht mal, wenn sie stark erkältet ist. Aber unsere Tochter war so schlapp, dass sie einfach nur da lag. Zusammen mit der Ungewissheit, wann wir dran sind und welche Auswirkungen die Infektion haben wird, wurde ich schnell zu einem nervlichen Wrack. Freundin 2 hatte sich nicht angesteckt. Aber in der Familie von Freundin 1 wurden nach und nach alle positiv.

Zwei weitere Tage nach dem positiven Test des Kindes bekam ich Symptome: Halsweh, Nase zu, schlapp. Jetzt war ich dran. Ich schloss mich auf dem Klo ein und weinte. Ich hatte Angst. Angst vor den Folgen (Opens in a new window). Angst, jemanden anzustecken. Angst vor allem. Es war schrecklich. Ich telefonierte mit meiner Freundin Alu. Sie sagte: „Heule, weine, fluche, ich würde das auch tun.“ Und dann weinten wir zusammen am Telefon. Es tat gut. Der darauffolgende Tag war schlimm. Mein Mann bekam Schnupfen und ich lag flach. Starrte mit meinem Kind an die Decke und konnte mich nicht bewegen. Anschließend ging es schnell wieder aufwärts. Der Schnupfen schwand in Windeseile dahin und unser Test war weiterhin negativ. Als es uns schon wieder gut ging und auch das Kind frei und negativ getestet war, wurde unser Test plötzlich positiv. Es ist wirklich eine „never-ending-story“ und zog sich hinterhältig durch uns hindurch, aber wir schafften es tatsächlich niemanden weiter anzustecken und kamen mit einem großen Schrecken davon.

Schnupfen bleibt Schnupfen

Zumindest nicht mit Corona. Wir waren gerade eine Woche genesen, da ging es schon  weiter. Aus lauter Freude über unsere neue Freiheit, immerhin waren wir jetzt geboostert und genesen, wagten wir uns wieder unter Menschen und nahmen eine Einladung zu Kaffee und Kuchen an. Schon an der Tür holte unser Gastgeber ein Taschentuch heraus und nieste kräftig. Ängstlich wich ich einen Schritt zurück. Er sagte: „Keine Sorge, ist nur ein kleiner Schnupfen.“ Ich sagte: „Aber wir hatten gerade Corona.“
„Ich habe einen Test gemacht, ist negativ“, erwiderte er entwarnend. Zögerlich betrat ich das Haus und hatte kein gutes Gefühl, auch der Gatte wollte lieber draußen sitzen. Aber es war im Grunde zu kalt und da wir weder jemanden vor den Kopf stoßen, noch die Spielverderber sein wollten, traten wir ein. „Und, selbst wenn ihr es bekommt, ist es nichts schlimmes.“ Das beruhigte mich nicht, ich wollte einfach gar nichts mehr bekommen.
Drei Tage später hatten wir alle die Nase zu, Schnupfen. Was soll ich dazu noch sagen? Viel schlimmer ist allerdings die Tatsache, dass wir den gleichen Fehler wiederholten. Erst hatten wir uns überreden lassen und die Quittung prompt bekommen und dann besuchten wir meine Eltern mit unseren Beton-Nasen und niesten am Kaffeetisch alles über den Kuchen. Die Folgen sind schlimm, denn sie mussten ihren Urlaub verschieben, weil eine Beton-Nase nicht dazu beträgt, angenehme Flugstunden über den Atlantik zu erleben. Ich grämte mich unendlich und tue es noch immer. Und ich stelle mir immer wieder die Frage, wer eigentlich schuld hat. Ein Freund schrieb augenzwinkernd: „Na Mensch, das gute alte Anstecken funktioniert noch.“ Tja, das hatten wir wohl vergessen.

Mit ihm und seiner Familie haben wir uns dann lieber nicht getroffen, diesmal haben wir etwas gelernt.

In diesem Sinne, bleibt sauber, Helen

PS: Und leicht&lebendig

Passend illustriert von Sophie Schäfer!

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