100 Ausgaben FUZE - CONVERGE aus Ausgabe 01
Es sind nur noch wenige Wochen bis zur FUZE.100! Wer hätte 2006 gedacht, dass sich ein kostenloses Print(!)-Magazin so lange halten würde. Schließlich war damals MySpace der heiße Scheiß und das Internet sowieso. Niemand liest doch noch Print-Magazine, oder? Nun sind fast 20 Jahre rum, und die große 100 steht uns bevor! Ich war damals tatsächlich schon mit dabei, das Heft begleitet mich also schon eine ganz schön lange Zeit. Und ich erwische mich immer wieder dabei, wie ich in alten Ausgaben stöber und mir alte Interviews noch einmal vornehme - zum Teil gibt es die Bands noch heute, andere sind schon lange aufgelöst und vergessen, andere Musiker sind mittlerweile verstorben. Ich dachte mir, die nächsten Wochen nehme ich euch hier mit auf die Reise und präsentiere immer wieder Artikel aus dem Archiv, alte Momentaufnahmen von großen und kleinen Bands, welche die Szene damals so auf Trab gehalten haben.
Den Anfang machen wir natürlich mit der Titelstory aus dem ersten FUZE, das Interview mit CONVERGE führte der damalige Chefredakteur Thomas Renz, der das Heft zusammen mit Joachim Hiller vom Ox-Fanzine aus der Taufe gehoben hat.
Wenn ihr keines der Interviews von damals verpassen wollt, tragt euch in den FUZELetter ein oder supportet uns bei Steady. Vielen Dank!
Dennis
DER SPIDER-MAN IN JEDEM VON UNS. „Heutzutage sind die Feiglinge den Helden zahlenmäßig überlegen. Die bettelnden Seelen wiegen schwerer als die schwieligen Hände der härtesten Arbeiter. Das Fehlen von Leidenschaft ist Übelkeit erregend und die Gier nach Selbstzufriedenheit vergiftet das Leben und die Kunst gleichermaßen. Dieses Album ist der künstlerische Gegenentwurf zu dieser untergehenden Welt, ein Dorn in der Seite ihrer Bestie. Es ist denjenigen gewidmet, die Tag für Tag Berge versetzen. Es ist für die, die wahrhaftig etwas von Hingabe verstehen.“
CONVERGE Anfang Juli 2006 auf ihrer Homepage über ihr neues Album „No Heroes“.
Das Wort „Held“ ist ein Begriff aus der Vergangenheit, das heute fast nur noch ironisch verwendet wird. „Du bist mir vielleicht ein Held!“, ist jedenfalls alles andere als ein Kompliment. Helden kennt man bestenfalls noch aus dem Actionkino Hollywoods, wo sie sich, mit dem Präfix „super“ versehen, zum Beispiel durch die Häuserschluchten von New York schwingen. „Die Leute, die sich damals Spider-Man ausdachten, haben die Unsicherheit und die Furcht ihres eigenen Lebens genommen und damit etwas erschaffen, das einen sozialen Zweck erfüllt. Ihre künstlerische Tätigkeit hat den Schmerz, die Qual und den Verlust ihrer Welt widergespiegelt und dadurch an anderer Stelle etwas zum Positiven verändert. Das ist der Kreislauf von Kunst mit sozialem Bewusstsein.“
Was Sänger, Designer und Labelgründer Jacob Bannon damit genau meint, wird deutlicher, wenn er dieses Beispiel auf das Selbstverständnis seiner Band münzt. So abgeschmackt das vielleicht in den Ohren vieler klingen mag: Bannon möchte den Menschen helfen. „In erster Linie benutze ich CONVERGE zwar, um mich selbst auszudrücken, aber das wirklich Unglaubliche daran ist doch, dass sich irgendjemand in den negativen Seiten meines Lebens wieder findet und dadurch feststellt, dass er nicht alleine mit seinem Schmerz ist.“ Dementsprechend geht es ihm nicht um möglichst viele verkaufte Einheiten eines Albums oder darum, in einem möglichst großen Nightliner unterwegs zu sein. Das Wichtigste für ihn ist, „nach einem Konzert die Hand desjenigen zu schütteln, dem man ein wenig Stärke und Hoffnung gegeben hat.“
