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GZ #21 Was uns auffängt und Halt gibt

Gofigramm

Ein Screenshot von einer WELT-Kolumne von Ulf Poschardt, dem Herausgeber von WELT, Politico und Business Insider, der ein Vorzeigeangestellter der Springer-Verlagsgruppe ist, nie einen Zweifel daran gelassen hat, dass er der FDP nahesteht und für politische Positionen links der Mitte kein gutes Wort übrig hat. Seine Kolumne heißt: "So macht sich die SPD überflüssig"

Ich habe den Mitgliedsantrag bei der SPD gestellt. Darüber habe ich lange, lange, sehr lange nachgedacht. Und immer wieder bin ich zu dem Schluss gekommen, dass eine Parteizugehörigkeit für mich nicht das Richtige ist. Ich hasse es nämlich, Teil von einer Partei oder Gruppe zu sein, die meiner Ansicht nach falsche Entscheidungen trifft. Egal, wem oder was ich mich anschließe, es dauert nie sehr lange, bis ich zur innerparteilichen Opposition gehöre. So wird mir das in der SPD auch gehen.

Doch dann stehen die Dinge momentan so, dass sie eine klare Positionierung nötig machen. Und ich denke mir: Ich schaffe es ja auch, mich mit der Kirche zu assoziieren, trotz Frauenmarginalisierung, Kreuzzügen, Hexenverbrennungen, Täuferersäufungen, Waffensegnungen, Führerzujubelungen, Kindesmissbräuchen und anderes mehr. Ich finde es unsinnig zu sagen: Das waren wir nicht, das waren die anderen. Doch, doch, das sind wir gewesen. Von unserem Verein ging Gutes wie Böses aus. Und je eher wir das als Tatsache akzeptieren, desto besser. Wenn ich das mit der Kirche hinbekomme, müsste ich das mit der Partei auch schaffen.

Vor ein paar Monaten erst ist mir aufgefallen, welche Themen mich als Künstler am meisten beschäftigen: Gemeinschaft und Macht. Wer mich etwas besser kennt, wundert sich darüber vielleicht, denn ich bin ein Eigenbrötler. Gemeinschaft strengt mich an. Vermutlich ist aber gerade das der Grund, warum das Thema mich so beschäftigt. Denn so anstrengend sie auch sein mag, Gemeinschaft ist nicht nur wichtig, sie ist notwendig, sogar unvermeidlich. Kein Mensch ist eine Insel, sagt das Sprichwort. Ganz egal, wie gesellig oder ungesellig ich bin, immer bin ich Teil nicht nur einer, sondern sogar mehrerer Gemeinschaften gleichzeitig. Ich brauche sie, ohne sie könnte ich nicht überleben. Sie sind unterschiedlich nah, unterschiedlich verbindlich, unterschiedlich gut bemerkbar. Aber sie existieren. Und wenn ich meinen Beitrag zu ihrem Gelingen leiste, tue ich zuallererst mir selbst etwas Gutes. Allen anderen natürlich auch. In der Sprache eines biblischen Propheten klingt dieses Prinzip so: „Sucht der Stadt Bestes.“

Dabei ist klar, dass ich nicht mit allem einverstanden bin, was in der und durch die Gemeinschaft passiert. Manche meiner Werte werden durch sie noch nicht einmal repräsentiert. Vielleicht gelingt es mir, dass sich das ändert, vielleicht auch nicht. Anderes steht möglicherweise sogar dem entgegen, was ich glaube und für richtig halte. Bis zu einer gewissen Schmerzgrenze kann, muss ich das aushalten.

Und Macht? Ist ebenfalls unvermeidlich. Sie wird selten an sich gerissen, fast immer wird sie zugestanden. (Auch die Nazis haben die Macht nicht „ergriffen“. Wir nennen das Ereignis deshalb „Machtergreifung“, weil dadurch suggeriert wird, dass die Nazis den anderen die Macht entrissen hätten, sodass die damalige politische Führungsriege daran keine Schuld traf. Das stimmt aber nicht. Sie wurde übertragen und dankend angenommen.) Weil Macht unvermeidlich ist, muss sie reflektiert, korrigiert, notfalls attackiert werden. Zum Wohle der Gemeinschaft und des Einzelnen.

Gemeinschaft und Macht, diese Themen hängen zusammen und lassen sich nicht voneinander trennen. Das Beste, was wir füreinander tun können, ist, Gemeinschaften zu bilden, sie zu pflegen, sie zu korrigieren, wo es nötig ist, und die Mächtigen scharf im Blick zu behalten. Denn wenn die Zeiten schwieriger werden, sind es unsere Gemeinschaften, die uns auffangen und Halt geben.

Ich wünsche Dir eine tolle Woche. Bis nächsten Montag!
Dein Gofi

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Art2Go

Basketball

Eine Fotografie von einem Basketballspieler, der springend den Ball in Richtung Korb wirft.

Es muss im Sommer 2018 gewesen sein, als ich dieses Foto gemacht habe. Im Sommer davor hatte ich das Fotografieren überhaupt erst entdeckt. Und weil ich mich gerade vor allem mit LoFi-Fotografie beschäftigte, hatte ich mir eine weitere Plastikkamera gekauft, die Holga 135TLR, hängte sie mir um den Hals und radelte Richtung Marburger Innenstadt. Die Menschen, die mir entgegenkamen und meine quietschgelbe Kamera sahen, lächelten.

Meine quietschgelbe Holga 135TLR aus Plastik

‚Basketball‘ habe ich auf dem Sportgelände der Uni gemacht. Ich fragte den Sportler, ob es in Ordnung wäre, wenn ich ihn fotografierte. Kein Problem, meinte er. Was soll bei einem analogen Fotoapparat aus Plastik schon passieren? Der Film, den ich verwendete, war ein Diafilm, den ich anschließend wie einen normalen Farbfilm entwickeln ließ, deshalb sind die Farben so intensiv.

Ich liebe die verwaschenen Konturen, das Korn, aber auch, dass bei aller eher vagen Ästhetik der Sportler beim Abwurf des Balles in der Luft steht, eine Bewegung, die Präzision und Spannung erfordert.

Ich denke, dass ich das Bild im Sommer 2018 geschossen habe. Es war jedenfalls noch vor meinem Fahrradunfall im selben Sommer, der dafür sorgte, dass ich eine Woche lang im Krankenhaus liegen musste. Auf meiner Fotosafari mit der Holga habe ich das Rad gefahren, mit dem ich gestürzt bin. Danach habe ich es nicht mehr benutzt.

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Podcast

David Lynch: Eine andere Art zu sehen - Wir denken zurück an den Meister des Geheimnisvollen

Eine Anschlagstafel über dem Eingang eines Kinos in Amerika. Darauf steht: David Lynch, R. I. P., 1946-2025, The Best To Ever Do It

Nur wenige Tage vor seinem neunundsiebzigsten Geburtstag ist der Filmemacher und Künstler David Lynch gestorben. Er hat sich selbst als Filmemacher bezeichnet, aber die allgemeinere Bezeichnung ‚Künstler‘ trifft eher auf ihn zu. Denn Lynch hat nicht nur Filme, sondern auch Gemälde, Fotos, Skulpturen, Musik und sogar Möbel gemacht. Seine Kunst ist oft geheimnisvoll bis rätselhaft. Gerade das macht sie aber so interessant. Und auch wenn wir nicht behaupten können, echte Lynch-Fanboys zu sein, wollen wir einem ganz Großen doch unseren Respekt zollen. Wir sprechen vor allem über den Film Mulholland Drive von 2001, beleuchten aber auch Lynchs Herkunft und seine Tätigkeit als bildender Künstler. Vielleicht verstehen wir nicht alles, was er gemacht hat - es packt uns aber trotzdem.

00:00:00.00 Verfremdungen
00:25:02.24 Eine andere Art zu sehen
00:46:15.20 Dunkelheit
00:57:51.19 Mulholland Drive

Micro Story der Woche

Antworten auf wichtige Fragen

Jens geht durch die Pappelstraße. Er hält sein Smartphone in die Höhe und filmt sich selbst. Immer wieder muss er anderen Menschen ausweichen. Es sind viele unterwegs. Zwischendurch bleibt er an Fußgängerampeln stehen und wartet auf Grün. 