Converge im Jahr 2006
Sind die vier Bandmitglieder von CONVERGE also vielleicht am Ende selbst die Helden, die sie im Statement auf ihrer Homepage so schmerzlich vermissen? Zumindest erfüllen sie bestimmte Kriterien der popkulturellen Definition dieses Begriffs. Denn was viele moderne Superhelden wie beispielsweise Spider-Man charakterisiert, ist ihre Gewöhnlichkeit außerhalb ihrer Heldenrolle, ihr Kampf mit den alltäglichen und banalen Problemen des Alltags. Auch CONVERGE betrachten sich selbst als ganz „durchschnittliche Typen“, die sich durch nichts von anderen unterscheiden: „Wenn ich am Ende eines Tages nach Hause komme, bin ich für die Kinder in der Nachbarschaft einfach nur Jake. Ich bin nicht der Typ, der in einer Band spielt und deswegen respektvoll bewundert werden muss“, stellt Bannon klar. „Unsere Lieder basieren auf unseren alltäglichen Erfahrungen, wir stellen uns über niemanden. Wir setzen einfach unsere gemeinsame, künstlerische Vision um. Im Grunde unterscheiden wir uns insofern nicht von einem Maurer, der am Bau eines Wolkenkratzers beteiligt ist.“
Was im ersten Moment allzu bescheiden klingt, stellt sich spätestens dann als wahr heraus, wenn Bannon vom Aufnahmeprozess des aktuellen Albums berichtet. Aufgenommen wurde „No Heroes“ nahezu ohne Hilfe von außen im Proberaum der Band, dem Studio von Gitarrist Kurt Ballou: „Wir sind eine verdammte Punkrock-Band. Wir stellen Mikrofone auf und legen los. So einfach ist das. Wir benutzen das gleiche Equipment wie bei unseren Auftritten. Wir lieben die kleinen Unsauberkeiten, die dadurch entstehen. Sie sorgen dafür, dass wir organisch, authentisch und vor allem live klingen.“ Viele Lieder des neuen Albums wurden deshalb in einem einzigen Take eingespielt. Auf die Möglichkeiten der digitalen Aufnahmetechnik hat die Band weitgehend und bewusst verzichtet.
Doch trotz ihrer musikalischen Vorreiterrolle und ihres großen Einflusses möchten sich CONVERGE nicht als Vorbilder und schon gar nicht als Helden verstanden wissen. Denn das könnte die Band schlichtweg nicht mit ihrer Definition von Punk und Hardcore vereinen. „Diese Szene ist frei von jeglicher Hierarchie. Zumindest sollte sie das sein. Auch die Barriere zwischen Publikum und Künstler wurde damals niedergerissen. Es gab keinen Unterschied mehr zwischen den beiden Gruppen. Die Leute auf der Bühne sahen aus wie ich oder hatten zumindest die gleiche Einstellung – und sie waren erreichbar“, erinnert sich Bannon an seine Anfangszeit in der Szene. „Das hat mich schon immer angesprochen. Punkrock hat mir klargemacht, dass es einzig und allein darum geht, ein guter Mensch zu sein.“
https://youtu.be/7sq8ZlyvH6E (Opens in a new window)Trotzdem ist er sich natürlich der herausragenden Rolle seiner Band bewusst. Nicht zuletzt baut ja das gesamte Konzept des Albums unter anderem auch darauf auf. Es geht darum, sich zu erheben und seinem Leben Bedeutung zu verleihen und vor allem nicht Teil einer wie auch immer gearteten Herde zu sein. Bannon möchte seine Band als „etwas künstlerisch Reines“ betrachten, das frei ist von jeglicher Klassifizierung: „Man kann uns nicht so einfach einem bestimmten Genre zuordnen. Die Leute neigen dazu, Musik in fein säuberlich getrennte Schubladen zu stecken, weil ihnen die Fähigkeit abgeht, sie richtig zu verstehen“, ereifert sich Bannon. „Wenn ich beispielsweise ein Lied von MODERN LIFE IS WAR höre, dann höre ich viel mehr als einen Hardcore-Song. Diese Band hat jede Menge Substanz und Bedeutung und übersteigt alle Klassifizierungsversuche der Leute.