Jens nimmt ein Video für Instagram auf. Er ist jetzt Influencer. Das Video handelt davon, wie man es vermeiden kann, sich jemals wieder einsam zu fühlen. Jens' Tipp ist ganz einfach: Sei öfter mal allein. Gehe in die Natur, in die Stille. Lerne es auszuhalten, dass niemand zu dir spricht, dass deine Aufmerksamkeit nichts anderem gilt, als dir selbst und den Stimmen in dir. Das ist ganz schön schwer, weiß Jens. Aber wenn du das lernst, dann bist du zwar des Öfteren allein, aber niemals wieder einsam.

Er weiß nicht mehr, wo er diesen Rat aufgeschnappt hat. Aber er gefällt ihm, und er versucht, ihn selbst regelmäßig anzuwenden. Es klappt noch nicht besonders gut. 

Diesen Rat würde er jetzt gerne während des Gehens in die Kamera sprechen. Andere machen das auch so. Aber weil er ständig Menschen ausweichen oder an Ampeln warten muss, kommt er nicht dazu, die wenigen Sätze aufzuzeichnen. 

Jens senkt den Arm und steckt sein Handy in die Hosentasche. Das wird so nichts. Er hat sich die belebte Neustadt als Szenerie ausgesucht, weil er zeigen wollte, wie einsam ein Mensch mitten unter vielen Menschen sein kann. Es wäre vielleicht besser gewesen, wenn er den Film im Park an der Ochtum gemacht hätte. Da wäre er ungestörter gewesen und hätte demonstrieren können, wie es aussieht, wenn ein Mann die Einsamkeit sucht, um sich nicht mehr einsam zu fühlen.

Er ist aber auch deshalb in der Bremer Neustadt unterwegs, weil er sich als Mitbewohner einer WG bewerben möchte. Die Adresse ist in der Sedanstraße, die jetzt gleich irgendwann auf der linken Seite kommen muss. Es wäre eine Zweier-WG. Jens weiß vom anderen nur, dass er Ben heißt und ein Freund von Franco ist. Der hat den Kontakt auch vermittelt. Hoffentlich ist es kein Idiot. 

Ein Schriftsteller, hat Franco gesagt, und dass das doch gut passen würde, sie seien doch beide so Künstlertypen, irgendwie. Ich würde mit ihm schon klarkommen, denkt Jens, wenn er mich nehmen sollte, ziehe ich auf jeden Fall ein. Die Wohnlage findet er super. Und die alten Bremer Reihenhäuser gefallen ihm auch gut.

Er ist fast da. Jens holt noch einmal sein Handy hervor und checkt sein Instagram. Sein letztes Video wurde elfmal geliket. Ihm folgen jetzt 298 Leute. Bisschen wenig für einen Influencer. Aber das kann sich ja noch ändern. Er muss einfach Quality Content produzieren, und dann wird das schon. Antworten auf die wirklich wichtigen Fragen des Lebens, die will er liefern. Er ist sich sicher, dass viele, vor allem Männer, auf der Suche danach sind. 

Er biegt in die Sedanstraße ein. Was war noch mal die Hausnummer? Die hat er sich doch irgendwo … Wo hat er die denn jetzt? Hat ihm Franco die nicht getextet? Fuck, nee, hat er nicht. War das die 96? Oder die 93? Fuck! Wie hieß der Typ denn jetzt mit Nachnamen? Irgend so ein Doppelname mit Bindestrich. Jens bleibt stehen und blickt die Sedanstraße hinab in Richtung Kornstraße. Verdammte Scheiße, sagt er.

Danke für Dein Interesse an meiner Arbeit! Ich veröffentliche das GOFIZINE bewusst kostenlos für alle, weil ich möchte, dass jede/r Zugang zu guten Inhalten hat, unabhängig von Einkommen und finanziellen Möglichkeiten. Wenn Du mir dabei helfen könntest, wäre ich Dir sehr dankbar.

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