Nur weil etwas laut und aggressiv ist, heißt das noch lange nicht, dass es eindimensional und vorhersehbar sein muss. Auch unsere Band kann nicht so einfach eingeordnet werden, und das neue Album ist auch ein Statement in diese Richtung.“ Dieses Selbstbewusstsein hat einen Grund. Schließlich gibt es CONVERGE inzwischen seit fünfzehn Jahren und die Band empfindet ihre Musik noch immer als so relevant und erfüllend wie am ersten Tag. „Mir ist bewusst, dass das in dieser Szene nicht mehr allzu oft vorkommt. Aber wir machen diese Band einfach aus den richtigen Beweggründen. Es geht uns nicht um Geld, weil es in dieser Szene sowieso keines zu verdienen gibt. Wir machen es nicht, um berühmt zu werden, weil wir das niemals sein werden. Es geht uns einzig und allein darum, uns künstlerisch auszudrücken.“
Und genau dafür werden CONVERGE von vielen verehrt. Wie Helden verehrt, könnte man jetzt sagen, würde das nicht dem Selbstverständnis dieser Band fundamental widersprechen. Doch dagegen wehren, dass dies trotzdem geschieht, kann sich Bannon natürlich nicht. Selbstverständlich fühlt er sich geschmeichelt, wenn Leute das schätzen, was er tut. Trotzdem: „Ich denke, dass sie mehr Zeit darauf verwenden sollten, selbst etwas auf die Beine zu stellen. Das muss ja auch nichts mit Musik zu tun haben, das kann jede mögliche Ausdrucksform sein. Einfach irgendetwas, das gesellschaftlich und kulturell interessant ist und hoffentlich das soziale Umfeld verbessert.“
FUZE.01 - November / December 2006
Die Frage nach eigenen Vorbildern erübrigt sich da natürlich. Bannon hatte nie welche. Aber es gibt dennoch Menschen, die er respektiert und vielleicht sogar ein wenig bewundert. Ganz gewöhnliche Menschen, die sich auch als genau solche wahrnehmen. Menschen, die „ihre Zeit und Energie tagaus, tagein etwas Größerem hingeben als ihrem eigenen Ego. Menschen, die eine gute Mutter, ein guter Vater oder ein guter Freund sind. Das sind die selbstlosen Taten, um die ich Menschen achte. Vielleicht sind das sogar so etwas wie Helden für mich.“
Es gibt also wohl doch noch so etwas wie Helden. Sie sind nur nicht so leicht zu erkennen, weil sie letztendlich in jedem von uns stecken. Laut Bannon muss man, um ein Held zu werden, lediglich seine Selbstsucht überwinden. Oder eben von einer radioaktiven Spinne gebissen werden.
Thomas Renz
CONVERGE UND MYSPACE
Es gab eine Zeit, da schrieb man zuallererst ein paar Songs, nachdem man eine Band gegründet hatte. Heute legt man zunächst einen Account bei MySpace an. Macht ja schließlich jeder. Stimmt nicht ganz. Denn es gibt ein paar Bands, die sich der von Medienmogul Rupert Murdoch für 580 Millionen US-Dollar gekauften Community-Plattform verweigern. CONVERGE sind eine von ihnen. Sänger Jacob Bannon erklärt warum: „Ich bin überhaupt nicht gegen MySpace. Es ist nur einfach nicht unser Ding, falsche Freunde zu haben, die nur in einer digitalen Welt existieren. Sollten wir irgendwann einmal einen Audioplayer bei MySpace einrichten, werden wir die Kommentarfunktion abschalten. Ich brauche wirklich keine 18-Jährigen, die mir sagen, dass unsere Band toll ist. Ich weiß es wirklich zu schätzen, dass sich Leute dazu die Zeit nehmen, aber die meisten tun das aus rein egoistischen Gründen. Wie viele Leute drücken aufrichtig ihre Wertschätzung aus und wie viele spammen einfach so viel wie möglich, um dir irgendetwas zu verkaufen, an dem sie beteiligt sind? Man sollte alles, was man tut, mit einem sozialen Verantwortungsbewusstsein und vor allem mit einer gewissen Klasse machen. Den meisten MySpace-Usern fehlt das völlig. Die Leute gehen zur Seite meines Labels Deathwish Records und schicken uns vierzehn Nachrichten, in denen wir aufgefordert werden, uns ihr Demo anzuhören. Die alle zu löschen, stiehlt uns wertvolle Minuten unseres Lebens und sorgt lediglich dafür, dass wir dieser Band nie wieder auch nur die geringste Aufmerksamkeit schenken werden. Anstatt interessante Musik zu machen, erschaffen die Leute ihre eigenen Promo-Monster. Das ist irgendwie lustig, aber gleichzeitig auch eine gigantische Zeitverschwendung. Das ist in etwa so nutzlos, wie auf eine Viagra-Junkmail zu antworten. Erzähl den Leuten nicht nur, wie großartig du bist, sondern geh raus und beweis es ihnen!“
Lest hier: unser Interview mit SUICIDE SILENCE aus dem aktuellen Heft! (Opens in a new window)
https://steadyhq.com/de/fuzemagazine/posts/eb75baed-8b1e-4ce9-9a13-4bc5c9edb819 (Opens in a new window)